Sozial-Imperialismus und die eingebildete Revolution Russische Weissgardisten im Donbass

Politik

Zbigniew Marcin Kowalewski räumt mit dem Mythos auf, dass die Separatisten im Osten der Ukraine Führer eines Arbeiteraufstandes sind. Kowalewski ist stellvertretender Chefredakteur der polnischen Ausgabe der Le Monde Diplomatique und Autor mehrerer Werke über die Geschichte der Ukraine.

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«Donezk City» - Shopping Center in Donezk. Foto: Brücke-Osteuropa (PD)

28. Juli 2014
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Es gibt keine Revolution im Donbass, nicht einmal eine Massenbewegung. Diese existiert nur in der Propaganda der Unterstützer einer bewaffneten Separatistenbewegung, die von rechtsextremen Nationalisten angeführt wird. Aus Russland importiert, ist ihr Ziel die Restauration eines zaristischen Imperiums. Der Kreml unterstützt die Reinkarnation der Weissgardisten und der Schwarzhunderter[1], welche die Ukraine destabilisieren; aber es sieht auch so aus, als ob er sich vor ihnen fürchtet.

Am 22. April schrieb Boris Kagarlitzki, dass „der erfolgreiche Aufstand von Hunderttausenden (oder sogar von Millionen) Menschen in der Ostukraine nicht durch russische Einmischung erklärt werden kann“. Ein Aufstand von Hunderttausenden, sogar Millionen? Selbst die Propaganda des russischen Regimes, die sich an die Menschen im Ausland richtet, hält sich tausendmal stärker zurück.

Nur wenige in der internationalen Linken verstehen Russisch, und noch weniger verstehen Ukrainisch; deshalb befindet sich die Linke, will sie verstehen, was in der Ukraine passiert, in einer katastrophalen Situation. Um nicht von den westlichen Medien abhängig zu sein, ist sie verdammt dazu, auf die englischsprachige Propaganda des Putin-Regimes und die Propaganda der sogenannten „anti-imperialistischen Netzwerke“ auszuweichen, die sich pro-russisch (und oft „rot-braun“ oder vollständig „braun“) positionieren. Oder auf Zeitschriften wie „Links“ zurückzugreifen – eine Website genauer gesagt, die Öffentlichkeit für Texte von Kagarlitzki über diesen grossen Massenaufstand schafft, der gar nicht existiert.

Ein grosser Teil der Linken hat sich von diesen Texten vereinnahmen lassen; genauso wie er vorher an einen „faschistischen Putsch“, eine „faschistische Junta“ oder an „faschistischen Terror“ in der Ukraine glaubte. Viele Linke liessen das geschehen, weil sie desorientiert waren, wofür sie letztendlich aber selbst verantwortlich sind. Für andere, nicht unbedingt wenige, diente der „Aufstand“ in der Ostukraine als Feigenblatt, um ihren Übertritt mit Waffen und Gepäck auf die Seite des russischen Imperialismus zu verdecken.

Sozial-Imperialismus und die eingebildete Revolution

In den Augen vieler westlicher Linker ist Kagarlitzki ein hervorragender Philosoph des russischen Marxismus. Und das, obwohl es in seiner Version der russischen Geschichte keinen Platz gibt für die koloniale Unterjochung anderer Gesellschaften, für imperialistische Herrschaft und nationale Unterdrückung, “das Gefängnis der Völker” in der Periode des Zarismus, Stalinismus und Post-Stalinismus, für die Kämpfe unterdrückter Gesellschaften um die Befreiung ihrer Nation.[2] Konsequenterweise gibt es in dieser Version der Geschichte auch keine ukrainische nationale Frage, keinen historischen Kampf der Ukrainer um ihre Einheit und Unabhängigkeit.

Das ist der Grund, warum der Autor dieser Zeilen ein Vierteljahrhundert lang Kagarlitzki für einen besonderen Typ eines russischen Sozialisten hielt, nämlich für einen von denen, die in den Augen eines allseits bekannten Bolschewiken [Lenin] die nicht sehr kultivierten und wenig eleganten Bezeichner “soziale Nationalisten” und “Sozial-Imperialisten” verdienten. Daher ist es auch nicht überraschend, dass Kagarlitzki - dem Trend der russischen Rechtsextremen und der anführenden Separatismusbewegung folgend - vor kurzem begonnen hat, die Südostukraine als “Neurussland” (Noworossija) zu bezeichnen, wie es unter den Zaren üblich war; und dass er als Schmuck für seine rabkor.ru-Seite ein “neurussisches” imperialistisches Emblem wählte.

Während der Krimkrise machte Kagarlitzki durch eine These auf sich aufmerksam, die plump aber originell war. Und zwar dass “hinterlistige Pläne oder imperiale Bestrebungen keine Rolle spielten”. Es war die Krim selbst, die auf Grund des Willens der lokalen russischen Bevölkerung und der Weisheit ihrer Führer Wladimir Putin zwang, obwohl der sich wehrte, die Krim für Russland zu annektieren; oder besser “die Krim hat Russland annektiert”. Links gab diese Worte unter der Überschrift “Die Krim annektiert Russland” wieder.

Später, als die russische Separatistenbewegung im Osten der Ukraine begann, urteilte Kagarlitzki, dass “sich in der Ukraine eine echte Revolution entfaltet.” “Eine echte revolutionäre Transformation ist im Bewusstsein der Massen im Gange”, die “nicht nur spontan auf die Strasse getreten sind, sondern auch begonnen haben, unabhängig zu agieren, sich zu organisieren und Geschichte zu schreiben”.

Sie begannen diese auf eine Weise zu schreiben, auf die Menschen echte Geschichte schreiben, also in den Worten Kagarlitzkis “auf Russisch, in ihrer Muttersprache (die im Raum des ehermaligen Imperiums genau die Sprache der Arbeiterklasse ist und war)”. Wie wir sehen, setzt Kagarlitzki das Erbe von Jahrhunderten der Russifizierung in der postkolonialen Peripherie des Imperiums mit der Klasseneroberung des Proletariats gleich. “Das erste Mal seit vielen Jahren beginnt die Arbeiterklasse wieder im Raum der ehemaligen Sowjetunion zu handeln”, versichert uns Kagarlitzki wieder. “Es ist vielleicht zu früh um über ein Klassenbewusstsein zu sprechen, aber andererseits ist der Klassenkampf zur Realität geworden”.

Nachdem die Revolution ausgebrochen war, gab es, Kagarlitzki zur Folge, dringenden Bedarf an einer Strategie. Ohne diese könne es keine Erlösung geben. Dennoch “sind die heutigen russischen Eliten fundamental unfähig, strategisch zu denken”. Das ist so, weil “die Menschen, welche die russische Führung ausmachen, keine Politiker, sondern Bürokraten und PR-Spezialisten sind, Menschen die entweder nicht die Erfahrung oder das Interesse haben, riskante Entscheidungen zu treffen, welche die Situation radikal verändern. Keine dieser Personen kann sich überhaupt vorstellen, wie man unter den Bedingungen von massiven Krisen und Revolutionen handeln müsste.”

Zudem schafft die Art und Weise, wie sich die “revolutionäre” Bewegung in der Ostukraine verhält “nicht die Bedingungen für strategische Durchbrüche”. Jedoch “basieren ihre Handlungen auf einer bestimmten Sicht der Situation, einer Sicht, die nicht nur organisch in den Anführern der Bewegung vorhanden ist, sondern auch in einem substantiellen Teil der Massen des ukrainischen Südostens. Die Aufständischen sind überzeugt, dass sie lediglich eine gewisse Zeit durchhalten müssen, bis Russland ihnen helfen wird; wenn diese Hilfe nicht in der Form einer direkten militärischen Intervention kommen wird, dann wird sich ein anderer Mechanismus finden. Leider hat uns jeder Tag, der seit Beginn des Aufstands vergangen ist, gezeigt, wie illusorisch diese Hoffnungen sind”.

Kagarlitzki versuchte deshalb, diese doppelte Schwäche zu korrigieren: er wollte der separatistischen Bewegung aufzeigen, wie man die nötigen Bedingungen für einen “strategischen Durchbruch” schafft, der der “Revolution” einen Weg zum Sieg eröffnet. “Während sie manövrieren und versuchen, Zeit zu gewinnen, riskieren die russischen Mächtigen, den entscheidenden strategischen Moment zu verpassen” Deshalb können “die Rebellen, während sie versuchen, die strategische Initiative zu behalten, es sich nicht leisten, auf Entscheidungen des Kremls zu warten. Im Gegenteil, sie müssen durch ihre eigenen Handlungen eine neue Situation schaffen, und im Voraus bestimmen, was diese Entscheidungen sein werden. Ein Durchbruch in der Entwicklung des Kampfes in der Südostukraine wird nur stattfinden, wenn die grössten regionalen Zentren, vor allem Charkow und Odessa, sich an der Bewegung beteiligen.”

Die “Volksrepubliken” mit ihrer oligarchischen Inspiration

Jedoch ist es ein Problem, dass “die Verbreiterung der sozialen Basis des Aufstands”, der, erinnern wir uns, auf jeden Fall “Hunderttausende, sogar Millionen Menschen” in seinen Bann gezogen hat, “von seinem Programm abhängt”. Es sollte ein “anti-oligarchisches soziales Programm sein”, aber Kagarlitzki warnt, dass “so ein Programm sogar nicht ausschliesslich links oder sozialistisch sein muss. Es reicht, die Nationalisierung des Vermögens der ukrainischen Oligarchen zu fordern, die sich mit dem Kiewer Regime offen verbündet haben.” In anderen Worten, es sollte ein Programm sein, dass an den nationalistischen Charakter der “neurussischen” Separatistenbewegung angepasst ist, über den Kagarlitzki in seinen Schriften schweigt, aber über den er, wie wir sehen, sehr wohl informiert war.

Die Idee eines solchen Programms wurde jedoch nicht lange aufrecht erhalten: es wurde von Alexandr Borodaj, dem “Premierminister der Donezker Volksrepublik”, explizit abgelehnt. In einem Interview mit RIA Nowosti vom 31. Mai erklärt er, was die Machthaber der “Republik” unter Nationalisierung verstehen. “Was nationalisiert werden wird sind die Unternehmen, die bisher als Eigentum der Ukraine galten. Sie gehen einfach von einer Hand in die andere. Was Staatseigentum war, wird Staatseigentum der Donezker Volksrepublik werden. Das ist natürlich und logisch”. Was die Unternehmen von Rinat Achmetow angeht? [der reichste Mann der Ukraine, Eigentümer der SCM Holding, die grosse Teile der Industrie von Donezk kontrolliert]? “Die Frage der Nationalisierung stellt sich überhaupt nicht. Wir haben nichts mit den Kommunisten gemein, die irgendetwas in ihren Besitz bringen, und es nationalisieren. Wir respektieren das Recht auf Privateigentum”[3]

Deshalb überrascht es überhaupt nicht, dass sich Kagarlitzki über einen anderen Fakt ausschweigt, der mit dem vorigen verbunden ist: von Anfang an hatte die Bewegung nicht nur die Unterstützung des grössten Oligarchen des Donbass, Rinat Achmetow, sondern war sogar von ihm inspiriert.

Das war die ganze Zeit bekannt, während Kagarlitzki über den Ausbruch der angeblichen Revolution in der Ostukraine schrieb. Auf jeden Fall wussten es diejenigen, die es wissen wollten; zum Beispiel dank Alexandr Koswintzew, einem unabhängigen russischen Journalisten, der vor sieben Jahren in der Ukraine Asyl gesucht hatte, da er vom Putin-Regime verfolgt worden war (er fürchtete ernsthaft um sein Leben), und die Staatsbürgerschaft erhalten hatte. Am 10. April platzierte er Achmetow auf seine Liste der “10 grössten modernen Verräter der Ukraine”. Koswintzew schrieb: “In der Heimat Achmetows haben sich die Separatisten nicht nur nicht beruhigt, sondern arbeiten fleissig an der Umsetzung des Sezessionsplans des Kremls. Wer glaubt wirklich, dass der 'Lehensherr' der Region daran nicht teilnimmt?”

Dies wurde später, am 10. Mai von Pawel Gubarew, dem zwischenzeitlichen “Volksgouverneur” von Donezk (für fünf Tage, ab dem 1. März), vollumfänglich bestätigt. Er war gerade aus einem ukrainischen Gefängnis freigelassen worden, und sprach in einem Interview mit der russischen Presse über die Anfänge seiner “Revolution”, und die Rolle, welche dabei die Partei der Regionen spielte, die oligarchische Partei des aus dem Amt gejagten Präsidenten Wiktor Janukowytschs. Er gab offen zu, dass “wir in jeder Stadt beobachteten, wie Anführer einer sogenannten Volksmiliz auftauchten. Und dann begann die machthabende Partei, die herrschenden Oligarchen im Osten, mit der Volksmiliz zusammen zu arbeiten. Es stellte sich heraus, dass zwei Drittel der Aktivisten vom Oligarchen Achmetow bezahlt waren. Eine kleine Gruppe von Leuten blieb ihrem Ideal treu; sie nahmen aber weiterhin das Geld. Jeder nahm das Geld! (...) Unter diesen Bedingungen wurde jeder gekauft. Diejenigen, die sich nicht kaufen liessen, wurden entweder marginalisiert, diskreditiert oder terrorisiert.” Manche wurden sogar dem Ukrainischen Sicherheitsdienst (SBU) übergeben; das war auch Gubarews Schicksal.

Die Anführer der “Donezker Volksrepublik” rührten nicht mal einen Finger, um Gubarews Freilassung zu bewirken. Nur Strelkow, der Anführer der Separatisten in Slowjansk tat dies, indem er ihn gegen einen ukrainischen Offizier eintauschte, den er gefangengenommen hatte. Deshalb verriet Gubarew, um den Verrat zu rächen, dem er selbst zum Opfer gefallen war, die Schlüsselrolle Achmetows bei der Geburt der Separatistenbewegung. Heute sprechen viele Militante dieser Bewegung darüber, ebenso Beobachter und Kommentatoren, wie zum Beispiel Anatoli Nesmijan, “El Murid”, ein pro-separatistischer politischer Analytiker in St. Petersburg, der für seine libyschen und syrischen Verbindungen bekannt ist (die übrigens nicht besonders schwer zu erraten sind). Dieser schrieb auf der halboffiziellen Seite der Separatisten, Russkaja Wesnja [Russischer Frühling] über Achmetow, dass “die Donezker Volksrepublik sein Projekt war” und dass von nun an, die Bewegung ihm (angeblich) den Rücken gekehrt hätte, und nun “zeigen sollte, dass sie in der Lage ist, ohne Achmetow zu überleben, und sogar gegen ihn, wenn es nötig sein sollte.”

Was der “Verteidigungsminister” Strelkow preisgab

Am 17. Mai 2014 startete Oberst Igor Strelkow einen dramatischen Aufruf “an die Bevölkerung der Donezker Volksrepublik” Ein paar Tage vorher war er “Oberkommandeur der bewaffneten Kräfte” (die von den Separatisten gewöhnlich opolcheniye, also freiwillige Miliz genannt werden) und “Verteidigungsminister der Donezker Volksrepublik” geworden. Sein echter Name ist Igor Girkin, er ist russischer Staatsbürger und seine inoffizielle Berufung ist es, dem bewaffneten Beruf an den Grenzen der “Russischen Welt” und der "Orthodoxen Welt" nachzugehen. Hinter ihm liegen vier Kriege: in Moldau, auf der Seite der russischen Nationalisten in Transnistrien, in Bosnien, wo er auf der Seite der serbischen Nationalisten kämpfte, und in Tschetschenien, wo er in den Rängen der russischen Armee an zwei Kriegen teilnahm.

Das Moskauer Zentrum für die Verteidigung der Menschenrechte Memorial beschuldigt ihn, im Zweiten Tschetschenienkrieg Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben. Er war auch an der Annexion der Krim beteiligt. In den Donbass reiste er von Russland aus. Dem Ukrainischen Sicherheitsdienst zufolge überquerte er die Grenze am 12. April. Sein Aufruf sorgte für eine Sensation unter all denjenigen, welche die russische Separatistenbewegung in der Ostukraine verfolgten. In nur 48 Stunden wurde das Video von einer Millionen russischsprachiger Menschen weltweit auf YouTube angesehen. Dennoch hat der Rest der Welt - damit ist die nicht russisch-sprachige Welt gemeint - bisher nicht davon gehört.

“Ich muss euch die Wahrheit sagen. Direkt in euere Augen!” erklärte Strelkow. “Ein Monat ist vergangen, seit wir, eine kleine Gruppe Freiwilliger aus Russland und der Ukraine, hier angekommen sind, nachdem wir den Hilfeschrei aus den Lippen euerer Anführer vernommen haben, die ihr an die Spitze euerer Bewegung gestellt hattet. Wir stehen jetzt in einem bewaffneten Kampf der gesamten ukrainischen Armee entgegen.” Er fuhr fort: “Im letzten Monat haben wir oft die verzweifelten Rufe gehört: Bewaffnet uns! Gebt uns Waffen, damit wir für unsere Freiheit kämpfen können!” Die Waffen, fuhr Strelkow fort, seien schon hier. “Sie sind an der Frontlinie des Kampfes - in der belagerten Stadt Slowjansk. Sie sind hier! Dort, wo sie am dringensten gebraucht werden. Hier, wo die Freiwilligen mit ihren Körpern den Rest des Donbass beschützen, einschliesslich von Donezk und Luhansk.”

Aber… “Was sehen wir? Es gibt alles in Überfluss, ausser Menschenmassen von Freiwilligen vor den Toren unserer Generalstäbe. Slowjansk besitzt 120.000 Einwohner. Kramatorsk zweimal so viele. Insgesamt leben in der Donezker Region 4.5 Millionen Einwohner. [...] Ich kann ehrlich sagen, dass ich überhaupt nicht erwartet habe, das wir in der ganzen Region nicht einmal tausend Menschen finden würden, die bereit sind, ihr Leben zu riskieren - nicht in ihrer Stadt, nicht an einer Barrikade in der Nähe ihres Hauses, von der aus man einen halben Tag fahren müsste, um einen Soldaten der [ukrainischen] Nationalgarde zu finden, sondern an der Frontlinie, wo jeden Tag mit echten Kugeln geschossen wird.

“Als ich noch auf der Krim war, hörte ich wie die Kämpfer der Volksbewegung sagten, dass 'wenn die Schachtarbeiter aufstehen, dann werden sie jeden mit ihren blossen Händen in Stücke reissen'. Im Moment sehen wir nicht, dass das geschieht. Dutzende und Hunderte haben sich uns angeschlossen, und sie kämpfen. Zehn- und Hunderttausende schauen all dem vor ihren Fernsehbildschirmen still zu, mit einem Glas Bier in der Hand. Offensichtlich warten sie auf eine Armee, die von Russland kommt, ihrer Schwester, die alles für sie tun wird; oder auf eine ausreichende Zahl unerschrockener Freiwilliger, die kommen, um für ihr Recht zu sterben ein ehrenwerteres Leben zu führen, als das, das sie 23 Jahre unter der Macht der Kiewer Nationalisten führten. Wo sind diese 27.000 Freiwilligen, von denen die Journalisten sprechen? Ich sehe sie nicht.

“In unseren Rängen befinden sich immer mehr Männer 'weit über 40', die noch zu Zeiten der Sowjetunion aufwuchsen und erzogen wurden. Aber es gibt nur wenige junge Männer. Wo sind sie - alle diese Jungs von hier, jung und robost? Vielleicht sind sie in den “Brigaden” dieser Banditen, die aus der vorherrschenden Anarchie ihren Nutzen ziehen, und sich darauf stürzen 'das zu plündern, was geplündert wurde' und Gesetzlosigkeit in den Städten und Dörfern der Region zu verbreiten? Ja, jeden Tag erhalten wir Informationen über ihre neuen 'Siege'. Viele unzufriedene 'freiwillige Milizangehörige' verlangen Waffen, vorwiegend um ihre Häuser vor Banditen und Kriminellen zu verteidigen. Ihr Wunsch ist durchaus berechtigt. Trotzdem stellt sich die Frage: woher weiss der Kommandeur einer freiwilligen Miliz, wer derjenige ist, der zu ihm kommt, und um Waffen bittet? Ist er ein aufrichtiger Bürger oder noch so ein Bandit, der sich als 'Patriot des Donbass' ausgibt?

“Die Antwort, die wir geben, ist einfach die folgende: für uns ist nur derjenige 'Mitglied einer frewilligen Miliz', der direkt an den Kämpfen gegen die Truppen der Junta teilnimmt, und der das zu der Zeit und an dem Platz tut, der von seinen Anführern für nötig befunden wird! Denn ohne Disziplin wird das nichts! Wenn jeder 'Krieg führen' möchte, wo und wann er gerade Lust hat, dann werden sich die freiwilligen Milizen des Donbass in eine Horde wahnsinnig gewordener Desserteure oder einer Bande des Atamanen Anhel verwandeln.[4]

“Aber das wird nicht passieren! Nur diejenigen, die sich im Kampf gegen den Feind auszeichnen, und die auch anderen militärischen Verpflichtungen nachkommen, werden das Recht erhalten, ihr eigenes Haus in Ordnung zu bringen, in den Rängen der freiwilligen Miliz! Und wir werden für Ordnung sorgen - zweifelt nicht daran! All diejenigen die heute Läden und Geschäfte plündern, Drogen verkaufen oder die einfache Bevölkerung berauben sollten nicht davon ausgehen, dass “das Spiel unter den jetzigen Regeln weitergeht” und dass “der Krieg alles vergessen machen wird.” Das Ende des Banditentums im Donbass ist angebrochen! Die neue Regierung wird viele Möglichkeiten anbieten, den kriminellen Aktivitäten zu entsagen, aber diejenigen, die von diesen keinen Gebrauch machen wollen, werden eine ernste Strafe erhalten. Eine Strafe, von der sich niemand freikaufen kann! In Übereinstimmung mit den Gesetzen des Krieges!

“Ich komme jetzt zum eigentlichen Thema zurück. Die Donezker Region benötigt Verteidiger, und die Freiwilligenmiliz benötigt disziplinierte Freiwilligen-Soldaten. Wenn die Männer nicht in der Lage sind, diese Bedingungen zu erfüllen, dann müssen wir wohl Frauen rekrutieren. Weder im aktiven Dienst, noch in der Reserve. Aber was macht das schon für einen Unterschied, wenn die männlichen Offiziere nicht mal kommen, um uns zu sehen! Bisher haben wir nicht mal ein Dutzend militärische Profis gefunden, die bereit sind, Kampfeinheiten zu befehligen! Was für eine Schande! Zwei Wochen habe ich sie gebeten, mir jemanden zu schicken, der Stabschef werden könnte, oder wenigstens fünf Leute, die einen Trupp oder eine Kolonne befehligen könnten. Stille! Nicht ein einziger!”

“Die Trägheit der amorphen Masse”, Weissgardisten und Schwarzhunderter

Alexandr Schilin, ein ultranationalistischer russischer Journalist, der zum einen Chef der Abteilung für Sicherheitsthemen bei Moskovskiye Novosti [Moskauer Nachrichten] ist, und zudem militärischer Kommentator für Radio Svoboda, strengte sich vor kurzem an, um “zu erklären, warum der Einsatz von [russischen] Armeen in der Ukraine sinnlos und geradezu dumm war”. Er schrieb: “Glücklicherweise hat sich Igor Strelkow, der Anführer der Widerstandsbewegung, besser verhalten als ich: er hat in seiner Erklärung sehr präzise die Trägheit der lokalen Bevölkerung in Luhansk und Donezk beschrieben, die sich weigert, die eigenen Interessen zu verteidigen.”

Ein anderer russischer Beobachter, ebenso ein Unterstützer der Separatisten, drückt sich auf ähnliche Weise aus. “In der Südostukraine gibt es Waffen in grosser Zahl: vermutlich fehlt es nur an Flugzeugen. In den Lagerhäusern stehen sogar Panzer; man muss sich nur um adäquate Instandhaltung kümmern. Aber es gibt niemanden, der das tun kann. Die Wahrheit ist einfach und banal: die lokale Bevölkerung will keinen Krieg führen. Sie will nicht mal ein bisschen helfen, weil sie Angst hat, dass das später gegen sie verwendet würde. Die russischen Freiwilligen erhalten ebenso wenig. Es gibt keinen “aufständischen Donbass”. Es gibt eine Handvoll von zähen Kämpfern, die bis bereit sind, bis zum Ende durchzuhalten, und… eine amorphe Masse, die höchstens in der Lage ist, ein Kreuz auf einen Wallzettel zu setzen.” Genauer gesagt: auf einen Wahlzettel eines “Referendums”, das von den Separatisten organisiert ist.

Das ist also was wir über diesen “erfolgreichen Aufstand Hunderttausender oder sogar Millionen von Menschen in der Ostukraine" sagen können, der von Kagarlitzki erfunden wurde, und von Links propagiert wird.

Wer ist dieser Strelkow? “Ich bezeichne mich selbst als Unterstützer der autokratischen Monarchie in Russland”, erklärt er. Desweiteren : “Ich bin fest überzeugt, dass bis heute die bolschewikische Macht in Russland präsent ist. Ja, sie hat sich verändert, ist unerkennbar geworden, aber ihre Essenz bleibt unverändert: und zwar was ihre anti-russische, anti-patriotische und anti-religiöse Orientierung angeht. In ihren Rängen kann man die direkten Abkömmlinge derjenigen finden, die die Revolution von 1917 “gemacht” haben. Sie wurden ganz einfach versteckt, aber ihre Substanz hat sich nicht verändert. Sie sind an der Macht geblieben, haben die Ideologie weggeworfen, die sie daran hinderte, sich zu bereichern und materielle Güter zu geniessen. Aber der Prozess der direkten Zerstörung der russischen Nation (und anderer Urvölker des Russischen Imperiums) geht auf andere Weise weiter; mit so einem 'Erfolg', das uns davon schwindlig werden kann. 1991 gab es einen Putsch; aber die Konterrevolution wurde nicht beendet.”

“Um die Situation zu retten, brauchen wir in Russland ein grundsätzlich neues 'Weisses Ideal'”. Ein neues, so erklärt Strelkow, weil “ein grosser Teil der Bevölkerung der Weissen Bewegung feindlich gegenüber steht. Wenn wir es in seiner 'reinen Form' an die Massen tragen, dann werden wir uns schon im Voraus zum Scheitern verdammen.”

“Vermutlich können wir mit der derzeitigen Regierung nur ein Grosses Honduras errichten, wo es vorher ein Grossrussland gab. Ich habe den Eindruck, dass dies schon ein voller Erfolg war.” Diese Regierung “ist der Feind Grossrusslands, genauso wie 'die Opposition'.Sie kamen mit der Hilfe des Westens an die Macht, und wollen sie nicht an die vom Westen 'erwählten' abgeben” [...] Strelkow schreibt auch dass, “alle 'Explosionen' der Unzufriedenheit in Moskau und Petersburg heimlich aus dem Ausland gesponsert werden. Natürlich gibt der Westen das 'Geld für die Revolution' nicht direkt an seine Puppen. Die lokalen ('demokratisch orientierten') Oligarchen-Sponsoren sind es, die es geben… denn ihre Interessen sind unauflösbar mit dem internationalen jüdisch-angelsächsischem Kapital verbunden, deren Filiale sie sind.”

Diese politische Ausrichtung wird von Aleksanr Borodaj geteilt, den Strelkow aus Russland herbeirief, um ihn zum “Premierminister der Donezker Volksrepublik” zu ernennen. Die Separatistenbewegung in der Ukraine, die sie anführen, ist - gemäss ihrer Strategie - die bewaffnete Basis der russischen monarchistischen Konterrevolution, die unauflösbar mit der Rekonstruktion des Imperiums und der “politisch-religiösen Revolution, welche die Menschheit von der Degenerierung und Auslöschung bewahren kann” verbunden ist. “Das Ziel ihrer Entwicklung ist: die transzendentalen Werte des Geistes und das Streben nach Göttlichkeit.” Borodaj, Sohn eines Philosophen und Unterstützer der Ideen Lew Gumilews[5] und nationalistischer Kämpfer, ist auch ein militanter Ideologe der extremen Rechten.

Borodaj bestätigt: “Es sieht so aus, als ob nur wir - die Russen - geeignet sind, die Rolle der Initiatoren dieser religiösen Revolution zu spielen. Denn wenn wir Gumilew glauben, dann ist unser Superethnos noch ziemlich jung; obwohl es in ein paar Jahrhunderten enorme Ressourcen aufgewendet hat, um Super-Staaten zu kreieren (Das Dritte Rom - das Russische Imperium - die UdSSR) so ist es immer noch in der Lage in sich die Stärke zu finden, um einen Kreuzzug im Namen der höheren Werte des Geistes zu unternehmen. [...] Die religiöse Revolution ist ein unausweichlicher Krieg gegen das Böse; sie ist auch ein bitterer, gnadenloser Krieg. Ist die Russische Nation zu diesem Meisterstück in der Lage? Was werden die Konturen der künftigen religiösen Revolution sein? Werden es Banner und Flaggen sein, die orthodoxe Kreuze und andere christliche Symbole tragen?”

In die “Verfassung der Donezker Volksrepublik” fügten Borodaj und Strelkow eine Formel ein, die wortwörtlich aus den Fundamentalen Gesetzen des Russischen Imperiums von 1906 übernommen wurde, nämlich dass “der primäre und vorherrschende Glauben” dieser “Republik” der “Orthodoxe Glaube” ist. Sie schrieben dort auch, dass dies der Glaube ist, “wie er von der Russisch-Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats erklärt wird”. In der Ukraine gibt es auch andere Kirchen, darunter die ukrainisch-orthodoxen Kirchen.

Von der ukrainischen Peripherie ausgehend muss sich die Konterrevolution auf die ganze “Russische Welt” ausdehnen und zu einer Restauration des “historischen Russlands” führen - dem Russland der Zaren. In ihrer “Verfassung” verkündeten Borodaj und Strelkow die “Schaffung eines souveränen und unabhängigen Staates, der auf die Restauration eines einheitlichen kulturellen und zivilisatorischen Raums der Russischen Welt ausgerichtet ist, auf der Basis ihrer traditionellen religiösen, kulturellen und moralischen Werte, mit der Perspektive des Beitritts zu Grossrussland, der Glorienschein [sic] der Territorien der Russischen Welt.” Was wird aus dem Rest der Ukraine, wenn sie ebenso fällt, “Noworossija” folgend? Die ganze Ukraine muss, bekräftigen Borodaj und Strelkow, zusammen mit Russland und Belarus, “in einen einzigen existenzfähigen Staat vereinigt werden, der mit einem slawischen Nationalkern ausgestattet ist”.

Der Moskauer Sozialist Kagarlitzki besitzt nur scheinbar mehr Sympathien für die Ukraine als die russischen Rechtsextremen. Er bestätigt, dass “es gut sein kann, dass wir nach einiger Zeit wieder einen ukrainischen Staat sehen werden, der nicht von den Fronten eines Bürgerkriegs geteilt wird”, aber er fügt gleich hinzu: “der Weg zur Gründung eines solchen Staates führt durch den Bürgerkrieg. Die Ukraine wird nur wiedervereinigt werden, wenn die Kräfte des aufständischen Südostens ihre Banner über Kiew aufziehen werden”. Inzwischen wissen wir, was das für Banner sein werden.

In Russland ist Strelkow in den Augen der nationalistischen, faschistischen und neostalinistischen Rechten wieder zu einem Volkshelden geworden. “Strelkow erinnert an die Legenden des Bürgerkriegs: Gemeneral Kornilow und Admiral Koltschak”[6] So schreiben sie es in der ultra-reaktionären Wochenzeitung Zawtra [Morgen], mit der er und Borodaj seit langem verbunden sind. “Mit so einem Kommandeur werden nicht nur die Regionen Donezk und Luhansk russisch werden, sondern der ganze Südosten, Charkiw, Odessa, Kiew und die ganze Ukraine.”

Dennoch ist Strelkow ganz und gar nicht dabei die Mittel vorzubereiten, um Kiew und die ganze Ukraine zu erobern, sondern er gesteht öffentlich ein, dass er ohne eine russische militärische Intervention verlieren wird, die er verzweifelt in seinen öffentlichen Erklärungen einfordert. “Wo können wir eine Quelle für Optimismus finden? In unseren kleinen Erfolgen? Diese sind nur taktisch; von einem strategischen Gesichtspunkt aus haben wir schon lange verloren. Die Weise, auf die russische Spitzenbeamte die Frage der Unterstützung für Neurussland betrachten ist geradeheraus Sabotage.” Strelkow schrieb das am 16. Juni. “Wenn es keine militärische Unterstützung geben wird, dann ist das militärische Debakel der Donezker und Luhansker Volksrepubliken unvermeidlich”.

Zur gleichen Zeit ist es in den Fernsehkanälen des russischen Regimes still geworden, was Strelkow angeht. Warum? Weil Putin Angst davor hat, dass dieser nach dem Ende seiner militärischen Kampagne in der Ukraine nach Russland zurückkehrt. Das sagt Boris Nemzow, einer der bekanntesten Anführer der Opposition gegen Putin. Nemzow zweifelt nicht, dass Strelkow und seine “Freiwilligenmiliz” verlieren wird.

Nemzow schreibt: “Früher oder später wird dieser Krieg beendet sein, und Strelkow und seine Waffenkameraden werden gezwungen sein, nach Russland zurückzukehren. Natürlich sind die Kämpfer seiner 'Miliz' sich im Klaren darüber, dass Putin sie im Stich gelassen hat, und es durchaus nachvollziehbar, dass sie wütend nach Russland zurückkehren werden. Denn der Kreml hat nicht nur den Donbass nicht für Russland annektiert, er hat nicht einmal seine Armee dorthin geschickt. [...] Putin ist ein Verräter, ein Gauner und Halunke”. Nemzow meint, dass “Putin genau so von den Menschen, die im Donbass kämpfen gesehen wird”. Wenn sie zurückkehren “könnte die Bevölkerung eben jene 'heroischen Milizenmänner' unterstützen, über die die russischen Medien so viel Worte verloren haben”. In der Zwischenzeit werden sie “den Moskauer Verrätern sicher keine Kinderhandschuhe bringen”.

29. Juni 2014

Zbigniew Marcin Kowalewski




Nachwort von Gabriel Lewy

Der militärische Konflikt in der Ostukraine und die menschliche Tragödie, die er letztlich beinhaltet, also eine grosse Zahl ziviler Opfer, eine Flüchtlingskrise und die Zerstörung von Communities - ist einer der neuesten Gründe für eine politische Krise unter Sozialisten (oder zumindest unter Leuten, die sich selbst “Sozialisten” nennen) auf der ganzen Welt. Manche haben die ostukrainischen Separatisten unterstützt, und sogar die Handlungen der russischen Regierung, wie die Annexion der Krim. In Grossbritannien glaubt eine Kampagne von “Sozialisten”, welche die Separatisten unterstützen, dass sie “Solidarität mit dem antifaschistischen Widerstand” praktiziert - eine Rhetorik die sich in völliger Übereinstimmung mit der Putins befindet. Diese Kampagne wendet sich gegen “geplante NATO-Übungen in der Ukraine”, aber sie wendet sich nicht gegen die tatsächliche Annexion der Krim oder die Weise, auf die Russland seine Grenzen für eine grosse Anzahl von Ultranationalisten geöffnet hat, die mit schweren Waffen ausgerüstet sind, um sich an den Kämpfen zu beteiligen. Ich stimme Zbigniew Marcin Kowalewski zu, dass solche Teile der “Linken” (post-Stalinisten) einfach “auf die Seite des russischen Imperialismus übergetreten sind”.

Es gibt noch eine andere Gefahr: Als Antwort darauf sind manche Sozialisten versucht, der ukrainischen Regierung “bedingte Unterstützung” oder “kritische Unterstützung” zu ihrer “Anti-Terror-Operation” in der Ostukraine zu leisten - eine Operation, welche die Zahlen der zivilen Opfer in die Höhe getrieben hat, und die Mobilisierung von Ultranationalisten und faschistischen Freiwilligen beinhaltet.

Meiner Ansicht nach ist es eine Frage der grundlegenden sozialistischen Prinzipien, dass wir hier nicht Partei ergreifen sollten, nicht in diesem, und nicht in anderen militärischen Konflikten zwischen kapitalistischen Staaten und mit ihnen verbundenen Banden bewaffneter Gangster. Es ist eine Frage des Prinzips, dass wir diejenigen unserer ukrainischen oder russischen Freunde unterstützen sollten, die sich geweigert haben, sich Rechtfertigungen für staatliches oder staatlich finanziertes Morden auszudenken. Zahlreiche ukrainische und russische Sozialisten und Anarchisten haben zur Unterstützung der Arbeiter-Communities gegen die spaltenden Schrecken aufgerufen, die der Krieg mit sich bringt; Unterstützung für diejenigen, die versuchen, die Organisation der Arbeiterklasse im Angesicht dieser Spaltungen zu stärken, und für die Familien, die sich weigern, ihre Söhne in den Kampf zu schicken. Es ist ebenso eine Frage des sozialistischen Prinzips, dass wir die antifaschistischen Aktivisten auf der Krim unterstützen müssen, die von den neuen Machthabern verhaftet wurden, genauso wie diejenigen, die in Russland wegen des Bolotnoje-Verfahrens vor Gericht stehen, das mit den grossen Anti-Regierungs-Demonstrationen von 2011-2012 begann.

Zusätzlich zu diesen praktischen Fragen sollten wir uns überlegen, was diese Ereignisse für den Sozialismus als Ideenmenge bedeuten. Indem die “Post-Stalinisten” bewaffnete Reaktionäre, wie die Anführer der “Donezker Volksrepublik”, im Namen des “Antifaschismus” unterstützen, stellen sie die Bedeutung des Wortes “Antifaschismus” geradezu auf den Kopf. Indem sie die eine oder andere Seite des Konflikts unterstützen - was letztlich nur zu einer Schwächung und Teilung der Sozialen Bewegung und Arbeiterbewegung führen kann - untergraben diese und andere “Sozialisten” die Kräfte, auf denen der Sozialismus beruht, um die Welt zu verändern. Um die Bedeutung des “Sozialismus” zu retten und zu entwickeln müssen wir den Anti-Militarismus, der sich in seinem Kern befinden sollte, neu entdecken und entwickeln.

Zbigniew Marcin Kowalewski

Fussnoten

[1] Die Weissgardisten waren konterrevolutionäre Kräfte, die im russischen Bürgerkrieg gegen die Bolschewiken kämpften. Die Schwarzhunderter waren eine rechte nationalistische, monarchistische und klerikale Bewegung, die anti-jüdische Pogrome anstiftete. Sie trat das erste Mal während der Revolution von 1905 in Erscheinung. Ihre Kampfsektionen waren ein Prototyp der faschistischen Bewegung.

[2] Siehe B. Kagarlitzki, Imperium der Peripherie: Russland und das Weltsystem, London, Pluto Press, 2007

[3] Siehe auch Zbigniew Marcin Kowalewskis Artikel, Des militants ouvriers ukrainiens sur la situation dans le Donbass

[4] Während der Revolution und des Bürgerkriegs in der Ukraine kommandierte Yevhen Anhel (1897-1919) eine unabhängige Guerilla-Bewegung, die sich weigerte, den politischen und militärischen Machthabern der ukrainischen Volksrepublik Gefolgschaft zu leisten, die Präsident Symon Petliura unterstanden. Anhels Guerilla-Bewegung kämpfte auf eigene Faust gegen die Rote Armee

[5] Lew Gumilew (1912-1992), russischer Philosoph, schuf eine Geschichtsphilosophie die auf einer “Theorie der leidensvollen Ethnogenese” beruhte. Es handelt sich dabei um eine Melange aus kulturellem Rassismus, besonders Anti-Semitismus und von genozidalen Kriegen zwischen “ethnischen Systemen”, die als organische Ganzheiten beschrieben sind. Das “Superethnos” und die “ethnische Schimäre”, die sich an den Kontaktpunkten zwischen verschiedenen “Superethnien” bilden, sind typische Kategorien dieser Theorie. Die demokratischen Teile der russischen Wissenschafts-Community unterziehen diese Theorie einer schonungslosen Kritik, aber dennoch machte sie eine schwindelerregende Karriere in vielen Universitäten und in der russischen Gesellschaft. Sie besitzt viele Anhänger in rechtsextremen Kreisen. Siehe M. Laruelle, “Lew Gumilew Nikolajewitsch (1912-1992): Biologismus und Eurasianismus im Russischen Denken” / “Lev Gumilev Nikolaevic (1912-1992): biologism and Eurasianism in Russian thought”, in: Journal of Slavic Studies, Volume 72, Issue 1-2, 2000.)

[6] Während der Russischen Revolution von 1917 führte General Lawr Kornilow den militärischen Angriff auf St. Petersburg im gleichen Jahr an, der erfolglos versuchte, die wachsende Macht der Arbeiterräte und revolutionären Organisationen zu zerstören. Er fuhr damit fort, konterrevolutionäre “weisse” Armeen aufzustellen. Admiral Alexandr Koltschak führte die “weisse” Regierung in Sibiren bis zu ihrer Niederlage 1920 an.