Gesellschaft Die Hoffnungen waren einmal...

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8. Dezember 1996

Die Menschheit steht heute nackt da, vor einer unerbittlichen Realität. Die Hoffnungen, Utopien und Ideale der Leute sind an ihnen selbst gescheitert. Zurück bleibt eine Leere und der Triumph kurzsichtiger Idioten.

James Cowan
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James Cowan Foto: PD

8. Dezember 1996
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Alles hat uns die Geschichte genommen. Vielleicht sollten wir froh sein ob so vieler Entlastung, sollten fliegen können.

Aber mögen wir denn noch leben, in einer Welt, in der uns selbst die Tränen genommen wurden, weil die Verzweiflung allgegenwärtig geworden ist und sich von nichts mehr abhebt.

Die Hoffnung, für die Existenz neben Nahrung unentbehrlich, ist tot. Es bleibt bloss noch das vegetieren. Utopist ist längst zum Schimpfwort verkommen. Der Hass, die Gewalt als Ausdruck eines existentiellen Unbehagens steht dem Menschen bloss noch in institutionalisierter Form zur Verfügung und entbehrt jeglichen Inhalts. Wo sollte denn Überhaupt angesetzt werden, um der Selbstverstümmelung der Menschheit Einhalt zu gebieten.

Früher war alles besser. An diesem hohlen Satz ist eben doch mehr dran, als mensch meinen könnte. Es gab die Hoffnung. Heute wissen wir, dass dafür keinen Grund bestanden hätte. Darauf kommt es jedoch nicht an. Die Essenz besteht darin, überhaupt hoffen zu können, hoffen zu dürfen, die Möglichkeit haben, voller Enthusiasmus für etwas zu arbeiten, vielleicht sogar zu kämpfen.
Wofür soll sich ein Mensch heute einsetzen?

Es gibt keine Angriffspunkte mit einem minimalen Sinn. Die hoffnungsvollen Perspektiven wurden durch die Geschichte ins Nichts aufgelöst. Die Reaktion nennt sie Irrtümer und Fehlentwicklungen, ganz überzeugt, dass auch die menschliche Kultur einem biologischen Selektionsprozess unterliegt, dem nur das Beste entspringt. Das Prinzip der Biologie ist das Leben, dasjenige der modernen menschlichen Kultur die Zerstörung.

Haben doch die Menschen Fähigkeiten, die weit über diejenigen der anderen Lebewesen hinausgehen, so sind sie doch nicht fähig, diese zu ihrem Wohlergehen einzusetzen. Unglaubliche Dinge hat die Menschheit zustande gebracht und vieles soll mit Recht bewundert werden.

Erstaunlicherweise war sie aber in der ganzen Entwicklungsgeschichte nie fähig, ihr Wohlbefinden zu steigern. Insbesondere die letzten 150 Jahre der Technisierung und Industrialisierung scheinen vor allem eine Selbstüberforderung gebracht zu haben und damit einhergehend eine gewisse Unsicherheit und Angst. Dieser Angst wurde in der bisherigen Geschichte stets durch eine Flucht nach vorn zu entgehen versucht, d.h. in eine noch grössere Selbstüberforderung, die in der totalen Selbstentfremdung des heutigen Menschen mündete.

Einigen Denkern und DenkerInnen ist dies früher wie heute nicht entgangen. Es wurde die Überwindung der Diktatur der wirtschaftlichen Gesetzlichkeiten gefordert, die, eigentlich vom Menschen geschaffen, längst über ihn bestimmen und jegliche freie gesellschaftliche Entwicklung verunmöglichen.

Kampf dem Kapital hiess die konkrete Parole, die im wesentlichen deswegen entstand, weil sich die Hoffnungen und Ideale der bürgerlichen Revolutionen nach Gleichheit und Gerechtigkeit nie erfüllt hatten.

Nachdem endlich gemerkt wurde, dass das ersetzen der Aristokratie durch die Bourgeoisie nichts verändert hatte, sollte diesmal das System, die Struktur angegriffen werden. Dazu kam es jedoch nur ansatzweise und während in den sogenannten Staatssozialismen die Partei die Bourgeoisie verdrängt hatte, blieben in der restlichen Welt die Wirtschaftsgesetzlichkeiten gesellschaftsbestimmend.

Nichts wirklich revolutionäres im Sinne einer Veränderung in Richtung einer freieren und gerechteren Welt geschah. Eine Utopie löste die andere ab. Eine Hoffnung jagte die nächste. Demokratie, Marktwirtschaft, Staatssozialismus, Parteikommunismus, Sozialdemokratie, Nationalsozialismus, Faschismus, alles verkörperte für gewisse Menschen Hoffnung und entpuppte sich als Enttäuschung, oft auch als absolute Katastrophe.

Kleinere Emanzipationsideen wurden in scheiternde Taten umgesetzt: Revolution durch bewaffneten Kampf, Guerillakriege, Befreiung der Sexualität, Auflösung der Familie, Kommunen, Befreiung der Menschheit mit LSD...

Neben diesen Bestrebungen, die Gesellschaft umzugestalten wurde der Aspekt des Widerstandes immer wichtiger. Nach der Desillusion der Revolutionäre ging es nun vorwiegend darum, zu verhindern, dass die bestehende Gesellschaft und die Umwelt noch mehr zerstört würden. Es entstanden Anti-AKW-Bewegungen, anti- faschistische und antiimperialistische Gruppen. Das "für" eine neuen Gesellschaft wandelte sich in ein blosses "gegen" diese Gesellschaft.

Im allgemeinen blieben die Widerstände nicht ohne Wirkung, vermochten jedoch nie das Gesellschaftssystem ernsthaft in Frage zu stellen, und früher oder später wurde das Verhinderte doch noch durchgesetzt. Schauen wir uns den Zustand der Menschheit und seiner Umwelt an, so müsste eigentlich die Notwendigkeit von grundsätzlichen Veränderungen so einleuchtend sein, dass jeder und jede sofort mit ganzer Kraft an der Umgestaltung mitwirken müsste.

Das dem nicht so ist, hat WeltverbessererInnen zu allen Zeiten enttäuscht und deprimiert. Zerbrochene Utopien waren allgegenwärtig, aber heute bleiben nicht einmal mehr Hoffnungen, die verloren werden könnten, weil wir wissen und die Geschichte kennen. Wir leben den Optimismus in der Vergangenheit durch die Geschichte der Black Panther, Maos, Che Guevaras, der 68er, der RAF manchmal auch bloss Winnetous. Die Gegenwart kennt keine Hoffnung.

Luftverschmutzung, Bodenvergiftung nehmen zu, das Ozonloch wird grösser, alles Folgen der Industrialisierung, und wir wissen, dass Afrika weite Teile Asiens und Südamerikas erst an dessen Anfang stehen. Die atomare Verseuchung der Welt hat dazu geführt, dass weite Gebiete nur mit unberechenbaren Gesundheitsschäden bewohnt und bebaut werden können. Trotzdem werden weiterhin Atomtest gezündet, Atomwaffen entwickelt, Atomkraftwerke gebaut und Atommüll verbunkert.

Die alten Atomwaffen, Atomschiffe und Atom-U-Boote werden entsorgt, wie mensch so schön sagt, und strahlen noch Tausende von Jahren vor sich hin, während bereits der Uranabbau immense Umweltschäden verursacht. Weiterhin werden Meere, Flüsse und Seen durch Industrie, Chemie, versinkende Öltanker und berstenden Pipelines verschmutzt und unbelebbar.

Die Ungerechtigkeit, Ausbeutung, Gewalt, die Reichen und die Armen kennen wir und dennoch wurde nach dem Zusammenbruch realsozialistischer Ostblockländer und der UdSSR vom Siegeszug des Kapitalismus, der Demokratie und der Freiheit gesprochen.

Siegeszug der Armut und marktgeregelter Leibeigenschaft; aber trotzdem wird heute mehr denn je der Liberalismus durchgesetzt. Nicht dass wir dem Staatssozialismus nachtrauern würden, ganz im Gegenteil, wir verachten diesen Faschismus unter dem Vorwand der Ideale eines Kommunismus zutiefst.

Wir kennen die Kriege, den Rassismus, den Kolonialismus, die Sklaverei, die Ungleichheit und Ungerechtigkeit; wir wissen, es gibt sie immer noch trotz Islam, Christentum, Judentum, Buddhismus, Marxismus und anderen edlen Philosophien.

Das Schlimmste aber ist, dass wir erkennen, dass sich zwar stets einige Menschen gewehrt haben und für eine bessere Welt gekämpft haben, sich jedoch nie etwas verändert hat. Auch wenn wir uns noch so gern um etwas sorgen würden, wir finden nichts. Das Spiel, so es denn eines sein soll, ist am Ende. Die Hoffnungen kann es nicht mehr geben, denn sie kämen zu spät.

ub