Abhandlung Das Ende von Arbeit und Geld

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25. März 2000

Unter Arbeit wird im kleinbürgerlichen Verstande Arbeit für Geld verstanden. Marx nennt solche Arbeit deshalb mit Hegel "abstrakte Arbeit", wofür Kants "Automatismus des Verstandes" das Vorbild abgibt.

Das Ende von Arbeit und Geld.
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Das Ende von Arbeit und Geld. Foto: Hardi Hõlpus (CC BY-SA 3.0 cropped)Chris Upson (CC BY-SA 2.0 cropped)

25. März 2000
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Korrektur

"Erst eine Menschheit, die der Arbeit ledig wäre, wäre der Herrschaft ledig. Das weiss Philosophie, ohne es sich eingestehen zu können."


Th. W. Adorno



Hausarbeit und schriftstellerische oder Denkarbeit gilt deshalb nicht als Arbeit. Von denen, die arbeiten, sind aber nur die "Arbeitenden" produktiv, die Werte schaffen, während die Angestellten und Beamten unproduktive Arbeit leisten, also bloss etwas tun.

Jede Arbeit aber ist nach einer Erkenntnis von Freud Triebverzicht, d. h. sie erzeugt ein unglückliches Bewusstsein. "Die" Arbeit ist heute aber nicht mehr notwendig. Sie könnte in das Spiel an vollautomatisierter computergesteuerter Maschinerie verwandelt werden, was Wissenschaft und Technik heute schon möglich wäre, aber von ihr nicht gemacht wird, weil das kein Gewinn bringen würde. Übrig bliebe dann nur noch die schöpferische Arbeit des Handwerkers und Künstlers (Poiesis).

Ebenso mit dem Geld: Der Tausch von Ware gegen Geld, wie wir ihn tagtäglich bewusstlos vollziehen, könnte, wenn die Gebrauchswerte (Produkte) zu Gebrauchsgegenständen geworden sind, durch die sprachliche Verständigung über die Produktion, Verteilung und Konsumption der notwendigen "Lebensmittel" ersetzt werden, so dass jeder sich nehmen kann, was er/sie/es braucht.

Wenn erstens nur noch notwendige "Lebens-mittel" produziert werden, und überflüssige Berufe wie die des Geldvermittelns (Banken, Sparkassen, Verwaltungen, Versicherungen, Verkäuferinnen, Lohnbüros usw.) aufgegeben, und die arbeitsfähigen und - willigen Menschen auf die noch notwendige Arbeit verteilt würden, brauchte jeder von diesen nur noch vier Sunden/Tag "arbeiten". In ihrer freien Zeit könnten er/sie/es dagegen lesen, musizieren, kommunizieren, sich um die Kinder kümmern, lieben usw.

Ausbeutung heisst nach Marx, da die Menschen die Produkte ihrer eigenen, gesellschaftlichen Arbeit für Geld kaufen müssen; Unterdrückung, das sie weder innerlich noch äusserlich frei sind, ihre Gesellschafts-form frei zu wählen. Das sind also noch nach wie vor gültige Tatsachen. Solange wir noch nach dem Tauschprinzip handeln, haben wir auch eine bürgerliche Identität, sind wir Subjekte, also den Gesetzen der politischen Ökonomie unterworfen.

Wenn wir konkret und rational zu handeln meinen, ist dann das Resultat (das Ganze) immer abstrakt und irrational, weil es sich für uns unbewusst hinter unserem Rücken vollzieht. Wir sind dadurch weder Herr/Dame im eigenen Haus, was unsere innere Natur anbelangt, noch was die äussere Natur anbelangt, die wir durch unsere Arbeit zerstören, noch in der Gesellschaft, die als ein Naturzusammenhang erscheint, obwohl sie von uns und von den uns vorhergegangenen Generationen geschaffen worden ist. Arbeit und Geld sind aber weder etwas natürliches noch etwas menschliches.

Das Geld ist das Ding an sich, dass nach Kant aller unsere Erfahrung vorgängig sein soll. D. h. wir betrachten nicht nur die Lebensmittel, die wir konsumieren, unter dem Aspekt des Geldes, sondern auch die Begriffe, mit denen wir uns verständigen (und auch ein Mann eine Frau und vice versa, wenn sie geschlechtlich miteinander verkehren wollen: Ein Mann muss heute eine wohlfeile Ware und die Frau ihr Geld wert sein, wenn sie zusammen kommen wollen).

Das Leben für Arbeit und Geld macht gleichwohl den anarchischen Produktions- und Reproduktionsprozess an der Basis der Gesellschaft aus, d. h. es ist die Ursache für unser materielles, seelisches und sexuelles Elend, Armut und Kriege, Herrschaft und Gewalt. Während die Arbeit eine männliche Nachahmung des weiblichen Gebärakts darstellt, so ist das Geld ein Symbol für das weibliche Genitale, d. h. beide beruhen auf einer Abstraktion (und Unterdrückung) des weiblichen Geschlechts.

Damit hätte also auch ein Marx seine Analyse der politischen Ökonomie beginnen können, wenn er selbst nicht noch Patriarch gewesen wäre. Unser ganzes Bewusstsein ist durch die Formen der Ware, des Geldes und des geld-heckenden Geldes, d. h. des Kapitals, oder der Arbeit für Geld, vermittelt: Die Warenform der Produkte bestimmt das sog. natürliche Bewusstsein, die Geldform das Selbstbewusstsein und das vernünftige Bewusstsein ist eine Mystifikation des Kapitals. Deshalb wäre es Zeit, dass ein praktisches, wirkliches Bewusstsein an seine Stelle tritt. Das aber setzt voraus, dass Arbeit und Geld abgeschafft werden und die Abschaffung des Kapitalismus "ist" die Abschaffung von Arbeit und Geld. Während letzteres durch einen parlamentarischen Gesetzesakt abgeschafft werden kann, spätestens, wenn die Weltwirtschaft zusammenbricht, was wahrscheinlich in zehn bis zwölf Jahren der Fall sein wird, wodurch Kapital und Staat absterben werden, muss die Arbeit heute schon neu verteilt werden, und zwar auf solche Tätigkeiten, die Gebrauchsgegenstände schaffen, wozu die Produktivkräfte d.h. die Maschinerie also, zu Konsumtionskräften umzuwandeln sind.

Die Revolution selbst, die hier vorausgesetzt wird, ist an sich selbst dann nur noch ein Akt von Sätzen (Gesetzen), die von heute schon zu bildenden Räten auf Dorf-, Stadtteil-, Stadt- und regionaler Ebene gebildet werden sollten, vollzogen wird.

D. h. dass diese Revolution, die keine des sog. Proletariats mehr ist, sondern eine der Gattung Mensch, nicht gewalttätig sein braucht, und im wesentlichen eine Veränderung des Bewusstseins erheischt. Als solche ist sie notwendiger denn je, weil seit Marx alles nur noch schlimmer geworden ist: die Menschen haben kein Bewusstsein mehr, sondern nur noch ein Geldbewusstsein; sie gehen zur Arbeit, weil es den Begriff der Arbeit gibt, statt ihrer angeblichen Notwendigkeit.

Was sie dazu bringt, nicht immer noch arbeiten und mit Geld zu handeln, liegt indes einzig und allein daran, da sie Arbeit und Geld, Kapital und Staat, für etwas Natürliches, Normales halten, was Marx Fetischismus nennt, d. h. dass ich etwas rein Gesellschaftliches für natürlich halte.

Was ihnen fehlt, ist eine konkrete Utopie, deren Mangel ein materielles Elend des Menschen von heute ausmacht. Tatsache ist, dass es in einer neuen menschlichen Gesellschaft z. B. keine Verbrechen mehr geben wird, weil 99% aller Kriminaldelikte geldvermittelt sind; weiter, dass es den ganzen Schund, der heute als Waren auf dem Markt angeboten wird, nicht mehr geben wird; dass niemanden mehr eines anderen Eigentum ist, und sei es auch nur seine/ihre Arbeitskraft oder sein/ihr Geld.

Ziel und Zweck der Menschheit ist es, die Plage der Arbeit und die Geissel des Geldes loszuwerden, um ein Leben ohne Kapital und Staat führen zu können. Die Zeichen dafür sind heute schon zu setzen.

Dr. Walter Gerd Neumann

Der Autor: Dr. Walter Gerd Neumann, geb. am 11.10.1947 in Hildesheim, Studium der Philosophie und Sozialwissenschaften in Frankfurt/Main und Hannover, Promotion 1986 in Osnabrück, ca. 50 Buchveröffentlichungen, zuletzt Hochschullehrer an der Universität Hannover, lebt als freier Schriftsteller ebenda.