Angriff auf die Demokratie Konzerne gegen Staaten

Wirtschaft

Grosskonzerne attackieren politische Beschlüsse, um ihre Interessen durchzusetzen. Geheime Schiedsgerichte machen es möglich.

Kühltürme des Kraftwerk Boxberg vom schwedischen Stromkonzern Vattenfall.
Mehr Artikel
Mehr Artikel

Kühltürme des Kraftwerk Boxberg vom schwedischen Stromkonzern Vattenfall. Foto: ANKAWÜ (CC BY-SA 3.0 unported - cropped)

29. Juni 2013
0
0
5 min.
Drucken
Korrektur
Als erste grosse Industrienation will Deutschland bis zum Jahr 2022 alle Atomkraftwerke schrittweise abschalten. Das Parlament hat diesem Vorhaben zugestimmt und die Mehrheit der Bevölkerung steht hinter dem politischen Entscheid.

Hinter verschlossenen Türen entscheiden drei Anwälte

Recherchen des Magazins «Monitor» zeigen: Der Atomausstieg könnte den deutschen Staat teuer zu stehen kommen. Der schwedische Energiekonzern Vattenfall fordert mindestens 3,5 Milliarden Euro Schadenersatz, weil er seine beiden deutschen Kraftwerke Krümel und Brunsbüttel schliessen muss. Beide Meiler stammen aus den 70er-Jahren und haben sich schon längst amortisiert.

Vattenfall klagt diese horrende Summe nicht etwa gerichtlich ein. Als ausländischer Konzern in Deutschland kann Vattenfall den schnelleren und aussichtsreicheren Weg über ein Schiedsverfahren wählen. Hier entscheiden drei Anwälte hinter verschlossenen Türen. Es gibt keine öffentliche Anhörung, Rekurse sind nicht möglich.

Spezialrecht für multinationale Konzerne

Ein deutsches Unternehmen müsste parlamentarische Entscheide beim Verfassungsgericht anfechten. Ein langer und mühsamer Weg.Vattenfall kann eine Abkürzung nehmen, denn der Energiekonzern geniesst als ausländisches Unternehmen Sonderschutz.

So genannte «Investionsschutzabkommen» schaffen ein Parallelrecht für multinationale Konzerne. Sie können ihre Interessen gegenüber Staaten an Gerichten vorbei in geheimen Schiedsverfahren durchsetzen.

Kaum jemand weiss von diesen Verfahren, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden - nicht selten in irgend einem Hotelzimmer in London, Washington oder Paris. Oft geht es dabei um Milliardenbeträge.

Möglich machen es «Investitionsschutzabkommen»

Verhandelt wird aufgrund der Investionsschutzabkommen. Auch Deutschland hat solche internationalen Verträge abgeschlossen, um deutsche Firmen im Ausland vor Enteignung zu schützen. Pia Eberhardt vom Corporate Europe Observatory beschäftigt sich seit Jahren mit solchen Verträgen. Sie sagt: «Um Diskriminierung oder Enteignung von Firmen geht es heute überhaupt nicht mehr in den Schiedsverfahren. Das war vielleicht früher mal die Idee. Aber heute haben wir ein völlig mutiertes Rechtssystem, das sich nutzen lässt, um demokratische Politik zu bekämpfen.»

Dabei profitieren die Konzerne nicht nur von dehnbaren Paragraphen. Auch die Rechtsgrundlage ist anders als in regulären Gerichtsverfahren. Als Beispiele nennt Pia Eberhardt den Eigentumsschutz, der in den Schutzabkommen viel weiter geht. Öffentliches Interesse wird hingegen in den Verträgen gar nicht erwähnt. Auch eine öffentliche Anhörung gibt es in den geheimen Schiedsverfahren nicht.

So nutzen heute Konzerne weltweit die Schutzverträge, um politische Beschlüsse anzufechten. In vielen Fällen gelingt das auch. Die jüngste UN-Statistik zeigt: Im Jahr 2012 wurden 70 Prozent aller Fälle zu Gunsten der Unternehmen entschieden.

Grüne Regierung ausgespielt

Nicht zum ersten Mal attackiert der Energiekonzern Vattenfall in Deutschland einen politischen Entscheid: 2009 demonstrieren die Hamburger Bürger gegen das Kohlekraftwerk Moorburg. Die Grünen kommen in die Regierung und wollen strengere Umweltauflagen für das Kraftwerk erlassen. Vattenfall verlangt in einem geheimen Schiedsverfahren 1,2 Milliarden Euro Schadenersatz. Deutschland gibt nach, die Umweltauflagen für Moorburg werden wieder gelockert. Die Hamburger Regierung erfährt erst nachträglich vom Entscheid. Der Beschluss des Senats ist Makulatur.

Kleiner Klüngel entscheidet unter sich

Der ehemalige deutsche Verfassungsrichter Professor Winfried Hassemer äussert gegenüber «Monitor» massive Bedenken gegen die Praxis dieser Schiedsverfahren. Zum einen weil sie völlig intransparent sind, aber auch weil nur wenige Personen an den Entscheidungen beteiligt sind. Er sagt: «Man wird den Verdacht nicht los, dass hier Leute am Werk sind, die ein bestimmtes Interesse daran haben, dass ein Verfahren so und nicht anders verläuft.»

Tatsächlich zeigt die neue UN-Studie: Nur 15 Personen weltweit entscheiden 55 Prozent aller Verfahren. Und: Sie wechseln dabei auch häufig die Seiten. Einmal vertritt ein Anwalt den Staat, im nächsten Prozess das Unternehmen, im dritten ist er Schiedsrichter.

Auch ausländische Konzerne in der Schweiz profitieren

Von Hauptsitz in Lausanne aus klagt der weltgrösste Zigarettenproduzent Philipp Morris gegen den Staat Uruguay und stützt sich dabei auf das Investitionsschutzabkommen, das die Schweiz mit Uruguay abgeschlossen hat. Philipp Morris will deutliche Aufschriften auf den Zigaretten-Päckli nicht akzeptieren, welche die gesundheitliche Gefahren des Rauchens drastisch darstellen und die Marken-Aufschrift in den Hintergrund drängen. Der Konzern macht den Schutz seines Markenrechts geltend, welches das Investitionsabkommen zwischen der Schweiz und Uruguay schützt. Dagegen steht im Abkommen nichts vom Interesse an der öffentlichen Gesundheit, so dass der Staat Uruguay dieses nicht geltend machen kann. Das Verfahren ist noch hängig.

Rohstoffkonzerne profitieren von Schweizer Abkommen

Investitionsschutzabkommen schliesst die Schweiz schon seit 52 Jahren ab. Unterdessen sind es über 120 an der Zahl. Sie sollten Schweizer Firmen, die im Ausland investieren, vor ausländischer Willkür schützen. Fast alle diese Verträge enthalten Schiedsgerichtsklauseln. Pflichten für die Investoren für ihr Verhalten im Ausland enthalten sie kaum. Die Abkommen, welche die Schweiz abgeschlossen hat, sind «zumeist äusserst investorenfreundlich», erklärte Andreas R. Ziegler, Professor für Völkerrecht an der Universität Lausanne, in der NZZ. Weil viele weltweit tätige Unternehmen, die Rohstoffe ausbeuten, dank ihrer Schweizer Konzernsitze von diesen Abkommen profitieren, «dürfte es in den nächsten Jahren zu mehr Streitfällen mit Schweiz-Bezug führen», meinte Ziegler.

Verstossen Fracking-Verbote gegen Investitionsschutzabkommen?

Schiedsverfahren, die internationale Grosskonzerne gegen Staaten einleiten, können nationale Gesetze und Gerichte aushebeln und einen Staat schnell einmal Milliarden kosten. Trotzdem sprechen sich Deutschland und die Schweiz immer wieder klar für Investitionsschutzverträge aus und die Parlamente segnen sie ab.

Den Konzernen kann dies recht sein. In Europa niedergelassene US-Firmen erwägen bereits, gegen europäische Fracking-Verbote vorzugehen. Natürlich mit geheimen Schiedsverfahren.

R.L. / Infosperber