Razzien in Deutschland Repression gegen die Revolutionären Zellen (RZ)

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25. März 2000

«Gegen sechs Uhr früh überfielen am Sonntag, den 19.12.1999 die staatsterroristischen Paramilitärs der GSG 9 (schwarzvermummt) und andere Spezialeinheiten (ua. BKA und SGS aus Karlsruhe und Wiesbaden) unser Kultur-, Gewerbe- und Politzentrum Mehringhof.»

Vorführung der GSG 9 der Bundespolizei beim 2. Tag der offenen Tür im Bundeskriminalamt (BKA) in Wiesbaden am 19. Juni 2010.
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Vorführung der GSG 9 der Bundespolizei beim 2. Tag der offenen Tür im Bundeskriminalamt (BKA) in Wiesbaden am 19. Juni 2010. Foto: Flophila88 (CC BY-SA 3.0 cropped)

25. März 2000
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So beginnt ein Communiqué vom Mehringhof in Berlin, nachdem dort 1.000 (tausend) Bullen eine 12-stündige Razzia durchgeführt haben.

Angebliche Mitglieder der Revolutionären Zellen / Rote Zora verhaftet

Gleichzeitig mit der Razzia werden in Berlin zwei Männer verhaftet, die beide seit Jahren im Mehringhof in verschiedenen politischen Projekten aktiv sind. Ebenfalls zur selben Zeit wird in Frankfurt am Main eine Frau festgenommen. Allen dreien wird vorgeworfen Mitglieder der RZ (Revolutionäre Zellen/ Rote Zora) zu sein und in den 80er Jahren an mehreren militanten und bewaffneten Aktionen beteiligt gewesen zu sein.

Verhaftungen wegen Aussagen

Zu den Verhaftungen kam es aufgrund von Aussagen von Hans-Joachim Klein, der wegen der Beteiligung an einer Geiselnahme bei der opec-Konferenz im Jahre 1975 in Wien wegen Mordes angeklagt ist.

Aus der Illegalität gab Klein in den 70er Jahren dem Spiegel Interviews, bei denen er sich von der Guerilla distanzierte und dabei auch Internes bekannt gab.

Vor zwei Jahren, in der heissen Phase des Bundestags-Wahlkampfes, als sich der Sieg der rot-grünen Koalition abzeichnete, wurde der Joschka Fischer-Intimus Klein in Frankreich verhaftet und nach Deutschland ausgeliefert. In seinen Aussagen belastete Klein Rudolf Schindler und den in Deutschland wohnhaften Palästinenser Tarek M. ebenfalls in Aktivitäten der RZ verwickelt gewesen zu sein.

Im November 1999 schnappte die Falle zu: Rudolf Schindler und Tarek M. wurden beide verhaftet. Wie Klein erhofft sich Tarek M. offenbar ebenfalls aufgrund der Kronzeugenregelung eine Linderung: Aufgrund seiner Aussagen wurden die zwei Männer in Berlin und die Frau in Frankfurt verhaftet.

Konkret wird ihnen vorgeworfen in den Jahren 1986 und 1987 an RZ-Aktionen beteiligt gewesen zu sein. Strafrechtlich sind diese Anschläge jedoch nicht mehr relevant, da sie nach 10 Jahren verjährt sind. Der Grund für die Festnahme bei den dreien ist also lediglich der berühmt berüchtigte Paragraf 129a, Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung.

Die Razzia im Mehringhof

Auch für die Razzia im Mehringhof, wo die Bullen nach ihren eigenen Aussagen auf der Suche nach einem Waffen- und Spengstoffdepot waren, dienen angebliche Aussagen von Tarek M. als Vorwand. Damit kann einerseits der aufgeblähte deutsche Terror- und Bullenapparat legitimiert und am Leben erhalten werden und andererseits linke Strukturen kriminalisiert und ausspioniert werden.

Seit anfangs 80er Jahre nutzen unzählige linksradikale Gruppen, Komitees und Initiativen aus Berlin den Mehringhof als Arbeitsort und Treffpunkt. Bei der Razzia am 19. Dezember durchsuchten die Bullen folglich jeden einzelnen Raum des Mehringhofes; ein Kamerateam filmte alles ab und mit modernster Computertechnik wurden alle Böden und Wände nach Verstecken abgesucht.

Für jede Etage gab es eine Einsatzleitung und genaue Ablaufpläne. Besonders interessiert hat sie das Büro der Forschungsstelle für Flucht und Migration, wo einer der Verhafteten arbeitet. Jedes einzelne Papier wurde, dort gesichtet.

Beschlagnahmt wurde nichts, ausser einer Telefonliste aus dem Jahre 1986, mit Namen verschiedener Persönlichkeiten des linksliberalen Spektrums, unter anderem Otto Schilly. Das angebliche Sprengstofflager konnte von den 1.000 Polizisten jedoch nicht gefunden werden.

Zur Zeit des Bullenangriffes waren noch rund 20 Leute im Mehringhof anwesend, die an einer Salsa-Party teilgenommen haben. Sie wurden allesamt kontrolliert und Stunden lang festgehalten. Drei Personen waren nicht in Besitz einer Aufenthaltsgenehmigung und wurden direkt in den Ausschaffungsknast Grünau gebracht.

Wer ist die RZ?

Im Mai 1972 startete die RAF ihre erste militärische Offensive, Ende des Jahres 1973 befanden sich ihre bekannten Köpfe allesamt in Haft. Als 1973 die ersten Gruppen der Revolutionären Zellen unter diesem Namen ihre Aktivitäten aufnahmen, konnten sie auf diese Negativerfahrungen zurückgreifen.

So gründete sich die RZ in dem Wissen, dass auf organisatorischer Ebene der beste Schutz vor staatlicher Verfolgung und politischer Isolation die gänzliche Anonymität ihrer Mitglieder und eine dezentrale, nicht hierarchische Arbeitsweise ist.

Dies ermöglichte den unbekannten Militanten, an Diskussionen und legalen Bewegungen der radikalen Linken weiterhin teilzunehmen, eine Verselbstständigung der Politik zu vermeiden und, die Fahndungsapparate des Staates ins Leere laufen zu lassen.

Die RZ wollte keine Avantgarde-Organisation aufbauen, keine Stellvertrerlnnen-Politik machen 'Alle müssen alles können' war der selbstformulierte Anspruch der RZ.

Mitte der 80er Jahre griffen die RZ mit ihren Aktionen und Erklärungen zunehmend sexistische und rassistische Strukturen an. Viele Anschläge richteten sich gegen deutsche Firmen, die mit dem südafrikanischen Apartheid-Regime zusammenarbeiteten. Ein weiteres Schwergewicht lag auf Aktionen gegen die staatliche Flüchtlingspolitik.

Ebenfalls Mitte der 80er Jahren begannen die Frauen der RZ als Rote Zora ihre Aktionen als Frauen Lesbengruppen durchzuführen und beteiligen sich hauptsächlich am Widerstand gegen Gen- und Reproduktionstechnologien. Anfangs 90er Jahre gaben verschiedene Revolutionäre Zellen mittels längerer schriftlicher Erklärungen ihre Auflösung bekannt.

ub