Grönemeyer macht Krebs Dr. Eisenmengele, der Arzt der Rockmusiker

Archiv

12. März 1999

Der charismatische Prominentenarzt konnte das Elend nicht mehr mit ansehen. Er stand auf, rückte sacht seinen Schreibtischstuhl ein wenig ab und trat hinter seinen Patienten. Für einen Augenblick legte er ihm begütigend eine Hand auf die Schulter. Das Schluchzen hörte nicht auf.

Herbert Grönemeyer am 59th Berlin International Film Festival.
Mehr Artikel
Mehr Artikel

Herbert Grönemeyer am 59th Berlin International Film Festival. Foto: Siebbi (CC BY 3.0 cropped)

12. März 1999
2
0
5 min.
Drucken
Korrektur
"Na, na, klar das diese Dinge weh tun, aber..." redete er auf den gebrochen wirkenden Mann vor ihm ein. "Dinge ... Dinge ... Menschen ... tot!" war kaum artikuliert zwischen Schluchzern zu vernehmen. Ratlos zuckte Dr. Eisenmengele mit den Schultern.

Langsam und leise schlurfte er zu seinem Wandschrank und entnahm ihm eine Flasche sündhaft teuren echten Cognacs, seine Lieblingssorte mit der schwindelerregenden Angabe der Lagerzeit, dazu zwei sehr edle Schwenker, Zeugnisse seines ausgesucht exklusiven Geschmacks.

Durch den Akt des sorgfältig ritualisierten Einschenkens gewann er etwas Zeit.
"Tot, alle tot! Schuld ... schuld.." kam wieder das unterdrückte Wimmern. Dr. Eisenmengele beschloss, sich mit Geduld zu wappnen. Er hatte wieder Platz genommen. Er verschränkte seine Hände vor der Brust und setzte sein besorgtestes Arztgesicht auf. Eine Pose die er gern vor dem Spiegel übte oder von seinen Medizinisch-Technischen Assistentinnen auf Ausdrucks- und Überzeugungskraft beurteilen liess, er hielt grosse Stücke auf gewisse weibliche Sensibilitäten bei der Beurteilung derartiger Gesten.

Er wurde ruhig, er realisierte, dass die Uhr auf jeden Fall für ihn arbeitete. Geduld war sein Markenprodukt und wer seinen Stundensatz nicht aufzubringen vermochte, wäre auf jeden Fall nicht bis an seinen Schreibtisch vorgedrungen.

Nachdenklich nippte er an seinem Cognacschwenker. Bis jetzt hatte sein Patient das köstliche Getränk verschmäht. "Na, mein Guter. Langen Sie mal zu, auch das ist Medizin!" ermunterte er sein Gegenüber.

Der gebrochene Geselle blickte dankbar zu ihm auf, hob das Kinn von der Schreibtischplatte und leerte das edle Behältnis in einem Zug, als hätte er nur auf sein Stichwort gewartet.

Hilfesuchend hielt er das leere Glas vor den genialen Prominentenarzt.

Dieser füllte grosszügig nach, wohl wissend, dass auch diese ärztliche Leistung von ihm liquidiert werden würde. Der Vorgang wiederholte sich noch einige Male. Das Schluchzen erstarb. "Ich habe sie getötet... mit meiner Musik!" bezichtigte sich der Patient des sympathischen Äskulapjüngers.

Der Arzt stutzte. Er wusste, sein Gegenüber war im Schaugeschäft, er schauspielerte und besang Schallplatten... - aber das er durch diese eher harmlos zu nennenden Tätigkeiten jemand ernsthaft hätte beeinträchtigen können erschien ihm doch etwas weit hergeholt.

Wohl hörte man von Teenagern, die ihren Idolen in den Tod folgten oder deren schändliche asozialen Angewohnheiten nachahmten, jedoch, dieser zwar erfolgreiche aber nicht weiter zu Fanatismus Anlass gebende Chansonier und Haudegenimpersonisator, er - durch seine Künste Menschen umgebracht? Nein, das erschien ihm denn doch eine Spur zu tollkühn.

Er legte einen väterlichen Ton in seine Stimme. "Sie machen sich Vorwürfe... darüber müssen wir wegkommen!" ermahnte er ihn. "Vorwürfe .... ich der Mörder... und Vorwürfe ... Sie ... Sie!" keuchte der Musiker ungelenk. Der geniale High-Society-Heilkundige reimte sich das Gemeinte in etwa zusammen.

"Sie haben enge Angehörige verloren und fühlen sich jetzt für deren Tod verantwortlich! Glauben Sie mir, das ist das Kreuz mit dem die Überlebenden existieren müssen...". "Ich habe getötet... und Sie ... Sie!" blieb der Patient bei nur ahnbaren, nicht exakten Äusserungen. "Wir alle, die wir leben - leben dürfen, zum Beispiel, - fühlen dieses Schuldgefühl gegenüber den Verstorbenen! Schauen Sie: das ist ein Gefühl, - und Gefühle lügen nun einmal nicht! Gefühle sind nicht falsch oder richtig - sondern einfach: Gefühle!

Sie sind da, so einfach ist das, und damit müssen wir leben und sie bearbeiten... Apropos, - kennen Sie den Unterschied zwischen Gefühlen und Bierflaschen?" Lauernd stand diese Frage im Raum. Der Patient riss die Augen auf und starrte ihn an als habe er den Verstand verloren. Der Doktor lächelte.

"Gefühle müssen wir zulassen und Bierflaschen aufmachen!" Der Schauspielermusiker erstarrte in der Bewegung. Mit scheinbar letzter Kraft hielt er dem Arzt den Cognacschwenker hin. Generös füllte dieser ihn bis weit über den Eichstrich. Der Inhalt verschwand in einem Zug. Das Spiel wiederholte sich. Instinktiv erfasste der Heilkundige, das er kurz davor war, das Eis zu brechen. "Na, mein Guter, wissen Sie, wo Bill Clinton seinen nächsten Urlaub verbringt?" Wieder erntete er diesen hypnotisiert wirkenden Blick. Sein Gegenüber fragte nicht nach.

Er sagte es trotzdem, auf die Spielregeln der Scherzfrage nicht so genau achtend. "Aber nach St. Blasien natürlich!". Die beiden Männer wieherten los. Der Arzt bald in ein leises Schmunzeln übergehend, der Patient mit ungebärdiger Kraft, Schenkel schlagend, keuchend, prustend, wohl einige Minuten lang.

Sieh an, was sich da für eine Spannung entlädt, sinnierte der Gelehrte für sich. Er hatte es wieder einmal geschafft für eine produktive Arbeitssituation zu sorgen! Man kam mit einander endlich in ein vernünftiges Gespräch.

Der beliebte Volksschauspieler und Rockballadensänger schilderte ihm, er habe in jüngster Zeit viele Angehörige verloren, darunter sogar seine geliebte Ehegattin. Diese kurz hinter einander erfolgten Schicksalsschläge hatten bei ihm zu der fixen Idee geführt, durch seine Musik deren Tod verursacht zu haben. Schliesslich hatten sich diese Wahnideen bei ihm zur Überzeugung verdichtet, seine Musik sei krebserregend.

Stolz verwies der erfolgreiche Prominentenarzt auf eines unter den zahlreichen Diplomen hinter sich an der Wand, das ihn als Meister der klassischen Psychoanalyse auswies. "Für Schuldgefühle bin ich der reinste Radiergummi!" druckte er selbstbewusst das Zutrauen in seine Künste aus.

Mit einem heftigen Klirren ihrer Cognacschwenker schlossen sie einen Therapievertrag. "Bezahlt wird vor jeder Sitzung in Bar - wegen der Scheisssteuer!" stellte Dr. Eisenmengele klar. Beide Männer wieherten minutenlang.

"Und wenn es eine neue Göttergattin braucht - eine meiner MTA's war auch im Schaugeschäft, die Jazzy, ist dann nur auf die Schnauze geflogen, ich hab' sie aber wieder hochgepäppelt!" setzte der Gelehrte nach.

"Mach Sachen - lass ma' sehen die Mutter!" grölte der virtuose Rockbarde. Prustend drückte Dr. Eisenmengele die Ruftaste für die Sprechstundenhilfe.

Bdolf