Kriterienkatalog zu möglichen Koalitionsverhandlungen Die SPÖ und ihre Werte

Politik

Die österreichische Sozialdemokratie öffnet ihre Türen zur extrem rechten Freiheitlichen Partei (FPÖ) und sendet linke Signale an die eigene Basis.

Hauptsitz der SPÖ in Wien.
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Hauptsitz der SPÖ in Wien. Foto: Gryffindor (PD)

29. Juni 2017
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Nun wurde sie also ein weiteres Mal gestellt, die ewige Gretchenfrage der österreichischen Sozialdemokratie: wie hältst du's mit den Rechten? Jahrelang war die Antwort klar und wurde unter mehreren Parteichefs als unbestrittenes Identitätsmerkmal der SPÖ bestätigt. Zuletzt bekräftigte eine Parteitagsbeschluss im Jahr 2014 ein damals zehn Jahre altes Votum, wonach es mit der rechten FPÖ keine Koalitionen geben dürfe – „auf allen politischen Ebenen“, wie vor drei Jahren explizit festgehalten wurde. Einzelne Landesorganisationen störte so etwas Profanes wie ein Parteitagsbeschluss bereits bisher nicht, und so wurde munter mit der FPÖ koaliert. Jetzt ist aber ohnehin alles anders.

Mit einem in der vergangenen Woche vorgestellten „Kriterienkatalog“ will die SP-Spitze nun die reaktionäre FPÖ koalitionstauglich uminterpretieren. So verlangt die SPÖ von möglichen Partnern „eine uneingeschränkte Anerkennung der österreichischen Nation“ und schliesst Koalitionen mit Kräften aus, „die in irgendeiner Form (rechts-)extreme, faschistische oder anderweitig demokratiefeindliche Haltungen und Strömungen unterstützen“. Wie sich vor diesem Hintergrund künftige Koalitionsverhandlungen konkret gestalten werden, bleibt unklar. Wird es dann ausreichen, dass FP-Verhandler ein wohlklingendes Papier unterschreiben, um deren Mitgliedschaft in rechtsextremen deutschnationalen Burschenschaften oder die enge Zusammenarbeit von Teilen der FPÖ mit faschistischen Organisationen wie der „Identitären Bewegung“ zu neutralisieren? Ein weiteres Mal freundlich lügen, und alles ist gut?

Remembering „Präambel“

Der SPÖ-„Wertekompass“ erinnert an die „Präambel“, die im Februar 2000 den Weg zur Unterzeichnung eines Regierungsabkommens zwischen dem damaligen ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel und dem 2008 alkoholisiert verunfallten FPÖ-Chef Jörg Haider freigemacht hatte. Haider hatte als Obmann jener Partei, die sich in der Tradition einer NSDAP-Nachfolgeorganisation sieht, kein Problem damit, ein Papier zu unterschreiben, in dem er sich zu einem Österreich bekannte, „in dem Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Rassismus keinen Platz finden“. Haider wusste: Papier ist geduldig.

Es gibt weitere bemerkenswerte Überschneidungen zwischen der schwarz-blauen Präambel und dem aktuellen SPÖ-Kriterienkatalog: das Bekenntnis zur Sozialpartnerschaft oder zur EU etwa – letztere wird von der SPÖ als „weltweit einzigartiges Friedensprojekt“ beschrieben. Sogar für die Erhaltung sozialstaatlicher Errungenschaften sprach sich auch die rechtsbürgerliche Koalition vor 17 Jahren bereits aus. Was damals folgte, war ein bis dahin beispielloser neoliberaler Angriff auf den österreichischen Sozialstaat, auf Gewerkschaften und als „Privilegien“ verunglimpfte hart erkämpfte Rechte der arbeitenden Menschen. Auch dabei zeigte sich: Papier ist geduldig.

Soziale Signale

Am interessantesten sind jene Passagen in dem nun beschlossenen Kriterienpapier, die soziale Forderungen enthalten. Mit diesen versucht die SPÖ-Spitze, die linken Teile ihrer Basis und Anhängerschaft auf ihrem Kurs in rot-blaue Gewässer an Bord zu holen. Allen dürfte jedoch klar sein, dass derartige „Bedingungen“ bei allfälligen Koalitionsgesprächen rasch vergessen oder entschärft sind. Es handelt sich lediglich um Wahlkampfparolen – geschrieben auf geduldigem Papier. Ein Blick in die ausführlicheren programmatischen Äusserungen von SP-Chef Kern – allen voran dessen Anfang des Jahres präsentierter „Plan A für Österreich“ – zeigt, dass die wirtschaftspolitischen Vorstellungen von SPÖ, ÖVP und FPÖ gar nicht so weit auseinander liegen, wie dies von allen Beteiligten stets behauptet wird.

In dem Positionspapier sprach sich Kern für eine „Flexibilisierung“ der Arbeitszeit inklusive Verlängerung der Tagesarbeitszeit auf zwölf Stunden ebenso aus wie für die Senkung der „Lohnnebenkosten“, also der Sozialversicherungsbeiträge der Unternehmer. Weiter finden sich im „Plan A“ viele Ideen zur Förderung von Unternehmen, aber kaum solche für die konkrete Verbesserung der Lebensbedingungen der arbeitenden und arbeitslosen Menschen. Letztlich unterscheidet sich die SPÖ von ihren rechten und konservativen Konkurrenten vor allem dadurch, dass sie sich öfter als diese gegen Fremdenfeindlichkeit und Faschismus ausspricht. Ein sozialpolitisches Programm, das den Vormarsch autoritärer Politik aufhalten könnte, hat die österreichische Sozialdemokratie aber nicht auf Lager.

Karl Schmal / lcm