Über Kommerz, Drogenkonsum und Gegenkultur Interview mit Ron Schmidt

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12. März 1999

Die New Yorker Punk Band «The Casualties» während eines Konzertes im Klub «Ucho» in Gdynia, Polen.
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Die New Yorker Punk Band «The Casualties» während eines Konzertes im Klub «Ucho» in Gdynia, Polen. Foto: Arek1979 (CC BY-SA 3.0)

12. März 1999
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Thomas: Im Lauf Deines Lebens hast Du in diversen Bandprojekten mitgewirkt, bist aber jedesmal sobald sich etwas wie Erfolg im umgangssprachlichen Sinn einstellen wollte, wieder ausgestiegen. Das wirkt natürlich ungeheuer idealistisch. Aber deine Motive und Gründe waren gewiss differenzierter, situationsspezifischer. Könntest Du das bitte beschreiben?

Ron: Die Geschichte meiner musikalischen Entwicklung ist eng verknüpft mit den Personen, die bei den unterschiedlichen Formationen, Projekten und Bands mitgewirkt haben. Wenn diese Gruppen nicht streng hierarchisch organisiert waren (Bandleader), stellte sich meist ein Zustand ein, den ich "Demokratur" genannt habe.

Die Gruppe einigt sich zunehmend auf den kleinsten gemeinsamen Nenner, um ständige Konflikte, die gerade in diesem Bereich oft emotional und ausufernd geführt werden, zu vermeiden und das zu tun, "wozu man ja schliesslich hier ist", nämlich Musik zu machen.

An erster Stelle steht für mich meine eigene Entwicklung und die Befriedigung durch das, was ich mache im Zusammenhang mit meinen Mitmusikern. So eine Haltung ist kein Problem, solange der Erfolg auf anderen Ebenen ausbleibt.

Stellt sich der aber ein, entstehen Orientierungsprobleme. Durch häufiges Auftreten, Erfolgsdruck und zunehmende Popularität schleifen sich die Inhalte ab und die Gruppenkohärenz lässt nach. Nun werden unterschiedliche Ansprüche formuliert, der Einfluss von "Aussen" nimmt zu. Die Gruppe beschliesst ("Demokratur") personelle Veränderungen, Stilveränderungen, Imageveränderungen, Namensänderung usw., bis sich eine "neue" Gruppe herausschält, die für mich, trotz kommerziellen Erfolges, zur "Sackgasse" wird. Dieses Bild mit diamantener Klarheit vor Augen erkläre ich meinen unwiderruflichen Austritt.

Thomas: Oh, das erinnert mich an den Gedanken, in der Demokratie der Massenmedien setze nicht das Beste sich durch, sondern das Durchschnittlichste...

Ron: In einer ernstgemeinten Demokratie sollte das Ansinnen sein, "das Beste für Alle" herauszufinden. Dabei kann sich durchaus die Meinung einer Minderheit als geeignet für dies Bestreben herausstellen. Kreative Eingaben, auch Einzelner, wurden respektiert und gefördert. Bei der "Demokratur" spielen Dominanz- und Unterwerfungsrituale eine grosse Rolle. Primatenhafte Territorialkonflikte fördern eine entsprechende Politik. Parteibildungen mit der dazugehörigen Parteidisziplin sind eine Folge. Dabei bleiben inhaltliche Fragen oft auf der Strecke.

Thomas: Aber mit dem Erfolg erschliessen sich doch auch neue Ressourcen: Zugänge zu weiteren Medienkanälen, Kontakte zu anderen Künstlern, mit denen man kreativen Austausch pflegen kann. Deine Grundhaltung zur Musik lässt sich doch auf etablierterer Ebene bestimmt regenerieren. Fandest Du auf höherer Ebene nicht das Umfeld dazu? Oder liegen ab einem bestimmten Level grundandere Kommunikationsformen in der Luft?

Ron: Ein Beispiel: Meine Gruppe "Trio Europa" wurde von der Plattenfirma "Eigelstein" entdeckt und für eine Plattenproduktion unter Vertrag genommen. Die Firma, ein linksorientiertes Kollektiv, brauchte ein Jahr von der Planung bis zur Herstellung der Platte "Tanz auf dem Vulkan". Die Gruppe wurde bedrängt, den Namen zu ändern, um die Verwechselung mit dem Newcomer "Trio" auszuschliessen.

Die Gruppe "Fritz Kids", zum Quartett verändert durch einen neuen Bassisten (der ehemalige Bassist spielte nun Gitarre), wurde dann auch "lustiger" und "poppiger" im "Sunrise Studio" in der Schweiz produziert. Als die Scheibe endlich auf dem Markt erschien, war das Material veraltet und "Eigelstein" an "Teldec" verkauft. Neue Kontakte, Ressourcen und Kanäle sind immer günstig, wenn die Beteiligten in ihren Handlungen frei sind. In Abhängigkeitsverhältnissen wird zuviel Energie für "Taktik" verbraucht.

Thomas: Kann das spezielle ganz gewisse Etwas der Sub.Lit.,wie Kiev Stingl es mal formulierte: "nur im Verborgenen gedeihen"? Heute, zu Beginn des 21sten Jhdts., da Hinz und Kunz im Fernsehen auftreten, jeder Seppl eine eigene Internet-Web-Side betreut und man alle naselang vor einer echten oder imaginären Medienöffentlichkeit die eigene Lebensweise rechtfertigen muss, scheinen die Bewohner die Schlacht um den Elfenbeinturm verloren zu haben.

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Bild: 1891

Ron: Ich sehe mich eher als einen Transformator. Umso mehr es mir gelingt, mich von unzähligen, unterschiedlichen Quellen zu speisen, statt einen "Main-stream" anzuzapfen, umso "eigenartiger" erscheine ich meiner Umwelt. Früher hiess sowas Allgemeinbildung. Das war zu einer Zeit, als Albert Einstein noch annähernd das gesamte Gebiet der Mathematik überblicken konnte. Durch die ungeheure Beschleunigung und Erweiterung, Vernetzung und Durchdringung ist das heute nicht einmal mehr in Teilbereichen möglich.

Was übrig bleibt ist Spezialistentum und Elektizismus. Ich setze dagegen begeistertes Mitvolziehen über "Das Ziel" hinaus, den "freien Fall durch die Molekularstruktur" in meditativen Prozessen (Cy-Zen) und das entwickeln von "Künstlertheorien" (romanhaftes Denken), die die Möglichkeit enthalten, vorgegebene Denkstrukturen zu durchbrechen.

Thomas: Mich interessiert, wie weit Du den Begriff der Sub-Kultur fasst. Als ich noch in Göttingen lebte und Anfang zwanzig war, Kontakte zu Land-WGs, linken Buchläden, autonomen Autoschraubern, Szene-Cafés, Bioläden... hatte, glaubte ich, die Sub-Kultur könne ein ganzes Universum, so komplex und geschlossen wie das Mainstreamuniversum ausmachen. Wie weit gehen Deine Vorstellungen von Sub-Kultur als Universum?

Ron: In den sechziger Jahren in Berlin und in den siebziger Jahren am Niederrhein habe ich verschiedene Alternativen der Subkultur durchlebt. Von extremer Nähe, alle in einem Bett, bis zur Landkommune mit Autarkieabsichten. Immer wurde mir schnell klar, dass es ohne "Spielregeln" eine schnelle Rückwärtsbewegung zu archaischen Dominanz und Unterwerfungsritualen gab.

Es war in jeder Situation hilfreich sich die Sprache des jeweiligen "Spiels", die "Mitspieler", deren Raum/Zeit-Lokalisation und die Gewinn/Verlust-Strategien zu vergegenwärtigen. Wenn ich die Möglichkeit habe, mich mit entstehenden Problemen/Konflikten bewusst und nicht spontan auseinanderzusetzen, mache ich das in den Meditationsphasen, die meist das Zentrum meines Tagesablaufs bilden. Im Zustand der Versenkung ergeben sich oft unorthodoxe Lösungsansätze und überraschend neue Einsichten.

Thomas: Ich frage mich, ob in sub-kulturellen Kreisen, Netzen, Scenes... nicht ein anderes Wertesystem gilt als in der, ich sage es jetzt mal ganz platt: kapitalistischen Kultur? Ich denke da zum Beispiel an den Gedanken, dass vom Prinzip her jeder von jedem etwas lernen kann, oder an die andere Idee, verrückten Menschen eine besondere und eigentlich wertvolle Qualität von Welterfahrung zuzugestehen.

Ron: Ja, ich glaube schon, dass in der Subkultur andere Werte gelten. Wir haben halt versucht, theoretische Erkenntnisse drastisch umzusetzen und sind manchmal dabei über das Ziel hinausgeschossen. Jedenfalls ist wenig davon übriggeblieben. Z.B. die Antihaltung den "Scheissliberalen" gegenüber ist ziemlich abgeschmolzen - statt dessen greift eine Butterweiche Toleranz um sich, vermehrt taucht das Wort "normal" als Schlusswort von Diskussionen auf.

In der Rückschau erscheint mir der ganze "Underground" in grossen Bereichen wie ein Spiel mit Ideen und Drogen in einer "ausgedachten Wirklichkeit", das nur bei Kollisionen mit der "harten Realität" (z.B. Drogentod, Wahnsinn, Wohnungskündigung, Knast usw.) erschüttert wurde. Das Verrückte, Andersartige hatte einen hohen Stellenwert. In fast jeder Kommune gab es einen "Durchgeknallten" mit Guru-Charisma. Abenteuerlich aber schwierig im Alltag - und letztlich doch in der Klatsche gelandet.

Heute kenne ich solche Szenen kaum noch. Das mag an meinem etwas einsiedlerischen Leben liegen. Jedenfalls erinnern mich am ehesten irgendwelche esoterischen Zirkel, politische Dogmatiker und Rollenspielgruppen an die kleinen Welten von damals.

Thomas: Und? Gibt es Aspekte in Deinem Schaffen, die Du in diesem Sinn betonen würdest?

Ron: Ich schätze Authentizität, ein fürchterliches Wort, ich meine: aufrichtiges So-Sein. Ich bin mir sicher, dass den Eigen-artigenin Zukunft wieder mehr Bedeutung zugemessen werden wird. Wenn die Technologie erlaubt, dass viele die Weltsicht Einzelner in Echtzeit erleben können, werden aussergewöhnliche Perspektiven Allgemeingut.

Thomas: Sind sie denn mittels Kommunikationstechnologie vermittelbar? In einem Buch von Gregory Bateson (dem amerikanischen Kybernetiker aus den 40er Jahren) las ich, er hielte religiöse Erfahrungen für nicht kommunizierbar; sie könnten nur kraft bestimmter Rituale und heiliger Zeremonien erweckt werden. Siehst Du Deine Performances als solche Veranstaltungen an? Inwieweit sind sie im Internet, im Videofilm... überhaupt möglich, d.h. springt der Funke, um den es dir geht, dort über?

Ron: Was die modernen Technologien angeht, so erscheinen sie, wenn weit genug entwickelt, der überwiegenden Mehrheit aller Menschen selbst als Magie. Daher rührt wahrscheinlich der verbreitete Wunsch, mal mit einem Feuerzeug in die Steinzeit zu reisen. Die Verbindung von Kunst und Magie ist in meiner Arbeit ja wohl offensichtlich. Ich mache Videos, Installationen, Objekte, Bilder, Zeichnungen, Texte und Musik, oft auch in Kombination miteinander.

Die Wirkung solcher Kombinationen, auch in Verbindung mit neuen Medientechnologien, kann durchaus transzendente Prozesse fördern.

Heute kann ein Video das leisten, was früher ein buntes Kirchenfenster mit Orgelmusik tat. Wie gross die Wirkung ist, hängt sicher hauptsächlich von der Gläubigkeit des Wahrnehmenden ab und seiner Möglichkeit, die Geschehnisse empathisch mitzuvollziehen. Diese Vorbedingungen engen den Kreis derer, die ein solches Erlebnis haben können natürlich enorm ein.

Ich glaube auch, dass spirituelle Erfahrungen grundsätzlich nicht kommunizierbar sind. Versuche in diese Richtung wurden jedoch schon immer unternommen. Ich selbst bewege mich in meinen Vorträgen gerne auf einer Grenze, die dem Zuschauer offen lässt, einen Scherz oder eine tiefere Einsicht dahinter zu vermuten.

Thomas: Magie spielt für Dich eine Rolle; aber in unserem Interview und auch sonst erlebe ich Dich als einen sehr aufgeklärt denkenden Menschen. Das soll sich freilich gar nicht widersprechen. Aber ich frage mich, inwieweit Du mit Deinen eigenen Varianten von Meditation und den rituellen Inszenierungen der Kunstaktionen eine Art persönliche Kunstreligion im Hinterkopf hast. Gibt es Ansätze, die in diese Richtung gehen? Wie setzen sie sich zusammen?

Ron: Unter "Magie" verstehe ich die willentlichte Veränderung des Bewusstseins. Dabei ist zu berücksichtigen: 1.) Jeder hat das Recht, sein Bewusstsein zu verändern; 2.) Niemand hat das Recht, das Bewusstsein eines Anderen, gegen dessen Willen, zu verändern. Diese beiden Regeln stammen von Tim Learys Buch "Politik der Ekstase".

Die letzten Worte dieses Buches lauten: "Leser, schreibe deine eigene Politik der Ekstase". Diese Empfehlung habe ich ernst genommen und seitdem daran gearbeitet. Zurück zur Magie: Wenn es mir gelänge, einen Scheisshaufen als Berg aus Gold erscheinen zu lassen, wäre das ein Akt der Magie. In diesem Zusammenhang fällt mir sofort die Werbung ein, die ja mit übelsten Taschenspielertricks (modernster Medientechnologie) das versucht. Aber Tricks sind eben keine Magie. Tricks brauchen Technik, zum Beispiel bei den Materialschlachten der populären "Magier".

Magie braucht Bewusstsein und ist glücklicherweise nicht ohne weiteres anzutrainieren, auch wenn sich Schulungen für Führungskräfte Mühe geben. "Trickbetrüger" aller Art, auch verbale, wirken, selbst wenn wir ihre Tricks nicht durchschauen, oft abgrundtief unglaubhaft - jedenfalls für aufgeklärt denkende Menschen.

Sich verrückte Kosmologien auszudenken und so zum Schöpfer zu werden, ist eine beglückende Erfahrung, die ich jedem Wünsche. Es macht viel Spass: "...genau, der heilige Hase, der wars, der schuf das Universum!", fährt zu grosser Offenheit und im glücklichsten Fall zu transpersonalen Erfahrungen.

Thomas: Zum Ende unseres Interviews möchte ich nochmal auf die Ironie zu sprechen kommen. Als Paradoxie nimmt sie in vielen sozialphilosophischen Konzeptionen einen zentralen Stellenwert ein. Für den Marxismus ist sie Anlass zur Ideologiekritik, für die Buddhisten eine mögliche Methode zur Erleuchtung, in der Kommunikationstherapie Teil der Schizophrenie und für die Systemsoziologie Schlüsselpunkt, an dem die Gesellschaft zum nächsten Evolutionssprung anhebt.... Wie siehst Du Ironie - gerade im Zusammenhang mit Deinem speziellen Verhältnis von Mystik und Aufklärung?

Ron: Der Grad der Unvorhersagbarkeit bestimmt den Informationswert einer Aussage, und was ist unvorhersagbarer als eine Mehrdeutigkeit? Was fordert Mitdenken stärker heraus als ein Paradoxon? Kein Wunder, dass die Entertainer aller Zeiten, Philosophen wie Narren es als Möglichkeit genutzt haben. Das Spektrum reicht von "total platt" bis "wegweisend".

Ironie zwingt den Rezipienten zur Interpretation. Die feinen Hinweise, verborgene Gesten und Zeichen ermöglichen das Erlebnis, die Botschaft zu enträtseln. Das damit verbundene "Aha-Erlebnis" macht einen grossen Teil des Unterhaltungswerts eines Vortrags aus. Das Ergebnis ist nicht verifizierbar - wenn auch immer wieder Frager zu mir kommen, die das gerne hätten. In solchen Fällen zitiere ich mich selbst:


Positiv sind alle Nadeln - Positiv ist aller Schmerz
Positiv sind alle Worte - Positiv der dümmste Scherz
Positiv ist der Verstand - Positiv ist das Gefühl
Positiv ist selbst das Negative - weils sich reimt und weil ichs will!

Interview geführt von Thomas Nöske