Zwischen Szene und Aktion Freaks auf dem Weg zur Hölle

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12. März 1999

Alle hassen Junkies. Viele verrostete und eingesessene Linke bekunden offenbar grosse Mühe mit dem heranwachsenden revolutionär-politischen Nachwuchs.

Sad Xmas for Mr Junkie.
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Sad Xmas for Mr Junkie. Foto: Stephane Gaudry (CC BY 2.0 cropped)

12. März 1999
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Ein Abspaltungsprozess der dogmatischen Linke gegen neu dazustossende SubSzenen wie AggroPunk, Hip-Hop, PoetrySlam, E-Sound findet statt. Vielen Linken sind diese sub-kulturellen Erscheinungen ein Dorn im Auge, weil zu primitiv oder zu unpolitisch. Sie flüchten sich in die von ihnen in den achtziger Jahren errichteten und nun hermetisch abgeriegelten Oasen, zu der nur politisch Korrekt sprechende Menschen Zutritt erhalten.

Der abgefackte Untergrund darbt in der Isolation vor sich hin und muss viel Kräfte mit dem Aufbau und Erhalt ihrer Infrastruktur, die ihnen die Linken verweigern, aufwenden. Viele leiden unter Bullen- oder Kohlestress, versinken im Sumpfe der Kriminalität, sterben den Fixer-Tod oder wählen den Selbstmord.

Anstelle von Solidarität bekommen viele nur kalte Schultern und geschlossene Türen zu sehen.

So stellt sich etwa das mittlerweilen zum Normalosender aufgestiegene Alternative Lokalradio von Zürich - LoRa, extrem sperrig an, wenn es um die Aufnahme neuer, unbezahlter Mitarbeiter geht. Der Neueinsteiger muss sich und seine Idee vor einem Komitee rechtfertigen und behaupten. Auch wurden schon einige Leute in der zwanzigjährigen Geschichte des Radios von der Zensur erfasst und geschasst, weil das Zentralkomitee auf dem immer mitlaufenden Band ein paar unflätige Wörter entdeckt hatte.

Genau gleich läuft das zum Beispiel auch beim sogenannt "Freien Sender Kombinat" in Hamburg. Knallharte politisch korrekte Zensur. Alles andere existiert nicht und ist frauenfeindlich.

Auch bei dreckigen SocialBeatPerformances kam es in der Schweiz und in Deutschland schon öfters zu gröberen Konfrontationen zwischen der grauen Linken und dem hungrigen Untergrund. Mittlerweile haben die meisten linken Infoläden und Sozikneipen dem Pöbel den Rücken gekehrt und den örtlichen Kräften die Plattform entzogen. Auftrittsmöglichkeiten für Lesungen gibt es fast keine. Da kommen nur vertriebene kurdische Schriftsteller oder mehrfach vergewaltigte Frauen ran.

In der Region Zürich geht die Lagerauflösung momentan soweit, dass jede Gruppierung ihre eigene Demo organisiert, und sich dann alle von den Bullen einsacken lassen, weil zu wenig Leute auf der Strasse sind. Als im Januar '98 in Rapperswil, einem Vorort von Zürich, eine AntiKapital-Demo organisiert wurde von jungen Punks, erschienen nur ganz wenige Autonomen-Grössen aus dem Zentrum. Trotzdem kam es zu Ausschreitungen.

Ein halbes Jahr später, dem 1. August '98, dem Nationalfeiertag der Schweiz, wurde in Richterswil, ebenfalls einem 20 Km entfernten Vorort, eine Antifa Demo gegen den Auftritt von Christoph Blocher, dem SVP-Nummer 1 Fascho, von lokalen Kräften organisiert.

An dieser Demo war kein einziges Gesicht aus dem Zentrum zu sehen, dafür ein Riesenbullenaufgebot und eine Horde NaziSkins. Die Bullen kreisten alle Aktivisten ein und die Nazis schlugen ein paar Punks und Junkies Spitalreif. Das ist immer gut. Ähnliches geschah zwei Monate später am 19. September '98 in Yvorne, wo sich Nazis an einer Autobahnraststätte für ein geplantes Konzert trafen, das jedoch dann wieder einmal nicht stattfand, hingegen waren wieder nur ein paar Antifa-Leute vor Ort zur Beobachtung.

Das Problem ist altbekannt, die unzufriedene Bevölkerung der Peripherie strömt an die von tollen Szenehirschen organisierten Demos im Zentrum, wenn jedoch der Rand der Stadt versucht, sich gegen die von landeinwärts hereinfallenden Faschohorden zur Wehr zu setzen, werden sie von der erfolgsverwöhnten Zentrumsbevölkerung im Stich gelassen. So geschehen auch im ostdeutschen Wurzen, einem Vorort von Leipzig.

Dort zumindest waren sich die Autonomen nicht zu Schade, die Vororte der Stadt eigenhändig zu verteidigen.

Aber natürlich war auch das nutzlos. Spätestens am Abend, wenn die roten Helden mit der S-Bahn Stadteinwärts fahren, kontrollieren die Glatzen die Strassen von Wurzen, und es ist ihnen bis zum heutigen Tag gelungen, viele der ansässigen und aktiven Antifa-Leute von Wurzen nach Leipzig zu vertreiben.

Das freut zwar die Szenegänger in der Innercity, weil dann mehr Menschen an ihren Parties rumhängen, die verbliebenen Menschen in den Satelitenstädten müssen ihre Siedlungen je länger je mehr den faschistischen Gruppierungen überlassen.

U.v.d.H.