Die österreichische Präsidentschaftswahl, der Rechtspopulismus und Wahlen als taktisches Mittel Die 'Jahrhundertchance' verpatzt!

Politik

Ein "Öbama", wie er auf Fan-T-Shirts genannt wurde, ist Alexander van der Bellen sicherlich nicht. Kein personifizierter Aufbruch, kein linker Hoffnungsträger, eher schon "Unser Präsident der Mitte", wie sein Wahlkampfteam ihn betitelte. Dennoch ist die Freude bei den meisten Linken gross, und das zu Recht.

Wahl zum österreichischen Bundespräsidenten am 4. Dezember 2016. Norbert Hofer und Alexander Van der Bellen nach der Wahl im ORF-Studio in der Hofburg.
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Wahl zum österreichischen Bundespräsidenten am 4. Dezember 2016. Norbert Hofer und Alexander Van der Bellen nach der Wahl im ORF-Studio in der Hofburg. Foto: Ailura (CC BY-SA 3.0 AT cropped)

24. Januar 2017
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Van der Bellen, der ehemalige Parteichef der Grünen, gewann am 4. Dezember 2016 mit 53,3 Prozent der Stimmen die Stichwahl für das Amt des Staatspräsidenten. Bereits im Mai hatte er den zweiten Wahlgang knapp für sich entschieden (50,3 Prozent), wegen einer stattgegebenen Verfassungsklage musste die Stichwahl wiederholt werden. Geklagt hatte die Partei seines Widersachers Norbert Hofer, die rechtsnationalistische Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ). Dass Hofer nun noch deutlicher verloren hat, ist eine Genugtuung. Es verweist die RechtspopulistInnen in die Schranken. Auch wenn es entsetzlich ist, dass historisch einmalige 46,7 Prozent aller stimmberechtigten Menschen in Österreich für einen Kandidaten der Rechten stimmten.

Die Präsidentschaftswahl in Österreich war bedeutend. Das sahen auch die Rechten selbst so. Der deutschnationale Publizist und ehemalige Europaabgeordnete der FPÖ, Andreas Mölzer, beschrieb die Wahl wenige Tage vor dem Wahltermin als Teil einer "Jahrhundertchance". Mit einem Präsidenten aus ihren Reihen könne die "freiheitliche Gesinnungsgemeinschaft" ihrem Ziel, der "Rettung Österreichs", um einiges näher kommen, schrieb Mölzer in der von ihm selbst herausgegeben Wochenzeitung "Zur Zeit". Der FPÖ-Kandidat Norbert Hofer hätte als Präsident der Angelobung eines "freiheitlichen" Kanzlers wohl alles andere als im Wege gestanden.

Van der Bellen hingegen hat immer wieder betont, dass er als Präsident den FPÖ-Parteichef Heinz Christian Strache nicht zum Kanzler machen würde, selbst wenn die FPÖ die Wahlen zum österreichischen Parlament, dem Nationalrat, gewinnen würde. Und das ist nicht unwahrscheinlich. Die nächsten Nationalratswahlen finden spätestens im Herbst 2018 statt, vermutlich aber früher, und in den Meinungsumfragen schneidet die FPÖ seit Monaten konstant am besten ab. Im Oktober lag sie bei 34 Prozent der WählerInnenstimmen, deutlich vor der SPÖ (28%) und der konservativen ÖVP (18%).

Das exklusive und einheitliche "Volk" des Rechtspopulismus

Mölzer warnte allerdings, dass der potenzielle Einzug in die Hofburg, dem Sitz des Präsidenten, und eine mögliche Regierungsbeteiligung bereits die Höhepunkte der blauen Machtfülle sein könnten. Nicht zuletzt angesichts der Veränderungen der Bevölkerungsstruktur durch "Massenmigration" werde es in Zukunft schwieriger, Mehrheiten zu gewinnen. Mölzer riet daher dringlich, die gegenwärtigen Erfolge "zu nutzen und in politische Massnahmen umzusetzen".

Aber was will der "Rechtspopulismus" eigentlich umsetzen?

Vor allem den vermeintlichen Willen des "Volkes". Das "Volk" ist zunächst einmal der zentrale Bezugspunkt aller politischen AkteurInnen, ob parlamentarisch oder sozialbewegt.

In irgendeiner Weise zu repräsentieren, was das "Volk" will und/ oder denkt, ist die wichtigste Legitimation von Politik überhaupt. Dementsprechend wichtig ist das Volk, das "populus", auch im "Rechtpopulismus".

Allerdings vertreten "RechtspopulistInnen", anders als andere Parteien und Bewegungen, erstens ein sehr exklusives und zweitens ein sehr einheitliches Verständnis dessen, was das "Volk" ausmacht.

Die Einheit wird in der Regel ethnisch fundiert. Als "Partei der autochthonen Bevölkerung" beschreibt etwa auch Mölzer die FPÖ. Und wer dazu gehört, zum "populus", dem Volk, bestimmen die "Rechtspopulistinnen" und "Rechtspopulisten" ganz allein. Das ist ein typisches Zeichen von Populismus, glaubt man dem Politwissenschaftler Jan-Werner Müller. Er nennt es Antipluralismus. Mit "In Eurem Sinne entscheiden" plakatierte der Präsidentschaftskandidat der FPÖ im Wahlkampf. Der Rechtspopulismus strebt deshalb auch eine ökonomische Umverteilung an, nicht von oben nach unten, sondern von "ihnen" zu "uns".

Um die Exklusivität zu wahren, will der gemeine Rechtspopulismus die Grenzkontrollen verschärfen. Im FPÖ-Wahlprogramm von 2015 heisst es schlicht: "Stopp der Zuwanderung". Rechtspopulistische Parteien streben dafür auch eine Verschärfung des jeweiligen Staatsbürgerschaftsrechts an. Wie in Deutschland ist dieses in Österreich im Prinzip eines von Blut und Boden. Die Möglichkeit, sich einbürgern zu lassen, gibt es nach sechs Jahren ununterbrochenen Aufenthalts.

Die FPÖ hat im April 2014 einen Initiativantrag im Nationalrat gestellt, dieses Recht zu streichen. Die "normierte Bevorzugung von in Österreich geborenen Fremden" sei "sachlich nicht gerechtfertigt und gehört ersatzlos gestrichen", fordern die FPÖ-Abgeordneten Rosenkranz, Damann u.a.

Im Sinne von Einheit und Exklusivität geben rechtsnationalistische Bewegungen sich betont "antielistisch" (Müller), machen sich also gegen die Eliten, gegen "die da oben" oder das bestehende Regierungssystem stark, auch wenn sie, wie die FPÖ, seit Jahrzehnten Teil davon sind.

Die FPÖ war ab 2000 einige Jahre in der Bundesregierung, stellte in Kärnten mit Jörg Haider fast ein Jahrzehnt den Landeshauptmann (Ministerpräsidenten) und regiert derzeit in zwei Bundesländern mit (in Oberösterreich mit der ÖVP, im Burgendland mit der SPÖ). Norbert Hofer ist einer von drei Nationalratspräsidenten.

Nach der einheitlichen und exklusiven Volksvorstellung werden auch Körper- und Sprachpolitiken ausgerichtet: Der Rechtspopulismus vertritt ein patriarchales Familien- und Lebensmodell. Lesben und Schwule werden benachteiligt, es gibt dezidiert, wie es im FPÖ-Programm heisst, eine "Vorrangstellung der Ehe zwischen Mann und Frau". Antifeminismus ist ein wichtiges Charakteristikum des Rechtspopulismus. Zwar pocht man einerseits auf die Menschrechtskonvention, um gegen die Kleidungsnormen muslimischer Frauen zu agitieren. Andererseits sollen, wie die Literaturwissenschaftlerin Ruth Wodak in ihrer Studie "Politik mit der Angst" (2016) herausgestellt hat, "mithilfe traditionell christlicher Werte die Rechte von Frauen begrenzt [werden], etwa die Freiheit, abzutreiben oder unabhängig zu leben".

Nicht Vielfalt, sondern Einheitlichkeit wird angestrebt. Kulturell, sexuell, sprachlich. Es gelte "unsere Muttersprache als wichtigstes kulturstiftendes Element zu schützen." (FPÖ Programm) Dafür sollen auch Kinder auf dem Schulhof zum Deutschreden gezwungen werden.

"Deutsch als Pausensprache an allen burgenländischen Schulen" hatte die FPÖ-Landespartei auf ihrem Parteitag im April 2016 als Forderung beschlossen.

Auch auf die internationale Politik hat das rechtsnationalistische Volksverständnis Auswirkungen: Der Rechtspopulismus vertritt revisionistische Anliegen.

Die Bene-Dekrete, umgesetzt nach dem Zweiten Weltkrieg als Reaktion auf die nationalsozialistischen Verbrechen und Grundlage der Staatsgrenzen von Tschechien und der Slowakei, sollen (laut FPÖ-Programm) gestrichen werden. Im Mai 2016 hatte FPÖ-Chef Heinz Christian Strache sogar angedroht, Tirol "wieder zu vereinen" - Südtirol gehört seit Ende des Ersten Weltkrieges zu Italien.

Zielen die innen- wie aussenpolitischen Anliegen auf das staatspolitische System, geht es bei den körper- und sprachpolitischen Anliegen auch um eine Umgestaltung des Alltagslebens. Rechtsnationalisten denken nicht nur rechts, sie handeln auch so: "Schiessen ist ein schöner Sport" (Norbert Hofer).

Das Zusammenleben würde sich verändern, und das nicht zum Leichteren, würde die FPÖ die Staatsmacht ergreifen. Das gilt selbstverständlich auf besondere Weise für diejenigen, die einer ethnisierten oder sexuellen Minderheit angehören.

Sie werden sich noch stärkeren Benachteiligungen und Angriffen ausgesetzt sehen, die dann noch stärker, nämlich staatlich, legitimiert sind. Aber es gilt nicht nur für sie. Linke zivilgesellschaftliche Organisationen, von antirassistischen Initiativen bis hin zu Frauenhäusern, müssen mit drastischen Kürzungen ihrer staatlichen Fördergelder rechnen. Allerdings: Was heisst schon Macht ergreifen. Den RechtspopulistInnen wird die Staatsmacht schliesslich angedient, denn die Leute wählen ja die FPÖ: Mehr Männer zwar als Frauen, mehr Ungebildete als AkademikerInnen, mehr Leute vom Land als aus den Grossstädten, und doch Menschen aus allen Klassen und Milieus. Auch weil es diesmal keine Mehrheit gab, ist das österreichische Wahlergebnis so erfreulich und beruhigend.

Linke und anarchistische Illusionen

Allerdings: Vor dem Hintergrund einer rechtsnationalistischen Mobilisierbarkeit von fast der Hälfte der Bevölkerung erscheinen all die linken und auch die anarchistischen Vertrauensbekundungen in die emanzipatorischen Potenziale der Massen doch sehr fehl am Platze.

Jener "enorme Wirbel", den Louise Michel 1890 kommen sah, mit dem die Massen dazu beitrügen, dass die "kommunistische Anarchie" von allen Seiten herausdämmere, ist mehr als ausgeleiert. Auch eine zugleich einheitlich und befreiend gedachte "Perspektive der unteren 99 Prozent", von der der Anarchist und Occupy-Aktivist David Graeber 2012 schrieb, ist reines Wunschdenken.

Aber mehr noch. Angesichts des international stärker werdenden Rechtsnationalismus scheint die libertäre Parteienkritik, die "jede politische Partei in Keim und Streben totalitär" findet (wie Simone Weil in diesem Zitat von 1943), doch reichlich unterkomplex. Auch wenn sicherlich alle Parteien soziale Auseinandersetzungen institutionalisieren, hierarchische Beziehungen stärken, politische Entscheidungsprozesse kanalisieren usw. usf., kurz: Staatsapparate sind, so gibt es doch entscheidende Unterschiede.

Auch erscheint es angesichts der Effekte von Wahlentscheidungen etwas realitätsfremd, die Parteien als "alle gleich" zu beschreiben. So heisst es 2015 etwa aus den Reihen der Zapatistas bloss lapidar, dass wenn es Wahlen gibt, "die einen rot werden, die anderen grün, andere wieder gelb oder farblos" und dass der Streit darum völlig irrelevant sei. Weil ja ohnehin nur BetrügerInnen an die Macht kämen und man sich stattdessen selbst organisieren solle.

Es gibt aber solche und solche BetrügerInnen: Es gibt die Donald Trumps, Norbert Hofers, Marine LePens und es gibt die, die sich zumindest an erkämpfte Verfahren halten und nicht alle beleidigen, beschimpfen und letztlich gesetzlich benachteiligen, die nicht in ihr Weltbild passen. Deshalb ist schliesslich ein taktisches oder strategisches Verhältnis zu parlamentarischen Wahlen durchaus angesagt.

Gerade insofern 42 Prozent aller Van der Bellen-WählerInnen ihn laut einer Umfrage nur gewählt haben, "um Hofer zu verhindern", haben sie richtig gehandelt.

Über die Verhinderung hinaus könnte ein strategisches Ziel auch darin bestehen, die "demokratischen Strukturen der Selbstverwaltung" zu stärken, wie Joachim Bischoff, Elisabeth Gauthier und Bernhard Müller es in ihrem Buch "Europas Rechte" (2015) vorschlagen.

Die Spiegel-Online-Kolumnistin Margarete Stikowski erklärte kürzlich so nett in einem Interview mit dem "Missy Magazine", dass sie sich mit Anarchismus beschäftige. Und zwar weil es dabei nicht um Chaos und Gewalt gehe, sondern "um Vereinbarungen, Absprachen, Gegenseitigkeit, Austausch auf Augenhöhe, ohne Befehle, Kontrolle und Ausbeutung".

Deshalb sollten wir auch tunlichst dabei bleiben, uns mit Anarchismus zu beschäftigen.

Aber wir sollten uns auch klar machen, dass wir uns nicht in einer gesellschaftlichen Situation befinden, in der die Frage massenhafter Umsetzung anarchistischer Prinzipien auf der Tagesordnung steht.

Nur in einer solchen Situation würden Wahlen im liberal-demokratischen Rahmen den libertären Elan bloss ausbremsen und umlenken. Als befänden wir uns in dieser Lage denken hingegen offenbar jene AnarchistInnen, die in Wien auch Aufkleber auf Wahlplakate geklebt hatten. Darauf stand in Weiss auf Schwarz die Aufforderung: "Scheiss auf die Wahlen!" Nicht nur angesichts der geschilderten Effekte, die sie haben: Wie könnten wir? Wieso sollten wir?

Johannes von Hösel / Artikel aus: Graswurzelrevolution Nr. 415, Januar 2017, www.graswurzel.net