Gentrifizierung und Stadtentwicklung Stadtaufwertung in Zürich

Politik

2. November 2017

In Zürich wird seit längerem eine Stadtentwicklung vorangetrieben, die als Stadtaufwertung bezeichnet wird. Doch wir wissen, dass damit eine Aufwertung gemeint ist, die man sich erst mal leisten können muss.

Neben dem Hauptbahnhof von Zürich entstand ein komplett neuer Stadtteil. Die Europaalle. In diesem Stadtteil sind 400 Wohnungen, 6000 Arbeitsplätze, 1800 Studienplätze, Gastronomie-, Einzelhandels- und Freizeitangebote entstanden.
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Neben dem Hauptbahnhof von Zürich entstand ein komplett neuer Stadtteil. Die Europaalle. In diesem Stadtteil sind 400 Wohnungen, 6000 Arbeitsplätze, 1800 Studienplätze, Gastronomie-, Einzelhandels- und Freizeitangebote entstanden. Foto: M M (CC BY-SA 2.0 cropped - contrast)

2. November 2017
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Wir gehen auf die Strasse, weil wir die verschiedenen Gesichter der Stadtaufwertung in Zürich demaskieren und anprangern wollen. Zeigen wir am 18. November, dass wir viele sind und dass wir diese Entwicklungen nicht hinnehmen werden. Wir gehen auf die Strasse, weil wir die verschiedenen Gesichter der Stadtaufwertung in Zürich demaskieren und anprangern wollen. Damit meinen wir:
  • Die Verkehrsberuhigung an der Weststrasse hat das Gesicht des Quartiers radikal verändert. Viele, die jahrzehntelang die Abgase der Autokolonnen ertragen mussten, können sich die Mieten im Quartier heute nicht mehr leisten. Die Strasse wird zur Gourmetmeile für die neuzugezogenen Yuppies, die Asyl-Beratungsstelle muss weichen.
  • Die Europaallee als Ausläufer des Kreis 1 an die Langstrasse ist der Abschluss eines versuchten Umbruchs im Quartier, welcher mit dem Projekt “Langstrasse Plus” von Josef Estermann und Rolf Vieli eingeleitet wurde. Die Stadtpolizei schmeisst das unerwünschte Klientel raus, rein dürfen diejenigen, die sich eine 3-Zimmer-Wohnung für mehr als 5'000 CHF monatlich leisten können.
  • Wo früher die Perla-Mode ein Ort alternativer Kultur war, steht heute das neue Hiltl an der Langstrasse. Dieses versucht krampfhaft, der Kritik gegenüber der Eröffnung gewitzt entgegenzutreten. Sie scheitern damit und zeigen mit ihren arroganten und sexistischen Sprüchen gegenüber Sexarbeiter_innen, dass sie von der Langstrasse nichts verstanden haben.
  • Die geplante SBB-Überbaung an der Neugasse ist ein weiterer Schritt der Bundesbahnen, um sich als Player im Immobilienmarkt zu etablieren. Sie gaukeln eine Partizipation der Anwohner_innen vor, doch wir wissen, dass ihre Interessen unseren Bedürfnissen entgegenstehen.
Es gibt sicher ganz viel, was diese Beispiele unterscheidet – aber es gibt noch viel mehr, was diese Fälle verbindet. Immer geht es darum, dass eine Stadtentwicklung vorangetrieben wird, die als Stadtaufwertung bezeichnet wird. Doch wir wissen, dass damit eine Aufwertung gemeint ist, die man sich erst mal leisten können muss. Für diejenigen, die sich diese Aufwertung nicht leisten können, bedeutet diese Art der Stadtentwicklung letztlich eine Vertreibung aus dem Quartier. Eine Vertreibung, die in der Regel auch eine Verschlechterung ihrer Lebensumstände bedeutet.

Wir wollen an der Demonstration auf diese Entwicklungen aufmerksam machen. Wir wollen diejenigen, die hinter solchen Projekten stehen, demaskieren und anprangern. In dem Sinne ist es eine Demonstration von unten, es ist eine Demonstration von denjenigen, die von dieser Stadtaufwertung von oben angegriffen werden. Zeigen wir am 18. November, dass wir viele sind und dass wir diese Entwicklungen nicht hinnehmen werden.

Aufwertung in Wiedikon

Der Kreis 3 und insbesondere das Sihlfeld war bis vor einigen Jahren ein proletarisches Quartier mit Familienwohnungen und Wohnungen für Menschen, welche über ein geringes Einkommen verfügten.

Die ersten Anzeichen der Aufwertung waren im Quartier um den Idaplatz zu bemerken. Dies war sicher eine bewusste Planung im Wissen, dass die Weststrasse um 2010 verkehrsberuhig werden würde und somit auch die Immobilien und Wohnungen teurer vermietet oder verkauft werden konnten.

Ziemlich schnell wurde also der Idaplatz saniert und neu geplant. Die ansässigen Gastronomie-Betriebe, die Apotheke und der Bioladen mussten weg oder wechselten die Betreiber. Vermietet wurden die Lokale nun nicht mehr an die alteingesessenen Kneipenbetreiber, die preiswerte Mittagsmenu anboten. Vor kurzem fanden in Folge der Aufwertung auch Gastronomieketten wie das Lilys Einzug im Quartier.

Da der Idaplatz zunehmend Attraktivität ausstrahlte, wurde weiter aufgewertet. Die Besitzer haben Wohnungen saniert und viel teurer vermietet. Renoviert wurde teilweise nur von aussen, meistens wurden die Wohnungen aber verkleinert und teurer vermietet. Menschen mit geringem Einkommen oder grössere Familien fanden so keinen Platz mehr in diesem ehemaligen Arbeiterquartier und wurden in günstigere Randsiedlungen der Stadt verdrängt.

Die Realitäten zwischen den wenig Verdienenden und viel Verdienenden prallen nun gegeneinander. Diese Veränderungen bekam schlussendlich auch die ansässige Anlaufstelle für Flüchtlinge zu spüren. Da sich die neu zugezogene Bevölkerung angeblich an den Warteschlangen der Flüchtlinge störte, musste die Anlaufstelle ebenfalls wegziehen. Dass nun ein paar Meter weiter im Frühling die Gelateria di Berna aufging, wo die Leute für ein Glacé rund 45 Minuten anstehen müssen, dagegen stört sich dann plötzlich niemand mehr.

Wir wollen keine Aufwertung im Sinne der Profitmaximierung! Wir wollen bezahlbare Wohnungen, welche sich Familien, Alleinerziehende, AHV- und IV- RenterInnen und Studierende leisten können!

Überbauung Neugasse

Die SBB möchte mehrere Grundstücke entlang der Zürcher Bahnhofsgleise umnutzen. Eines davon soll die Überbauung Neugasse werden. Wo jetzt noch Werkshallen und ein Wohnhaus stehen, sollen mehrere Blöcke für Wohnungen und Gewerbe gebaut werden. Die SBB rühmt sich, der Quartierbevölkerung und anderen Interessierten die Möglichkeit zu geben, bei der Planung der Überbauung mitzureden. Sie nutzt diese „Partizipation“, um einerseits kritische Stimmen bei den AnwohnerInnen für konkrete Gestaltungsvorschläge einzuspannen und ihnen dadurch die Möglichkeit zu nehmen, die „Rahmenbedingungen“ des SBB-Projekts in Frage zu stellen. Dagegen regt sich richtigerweise Widerstand, z.B. seitens der NachbarInnen, die 100% gemeinnützige Wohnungen an der Neugasse fordern.

Die SBB hat das Projekt Neugasse zusammen mit zwei Projektentwürfen zu weiteren Arealen präsentiert. Diese liegen auf der anderen Seite der Hardbrücke, Wohnungen sind dort kein Thema. Stattdessen sollen innovative Unternehmen und Startups neue Technologien für die kapitalistische Verwertung markttauglich machen. Neben diesen Projekten, ist das Doppelgespann SBB/Stadt Zürich verantwortlich für weitere Schweinereien, wie die Europaallee, das Polizeizentrum (PJZ) und die entstehenden und schon erbauten Glastürme bei den Bahnhöfen Altstetten und Oerlikon. Diese Bauten schaffen den Ausgangspunkt für weitere Investitionen und Aufwertung in den Quartieren – das bedeutet für viele EinwohnerInnen die Vertreibung.

Die Forderung nach 100% gemeinnützig an der Neugasse ist natürlich richtig. Noch wichtiger ist es allerdings, auch zentralen Aufwerungstreibkräften wie der SBB oder der Stadt Zürich mit der nötigen politischen Entschlossenheit entgegenzutreten. Lasst uns die 100% gemeinnützig an der Neugasse erkämpfen! Wir müssen jedoch genauso die Umgestaltung von Lebensraum nach Kapitalinteressen und AkteurInnen wie die SBB oder die Stadt Zürich bekämpfen. Lassen wir uns nicht für faule Kompromisse einspannen. Keine Scheinpartizipation, egal ob bei den Workshops der SBB oder in der Politik!

wir-bleiben-alle.ch