Aus dem Leben eines notablen Vaganten Killroys erster Alptraum

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12. März 1999

Und das war noch nicht alles. Die Nächte waren einsam und die Wanderschaft durch die Finsternis lang und weit. Nicht geahnte Räume, deren Stimmen er nicht verstand, deren Zeichen er nicht - noch nicht - entschlüsseln konnte.

Killroys erster  Alptraum.
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Killroys erster Alptraum. Foto: High Contrast (CC BY 3.0)

12. März 1999
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Killroy hatte sichtlich Schwierigkeiten, um die tägliche Informationsflut zu verarbeiten. Vorerst unterschied er in PRIMÄR + SECUNDÄR Informationen. Das, was im Namen des Gesetzes von Gottesgnaden gilt, hat nur Bestand, weil es da ist. Dem philosophischen "Que suis-je?", wer bin ich(?), fügte er die drei Grossen W's an: Wer bist Du(?) Was willst Du(?) Wohin gehst Du(?)

Und Killroy spricht: "Da muss doch ein gesunder Mensch um den Verstand gebracht werden, bei dieser inflationären Medienlandschaft, einer trichinösen Informationsflut, die unser SEIN aufs hartnäckigste attackiert, und der Wahnsinn sich ausbreitet wie die Schweinepest.

Informationsagenten im dreitausendjährigen Schaustellergewerbe der Mama Tristessa trinken in einer panamesischen Bar blaues Bier. Lachende Clowns verlassen die Stadt rittlings auf Schimären. Sie spielen auf Schalmeien in Rattenfängermanier.

Dem Zug folgen unglückselige Grimassenschneider und das gesamte Bürgertum; ihre schizoiden Kinder und heuchelnde Kirchgängerinnen samt den feudalen Klerikern. Zurück bleiben verbitterte Agenten, an endlosen Theken stehend, mit gezücktem Ausweis, pasaporte? ... si no tengo papeles, Mistel? no bueno - no good. Grinsen.

Kautabak wird mit schnalzender Zunge an die vormals palisanderfarbene Theke gespien, ihr Holz färbt sich inzwischen rostbraun und atmet säuerliche Alkoholdünste aus. Einer redet mit sonorer Stimme, (weitere hören unbeteiligt zu).

"Du verstehst? Die Drecksarbeit haben wir gemacht. Revolution. Müssiggang und Ordnung. Konterrevolution. Disziplin! Ordnung und Müssiggang. Dann die Revolte! Heute zeugen noch die verlassenen Maschinengewehrnester der Milizen vom Hin und Her.

Gestern märtyrerhaft im Kugelhagel verreckt. Also mit gezückten Ausweispapieren", und hinter vorgehaltener Hand fährt er mit brüchiger Stimme fort, "der grosse Deal als Doppelagent - immer ein Interesse vortäuschen - das kriegste mit" - er rülpste etwas verhalten, säuerlicher Geruch nach verrottender Angosturarinde, und verzog das Gesicht, nach dieser rhetorisch genutzten Pause - "im dreitausendjährigen Gewerbe der Mami Tristessa, doch die Angst vor dem Tod liegt wie Nebel zwischen Tag und Schattenwelt."

Der Barkeeper öffnet mechanisch eine neue Flasche Flor dé cana (Zuckerrohrschnaps), füllt die Gläser und bemerkt, "aber immer mit 'nem gezückten pasaporte." Und sie weinten schwarze Galle, als gerade niemand hinsah und schluchzten hemmungslos wie 'ne Schar Trauerweiber. Der Barkeeper stiess eine Fensterlade auf. Das knarzende Geräusch verursachte Killroy einen hexenschussartigen Muskelschmerz.

Wuchtig traf ihn das einfallende grelle Tageslicht. Angst und Schrecken nahmen Besitz und bogen seinen Körper krampfartig, den Kopf zur Fusssohle hin, alles war Schmerz, selbst die Zehen krallten zur Ferse. Bis zur Erschöpfung kämpfte Killroy gegen die einsetzende Atemlähmung, kein Schrei, der, wen auch weckte, von der Palisandertheke sprang grinsend eine Kakerlake, "si no tengo papeles", (hää, raunzte sie,) "mistel".

Der redselige Informationsagent kaute falsche Angosturarinde und bewegte seine schmale Lippen, über die ein eiskalter Hauch strich, "si no tengo papeles, Mister(!) no bueno - no good."

Höhnisches Gelächter im Hintergrund. Speichelfluss triefte aus Killroys Mundwinkel, an dessen unangenehmer Nässe er schliesslich erwachte. Bevor er sich überhaupt klar wurde, was / wie / Zeit und Ort, fiel er in einen traumlosen Schlaf zurück.


Michael Schönauer