Das 8. März-Frauen*bündnis im Gespräch «Das Patriarchat ist genausowenig reformierbar wie der Kapitalismus»

Politik

Seit rund dreissig Jahren organisiert das Frauen*bündnis die Demonstration zum internationalen Frauen*kampftag am 8. März in Zürich.

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Foto: Bewegte Geschichte – einige Plakate des Zürcher Frauen*bündnisses.

8. März 2018
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Wir haben mit drei Vertreterinnen über die diesjährige Demonstration, die Aktualität des Frauen*kampfes und den Stand der feministischen Bewegung gesprochen. Und warum Männer* an der Demo nicht erwünscht sind.

Die Parolen der diesjährigen Demonstration lauten «Frauen* erkämpfen Freiheit» und «Frauen* gegen rechte Hetze». Was meint ihr damit konkret?

Klara-Rosa: Es ist eine zweiteilige Parole mit einem zweiteiligen Plakat. «Frauen* gegen reche Hetze» soll aufzeigen, wie es schon über Jahre hinweg in Europa aber auch weltweit, verstärkte Angriffe auf Frauenrechte gibt.

Flavia: Die Angriffe von rechts haben einen geschlechtsspezifischen Charakter. Die Rechtsentwicklung stellt für die Frauen eine besondere Prekarisierung dar. Und da wollen wir aufzeigen, dass wir dieser Entwicklung als Frauen* etwas entgegensetzen müssen.

Klara-Rosa: Beispiele sind die Prozesse um den §218 bezüglich Abtreibungen in Deutschland oder die Wahl von Trump, der ebenfalls Regelungen gegen Abtreibungen erlassen hat. Oft werden die USA und Polen genannt als Beispiele für antifeministische Angriffe. Aber auch in der Schweiz greifen etwa SVP oder FDP ständig Frauenrechte an. Und schliesslich auch die SP, etwa mit ihrer Unterstützung der AHV-Reform, welche eine Erhöhung des Frauenrentenalter vorsah. Es ist also eine Sammelparole gegen die vielen Angriffe auf uns Frauen*.

Der andere Teil der Parole ist «Frauen* erkämpfen Freiheit».

Flavia: Das ist eine Anlehnung an die Parole «Jin Jiyan Azadî" aus der kurdischen Frauenbewegung. Das bedeutet «Frauen Leben Freiheit». Damit wollen wir nicht nur einen solidarischen Bezug zum Selbstverwaltungsprojekt in Rojava herstellen, sondern auch eine Perspektive aufzeigen. Mit der Anti-Haltung alleine ist es ja noch nicht getan.

Tulipana: Ich hoffe dass sich die Frauen* inspirieren lassen von den Kämpfen in Rojava. Weil dort ein Projekt angegriffen wird, in dem Frauen* eine zentrale Rolle spielen.

Letztes Jahr erlebte Zürich einen «feministischen Frühling». Rund um den 8. März gab es gleich drei Demos. Zum Women's March kamen 15'000 Menschen und auch die Frauen*demo war mit 1500 Teilnehmerinnen die Grösste seit Langem. Wird der Frühling dieses Jahr weitergehen?

Tulipana: Es gab immer Zeiten in denen viele Frauen* auf die Strasse gingen, manchmal konnten wir es gar nicht an etwas Bestimmtem festmachen. Wir haben alles schon erlebt. Von ein paar hundert bis ein paar tausend. Es ist immer schwer abzuschätzen.

Klara-Rosa: Ich bin zwar weniger lange dabei als du, Tulipana:, aber doch auch schon einige Jahre. Und da kann ich sagen, dass jedes Jahr mehr Frauen* am 8. März teilgenommen haben. Letztes Jahr gab es eine grosse Empörung und auch einen medialen Hype wegen der Wahl Trumps. Daraus ist der Women's March entstanden. Davon will ich mich gar nicht abgrenzen. Es ist gut, wenn Frauen* sich austauschen und organisieren. Unsere Demo hat diese Empörung aber nicht so sehr betroffen. Für viele Frauen* steht die 8. März-Demo einfach fix im Kalender, ganz egal, ob da drüben jetzt so ein Vollhorst gewählt wird oder nicht.

Flavia: Ich würde auch davor warnen, eine Bewegung aufgrund ihrer Teilnehmer*innenzahl einzuschätzen. Diese kann durch ganz viele äusserlichen Faktoren beeinflusst sein, wie das Wetter, die Repression oder individuelle Gründe.

Tulipana: In letzter Zeit nehme ich wahr, dass Frauen* aus dem linken Umfeld oder Frauen* die den Karrierefeminismus ablehnen, vermehrt das Bedürfnis haben sich zu sammeln, sich zu organisieren. Es wird wieder vermehrt diskutiert, Frauen* sehen, dass dieses System, in dem wir leben, immer kränker wird und wollen dem etwas entgegensetzen. Das ist fast wichtiger als 500 Frauen* mehr an der Demo.

Dennoch gab es eine Popularisierung auf gesamtgesellschaftlicher Ebene: Feminismus ist wieder in und wird breit diskutiert. Seit Monaten läuft die sogenannte #MeToo-Debatte auf allen Kanälen und sogar in der Europaallee – im Herzen des neoliberalen Zürichs – werden «Feministische Salons» veranstaltet. Wie beurteilt ihr diese Entwicklung?

Flavia: Eine Popularisierung des Frauen*kampfes ist das nicht unbedingt. Aber Feminismus wurde zu einem populären Schlagwort, das stimmt. Dies ist einerseits positiv zu bewerten, da dadurch die gesellschaftliche Grundstimmung offener ist. Andererseits kann es den Feminismus auch degradieren, da er vor allem im Kommerz angelegt ist.

Klara-Rosa: Ein Women's March und ein «feministischer Salon» im Kosmos sind sicher nicht das selbe. Das Kosmos wird von zwei Typen geführt, die damit Geld machen. Ausserdem ist es Teil der Europaallee, welche unmittelbar einkommensschwache Bewohner*innen und Sexarbeiter*innen aus dem Quartier verdrängt.

Ein grosser Teil dieses Feminismus – etwa die #MeToo-Debatte – ist aber durchaus politischer und nicht kommerzieller oder popkultureller Natur.

Flavia: Ich sehe das für uns als einen politischen Raum, der sich auftut und in dem wir intervenieren können. Das ist grundsätzlich positiv. Ich will mich nicht abgrenzen, sondern unsere Analysen dort reintragen und unsere politischen Grundsätze – den Kampf gegen Kapitalismus und Patriarchat – deutlich machen. Stetige Abgrenzung und Angriffe hätten einen unsolidarischen Charakter und würden nichts bringen. Aber wir müssen vor allem realistisch bleiben. Bloss weil der Begriff Feminismus jetzt populär ist, heisst das nicht, dass morgen eine radikale Frauen*bewegung entsteht, die den Kapitalismus stürzt.

Tulipana: Es kann ein erster Schritt sein, der viele Frauen anspricht, die sich sonst nie in einer feministischen Struktur aufhalten würden. Andererseits kann es auch sein, dass man sich schnell zufrieden gibt. Als radikale Feministin gehe ich davon aus, dass das Patriarchat genauso wenig reformierbar ist wie der Kapitalismus. Dies ist auch eine Grundlage des Frauen*bündnisses. Wir formulieren eine radikale Kritik und uns ist bewusst, dass beides – Patriarchat und Kapitalismus – bekämpft und abgeschafft werden müssen.

Besteht die Gefahr, dass Feminismus so an Radikalität verliert?

Klara-Rosa: Wenn sich Frauen* ihrer Unterdrückung bewusst werden, ist das der Beginn eines Prozesses. Es bringt keiner Bewegung was, sich als die Gescheiten zu inszenieren und alle anderen zu belächeln.

Tulipana: Wir sollten uns auch einfach den Begriff nicht nehmen lassen. Feminist*innen wurden schon immer mit der Behauptung angegriffen, es sei eh alles bürgerlich. Logisch gibt es bürgerlichen Feminismus. Die Sache ist einfach die, dass wir mit unserem Feminismus so präsent sein müssen, dass es für die anderen ein Problem wird, sich Feminist*innen zu nennen.

Seit ungefähr dreissig Jahren Jahren findet die 8. März-Demo in Zürich ohne Beteiligung von Männern* statt. Was sind die Gründe dafür?

Tulipana: Einen Tag im Jahr machen wir Frauen* eine Demo für uns Frauen*, ohne Männer*. Dabei ist es nicht schon von vorherein klar, wer welche Aufgaben und Funktionen übernimmt, wie oft bei anderen Demos. Dementsprechend herrscht eine ganz andere Stimmung an einer Frauen*demo.

Klara-Rosa: Es ist ein starkes Moment von Empowerment. Eine so grosse, unbewilligte Demo bedeutet viel Arbeit und wir Frauen* sind gezwungen alles selbst zu machen. Das reicht von der Sitzungorganisation über die Aufgaben, die an der Demo anfallen bis hin zur Produktion der 8. März-Ausgabe des vorwärts. Wir lernen sehr viel als Frauen*gruppe, aber auch als Einzelpersonen. Viele Funktionen die ich nun gut an gemischten Demos übernehmen kann, habe ich zuerst an Frauen*demos gemacht, weil hier die Hemmschwelle niedriger ist. Wir können Aufgaben gemeinsam erlernen und das geht für Frauen* unter Frauen* oft einfacher als in gemischten Gruppen.

Wie hat sich die Praxis der Frauenorganisierung verändert?

Tulipana: Seit den 1970er-Jahren gab es eigentlich immer Frauen*, die sich autonom organisierten – oft aufgrund der Erfahrungen, die sie in gemischten Gruppen und Bewegungen machten. Selbst unter bewussten Menschen zeigen sich sexistische Muster. Etwa bezüglich Redezeiten, Unterbrechungen und Wiederholungen bei Diskussionen. Es gab damals auch viele Frauen*räume – Frauen*bars, Frauen*discos, das Frauenzentrum. An solche Orte kannst du als Frau* hingehen, ohne der verinnerlichten Haltung oder Spannung die sich durch das Verhalten auf Geschlechterebenen ergibt. Heute gibt es nur noch ganz wenige Orte, die nur für Frauen* sind. Beim ersten Feministischen Wochenende 2015 nahmen viele Frauen* teil, die zum ersten Mal in einem Frauen*raum waren und sich wunderten, wie angenehm das war. Diese «separatistische Tendenz» wurde dabei immer angefeindet. Für mich hat es aber nichts mit Separatismus zu tun. Das ist ein Ort, an dem man sich Kraft holen kann, die man dann in anderen Bündnissen wieder einbringen kann.

Mittlerweile seid ihr damit – abgesehen von Wien und Berlin – in Europa eine Ausnahmeerscheinung. Die meisten Demos zum 8. März sind gender-gemischt. Ist die Zürcher Frauen*demo ein Relikt aus der Vergangenheit oder ein Modell für die Zukunft?

Klara-Rosa: Es kommt auch auf die Perspektive an. Natürlich wünsche ich mir für die Zukunft eine Gesellschaft, in der das Geschlecht egal ist und das Individuum geschützt wird und sein kann wer auch immer es sein will. Aber zur Zeit ist es einfach nicht so. Es gibt eine Trennung entlang der Geschlechter und wir Frauen* erleben Unterdrückung tagtäglich. Die Analyse ist in dem Sinne kein Relikt, sie ist viel mehr zukunftsweisend und sagt: wir Frauen* nehmen uns den Raum. Das provoziert und muss auch geschützt werden. Ich würde mir darum schon wünschen, dass es mehr Frauen*demos gibt.

Tulipana: Im Übrigen sind Frauen*demos weltweit verbreitet. In der Türkei und in Kurdistan sowieso gibt es Frauen*demos. Als in der Türkei letztes Jahr der 8. März verboten wurde, sind über zehntausend Frauen* auf die Strasse gegangen. Auch in Lateinamerika gibt es Frauendemos. Sehr bekannt ist die Kampagne ni una menos*, auch diese wird von Frauen* getragen.

Innerhalb der Bewegung ist das Nicht-Erwünschtsein von Männern* ein Dauerthema. Wie sind die Reaktionen vom Strassenrand?

Tulipana: Frauen*demos provozieren enorm. Sie werden auch viel öfters angegriffen. Dass einzelne Männer* in eine gemischte Demo reingehen, um zu prügeln, kommt eigentlich sehr selten vor.

Klara-Rosa: Die Typen stehen am Rand und zeigen den Mittelfinger und obszöne Gesten.

Flavia: Es passiert was Ähnliches wie bei #MeToo: Wenn Frauen* sich erheben, fühlt sich Männer* automatisch bedroht. Es ist doch absurd, wie schnell aufbegehrende Frauen* überall mit Aggressionen konfrontiert werden.

Die Raumpolitik der Frauen*demo wird von queerfeministischer Seite kritisiert. So wird zu einem «FLTIQ+-Block» aufgerufen, der sich als „Kontrast zur üblichen Frauen*demo“ sieht. Was hat es damit auf sich?

Flavia: Warum sie das als Kontrast sehen, müsst ihr die Verfasser*innen dieses Aufrufs fragen. Ich denke nicht, dass der Block einen Kontrast bildet. Sie haben einfach einen anderen Fokus, der auch seine Berechtigung hat. Im Endeffekt geht es um zwei verschiedene Raumpolitiken. Wir wollen an der Kategorie Frau* festhalten und damit an der Analyse, dass Patriarchat und Kapitalismus miteinander verschränkt sind. Frauen* sind in dieser Gesellschaft eben einer spezifischen Unterdrückung ausgesetzt, die nicht durch Identitätspolitik bekämpft werden kann. Durch die Integration des Blockes ist aber eine andere Raumpolitik gewährleistet.

Gehts also weniger darum wer mitlaufen darf, sondern wie das begründet wird?

Flavia: Der Begriff der weiblichen Identitäten ist für uns zentral. Wenn sich eine Person als Mann* fühlt, fordern wir sie auf, der Demo solidarisch fernzubleiben. Was nicht heisst, dass wir nicht solidarisch sind mit ihnen in der Unterdrückung, welcher sie ausgesetzt sind. So gab es z.B. an der Pride Aktionen, die wir auch unterstützt haben.

Klara-Rosa: Der 8. März hingegen ist der einzige Tag, an dem wir als Frauen* gemeinsam auf die Strasse gehen und da erwarten wir auch Solidarität. An anderen Tagen sind wir auch solidarisch mit anderen Kämpfen.

Die Demonstration findet traditionellerweise unbewilligt statt. Warum?

Tulipana: Wir fragen einen patriarchalen Staat nicht um eine Bewilligung. So einfach ist das.

Und es funktioniert?

Klara-Rosa: Es funktioniert wunderbar.

Flavia: Es ist aber spannend wie der Repressionsapparat im Vorfeld in einem scheinbar vorauseilenden Gehorsam die Verkehrsbullen aufstellt. Es ist somit schon eine speziell arrangierte, befriedete Situation.

Tulipana: Wir beziehen uns auch auf eine Art Gewohnheitsrecht. Trotzdem gab es aber immer wieder Versuche uns zu stoppen. Wir wollen und können uns aber nicht auf dieser scheinbaren Befriedung ausruhen. Wir versuchen Politik auch über sie hinaus zu betreiben. So gibt es immer wieder polizeiliche Angriffe. Zivile Greiftrupps streunen herum und nehmen auch mal Teilnehmer*innen während und nach der Demo fest. Letztes Jahr wurde am 8. März sogar eine Frauen*-Demonstration eingekesselt und alle Festgenommenen erhielten Bussen. Das war ein Novum. Und das – man kann es nicht oft genug betonen – unter einem AL-Polizeichef.

Klara-Rosa: Die 8. März-Demo ist eine spezielle Demo. Sie läuft die attraktivste Route des ganzen Jahres in Zürich ab. Sie ist wohl auch eine der durchmischtesten Demos. Es hat einen militanten Block, einen kurdischem Block aber oft auch viele Frauen* mit Kindern, was für eine unbewilligte Demo doch sehr ungewöhnlich ist. An dieser Stelle möchten wir alle Frauen* nochmals herzlich an die Demo einladen!

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