Die ruinösen Wirkungen der Geschäftemacherei Protest gegen TTIP: „Für einen gerechten Welthandel!“

Wirtschaft

Anlässlich des Obama-Besuchs in der BRD protestierten in Hannover Zigtausende gegen TTIP. Das Motto, unter dem ein Bündnis diverser Gruppen und Organisationen zur Demonstration aufgerufen hatte, lautete: „TTIP und CETA stoppen! Für einen gerechten Welthandel!“ (1)

Anti-TTIP-Demonstration in Hannover am 23. April 2016.
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Anti-TTIP-Demonstration in Hannover am 23. April 2016. Foto: Bernd Schwabe (CC BY-SA 4.0 cropped)

6. Juni 2016
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Und in der gemeinsamen Presseerklärung heisst es: „Wir … machen uns stark für einen gerechten Welthandel, der sich an Arbeitnehmerrechten, Sozial-, Umwelt- und Verbraucherstandards statt an Konzerninteressen orientiert.“ (2)

Dass im Interesse der Konzerne Geschäfts- und Handelspraktiken zur Anwendung kommen, die weltweit schädliche Wirkungen auf alle Lebensbereiche haben, davon gehen die TTIP-Kritiker aus. Schliesslich zeigen Augenschein und Erfahrung, dass Rücksichtslosigkeit gegenüber den arbeitenden und konsumierenden Menschen sowie gegenüber ihren natürlichen Lebensgrundlagen in der Marktwirtschaft an der Tagesordnung ist. Und dass das nicht dem Zufall sondern dem Gewinninteresse der Unternehmen geschuldet ist, ist ebenfalls nicht unbekannt.

Der Erfolg, auf den es den kapitalistischen Akteuren ankommt, ist eben ein anderer als die Versorgung der Verbraucher mit nützlichen und schönen Dingen. Die Unternehmen bestücken den Warenmarkt mit Produkten, die eines leisten müssen: Sie müssen ihnen Gewinn einspielen. Alles andere ist diesem Zweck untergeordnet, wird als Kosten kalkuliert, die möglichst niedrig zu halten sind. Das gilt für die beschäftigten Arbeiter ebenso wie für alle anderen Produktions- und Vertriebsfaktoren.

Das ist auch den Kritikern von TTIP kein Geheimnis. Sie halten aber die Geld- bzw. Kapitalvermehrung, also den Zweck des kapitalistischen Wirtschaftens und den Grund für die beklagte Schädigung von Mensch und Natur, nicht für das, was es dem Begriff nach ist, nämlich ein Gegensatz zu dem Bedürfnis und dem Interesse der Nicht-Kapitaleigner. Sie bemerken, dass das, was sie für richtig und gerecht halten, nicht zustande kommt, und wollen dieses Defizit beseitigt wissen, das kapitalistische Wirtschaftssystem aber beibehalten – bloss eben nicht so wie es tatsächlich ist.

Gegen die schädlichen Resultate des realen Kapitalismus halten sie eisern an ihrer Idee von einem mass- und rücksichtsvollen Kapitalismus fest, der die Welt gerecht und bekömmlich be'handeln' könnte. Dass er das nicht tut, liegt ihrer Idee nach, gar nicht am wirtschaftlichen System, sondern daran, dass macht- und profitgierige Grosskapitalisten, Multis und Konzerne es mit dem Gewinne-Machen übertreiben. Und wann damit übertrieben wird, das merken sie daran, dass schädliche Wirkungen auftreten. Deren Vielfalt und Masse spricht zwar dafür, dass es nur ‚Übertreibungen' gibt und menschenfreundliches Gewinnemachen gar nicht existiert – aber sei's drum. Da ist der Wunsch Vater des Gedankens: Das ‚sollte' und ‚müsste' es einfach geben.

Sie glauben selber nie und nimmer, dass das zustande kommt, wenn Produktion und Handel den Konzernen überlassen bleiben. Aus freien Stücken, davon gehen sie aus, verzichten die nicht auf ruinöse Geschäftspraktiken. Dennoch ist das „statt“, mit dem sie sich gegen die Orientierung des Welthandels an Konzerninteressen wenden, nicht als Plädoyer dafür gemeint, diesen Interessen das Handwerk zu legen. Denn eigentlich könnten auch die der Allgemeinheit durchaus von Nutzen sein: Die schadensfreie Versorgung der Gesellschaft mit nützlichen Dingen, davon lassen sich die TTIP-Kritiker durch noch so viele statistisch unterlegte Beispiele von Mangel und Ruin nicht abbringen, ist Aufgabe und Inhalt unternehmerischer Tätigkeit. Die muss man zu dieser Nützlichkeit eben zwingen.

Weil die Idee vom gemeinschaftsdienlichen Geschäftsgang im Widerspruch zur realen Geschäftemacherei steht, aber ja beides zusammengehen soll, ist ihre Forderung, die diese Idee umsetzen soll, einerseits realitätsbewusst bescheiden und andererseits realitätsfern: Ihr „gerechter Welthandel“ soll sich an diversen „Standards“ orientieren, also Rücksicht nehmen soll auf Mensch und Natur. Das geht ja davon aus, dass bedarfsgerechte Versorgung nun und künftig nicht der wirtschaftliche Zweck ist.

Und Rücksichtnahme, auch das wissen sie, muss gegen das Gewinninteresse durch beständiges Kontrollieren und Einschränken durchgesetzt werden und lässt dennoch, eben wegen des Gewinninteresses, immer zu wünschen übrig. An die Staatsgewalt richten sie den Appell, diese Daueraufgabe zu erledigen. „Wir brauchen soziale und ökologische Leitplanken für die Globalisierung. (2) und „Wir treten daher für internationale Abkommen ein, die … Umwelt-, Sozial-, Daten-und Verbraucherschutzstandards erhöhen …“ (1)

Den Staat nehmen sie als Schutzmacht für Mensch und Umwelt wahr: Die setzt ihre „Leitplanken“, um zu verhindern, dass beides von den global tätigen Konzernen überrannt wird und lenkt deren ‚Geldgier' in Bahnen, die zu allgemeinem Wohlergehen führen müssten. Damit missverstehen sie allerdings die Gesichtspunkte und Zwecke, denen all die gesetzlichen Grenz- und Höchstwerte, Zulassungsbestimmungen, Produktsicherheitsnormen, arbeitsrechtlichen Vorschriften u. ä., die es zuhauf gibt, dienen. Modernen Staaten ist das erfolgreiche Wirtschaften ‚ihrer' „Konzerne und Finanzmarkt-Akteure“ (1) ein dringendes Anliegen, weil das in der Summe den Löwenanteil des nationalen Wirtschaftswachstums ausmacht. Die nationale Wirtschaftskraft ist Quelle der staatlichen Mittel und damit der ökonomischen und politischen Macht der Staaten. Der dauerhafte und erfolgreiche Fortgang der Kapitalvermehrung auf ihrem Standort ist deshalb staatliches Interesse.

Dabei kennen die regierenden Politiker die ruinösen Wirkungen der Geschäftemacherei. Diese können den Fortgang nicht nur des Wirtschaftslebens durchaus beeinträchtigen. Um dem, also der Gefährdung des allgemeinen Geschäftsgangs durch die Geschäftspraktiken kapitalistischer Unternehmen, entgegenzuwirken, erlassen Staaten Vorschriften, die den Kapitalisten die Rücksichtnahmen aufzwingen, die die Politik dafür für nötig hält. Die legen das Ausmass der Schädigung und der Zerstörung menschlicher und natürlicher Geschäftsmittel und Geschäftsvoraussetzungen fest, das beim Gewinn Erwirtschaften erlaubt ist, immer unter gebührender Berücksichtigung der Gewinnrechnungen.

(Beispiel aus der „Verordnung über Höchstgehalte an Pestizidrückständen in oder auf Lebens- und Futtermitteln“: „… muss sichergestellt werden, dass diese Rückstände nicht in Mengen vorhanden sind, die ein inakzeptables(!) Gesundheitsrisiko für Menschen oder gegebenenfalls für Tiere darstellen. Die Rückstandshöchstgehalte sollten für jedes Pestizid auf dem niedrigsten erreichbaren Niveau festgesetzt werden, das mit der guten Agrarpraxis(?) vereinbar ist …“(3))

TTIP & CETA werfen die Kritiker dieser Abkommen vor, an den bereits existierenden Leitplanken zu sägen und damit deren Schutzwirkung zu reduzieren. Sie wissen einerseits selbst, dass die rechtlichen Standards, Auflagen und Regelungen, die der Staat dem Geschäft vorgibt, den Schutz gar nicht bieten, den sie hineinlesen und erwarten. Schliesslich fordern sie, dass die Politik „nationale wie internationale Standards zum Schutz von Mensch und Umwelt stärken“ (1) muss, was heisst, dass sie mit dem Schutz nicht zufrieden sind. Andererseits sehen sie angesichts möglicher Verschlechterungen durch TTIP in denselben Regelungen „bewährte Standards“ (1), eine Errungenschaft, die der Staat vor dem machtvollen Zugriff der Wirtschaftskonzerne zu verteidigen hätte.

Immerhin, so der Gedanke, dürfen Kapitalisten nicht alles, sondern nur das, was ihnen nicht verboten ist; und immerhin sind die bisher geltenden Verbote, auch wenn sie die Konzerninteressen noch so sehr berücksichtigen, besser als eine im Interesse der Konzerne abgeschwächte Variante. So werden mit der „Immerhin-Logik“ Lebensverhältnisse, an denen die allermeisten der TTIP-Gegner ansonsten selber viel auszusetzen haben, zu Verhältnissen, die dem „gerechten“ Zustand, den sie anstreben, doch schon einigermassen nahekommen – relativ betrachtet.

Berthold Beimler

Fussnoten:

(1) http://www.ttip-demo.de/home/aufruf/

(2) http://ttip-demo.de/presse/

(3) http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=celex%3A32005R0396