Proteste in Kiew Was geht eigentlich in der Ukraine ab?

Politik

Kiew brennt. Die Bilder von gut ausgerüsteten Demonstranten, die sich in der ukrainischen Hauptstadt Strassenschlachten mit Riot-Cops liefern, kennt mittlerweile jeder. Seit Ende letzten Jahres reissen die Proteste nicht ab.

Proteste in Kiew am 1. Dezember 2013.
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Proteste in Kiew am 1. Dezember 2013. Foto: Mstyslav Chernov (CC BY-SA 3.0 unported - cropped)

23. Januar 2014
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Angefangen hat alles mit dem EU-Assoziierungsabkommen. Die Ukraine befindet sich im wesentlichen zwischen zwei Machtblöcken: Traditionell ist die ehemalige Sowjetrepublik stark an Russland angebunden, die derzeitige Regierung pflegt gute Kontakte zum Kreml und ist eher prorussisch. Das passt natürlich dem Westen – allen voran Deutschland und die USA – weniger, die seit dem Fall der Sowjetunion daran interessiert sind, ihren Einflussbereich nach Osten auszudehnen.

Die derzeitige Opposition besteht aus Parteien, die eher ein Bündnis mit dem Westen bevorzugen: Die UDAR („Schlag“) des Boxers und MC-Fit-Sternchens Vitali Klitschko, die Allukrainische Vereinigung „Vaterland“ der inhaftierten Korruptionskönigin Julia Timoschenko und die Neonazis der Svoboda („Freiheit“) Präsident ist ein Typ namens Viktor Janukowitsch, der Chef der „Partei der Regionen“, die zeitweise in einem Bündnis mit der Kommunistischen Partei der Ukraine ist.

Alles Müll

Wir sagen es frei heraus, denn wir sind ja keinerlei Parteilichkeit in dieser Frage verpflichtet: Weder diese Regierung, noch die Opposition finden wir prickelnd. Janukowitsch ist ein Machtpolitiker, der sein Land autoritär führt, die Opposition besteht aus mediokren Gestalten, Neonazis, Nationalisten und anderen Irren.

Beim Stein des Anstosses, dem EU-Assoziierungsabkommen, müssen wir allerdings sagen, dass die Regierung wohl im Recht war, als sie es aussetzte. Denn für die Ukraine hätte sich dabei nichts ergeben, als ein weiteres Peripherieland zu werden, dass von den Kernländern der EU – Deutschland und Frankreich – ausgenommen wird. Sieht man nach Griechenland, Portugal, Spanien, weiss man, dass die weniger konkurrenzfähigen Nationen im gemeinsamen Binnenmarkt früher oder später alle dasselbe Schicksal ereilt: Deindustrialisierung, Massenarbeitslosigkeit, insbeosndere bei der Jugend, Lohneinbussen für Arbeiter und Arbeiterinnen.

Jedenfalls begannen nach Suspendierung des Assoziierungsabkommens die Proteste, vor allem auf dem zentralen Kiewer Platz, dem Maidan. Zehntausende gingen auf die Strasse und forderten den Rücktritt der Regierung. Aus Deutschland wurde Prügelexperte Klitschko exportiert, von dem man sich erhoffte, er würde zum von allen anerkannten Helden der Opposition, der die Ukraine nach geglücktem Sturz des russophilen Despoten Janukowitsch in den mütterlichen Schoss Brüssels führen würde.

White Power

Das allerdings hat so nicht funktioniert. Zwar haben sich die deutschen Leitmedien und diverse politische Institutionen wie die CDU-nahe Konrad Adenauer Stiftung redlich bemüht, Klitschkos Udar zu pushen. Dennoch haben heute im Protestlager andere Kräfte einen zumindest offensiveren Stand: Die Neonazis.

Die organisieren sich vor allem in der Svoboda, die aus der Sozial-Nationalen Partei der Ukraine (SNPU) hervorgegangen ist. Svoboda stellt zusammen mit anderen Neonazigruppen den bewaffneten, militanten „Selbstschutz“ der Protestierenden und konnte so seine Inhalte gut in den Protesten verankern. Man sieht das auch im Stadtbild: „White Power“ steht an vielen Wänden, Denkmäler für die Rote Armee und ihren Kampf gegen den deutschen Faschismus wurden geschändet, junge Männer tragen Schilder, auf denen 14/88 und Keltenkreuz aufgemalt sind.

Svoboda pflegt zudem Kontakte zur deutschen NPD, ihr Vorsitzender, Oleh Tyahnybok, ruft zum Kampf gegen die „russisch-jüdische Mafia“ auf, und sie veranstaltet Fackelmärsche zum Gedenken an Stepan Bandera, einen glühenden Antisemiten und Hitler-Kollaborateur.

Schräge Allianzen

Kurz: Svoboda ist eine Neonazitruppe und macht nicht einmal einen Hehl daraus. Dennoch, und das ist das eigentlich merkwürdige, nimmt kaum jemand in Deutschland oder den USA Anstoss daran, dass diese selbsternannten Judenjäger Teil der Opposition sind. Klitschko und Tyahnybok arbeiten zusammen, wenn es gegen die Regierung geht, der EU-Botschafter in Kiew hat die Fascho-Miliz kürzlich zum gleichberechtigten Verhandlungspartner erklärt und der US-Senator John McCain trat mit Tyhanybok gemeinsam auf einer Kundgebung auf.

Die Symbolik dieser ganzen Geschichte wird umso ekliger, bedenkt man, dass die Ukraine schon einmal den Segnungen des deutschen Imperialismus ausgesetzt war, nämlich zwischen 1941 und 1944. Da wüteten Wehrmacht, NS-Kollaborateure und SS in dem Land, löschten die beinahe die gesamte jüdische Bevölkerung aus, machten Jagd auf politische Gegner und alle, die sonst nicht ins Herrenmenschenweltbild passten.

Wenn jetzt, 70 Jahre später, deutsche Politiker samt ihrer publizistischen Sykophanten davon sprechen, man müsse, um einen „Rückfall in die Sowjetzeit“ zu verhindern, sich in die inneren Angelegenheiten des Landes einmischen, und das tun, indem sie eine Neonazipartei als legitimen Teil des Protests anerkennen, dann zeigt das, wie schnell Deutschland sich wieder zu alter Stärke emporzuschwingen trachtet.

lcm

Lesetipp: Jenseits aller Mainstreampositionen steht dieses Interview mit einem ukrainischen Anarchisten. Es ist zumindest interessant zu lesen: http://revolution-news.com/ukrainian-anarchist-dispels-myths-surrounding-euromaidan-protests-warns-of-fascist-influence