Ein Situationsbericht Europa auf dem rechten Weg

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7. Juni 1995

Die Regionalwahlen in Frankreich sind der aktuellste Beweis für den in ganz Europa stattfindende Rechtsrutsch in den verschiedensten Regierungen unseres Kontinents.

Neo-Nazi Demonstration der «Svenska motståndsrörelsen» in Stockholm, Schweden, Juni 2007.
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Neo-Nazi Demonstration der «Svenska motståndsrörelsen» in Stockholm, Schweden, Juni 2007. Foto: Peter Isotalo (PD)

7. Juni 1995
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Der rechtsradikale und nationalistische Front National hat die Regierungsmehrheit in drei Städten Frankreichs gewonnen, ganz zu schweigen von den, nur dank einer Allianz zwischen Sozialisten und bürgerlichen Parteien, verhinderten Mehrheiten in anderen Städten. Bei den Präsidentschaftswahlen konnte Le Pen um die fünfzehn Prozent der Stimmenden für sich gewinnen.

Berlusconi wurde zwar mittlerweilen seiner direkten politischen Macht enthoben, doch fällt es nicht schwer, Prognosen für dienächsten Wahlen in Italien zu machen.. Von der ganzen Geschichte kann eigentlich nur der Neofaschist underklärte Bewunderer Mussolinis Gianfranco Fini profitieren, denn er hat sich im Schatten Berlusconis bereits eine starke Position gefestigt. In Deutschland, Österreich und der Schweiz konnten rechtsextreme Parteien ebenfalls politische Gewinnen erzielen. Neben Erfolgen von alten Nazis wie Schönhuber in Deutschland, Neofaschisten wie Haider in Österreich oder rassistischen Populisten wie Blocher in der Schweiz gilt es noch ein anderes Phänomen zu beachten, welches weit weniger ins Auge fällt, auf seine subtile Art und Weise aber mindestens ebenso bedeutend ist.

Während offensichtlich faschistische Parteien (Front National, Republikaner, Schweizer Demokraten, Alleanza Nazionale...) zunehmend an Macht gewinnen, müssen auch die Gesinnungs- und Wertewandel innerhalb der traditionellen bürgerlichen und linken Parteien zu Kenntnis genommen werden. Nehmen wir als klares Beispiel die Schweizerische Volkspartei. Ursprünglich war sie eine Bauernpartei, die allerdings seit jeher konservativ und reaktionär war. Heute muss die SVP als nationalistische und xenophobe Gruppe angesehen werden. Ihre Wahlerfolge sind denn auch ganz klar auf ihre aggressive Lügenpropaganda und Panikmache zurückzuführen. Auch wenn es innerhalb dieser Partei Leute gibt, die den neuen Weg der SVP bedauern, so ist doch fast niemand bereit, sich von diesen Ideen klar zu distanzieren und konsequenterweise aus der Partei auszutreten. Der Erfolg rechtfertigt wohl die Mittel und die Ideologie.

Die langjährige grosse Schwester der SVP im bürgerlichen Lager war die Freisinnig Demokratische Partei. Der politische Siegeszug der SVP brachte die FDP in Zugzwang, da ihr viele WählerINNENstimmen an die SVP verlorengingen. Es kam zu einer stillschweigenden ideologischen Angleichung der FDP an die SVP mit dem Ziel, nicht noch mehr WählerINNEN an SVP, FP (Freiheitspartei) oder SD (Schweizer Demokraten) zu verlieren. Es erfolgte also ganz klar ein Rechtsrutsch innerhalb der Parteien, der sich allerdings in keiner Wahlstatistik feststellen lässt, weil die Namen der Parteien dieselben geblieben sind.

Auch die Sozialdemokratische Partei hat diesbezüglich Aufmerksamkeit verdient. Von sozialistischen und sozialen Ideen, von Solidarität, von Weitblick, von Überwindung des Imperialismus und Kapitalismus ist nicht mehr die Rede. Immerhin konnte sich die SP dazu durchringen, die ganz klar rassistischen und diskriminierenden Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht abzulehnen. Die Gefahr ist, neben den sich etablierenden und aufsteigenden rechtsextremen Parteien, die auch mehr oder weniger klar braune Farbe bekennen, dass die bürgerlichen und linken Parteien faschistische und rassistische Ideen übernehmen, damit Propaganda für sich machen und auch politisch aktiv zur konkreten Durchsetzung davon beitragen.

Diese, sich zur Demokratie und den Menschenrechten bekennenden Parteien, steuern in der Praxis einen ganz anderen Kurs, der vom Durchschnittsmenschen kaum wahrgenommen wird. Was die jeweilige Partei sagt ist wohl richtig, eigenes Denken überflüssige Mühe. Und die faschistischen, nationalistischen Parolen scheinen aufs Erste so richtig, klar, einfach und wahr. Nur so lässt sich erklären, dass die Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht in einer Volksabstimmung mehrheitsfähig wurden, dass Kredite und Baugenehmigungen für Neubauten von Gefängnissen von den Stimmenden gutgeheissen wurden, dass sich kaum jemand mehr wehrt, wenn die Schweizerpolizei nach dem sogenannten Fichenskandal ein noch weit perfektionierteres Sammeln von Daten über Personen mittels Computernetzen praktiziert als damals.

Die Panikmache, das Suggerieren einer Unsicherheit im Volk durch die rechte Propaganda hat Erfolg und bricht den Widerstand gegen den Aufbau einer Volksüberwachung in Richtung Polizei- und Überwachungsstaat. Seit langem ist auch bekannt, dass rechtsextreme Parteien starke Verbindungen untereinander haben und zwar über die nationalen Grenzen hinaus. Was die illegalen Neonazigruppen betrifft, so weiss man um ihre straffe Organisierung und weltweite Zusammenarbeit bezüglich Versand von Propagandamaterial und Datenaustausch jeder Art (über Internet z.B.).

Es braucht wohl nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, dass diese Gruppen auch im internationalen Verbrechen tätig sind. Waffenhandel dürfte wohl ein bevorzugtes Gebiet sein, wurden doch beeindruckende Waffenlager von Neonazis gefunden. Die Infrastruktur für einen rechtsextremen Terrorismus wäre perfekt. Bisher wird davon nicht im grossen Stil Gebrauch gemacht. Ein rechtsextremer Terror gegen den Staat würde kaum Sinn machen. Der/die Durchschnittsidiot/in hat Verständnis wenn Schwarze abgeschossen oder Asylantenheime angezündet werden, doch das diesjährige Attentat von Oklahoma-City gegen ein Staatsgebäude findet kaum Zustimmung.

Der Staat ist schliesslich nicht der Feind der rechtsextremen Kräfte, denn deren Ideologie und AnhängerINNEN sind in den staatstragenden Institutionen stark vertreten. In Polizei und Militär sind die nationalistischen und faschistischen Ideen sehr verbreitet. Das ist kein Zufall, denn diese staatlichen Machtinstrumente ziehen solche Leute an, da sie in ihrem Beruf bereits die Möglichkeit haben, ihre autoritären Kontrollgelüste mit Gewalt auszuleben. Zudem ist es naheliegend, dass Militär und Polizei faschistischem Gedankengut nahestehen, denn diese Ideologie misst ihnen grösste Wichtigkeit bei und erachtet deren Macht über politische Institutionen und Volk als notwendig. Polizeistaat oder Militärdiktatur sind nichts anderes als Synonyme für den Faschismus.

Es ist keine Lüge, wenn behauptet wird, der Staatsschutz oder die politische Polizei würde rechtsextreme Gruppen und deren kriminelle Vergehen nicht ernsthaft verfolgen. Nach wie vor werden vor allem linke und antifaschistische Organisationen von den Repressionskräften verfolgt. Der Polizei und dem Militär geht es eben nicht um die Demokratie, Menschenrechte oder sonstige humanistische Ideale sondern vor allem um sich selbst. EinE PolizistIN ist nicht ein wertneutrales Wesen, das seine kranken, egoistischen Triebe und Ideen abstellt und bestrebt ist, die Grundrechte der Verfassung zu garantieren.

Offiziell werden zwar gewisse faschistische und neonazistische Gruppen verboten, doch sind sie in der Praxis nur einer sehr schwachen Alibirepression ausgesetzt. Polizei, Militär, rechtsradikale Parteien und neonazistische Gruppen streben alle in die gleiche Richtung, den Faschismus. Natürlich ist nicht jeder Polizeibeamter ein Neonazi. Es gibt Unterschiede, aber es geht um die Grundtendenz, welche bei allen konservativ-reaktionär, autoritär, intolerant, nationalistisch und egoistisch ist.
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Bild: Ustascha-Graffiti in Kroatien. / Peccafly (PD)

Der Rassismus, der stets mit dem Nationalismus einhergeht, kommt auch immer wieder bei sogenannt polizeilichen Übergriffen zur Sprache. Diese Problematik wurde letztes Jahr auch die Schweiz betreffend thematisiert und ist ein klares Indiz für die Konzentration nationalistisch-faschistischer Ideologie in den Polizeikräften. Es ist also bestimmt nicht die Polizei oder das Militär, die den Faschismus verhindern, vielmehr wird er dort begünstigt und gefördert.

Einzig das Volk könnte den Trend in Richtung Faschismus in Europa brechen, denn letztlich liegt die Macht bei ihm. Doch eben genau dies scheint in Anbetracht der Wahlen, die wohl oder übel als Ausdruck des Volkswillens angesehen werden müssen, nicht der Fall zu sein, und einen starken antifaschistischen Widerstand, der zum Beispiel auf der Strasse kundgetan werden könnte, ist kaum bemerkbar.

Man bleibt der Problematik hilflos ausgesetzt und kann nur hoffen, dass die kommenden und bereits stattfindenden Kriege irgendwann wieder ihr Ende finden. Der Jugoslawienkrieg ist nicht anderes als ein rassistischer nationalistisch motivierter Kampf, auch wenn oft von Bürgerkrieg geredet wird. Ich meine aber auch den Krieg gegen Innen, dass heisst die Bekämpfung von Randgruppen, die Ausschaffung und Diskriminierung von AusländerINNEn oder von Menschen bestimmter Religionszugehörigkeit, die Ausschaltung linker und intellektueller Leute.

Es bleibt nur der Versuch, zu verstehen, was die Gründe für das Wiederaufblühen dieses lebensfeindlichen Gedankengutes sind. Nationalismus und Faschismus blühen immer dann auf, wenn sich Menschen aus irgendeinem Grund unsicher fühlen. Auf die Frage, wohin uns der Produktionswahn des Kapitalismus mit der implizierten Umweltausbeutung bis zu deren Zerstörung führen wird, gibt es keine realistisch optimistische Antwort. Die Ungewissheit und Orientierungslosigkeit, die menschlichen Existenz betreffend, sind im Grunde nichts Neues, doch gibt es konkrete Sachverhalte, die diese Gefühle ein bisschen aus dem Unbewusstsein lockern und totalitäre Tendenzen begünstigen. Der zweite Weltkrieg ist für viele Menschen heute nur noch Geschichte und nicht erlebte Vergangenheit, damit etwas kaum vorstellbares.

Die Zeitliche Distanz, obwohl es nur fünfzig Jahre sind, ermöglicht es überhaupt erst, die Auschwitzlüge zu propagieren oder sogar ernsthaft daran zu glauben. Der abschreckende Gedanke an den Nazikrieg und den Völkermord zieht kaum noch. Für europäische Verhältnisse herrscht eine Wirtschaftskrise, welche je nach Land eine relativ hohe Arbeitslosigkeit zur Folge hat, die wiederum hohe soziale Kosten beziehungsweise eine relative Armut nach sich zieht. Da ist der Gedanke nicht fern, den ImigrantINNen die Schuld in die Schuhe zu schieben, sie dafür verantwortlich zu machen, die Arbeitsplätze wegzunehmen und die staatlichen Sozialausgaben in die Höhe zu treiben.

Diesen fremdenfeindlichen Kurzschluss strebt zum Beispiel Le Pen mit seinem Wahlspruch "les Francais d'abord" an. Ein weiteres Problem ist die Suche der Staaten nach einer Identität. Während des kalten Krieges war die Sache so, dass sich die Staaten jeweils als Kommunisten oder als Kapitalisten definierten. Die Schwarz-Weiss-Malerei des kalten Krieges hatte eine einfache Standortbestimmung zur Folge.

Zudem waren die beiden Blöcke bestrebt, nicht nur wirtschaftlich produktiver sondern auch menschlicher als der andere zu sein.

Vor allem die westlichen Staaten brüsteten sich, toleranter, freiheitlicher und humanistischer zu sein als der Osten. Dieses selbstlobende Geschwätz kann auch heute noch gegenüber China beobachtet werden, hat aber seit dem Zerfall des UdSSR keine grosse Relevanz mehr. Der westliche Kapitalismus hat bewiesen, dass er das Beste ist,. In der Folge kümmern sich die westeuropäischen Länder nicht mehr gross um Freiheit, Toleranz und Menschenrechte. Der Glaube an einen harmonischen Weltfrieden durch eine gut organisierte UNO ist durch das Misslingen der UNO-Diplomatie und der Blauhelmeinsätze sowie der riesigen Finanzprobleme der Organisation geschwunden. Zu offensichtlich ist zudem der Missbrauch der Organisation für imperialistische Aktionen gewisser Grossmächte geworden. Jeder Staat will wieder vor allem für sich schauen, der Sonderfall Schweiz, la grande nation la France, das stolze wiedervereinigte Deutschland, usw.

Sogar die Europäische Union, die vor allem den europäischen Neokolonialismus besser koordinieren will, ist den rechtsextremen Parteien Europas ein Dorn im Auge.

Der Gedanke der Einheit mit anderen Ländern, die Solidarität, wenn auch nur mit den relativ reichen Staaten dieser Welt, ist zuviel. Die Motive der rechtsradikalen Gegnerschaft der EU haben nichts mit der Ablehnung einer Abschottung Europas gegenüber dem Rest der Welt zu tun, sondern ist nur Ausdruck eines nationalistischen Egoismus, eines elitären Denkens. Besinnen wir uns auf unsere Kultur, auf unsere Geschichte, schauen wird zurück und nicht vorwärts. Überzeugen wir uns, dass wir die hervorragendste Rasse sind, die Herrenmenschen. Die Identität wird aus einer mehr oder weniger grossen Vergangenheit geschöpft, das heisst, die Staaten identifizieren sich mit einer Geschichte, die mit der Gegenwart wenig gemeinsam hat. Die heutigen Probleme werden nicht angegangen und zu lösen versucht, sondern eine Flucht in die idealisierte Vergangenheit findet statt.

Beim Nationalismus, der stets mit dem Faschismus zusammenhängt, geht es um einen Minderwertigkeitskomplex auf zwei Ebenen.

Erstens fühlt sich der/die Faschist/in so unbedeutend, dass er/sie sich gar nicht als eigenständiges Individuum wahrnimmt, sondern als Teil einer Nation identifiziert. Ich bin Schweizer, Deutsche, Italiener, Französin und bin stolz darauf! Mein oberstes Ziel ist es, meinem Vaterland so gut und treu wie möglich zu dienen. Der Staat repräsentiert für sie die oberste Autorität, die nie fehlgeht.

Es ist dasselbe wie eine autoritäre Religiosität, sofern man darunter das Akzeptieren einer Gottheit versteht, die bestimmte Lebensregeln verlangt, welche dann auch genau eingehalten werden. Der Faschist verhält sich zu Staat und Führer wie der Mönch zu Gott und Kirche mit dem Unterschied, dass sich der Mönch seiner Unterwürfigkeit und Opferung seines Lebens für Gott bewusst ist, während viele Faschisten und Nationalisten sich gar nicht gegenwärtig sind, was sie warum tun.

Die grosse Masse besteht aus MitläuferINNEn. Zweitens, wenn ich mich mit einem Staat identifiziere, so möchte ich natürlich, dass es ein grosser, starker und mächtiger Staat ist, denn ich bin der Staat, der Staat ist ich. Daherkommt auch diese Angst, dem Staat oder dem Volk könnte etwas passieren. Der Militarismus und die Rassentheorie hängen mit dieser Angst zusammen.

Der Judenhass ist heute in Europa längst kein Tabu mehr, und selbst Politiker leisten sich mehr oder weniger ungestraft verbale Entgleisungen" (dieses Jahr z.B. Fischbacher, Ex-FDP). Vor allem werden jedoch die Araber zunehmend Zielscheibe rassistischer Ideologie. Nicht nur in Frankreich sondern in ganz Europa geht das Schreckensgespengst des islamischen Fundamentalismus um. Auch das ist eine typische Panikmache rechtsnationalistischer Kreise. Aber diese Propaganda funktioniert, und viele EuropäerINNEN sind der Meinung, dass jeder Araber ein kleiner Saddam ist.

Der Rassismus entsteht durch die Angst vor Fremdem und Anderem. Beim Nationalismus handelt es sich immer um eine Konkurrenzsituation mit anderen Staaten, Völkern und Kulturen. Die Angst, diesen Kampf zu verlieren und seine Nation einer anderen gegenüber als gleichwertig oder gar minderwertig ansehen zu müssen, führt zum konkreten Hass auf alles Fremde.

Der Rassismus wird dann mittels der bekannten Propaganda rationalisiert, um ihm eine Scheinberechtigung zu geben (Juden betrügen, Albaner dealen...). Der Gedanke einer gegenseitigen Befruchtung, des Verstehens und eines Zusammenlebens aus dem alle profitieren könnten, ist dem Nationalisten völlig fremd.
Die europäischen Staaten sind ganz klar auf dem totalitären Pfad, und gewisse Merkmale des Faschismus sind bereits Tatsache geworden. Ob es zu einem offenen Faschismus kommen wird, oder ob er sich wie bis anhin unter einer demokratischen Fassade weiterentwickelt, werden wir sehen. Klar ist, dass wir schon mitten in dieser Entwicklung stecken.

Die Parole Nie wieder Faschismus", die nach dem zweiten Weltkrieg überall zu hören war, ist endgültig utopisch geworden.

D.S.