Durchsetzungsinitiative und NEIN-Kampagne Volksbereinigung mit oder ohne „Härtefallklausel“

Politik

Die Formel der Ausschaffungsinitiative, die ebenso Grundlage der Durchsetzungsinitiative war, lautet: „kriminell + ausländisch = volksfeindlich“. Was hat eine Geschwindigkeitsüberschreitung oder ein Diebstahl mit der Herkunft oder dem Pass der Täter_innen zu tun?!

Ergebnis der Eidgenössischen Volksinitiative «Zur Durchsetzung der Ausschaffung krimineller Ausländer (Durchsetzungsinitiative)» vom 28. Februar 2016 nach Kantonen.
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Ergebnis der Eidgenössischen Volksinitiative «Zur Durchsetzung der Ausschaffung krimineller Ausländer (Durchsetzungsinitiative)» vom 28. Februar 2016 nach Kantonen. Foto: Furfur (CC BY-SA 4.0)

9. März 2016
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Eigentlich gar nichts! Wenn Leute kriminell werden, dann hat das was mit Geld, Gewalt, Ehe, Glücksanspruch u.a. Unangenehmen zu tun, das man in dieser Gesellschaft so vorfindet, aber nichts mit der ausländischen Herkunft der Menschen!

Wer aber „kriminell + ausländisch“ zusammenbringt, der stellt sich sowieso schon die rassistische Frage, was das für Menschenwesen oder für Charaktertypen sind, die kriminell werden. Da wird auch ein_e Schweizer Ladendieb_in als Unmensch beschimpft, in dem soviel „kriminelle Energie“ „steckt“. So werden nicht nur die Kriminellen totalitär verurteilt, sondern auch noch die (gesellschaftlichen) Zwänge, die zur kriminellen Tat anhalten, total entschuldigt.

Wenn jetzt auch noch Ausländer_innen kriminell werden, dann ist für den fremdenfeindlichen Menschenkenner alles klar: Die „ticken“ sowieso fremdländisch also eh schon nicht wie „wir“. Wenn die auch noch kriminell werden, dann ist das kein Wunder – bei den Nicht-Schweizern! Nur für fremdenfeindliche Patrioten wird so der Zusammenhang zwischen „kriminell und ausländisch“ irgendwie schlüssig. Nur daraus folgt überhaupt erst die gemeine Idee, kriminelle Ausländer_innen nicht nur einzusperren sondern auch auszuschaffen.

Denn Ausländer_innen sind aus der Sicht der Patrioten Menschen, die gar nicht zum Schweizer Volk dazu gehören. Sie sind hier nur auf „Bewährung“. Bei den Patrioten stehen ausländische Mitmenschen immer unter dem Verdacht, dass sie in die schöne Schweizer Gemeinschaft eigentlich nicht passen. Kriminelle Ausländern_innen verstossen deswegen auch nicht bloss gegen „unsere gemeinsamen“ Regeln sondern machen sich gleich verdächtig, ob sie überhaupt den Willen aufbringen, sich 110% in unsere schöne Gemeinschaft zu integrieren. Unterstellt wird dabei, dass „unsere“ Gemeinschaft davon lebt, dass sich Alle mit Haut und Haaren und einem berechnungslosen Willen den Gemeinschaftsregeln unterwerfen. Das spricht eigentlich gegen diese Gemeinschaft. Überzeugte Staatsbürger wenden das aber gegen kriminelle Ausländer_innen, die sich anscheinend nicht optimal und ganz schweizerisch anpassen wollen – sonst wären sie ja nicht kriminell.

Also sind kriminelle Ausländer_innen nicht einfach armselige Gestalten, die sich wie alle anderen Kriminellen irgendwie durch das harte Leben schlagen und dabei vielleicht auch mal privat ausrasten. Aus der nationalistischen Optik sind kriminelle Ausländer_innen Volksfeinde! Und die gehören nicht bloss eingesperrt sondern ausgeschafft.

All das war schon bei der Ausschaffungsinitiative Thema. Die DSI wollte das bedingungslos anwenden. Im Abstimmungskampf hat dann die ganze Nation mit Wonne diskutiert und abgewogen, unter welchen Umständen die Schweizer Volksgemeinschaft bei kriminellen Ausländer_innen nicht nur die Straftat ahndet sondern gleich zur Ausschaffung schreitet. Ist ein krimineller Mensch ohne Schweizer Pass schon ein Volksschädling, wenn er nur einen Apfel klaut? Oder erst, wenn er mehrfach wo eingebrochen ist? Und ja, auch wenn es eigentlich ein auszuschaffender Volksschädling ist, sollte man im „Härtefall“ gewisse Rücksicht walten lassen?

Der NEIN-Kampagne gelang es da bei mit dem kleinen Unterschied 'Ausschaffung ja, aber mit Härtefallklausel' gross Stimmung zu machen. Danach sollte die „Härtefallklausel“ die menschliche Ausschaffung von der „unmenschlichen Ausschaffung“ unterscheiden.

Diskutiert wurde damit aber gar nicht die „Härte“ der Ausschaffung für die Ausländern_innen, sondern was viel Höheres: „unser“ Rechtsstaat und unsere „Zivilgesellschaft“ standen in Gefahr. Schon im Wahlkampf hat die SP gegen die DSI argumentiert: „Den Rechtsstaat mit Füssen treten?“ Das Thema war also gar nicht, ob Ausländer_innen von der Aussschaffungsjustiz getreten werden, sondern umgekehrt, ob der Rechtsstaat von der SVP getreten wird. Für viele Stimmbürger_innen war das aber kein misslungener Themenwechsel sondern das eigentlich wichtige Thema, das sie an die Urnen trieb. Im Resultat hat sich dann sogar die Mehrheit für eine Bereinigung des Volkes von kriminellen Ausländer_innen mit Härtefallklausel ausgesprochen, um den „menschlichen“ Rechtsstaat zu retten. Bravo.

Eine ganze Gegenbewegung, die eigentlich generell gegen Ausländerfeindlichkeit und Ausschaffung ist, hat sich mit ihren eigenen Vorstellungen konstruktiv in diesen widerlichen Diskurs eingebracht. Und einfach mal überhört, wie der geht. Nämlich: Wie gehen „wir“ mit Volksschädlingen um, die hier eigentlich nicht hingehören; nach welchen rechtsstaatlichen Kriterien werden kriminelle Ausländer_innen wieder aus dem Volkskörper entfernt?

Wenn man als Linke_r das Endergebnis und einen angeblichen Linksrutsch der Schweiz jetzt feiern kann, dann muss man von dem Inhalt der ganzen Auseinandersetzung mächtig absehen: „Der letzte Sonntag gab ein gutes Gefühl, auch wenn das Ergebnis hinter dem Ergebnis empört.“ (S. Boos, WOZ, 03.03.) Ja, denn die Schweiz ist gar nicht weniger ausländerfeindlich geworden: „Die Schweiz steht jetzt nicht plötzlich weniger rechts … Die Grundstimmung ist konservativ, die Zuwanderung von Arbeitskräften aus der EU und die vielen Flüchtlinge bleiben Angstthemen … auf diesem heissen Terrain kann die SVP bald wieder Volksabstimmungen gewinnen.“ (Bund, 29.02.) Und ausgeschafft wird noch genügend: „Auch nach dem Nein zur SVP-Initiative werden künftig mehr Ausländer ausgeschafft … über 80 Straftatbestände sollen für Ausländer neu zu einer obligatorischen Landesverweisung führen.“ (Bund)

Aber Susan Boos von der WOZ lässt sich ihre Freude nicht nehmen: „Trotzdem: Was bei dieser Abstimmung passiert ist, hätte längst passieren sollen – 2010 Ausschaffungsinitiative … Masseneinwanderungsinitiative … Da brauchen sich die Stimmabstinenten nicht zu wundern, wenn sie plötzlich in einem anderen Land aufwachen … Diesmal ist es gelungen, die Abstinenten wachzurütteln.“ (WOZ, 03.03.) Ist das Land jetzt ein „anderes“, wenn ein ausländerskeptisches Volk ein Volksbereinigungsgesetz mit Härtefallklausel beschliesst!? Durch das immer noch mehr ausgeschafft wird als vorher? Dieses Volk und sein Abstimmungsverhalten kann man nur feiern, wenn man von seiner ausländerfeindlichen „Grundstimmung“ absieht und nur noch sieht, dass überhaupt die SVP mal verloren hat.

Warum will man als Linke_r überhaupt dieses Land und dieses Volk gut finden, wenn es mal eine Härtefallklausel in seine Ausländerfeindlichkeit einbaut; wenn es mal gegen eine SVP-Initiative stimmt? Weil sich Viele auch von Links die Schweiz als Heimat wünschen, in der man sich wohlfühlen kann. So auch Andreas Fagetti von der WOZ: „Bürgerliche, Linke, Junge, Alte, Arbeiterinnen, Wirtschaftsbosse, Kirchenleute, Intellektuelle, Künstlerinnen, Studenten, Richterinnen, Staatsanwälte – und ja auch PolitikerInnen erhoben ihre Stimme und sagten 'Nein'! Sie alle einte die Verteidigung des kleinsten gemeinsamen Nenners, der dieses Land im Kern zusammenhält und nun von der SVP brutal angegriffen wurde: Rechtsstaat, Gewaltenteilung, Verhältnismässigkeit, Schutz der Minderheiten und des Individuums vor Mehrheitsterror und staatlicher Willkür. … Das ist eine ermutigende Botschaft dieses Abstimmungskampfes.“ (WOZ, 03.03.)

Auch A. Fagetti lebt eigentlich in einer Gesellschaft, die aus lauter Gegensätzen besteht („Arbeiterinnen und Wirtschaftsbosse“…) Deswegen muss diese Gemeinschaft durch viel Gewalt, Gewaltenteilung und Minderheitenschutz etc. „zusammengehalten“ werden. Das alles spricht aber für A. Fagetti gar nicht gegen diese Gemeinschaft. Ganz im Gegenteil: Er möchte die Schweiz als seine Heimat annehmen können, und dafür kommt ihm das gemeinsame „Nein!“ der Schweizer_innen gegen eine SVP-Initiative gerade recht. Das ist Nationalismus von Links: Er will sich mit der Schweiz versöhnen, und muss dafür von allem widerlichen absehen: Ausländerfeindlichkeit, wie sie auch im Abstimmungsergebnis zum tragen kam, gesellschaftliche Gegensätze und ihre gewaltmässige Regelung durch den Rechtsstaat usw.

P.S. Apropos „direkte Demokratie“:

Zu diesem „Aufstand der Anständigen“ (Operation Libero) sagt die Bundesrätin: „Danke vielmals“ (Sommaruga), denn die DSI hat gezeigt: „Das Vertrauen des Volkes in Richter und Parlament (ist) weit grösser, als die SVP behauptet.“ (Bund) Wenn sich das Volk so ein leichtherziges Grundvertrauen in die staatlichen Institutionen hat, dann lässt es sich auch noch für alles Mögliche einspannen, was die Politik in Zukunft vor hat. „Das Ziel muss es sein, diese Leute in der Politik zu halten“ (M. Leitner, FDP) Die neue Ausgangslage „… ist eine Chance. Es sind neue Leute mobilisiert und politisiert worden und viele neue Netzwerke entstanden.

Diese müssen die Parteien nutzen – ohne sich dabei selber zu schwächen.“ (Stöckli, SP) Für welches politische Vorhaben die Leute eingespannt werden sollen, ist bei diesen Politstrategen gar nicht die Frage. DASS man die Leute einspannen kann, darüber freuen sie sich. So geht ihr Polit-Geschäft: Sie machen die Politik und sagen an, was gerade wichtig für die Schweiz ist. Und das Volk folgt mit seinem unerschütterlichen Grundvertrauen in die Politik. Da können die Stimmbürger_innen auch mal eine Initiative ablehnen. Wichtig ist, dass sich das Volk von unten („ohne die Parteien zu schwächen“!) mit seiner Meinung und Wahlstimme „politisieren“ lässt. Allein dadurch bekennt sich das Volk dazu, dass seine Führer_innen das Sagen haben, und das Volk sich mit ein bisschen Meinungsmache und einem Wahlzettel von ihnen führen lässt. Auf der Basis können dann alle Parteien für ihre Politik Stimmung machen.

Wie wäre es denn mal mit ein bisschen mehr Initiative dafür: „Den Rechtsstaat mit Füssen treten!“ Aber das wäre den Volksfreunden von SP bis Operation Libero wahrscheinlich wieder viel zu viel politisches Engagement.

überzeit