Der erodierenden Mitte wurde eine grüne Frischzellenkur verpasst Alexander Van der Bellen: „Unser Präsident der Mitte“

Politik

Leihstimmen waren auch diesmal ausschlaggebend, dass Alexander Van der Bellen noch deutlicher als im annullierten Wahlgang im Mai die Stichwahl zum österreichischen Bundespräsidenten gewinnen konnte.

Alexander Van der Bellen bei „Stimmen für Van der Bellen“, einer Veranstaltung von ihn bei der Bundespräsidentenwahl in Österreich 2016 unterstützenden Künstlern im Konzerthaus in Wien, Österreich.
Mehr Artikel
Mehr Artikel

Alexander Van der Bellen bei „Stimmen für Van der Bellen“, einer Veranstaltung von ihn bei der Bundespräsidentenwahl in Österreich 2016 unterstützenden Künstlern im Konzerthaus in Wien, Österreich. Foto: Manfred Werner - Tsui (CC BY-SA 3.0 cropped)

8. Dezember 2016
0
0
5 min.
Drucken
Korrektur
So viel Aufmerksamkeit war selten. Wusste bis vor einigen Monaten in Europa kaum jemand, dass es überhaupt einen österreichischen Bundespräsidenten gibt, und noch weniger wie er heisst, so stand dieser Wahlkampf unter internationaler Beobachtung. Kippt Österreich schon in den Faschismus oder kann er gerade noch abgewendet werden, so ungefähr lautete die überzogene, aber stets aufgeheizte Befürchtung, die da durch die globalen Medien geisterte.

Nun allerdings ist alles eitel Wonne. Das Ergebnis ist nicht einmal knapp ausgefallen, sondern deutlich zugunsten Alexander Van der Bellens. Der rechtspopulistische Kandidat der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ), Norbert Hofer, konnte abgewehrt werden. Das Land hat wieder eine positive Nachrede, ja sogar den ersten grünen Präsidenten in Europa. Alles passt. Van der Bellen wird in den nächsten sechs Jahren auf internationaler Bühne geradewegs so auffallen wie sein Vorgänger Heinz Fischer (SPÖ), also kaum. Entwarnung ist angesagt, der Tross der Journalisten hat die österreichische Bundeshauptstadt inzwischen auch schon verlassen. Der Rest interessiert wenig, Österreich wird wie gehabt dem Desinteresse überantwortet.

Das Aufatmen in Wien und Berlin, in Brüssel und Paris ist aber vorschnell. Was wir wissen, ist, dass 54 Prozent gegen Hofer gestimmt haben, aber wir können nicht behaupten, dass 54 Prozent für Alexander Van der Bellen votierten. Diese Differenz muss man im Auge behalten. Das Motiv ist dem Resultat zwar egal, nicht aber der politischen Entwicklung. Die Euphorie ist eine kurzsichtige. Von einer Richtungsänderung oder gar einer Trendumkehr ist dezidiert nicht auszugehen. Das ist Wunschdenken.

Wichtig zu erkennen wäre, dass dieses Wahlergebnis primär ein Contra ausdrückt, aber keine klare Pro-Entscheidung enthält. Van der Bellens Wählerschaft dokumentiert eine fragmentierte Masse, die Mehrheit besteht aus Leihstimmen, die schon am Wahlabend der Vergangenheit angehörten. Hofers Wählerschaft hingegen zementiert eine kompakte Masse, zumindest trifft das auf das Gros dieser 46 Prozent zu. Lediglich die Minderheit sind Leihstimmen. Der FPÖ Wahlkampfleiter Herbert Kickl spricht von einem „historischen Ergebnis der FPÖ“. Da hat er leider recht. Nicht der Aufstieg wurde gebremst, nur ein Erdrutsch wurde verhindert. Auf das seltsame Zweckbündnis von neoliberal bis linksradikal, das den ehemaligen grünen Parteichef ins Amt hievte, sollte niemand bauen.

Die Wahl wurde auch deswegen gewonnen, weil Van der Bellens Wahlkampf weder Akzente setzte und Konturen zeigte, sondern Assoziationen bediente. So arbeitete die Kampagne mit Projektionsflächen wie Heimat, Mitte, Europa, Natur und hatte alle Plattitüden im Gepäck. Einmal mehr galt es das Verbindende über das Trennende zu stellen und die Weltoffenheit zu beweihräuchern. Bloss nirgends anecken im rot-weiss-roten Taumel der Volksfeste und Bundeshymnen. Weiter so. „Unser Präsident der Mitte“ war eine der zentralen Botschaften. Plakate, Sticker, Sandwichs waren voll damit. Zweifellos wurde der erodierenden Mitte eine grüne Frischzellenkur verpasst.

Die Initiative blieb zumeist den Freiheitlichen überlassen, denen es auch gelang, sich vehement und erfolgreich gegen das Establishment in Szene setzen. „Alle gegen uns, wir gegen alle!“ Dass fast alle Medien gegen sie auftraten, nutzten sie abermals um sich als Opfer des Systems zu gerieren. Und doch dürften die letzten Tage vor der Wahl aus dem Ruder gelaufen sein. Insbesondere im abschliessenden TV-Duell setzte Hofer voll auf den Untergriff. Vor laufender Kamera wurde Van der Bellen als Kommunist geoutet, als Sowjetspion enttarnt, und zigfach der Lüge bezichtigt. Hofer war gar nicht mehr zu bremsen als sein Gegner überrascht wie genervt in den Seilen hing.

Alexander Van der Bellen sah in dieser Konfrontation nicht gut aus, sondern wirkte schwer angezählt. Von Schlagfertigkeit keine Spur. Mit soviel Infamie hatte er nicht gerechnet. Doch wer auf einen am Boden Liegenden vor laufender Kamera eintritt, erscheint als Grobian. Wird der erste Schlag noch goutiert, so wird jedes Nachtreten mit steigendem Befremden aufgenommen. Die Brutalität des Hoferschen Auftritts kam wohl nicht so gut an wie die Aggressoren es sich in den „War rooms“ der FPÖ-Wahlkampfzentrale vorgestellt hatten. In diesen Momenten ist der freiheitliche Kandidat ganz zum Schläger seiner deutschnationalen Burschenschaft geworden. Doch das Grölen im Hintergrund wurde leiser und das Gefühl, dass hier einer ein Foul nach dem anderen begeht, stärker. Der Trump-Effekt verpuffte spätestens als Hofer sich als Kopie versuchte. Der vor der Kamera vollzogene Schwenk vom Opfer zum Täter ging daneben. Der mühsam aufgebaute Schein der Seriosität war dahin.

Van der Bellen als Kommunist und ehemaliger Sowjetspion, dessen Vater noch dazu ein Nazi gewesen sein soll, das sind wahrlich Geschichten für die Verschwörungsfanatikergemeinschaft namens FPÖ. Doch eben nur für diese. Das geifernde Zücken der antikommunistische Karte, erwies sich als kontraproduktiv. Dass es heute vor allem die FPÖ ist, die den Ex-Agenten Vladimir Putin geradezu unkritisch hofiert, macht die Sache noch grotesker. Und wenn jemand seinen Gegner dreimal der Lüge bezichtigt, dann bleibt vielleicht was hängen, wer es jedoch gut zwanzig Mal tut wie der FP-Kandidat, wirkt von mal zu Mal unglaubwürdiger. Übertriebene Redundanz geht nach hinten los.

Der Antikommunismus verfängt heute nicht mehr so wie ehedem, die christliche Propaganda der FPÖ hat die Gläubigen wohl mehr verstört und verärgert als motiviert und selbst die sogenannte Flüchtlingsfrage war nicht mehr so zentral wie noch vor einem halben Jahr. Nicht wenigen dürfte auch die von den Freiheitlichen eingebrachte und durchgesetzte Wahlanfechtung gestunken haben, bedeutete sie doch ein Jahr Wahlkampf, der zum Schluss nur noch als Belästigung empfunden wurde. Aber all das heisst auch, dass die FPÖ taktisch nicht zu Rande gekommen ist, nicht dass sie strategisch gescheitert wäre.

Ein liberales „Nur Brüssel kann uns retten“ führt genauso in eine Sackgasse wie eine Renationalisierung der Politik. Gibt es Alternativen? Das wird davon abhängen, ob und wie es möglich ist, gegen die verfeindete aber vereinte Regression von Liberalismus und Populismus emanzipatorische Faktoren in den westlichen Gesellschaften aufzubauen. Appendix oder gar Querfront sind keine Antworten auf diese Frage. Eines jedoch sollte man trotzdem nicht gering schätzen. Ein Durchmarsch Hofers hätte sicher die übelsten Figuren aus der Virtualität des Netze in die Realität der Räume entlassen. Die bleiben einem dort zumindest erspart. Vorerst.

Franz Schandl
streifzuege.org