Die Ukraine und die Misere der Linken Der gekommene Aufstand

Politik

Der Traum davon, dass eine empörte Bevölkerung die Regierung zum Teufel jagen kann, ist der Traum fast aller radikalen Linken.

Ein vermummtes Pärchen auf dem Euromaidan in Kiew, November 2013.
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Ein vermummtes Pärchen auf dem Euromaidan in Kiew, November 2013. Foto: Mstyslav Chernov (CC BY-SA 3.0 unported - cropped)

19. Mai 2014
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Dieser Traum ist in der Ukraine in Erfüllung gegangen, wie es im Buche steht - mit Selbstorganisation, Basisentscheidungen, Solidarität und so weiter. Es gibt nur einen Haken: die Revolution wurde von der falschen Seite gemacht.

Die Verschwörungstheorien à la "junge Welt" sollten niemanden täuschen. Welche Geheimdienste auch bei solchen Ereignissen mitwirken - sie können niemals so einfach eine Massenbewegung aus dem Boden stampfen, sie können diese lediglich unterstützen. Es ist wirklich so, wie es aussieht. Es ist eine Revolution - eine zutiefst antilinke Revolution.

Die Empörung über unübersehbares Verwachsen von privaten Geschäftsinteressen und Regierungspolitik unter Janukowytsch führte zum Widerstand, aber keineswegs zu Hinterfragen von Staat und Marktwirtschaft. Ganz im Gegenteil - die Ziele der zweiten "orangenen Revolution" sind diametral allem Linken entgegengesetzt. Mehr Nationalismus, gereinigt von jeglichem positiven Bezug auf die sowjetische Vergangenheit, Zollvertrag mit EU, IWF-Sparprogramm,

NATO-Annäherung - so sieht die Agenda der neuen Regierung aus. Gründe dem Alten nachzuweinen gibt es allerdings nicht. Der von westlichen Medien hartnäckig als "pro-russisch" titulierte Präsident Wiktor Janukowytsch hat sich lediglich die Frechheit erlaubt, zwischen dem Angebot Russlands und dem der EU für den Beitritt zu der jeweiligen Zollunion abzuwägen. Das reichte schon, damit seine gewaltsame Entfernung aus dem Amt von Politik und Medien des "freien Westens" tatkräftig unterstützt und bejubelt wird.

Auf einmal galten für die Ukraine die Regeln jeden noch so demokratischen Staates nicht mehr, wonach BürgerInnen alles kritisieren dürfen, aber nichts durch Handlung verhindern, was ihre gewählten RepräsentantInnen beschlossen haben. Als die Protestierenden die Ministerien besetzten und der Moment kam, wo in jeder freiheitlich-demokratischen Ordnung ein Truppeneinsatz im Inneren oder gar Notstandsgesetze fällig wären, da hat sich herausgestellt, dass die Autoren von "Der kommendene Aufstand" zumindest in einem Punkt recht hatten. "Die Armee in den Strassen ist eine aufständische Situation. Die Armee im Einsatz ist das sich beschleunigende Ende." (1)

Ausnahmezustand ist das letzte Mittel eines jeden Staates, zu dem man nur greifen kann, wenn der Gewaltapparat loyal bleibt. Genau an dem Punkt konnte es für Präsident Janukowytsch keine Zuversicht geben. Alles deutete darauf hin, dass der ganze Gewaltapparat genauso gespalten war, wie das Land selbst. Ein Einsatzbefehl würde auf einen Bürgerkrieg hinauslaufen.

Die grundsätzliche Spaltung der Bevölkerung führt auch alle Appelle an wirklich faire Wahlen ad absurdum. Denn demokratische Wahlen setzten voraus, dass die Verlierer bereit sind, die Ergebnisse zu akzeptieren. Und genau das ist in der Ukraine nicht gegeben.

Die neue Regierung aus Liberalen und sich radikaldemokratisch gebenden Faschisten hat dasselbe Problem, wie die alte. Sie kann sich nicht auf die Streitkräfte verlassen und das machen sich ihre Feinde von Innen und Aussen zu Nutzen. Als die in die Ostukraine zur "antiterroristischen Operation" gesandten Soldaten sich weigerten auf die "Separatisten" zu schiessen, wirkte derselbe Mechanismus, wie davor, bloss diesmal gegen neue Machthaber. Nicht militärische Siege der Opposition stützen Regime, sondern die Weigerung des Gewaltapparates das Regime zu verteidigen. Jetzt sieht die Übergangsregierung in allen Protesten "die lange Hand aus Moskau", so wie davor die Medien von Putin und Janukowytsch Maidanproteste nur durch Machenschaften von CIA und Konsorten erklären konnten.

Die Linken in Russland und Ukraine haben in ihrer Hilflosigkeit meist doch noch irgendwie das kleinere Übel gesucht. Anarchisten, die ihre Leben auf der Seite der Maidan-Opposition gelassen haben, und die durch linke Medien geisternden MLer von "Borotba", die im Osten "antifaschistischen Widerstand" zusammen mit russischen Rechten organisieren, sind traurige Ergebnisse dieser Suche. Auch im Hinterland der interessierten Grossmächte sieht es nicht besser aus. In Russland lassen sich viele Linke auf die "antifaschistische" Rhetorik der Regierung ein - dass die oppositionelle Nationalbolschewistische Partei eilig Burgfrieden geschlossen hat und ihre Mitglieder als Freiwillige auf die Krim geschickt hat, scheint nicht aufzufallen. In Deutschland trommeln Grüne zur Verteidigung der zarten Pflanze der ukrainischen Demokratie mit aller Wucht der NATO und Aufrufe von "euromaidanberlin" (2) geistern durch linke Verteiler.

Ja, Maidan war für viele Linke sympathisch. Weil Linke im Allgemeinen und AnarchistInnen im Besonderen jede Auflehnung gegen staatliche Macht anziehend finden und nach den Inhalten nicht unbedingt fragen. "Protest ist gut - weil er ist ja von unten". Aber aus Maidan lässt sich viel lernen.

Die rechte "Swoboda"-Partei und später der "Rechte Sektor" hat das vorgemacht, wovon linke Organisationen immer nur träumen. Die haben mit basisdemokratischer Begründung jeden Kompromiss mit der Janukowytsch-Regierung torpediert, vollendete Tatsachen geschaffen, gemässigte Fraktionen vor sich her getrieben. Mit basisdemokratischen Argumenten haben sie verhindert, dass im Namen der Protestierenden Politiker reden, haben auf Abstimmungen gepocht.

Die Jagd nach den Polizeiprovokateuren wurde nicht nur von rechten Schlägertrupps geführt, sondern es bildeten sich - ähnlich, wie während des "arabischen Frühlings" - Einwohnermilizen, die ihre Stadtteile von Provokateuren, aber auch von Plünderern (Polizei war nicht mehr präsent) schützten. Ja, Selbstermächtigung der Bevölkerung und Selbstorganisation sind mächtige Mittel - aber das muss nicht mit Anarchie oder überhaupt mit etwas Linkem zu tun haben.

Die EinwohnerInnen, die ohne Polizei für Ordnung sorgen, wollen irgendwann zurück zu ihrer Arbeit - rund um die Uhr patrouillieren soll wieder die Polizei. Die Aufständischen wollten die Regierung stürzen und eine neue einsetzen. Die neue Regierung verspricht nicht viel mehr, als die Bereitschaft "nötige, aber lange verschobene" Reformen in Angriff zu nehmen. Dass dies konkret bedeutet, dass für viele Ukrainer eine beheizte Wohnung im Winter unerschwinglich wird, das sagen inzwischen selbst die Maidan-Fans in westlichen Redaktionen offen. Die Oligarchen des Ostens, die man vor dem Machtwechsel als das Böse in Person darstellte, werden jetzt von der neuen Regierung offiziell in die politischen Ämter gehievt.

Sehnlichster Wunsch dieser angeblich ach so "prorussischen" Herren ist die Bewahrung der ukrainischen Souveränität und Einheit. Oligarchen sind sie schliesslich geworden, indem sie eben den unabhängigen Staat für die Vermehrung ihres Kapitals benutzten. Der Anschluss der Ostukraine an Russland wäre nicht in ihrem Interesse. Es sind Politiker von Janukowytschs "Partei der Regionen" und berüchtigte Oligarchen, die bei Protesten im Osten auf die territoriale Integrität der Ukraine pochen.

Die Theorien darüber, dass hinter jeder grösseren Bewegung Geheimdienste und fremde Mächte stecken, versagt dann, wenn die Bewegungen sich offensichtlich verselbstständigen. "Rechter Sektor" weigert sich die erbeuteten Waffen abzugeben, "Separatisten" im Osten weigern sich Vereinbarungen zwischen Russland und dem Westen als für sich bindend zu akzeptieren.

Solch "verselbständigte Faktoren" werden sowohl der EU, als auch Russland noch Sorgen bereiten, aber auch den versprengten Linken, die sich gegen "revolutionären" und "konterrevolutionären" Nationalismus wehren müssen.

Währenddessen rollt über die Ukraine eine Welle von Entlassungen im staatlichen Sektor und auf der in die Russische Föderation wiederaufgenommene Krim streiken vergeblich die Fahrer der Oberleitungsbusse, die seit drei Monaten keinen Lohn mehr bekommen. Die "Unabhängige Gewerkschaft der Bergleute von Donbass" fordert die Regierung zum härteren Durchgreifen gegen die "Separatisten".

Die eigentlichen Härten stehen noch bevor - wenn die Ukraine vom Staatsbankrott gerettet werden muss.

Alexander Amethystow
Artikel aus: Graswurzelrevolution Nr. 389, Mai 2014, www.graswurzel.net

Fussnoten:

(1) Unsichtbares Komitee. Der kommende Aufstand, Edition Nautilus, Hamburg 2011. S. 87.

(2) http://euromaidanberlin.wordpress.com