Über das Scheitern der NATO als globalem Akteur des Westens Es knirscht im Gebälk

Politik

9. Mai 2018

Weltweit militärische Aufmärsche, irrwitzige Aufrüstung, Festungsbau, grössenwahnsinnige Autokraten sowie rücksichtslose Machtkämpfe und Krieg.

NATO-Treffen in Brüssel. April 2018.
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NATO-Treffen in Brüssel. April 2018. Foto: usd (PD)

9. Mai 2018
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Eine Ahnung, dass da was im Gange ist, beschleicht uns. Die EU beginnt mit dem Aufbau einer eigenständigen Militärstruktur, Trump setzt auf eine offensive Konfrontation mit dem Regime in Teheran, der saudische Kronprinz entdeckt seine Grossmachtambitionen und lässt bomben, wo er nur bomben lassen kann.

In Irak und Syrien mischen alle mit, kämpfen Bundesgenossen gegeneinander. Zerschlägt sich jede Hoffnung auf einen Zustand, den man Frieden nennen könnte? Stehen wir vor einer Ära entgrenzter globaler Kriege?

Die Entwicklung der NATO könnte Anhaltspunkte für eine Einschätzung bieten. Wir wollen schlaglichtartig aktuelle Entwicklungen beleuchten und versuchen, diese politisch einzuordnen. Es ist ja viel in den Medien darüber geschrieben worden, was das trump'sche Meinungskarussel für die NATO bedeutet. Zumindest dies halten wir für sicher: Widersprüche werden offen und die allgemeine Lage wird instabil bis dynamisch katastrophisch.

Der NATO-Gipfel im Mai hat deutlich gemacht, wie gross die strategischen Differenzen der beteiligten Staaten mittlerweile sind. Und sie lassen sich nicht mehr, wie in den letzten Jahren, durch das Behaupten gemeinsamer „Werte“ übertünchen. Unter Donald Trump ticken die Uhren anders. So wurden Ende Mai nur alte Aufrüstungsversprechen aufgefrischt und eine allgemeine Verpflichtungserklärung der NATO zum Kampf gegen Daesch (IS) abgegeben, damit mehr Awacs-Überwachungsflugzeuge der NATO eingesetzt werden können. Das ist nicht viel.

Übrig bleibt trotz politischer Differenzen über den Umgang mit Russland das gemeinsame Interesse an der militärischen Einkreisung der Russischen Föderation.

In der EU wird mittlerweile sehr offen über die Stärkung eigener militärische Strukturen geredet, die sich unabhängig von den Launen und Interessen der USA machen sollen. In rasantem Tempo werden europäische Militärstrukturen aufgebaut. Die EU hat im Mai die Schaffung eines eigenen militärischen Hauptquartiers beschlossen (obwohl die NATO gerade ein zusätzliches europäisches Hauptquartier wegen der angeblichen russischen Bedrohung beschloss). Nur wegen britischen Drängens wurde ihm keine strategische Planungskompetenz zugestanden. Aber diese Einschränkung ist durch den Brexit obsolet geworden. Zudem wird aktuell ein europäisches militärisches Beschaffungswesen aufgebaut. Mitte November wurde auch der Startschuss für die langfristige militärisch-strategische Planungszusammenarbeit in der EU gegeben. Was offiziell nicht in Konkurrenz zur NATO stehen soll, ist wahrscheinlich ein erster Schritt zur Loslösung von ihr. Zumindest ein erster Schritt, um unabhängiger von den Strukturen der USA zu werden, denen man in Europa politisch nicht mehr so recht traut – nur auf ihre militärischen Fähigkeiten will und kann man vorerst nicht verzichten.

Wo die NATO in Europa bisher das militärische Feld bespielte, muss sie nun mit der EU als eigenständigem Akteur kooperieren.

Die letzte Gesamtstrategie veröffentlichte die NATO auf ihrem Gipfel 2010. Ein Jahr nach den militanten Auseinandersetzungen in Strassburg. Seit dem wurde der sogenannte Arabische Frühling zwischen Diktatur und Bürgerkrieg ins Elend gerissen, in der Ukraine grummelt seit Jahren ein Stellvertreterkrieg, in Syrien und dem Irak treiben die Schlächter des islamistischen Kalifats und die Schergen Assads ihr Unwesen, die Briten verlassen die EU, in der Türkei schwingt sich Präsident Erdogan zum Alleinherrscher auf, in den USA regiert ein egomanischer Milliardär mit ultranationalistischen Weltuntergangspropheten im Umfeld und in Afghanistan geht der längste Krieg der Geschichte des NATO-Mitglieds USA ins 16. Jahr.

Ziehen die NATO-Staaten angesichts dieser Entwicklungen an einem Strang?

Wohin steuert das grösste Militärbündnis der Welt? Wir denken, es schlingert. Aber wir sehen leider wenig Grund für antimilitaristischen Optimismus. Im Gegenteil.

Aufrüstung der NATO gegen Russland

Seit den Auseinandersetzungen mit Russland um die Vorherrschaft in der Ukraine stehen die nach 1990 aus der Mode gekommenen Zahlenspiele der konventionellen Kriegsführung wieder auf der Tagesordnung. „Wenn Russland X aktive Soldaten im westlichen Grenzgebiet stationiert hat braucht die NATO Y entsprechende Einheiten und Verbände in ihrem Osten“. Es werden also wieder Panzer gezählt - weil ein Krieg dieser Form nicht mehr undenkbar scheint!

So beschlossen die NATO-Staaten bei ihrem Gipfel 2014 in Wales eine massive Aufrüstung der Ostflanke zwischen Baltikum und Ungarn. Seit dem wurden schnelle Einsatzgruppen und Panzerverbände zusammengestellt und Kampfverbände aus den westlichen NATO-Staaten in Länder verlegt, die eine Grenze zu Russland haben.

Die militärische Umzingelung der Russischen Föderation ist zwar schon länger im Gange, erlebt aber durch den jetzigen Truppenaufmarsch eine neue Dimension. Auch den Krieg in der Ukraine sehen wir als Ergebnis dieser Einkreisungspolitik der NATO-Staaten (dass Russland ebenso offensiv seine Interessen durchzusetzen weiss, bezweifeln wir nicht).

Obwohl sich in der Phase der Absetzung von Janukovich die US-Administration und das deutsche Aussenministerium in ihren Bemühungen, ihren jeweiligen Kandidaten als neuen ukrainischen Präsidenten aufzubauen, beharkten, wurden in der aufziehenden Konfrontation in der Ostukraine, mit Russland als gemeinsamem Feindbild, die Reihen in kürzester Zeit geschlossen.

Noch einigt das Schliessen der Reihen gegen Russland die NATO-Staaten. Nur die Position der türkischen Regierung ist wechselhaft. Eben noch verfeindet wegen des Abschusses eines russischen Kampfjets durch die türkische Armee, liegen sich Putin und Erdogan wieder in den Armen und beschwören ihre Freundschaft.

Ein tatsächlich gemeinsames Verhalten aller NATO-Staaten gegenüber Russland gibt es also nicht. Vielleicht ist die Aufrüstungsoffensive gegen Russland das letzte In-Stellung-Bringen der alten Gemeinsamkeiten. Dann würden diese als Fundament nicht mehr lange tragen.

Unübersehbar ist: Auch das alte „Wertekonstrukt“ des Westens trägt nicht mehr, die Interessenunterschiede und die unterschiedlichen Strategien der NATO-Staaten in Bezug auf die weltweiten Konflikte werden überall sichtbar.

Nicht zuletzt durch Merkels Äusserungen über die Unzuverlässigkeit der USA und die Bedeutung eigenständigen (auch militärischen) Handelns durch die EU-Staaten.

Widersprüche und Einflusssphären abseits der russischen Grenze

Abseits der Konfrontation in der direkten Grenzzone zwischen NATO und Russland fallen die Interessen der einzelnen NATO-Staaten teils weit auseinander.

Das von Obama und Clinton ausgerufene pazifische Zeitalter der USA sah eine Aufteilung der globalen Ausrichtung der NATO vor, in der sich die USA primär auf die Auseinandersetzungen im Pazifik und dort im Besonderen mit China konzentrieren und der EU bzw. den europäischen NATO-Staaten schrittweise die Federführung in Europa und dem Mittelmeerraum übergeben.

Diese globale NATO sehen wir (zum Glück) nicht mehr als handlungsfähigen Akteur.

Die aktuelle Konfrontation der USA mit Nordkorea und die auch militärischen Drohgebärden gegen China stellen keinen völligen Widerspruch zu den Strategien der letzten US-Administrationen dar. Die jetzige setzt nur verstärkt auf die kriegerische Drohung und weniger auf Handelsabkommen, um amerikanische Interessen durchzusetzen. Die Pläne zur Aufrüstung der US-Truppen in Afghanistan, dem Irak und Syrien stehen dagegen nicht nur im Widerspruch zu Trumps Wahlversprechen, sondern auch zur Strategie der Vorgängerregierung und zu der der meisten NATO-Staaten.

USA-China

Während die EU-Mitglieder unter den NATO-Staaten hauptsächlich gen Russland und Nordafrika blicken, fokussiert sich die US-Führung seit Clinton militärpolitisch auf China und den pazifischen Raum. Unter Obama wurde eine doppelte Strategie zur Durchsetzung us-amerikanischer Interessen gefahren. Auf der ökonomischen Ebene wurde versucht, den Grossteil der Pazifikstaaten in einem Freihandelsabkommen gegen China zusammenzuschweissen. Auf der militärischen Seite wurde stark aufgerüstet und die militärische Präsenz im Südchinesischen Meer erhöht. Trump schmiss das Handelsabkommen mit Amtsantritt in die Tonne und setzt fast ausschliesslich auf die Drohung mit der militärische Konfrontation. So will die us-amerikanische Administration zusammen mit Japan und Südkorea verhindern, dass China sein Einflussgebiet weiter nach Süd-Westen ausweitet und seinen wirtschaftlichen Grossmachtambitionen eine militärische Absicherung hinzufügt.

Auch die ständigen amerikanischen Drohgebärden gegen Nordkorea dürften vor alle eine Machtdemonstration gegenüber China sein, das in einem Dilemma steckt. Schliesslich hat die KP-China auch kein Interesse an Nordkoreanischen Atomraketen. Wird ein Krieg, vielleicht ein Atomkrieg, dadurch wahrscheinlicher? Wir denken ja. Nicht dass eine der beteiligten Regierungen einen Atomkrieg will – aber hochgerüstete geopolitische Machtkämpfe, die von egomanischen Autokraten angeführt werden, können schnell eine eigene Eskalationsdynamik bekommen. Das gilt erst recht angesichts der massiven Aufrüstung in China, Russland, Indien, Pakistan, Südkorea und den USA. Und die USA drohen immer mal wieder mit einem militärischen Alleingang gegen das nordkoreanische Regime.

(Es scheint offensichtlich, dass dieses niemals auf die Idee käme, die USA anzugreifen. Alle Behauptungen in diese Richtungen sind Propaganda. Nordkoreas Atomprogramm stellt eine Versicherung gegen einen US-Angriff dar.) Niemand sollte daran zweifeln, dass die Trump-Regierung kriegswillig ist. Trumps Freund und ehemaliger Chef-Stratege Brannon schwärmte vor wenigen Jahren noch von der Notwendigkeit eines grossen reinigenden Krieges im Pazifik, der die Vorherrschaft der arischen Rasse wieder herstellen solle. Er prognostizierte ihn in 5 bis 10 Jahren.

Wir halten sogar ein Szenario für möglich, in dem die chinesische Führung einen Angriff der USA auf Nordkorea zulässt. Nämlich wenn hunderttausende Tote der akzeptierte Preis für einen strategischen Machtzuwachs und die völlige Diskreditierung der amerikanischen pazifischen Ansprüche sein würden. Die USA würden keine strategischen Partner mehr finden, wenn sie Südkorea in einen zerstörerischen Krieg verwickelten. China würde seinen auf dem diesjährigen Parteitag formulierten globalen Führungsanspruch geltend machen und die USA ausbooten.

Was machen die NATO-Staaten der EU? Sie setzen in Asien vor allem auf Handelsabkommen, um ihre Interessen durchzusetzen. Die Befürwortung einer militärischen Konfrontation mit China scheint zur Zeit ausgeschlossen. Ein us-amerikanischer Angriff auf Nordkorea würde jedoch Reaktionen und also einen NATO-Bündnisfall auslösen können. Ein solches Szenario könnte die NATO vor eine Zerreissprobe stellen.

Die Rolle der Türkei

Die Türkei gehört zu keinem der beiden grossen Blöcke in der NATO und ist trotzdem ein wichtiger Player im Militärbündnis. Sie hat als geostrategisches Bollwerk Richtung Südosten schon immer eine Sonderrolle.

Wir sind uns aber nicht sicher, ob die Türkei mittelfristig Teil der NATO bleiben wird. Auch in NATO-Papieren wird die Bündnistreue der Türkei in Frage gestellt. Zu offen bändelt Erdogan mit Putin an. So hat das türkische Militär russische Luftabwehrsysteme gekauft und keine amerikanischen. Die Syrienpolitik bestimmt die Türkei aktuell zusammen mit Russland und dem Iran – nicht mit den USA oder den europäischen Staaten.

Aufgrund einer eigenständigen Beziehung zu Russland beteiligt sich die Türkei nicht aktiv an den Truppenkontingenten der NATO-Ostflanke. Beim grossen NATO-Manöver 2017, bei dem ein gleichzeitiger Krieg mit Russland, dem IS und inneren Aufständischen geübt wurde, wurde (aus Versehen?) ein „russischer“ Cyberkrieger mit dem Namen Erdogan ausgestattet, worauf der empörte echte türkische Krieger im November die Mitgliedschaft in der NATO offen in Frage stellte.

Auch hält sich die These, dass während des Putschversuchs 2016 diejenigen türkischen Militärs, die im Rahmen der NATO ausgebildet und eingesetzt wurden auf den Verhaftungslisten landeten, um die durch die NATO zu stark beeinflussten Teile im Militär zu schwächen und damit einerseits die Macht der AKP im Militär zu stärken und andererseits der Option auf eine neue Verbindung zu Russland starke Gegenspieler zu nehmen.

Nicht ohne Grund haben im Mai 2017 die ersten türkischen NATO-Militärs und ihre Familien in Deutschland politisches Asyl bekommen.

Syrien

Die Uneinigkeit der NATO insgesamt und die Sonderrolle der Türkei im Speziellen zeigen sich auf dem Kriegsschauplatz in Syrien am deutlichsten. Während alle sich offiziell auf einen Krieg gegen den IS als kleinsten gemeinsamen Nenner einigen konnten - formal ist die NATO seit dem Gipfeltreffen in Brüssel (Mai 2017) auch als Bündnis dabei - sehen die jeweiligen Handlungen sehr unterschiedlich aus und widersprechen sich teils elementar.

Die USA führen eine Militärallianz unter Beteiligung von Grossbritannien und Frankreich an, die v.a. mit Luftschlägen, aber auch mit Spezialeinheiten am Boden gegen den IS vorgeht. Komponenten der NATO werden allerdings u.a. wegen Vorbehalten aus Deutschland „nur“ zur Aufklärung (AWACS und Tornados) eingesetzt.

Die BRD setzt v.a. auf Ausrüstung und Ausbildung der Truppen der kurdischen Autonomieregierung im Nordirak (Peschmerga), auch um dem Vorwurf des Nichts-Tuns zu entgehen. Damit agiert sie im Widerspruch zum türkischen Interesse, keine autonome kurdische Region im Nordirak zuzulassen. Dieses Begehren hat der irakische Staat in Zusammenarbeit mit der Türkei und dem Iran ja bereits diesen Herbst kriegerisch gestoppt. Der NATO-Staat Türkei zusammen mit dem Iran? Ja, auch wenn offiziell die irakische Armee Teile der autonomen kurdischen Provinz eroberten. Hohe Offiziere der iranischen Revolutionsgarden trafen sich zuvor mit türkischen Armeevertretern - was wiederum die saudische Diktatorenclique erzürnte, mit denen das NATO-Land USA aufs Engste verbündet ist.

Die USA setzen in Nordsyrien zudem auf die kurdischen Selbstverteidigungseinheiten YPG und YPJ und gehen damit auf direkten Konfrontationskurs mit der Türkei, die mittlerweile auch mit Bodentruppen und Luftangriffen in Syrien versucht, ein Zusammenwachsen der kurdischen Autonomiegebiete an ihrer Südgrenze zu verhindern - auch zu Gunsten islamistischer Kräfte.

Im Kampf um die IS-Hochburg Raqqa gab es heftigen Streit zwischen der Türkei und den USA, weil Trump Waffenlieferungen an die YPG durchgesetzt hat. Und nur durch hektische diplomatische Aushandlungen konnte verhindert werden, dass YPG-Einheiten mit Unterstützung von US-Spezialkräften rund um den Euphrat in eine direkte militärische Konfrontation mit türkischen Truppen kamen. Die YPG wurde zum Rückzug gezwungen. Wie bereits häufig in der Geschichte liessen Verbündete, in diesem Fall die USA, die Kurden dann doch lieber fallen, oder bremsten ihre vorherigen Kampfgefährt_innen zumindest massiv aus, um den NATO-Partner Türkei nicht vollends zu vergraulen.

So kommt es in Syrien nicht nur zu einer Konfrontation diverser NATO-Staaten mit Russland und dem Iran. Auch innerhalb der NATO treten massive Spannungen auf, die eine gemeinsame Syrienstrategie mehr als unwahrscheinlich erscheinen lassen.

Die Unterstützung unterschiedlicher Kriegsparteien und die verschiedenen strategischen Ansätze innerhalb der EU-Staaten führen zu Spannungen innerhalb der NATO. Die politischen Reibungen lassen kein gemeinsames militärisches Handeln zu.

Mittelmeer und Nordafrika – EU versus NATO

Die EU hat neben den ehemaligen Sowjetstaaten an der westlichen Russischen Peripherie auch das Mittelmeer und seine Anrainerstaaten (Mittelmeerunion) in der sogenannten Nachbarschaftspolitik hochoffiziell und formal zu ihrer politischen, wirtschaftlichen und militärischen Einflusszone erklärt; das Mittelmeer ist seit 9/11 unter unmittelbarer militärischer Kontrolle durch NATO und EU.

Über die offen definierten Einflussbereiche hinaus ist die EU bzw. einzelne EU-Staaten auch in der gesamten nördlichen Hälfte des afrikanischen Kontinents aktiv. So ist die Sahelregion bereits seit längerem mit Militärinterventionen Frankreichs und der EU konfrontiert.

In Mali versuchen sich die EU-Militärs, vor Ort unter Führung Frankreichs, neu zu sortieren. Der Einsatz soll aber nicht nur Weichen für diesen konkreten Konflikt stellen, sondern auch ausdrücklich als Testfeld für Militärkooperationen innerhalb der EU dienen.

Aber auch in Mali treten massive Widersprüche zwischen den Alliierten auf. Frankreich setzt auf andere kämpfende Verbündete vor Ort als die UN-Mission, an der sich Deutschland massiv beteiligt.

Nach dem Einflusszonenregime der EU gehört auch Syrien formal zu deren Einflussgebiet. Die Mitgliedschaft in der Mittelmeerunion wurde aber seit dem beginnenden Bürgerkrieg ausgesetzt. Dass die NATO-Staaten in Syrien nicht an einem Strang ziehen, haben wir oben schon gesehen. Hinzu kommt, dass auch die von den USA formulierten Interessen im nördlichen Afrika denen Frankreichs teils entgegenlaufen.

Zu welchen Wettrennen um die besten Plätze es bei den kolonialen Kontrollversuchen in Afrika kommt, zeigt sich in Djibuti. Dort gelingt keine Aufteilung imperialer Interessengebiete durch die militärisch Verbündeten. In dem kleinen Staat an der Meerenge zwischen Rotem Meer und Golf von Aden, von wo aus eine gewisse Kontrolle über der südöstlichen Zugang zum Mittelmeer ausgeübt werden kann, unterhalten sowohl die USA, als auch Grossbritannien, Frankreich und Italien, neben Japan und China, je eigenständige Militärbasen um ihren jeweiligen Machtanspruch abzusichern.

Verhältnis zum Iran

Die USA setzen auf eine offensive Konfrontation mit dem Regime in Teheran. Saudi-Arabien, neben Israel die grösste regionale Gegenmacht Irans, rüstet mit Hilfe der USA massiv auf. Unverhohlen wird nahezu wöchentlich mit Krieg gedroht. Die verbündeten Emirate isolieren Katar, weil es Beziehungen zum Iran unterhält. Im Jemen wird ein Stellvertreterkrieg geführt, der hunderttausende mit dem Tode bedroht. Die USA unterstützen und forcieren diese Entwicklung.

Die EU-Staaten hingegen sehen ihre Hoffnungen auf regen Handel mit dem Iran gefährdet. Nach dem Ende der Sanktionen investieren v.a. Frankreich und Deutschland viel Mühe in die neuen Absatzmärkte. Eine militärische Konfrontation stünde gegen das Interesse der NATO-EU-Staaten.

NATO nicht gesamtstrategiefähig

Aus der Beschreibung der Situation in Syrien, aber auch aus den anderen Beispielen erscheint uns klar, dass ausser im Bezug auf die unmittelbare Grenze der NATO zu Russland in keiner Region und keinem Kriegsgebiet mit einer einheitlichen Gesamtstrategie agiert wird. Eine konsistente und detaillierte Globalstrategie der NATO scheint daher aktuell undenkbar.

Bereits während des Kalten Krieges gab es durchaus heftige Auseinandersetzungen und Interessenkonflikte innerhalb der NATO, die u.a. zum zeitweisen Rückzug Frankreichs aus der militärischen Komponenten des Bündnisses führten.

Die aktuellen Widersprüche scheinen allerdings das Potenzial zu haben, weit drüber hinaus zu wachsen.

Die Regierungen Trump und Erdogan zum Beispiel, wollen sich nicht mehr auf die seit Jahrzehnten erprobten kleinteiligen Aushandlungsprozesse innerhalb des Apparates einlassen, sondern stellen den Anspruch, von oben zu führen. Damit erhöhen sie die Wahrscheinlichkeit für politische Konfrontationen innerhalb der NATO.

Die NATO gerät dadurch leider noch nicht Gefahr. Ernsthafte Zerfallsprozesse haben noch nicht begonnen. Die internen Spannungen nehmen aber zu.

Versuche der verstärkten militärischen Zusammenarbeit innerhalb der EU, bis hin zu einer gemeinsamen EU-Armee, die v.a. von Deutschland, Frankreich und dem EU-Apparat in Brüssel vorangetrieben werden, wurden bis jetzt von Grossbritannien ausgebremst.

Aber auch nach dem Brexit-Referendum setzen viele östlichen EU-Staaten (Polen, Ungarn, Lettland, Litauen, Estland ) eher weiter auf die USA und die NATO als „Schutzmacht“ gegenüber Russland und stehen damit einer eigenständigen Militärmacht EU mit eigenem Hauptquartier in Brüssel und gemeinsamen Militärkomponenten skeptisch gegenüber, während Frankreich und Deutschland, (sowie die BeNeLux Staaten, Italien und Spanien) voll darauf setzen.

Zur Zeit sind die EU-Staaten nicht in der Lage eine militärische Alternative zur NATO herzustellen, obwohl die jüngst von 25 der 28 EU-Staaten beschlossene strategische militärische Planungszusammenarbeit einen eindeutigen Schritt in diese Richtung darstellt. Das wird von deutsche Kriegsministerium auch so gewertet.

Schritt für Schritt zu neuen globalen Kriegen?

Wir wollen den Teufel nicht an die Wand malen. Aber…

Den Versuch der USA, zum globalen militärischen Hegemon zu werden, kann man als gescheitert ansehen, auch wenn das US-Militär technologisch anderen Jahrzehnte voraus sein mag. Die Kriegseinsätze in Libyen, Afghanistan, Irak und Syrien zeigen, dass es nicht allmächtig ist. Andererseits halten wir die Kriegsdrohungen gegen Iran und Nordkorea nicht für eine Show. Insgesamt rüsten die USA deren Gegner zur Zeit für Billionen (!) Dollar mit neuem Kriegsgerät aus.

In dem konfrontativen Verhältnis zu Russland ist keine Entspannung in Sicht. Im Gegenteil. Militärische Optionen scheinen wieder gedacht zu werden (der Chef des deutschen Bundesnachrichtendienstes (Auslandsgeheimdienst) drängte im November, die militärischen Fähigkeiten gegen Russland müssten ausgebaut werden).

Russland, Saudi-Arabien, Iran, China, Indien und Pakistan entwickeln offen Grossmachtsambitionen, rüsten extrem auf und modernisieren ihre Armeen.

Diese massive Aufrüstung, protektionistische, völkischnationalistische Regierungen und Bewegungen in einigen EU-Staaten und den USA, unklare Machtverhältnisse, sowie die globale Tendenz zur patriarchalen Autokratie lassen globale kriegerische Auseinandersetzungen wahrscheinlicher werden. Dies mit Verweis auf die wirtschaftlichen Verflechtungen von der Hand zu weisen, erscheint uns ahistorisch. Einzig in der Situation der bipolaren Blockkonfrontation des 20. Jahrhunderts hat sich die militärische Hochrüstung Stellvertreterkriege geleistet, ohne dass die Protagonisten sich direkt angriffen. Nun gibt es aber viele Machtzentren und manch angeschlagenen Hegemon. Das erhöht das Risiko militärischer Eigendynamiken.

Ebenso die Ideologisierung der US-Politik durch die rassistische, stramm rechte Regierung. Wenn diese, ob mit oder ohne Trump, an der Macht bleibt, wird es in den kommenden Jahren zu globalisierten Kriegen kommen. „America first“ wurde als Parole des Protektionismus missverstanden. In Wirklichkeit entpuppt sie sich als Schlachtruf eines aggressiven, militaristischen Grössenwahns.

Zumindest erwähnen müssen wir noch die Folgen des Klimawandels. Wir (und sicher auch alle Regierungen) gehen davon aus, dass dieser nicht zu stoppen ist und zu grossen Fluchtbewegungen, Hunger- und Durstkrisen, ökologischer Zerstörung, globalen ökonomischen Brüchen, militarisierten Verhältnissen und Kriegen führen wird. Angesichts der globalen Aufrüstung kann nur ein Narr oder eine Närrin schöne Aussichten erwarten.

Zu alledem spielen sich in den westlichen Ländern historische Kämpfe zwischen alten und neuen Eliten ab. Die aufstrebenden, smart neoliberalen Eliten, die in der EU vielleicht jetzt durch Macron repräsentiert werden, stehen den alten, die durch die völkisch-nationalistischen Bewegungen wieder stark werden und für die Orban, Kaczyński und Le Pen stehen, gegenüber. Trump zählen wir auch zu dieser Richtung.

Das wird zu Zerfallsprozessen in den politischen und militärischen Organisationen des Westens führen, wenn eine Seite nicht in der Lage ist, sich durchzusetzen.

In Deutschland forderte die SPD bereits einen Bruch mit der US-Regierung, weil die „westlichen Werte“ von Trump verraten worden seien. Es knirscht im Gebälk.

Aber nützt diese Entwicklung emanzipatorischen oder revolutionären Bestrebungen? Es sieht leider nicht danach aus. Dabei könnten nur wirklich revolutionäre Bewegungen dieser globalen Militarisierungsdynamik etwas entgegensetzen. Ein rein antimilitaristischer Kampf, der die herrschenden Verhältnisse unangetastet liesse, müsste vergebens bleiben, denn seine Protagonist_innen würden verkennen, dass das Militärische nicht nur fest in die westlich-demokratische Herrschaft eingeschrieben ist, sondern geradezu eine Renaissance erlebt.

Die Krise des „Westens“, der bis dato als ideologischer Kit diente, ist trotz des Erstarkens reaktionärer Kräfte eine Voraussetzung zur Unterminierung der Verhältnisse. Jede Krise des Bestehenden ist immer eine Chance für Veränderungen. Also suchen und entdecken wir schleunigst die Möglichkeiten. Sonst werden die militaristischen Kräfte, egal ob neoliberal oder völkisch-reaktionär, leichtes Spiel haben. Es wäre ein Grauen.

denktank ag