Die Linke Montagsdemos

Politik

Nachdem wir uns ja frühzeitig zur sogenannten “neuen Friedensbewegung”, die seit einigen Wochen Montags bundesweit mahnwacht, geäussert hatten, nehmen wir uns jetzt einen beinahe noch interessanteren Gegenstand zur Brust: Die linke Debatte rund um die Montagsdemos.

Pegida-Demonstrationszug in Dresden.
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Pegida-Demonstrationszug in Dresden. Foto: Kalispera Dell (CC BY 3.0 unported - cropped)

26. Mai 2014
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Korrektur
Die Geschichte der deutschen Linken in den vergangenen Jahrzehnten aufzuschreiben, wäre ein zumal international lohnendes Unternehmen. Man könnte manch anderer Bewegung Fehltritte ersparen, denn die hiesige Linke ist Weltmeisterin im Ausdenken irrsinniger Positionen und deren praktischer Umsetzung. Viele der Debatten, die in diesem Land mit einem geradezu übermenschlichen Elan geführt werden, machen ausserhalb der Diskursmatrix der marginalisierten deutschen Linken wenig bis gar keinen Sinn. Anhand der verschiedenen Positionierungen zu dem, was als “Montagsdemos” im Verhältnis zur Teilnehmerzahl überproportional Furore machte, lässt sich ein weiteres Mal zeigen: Monty-Python-Sketche mögen in anderen politischen Kulturen als Satire gelten, in Deutschland sind sie Dokumentarfilme.

Der frühe Vogel fängt den Wurm

Ganz am Anfang tat die deutsche Linke, was sie, geplagt von Soli-Parties, auch in einem nicht-metaphorischen Sinn gerne tut: Verschlafen. Antimilitarismus und die Friedensfrage sind seit langem keine allzu “beliebten” Sujets für Linke in der BRD, es ist ein eher kleinen Teil der radikalen Linken und Antifa-Bewegung, der sich für sie interessiert. Der parlamentarische Arm der Linken, die sich bescheiden Die Linke nennende Partei, engagiert sich hier zwar regelmässiger, allerdings auch eher auf dem Weg, der ihr seit Jahren am meisten liegt: Schriftlich. Jenseits von – sicher wichtigen, aber keineswegs hinreichenden – Kleinen Anfragen, Willensbekundungen und Erklärungen gab es kaum das Bedürfnis auch eine ausserparlamentarische Bewegung zum Thema zu schaffen, Demos zur Friedensfrage blieben – nach den grossen, aber ideologisch sehr heterogenen Irak-Demos – immer eher klein.

Verschlafen haben andere aber nicht. Pfarrer Gauck, wie es sich für einen Geistlichen gehört, stand früh auf dieses Jahr und predigte das Ende der aus Holocaust und Weltkrieg stammenden erzwungenen deutschen Bescheidenheit, Ursula von der Leyen legte nach und kündigte mehr Auslandseinsätze an. Die dann beginnenden Interventionen in Afrika kann man der deutschen Linken nicht vorwerfen, schliesslich ist der Kontinent ja weit weg, da kann man schon mal eine Entwicklung verschlafen.

Dann aber kam die Ukraine. Und die ist nicht nur relativ nah, sondern bereitete auch schon in den zwei vorhergehenden Weltkriegen und zwischen selbigen regelmässig zuerst Deutschland und dann dem Westen generell schlaflose Nächte. Nachdem dann endlich auch der letzte begriffen hatte, dass die schwarz-roten Fahnen auf dem Maidan keinen anarchistischen Aufstand, sondern die Rückbesinnung auf den Bandera-Faschismus meinten und die deutsche Aussenppolitik flankiert von so manchem grossen Medium da eine Koalition aus Oligarchen, Faschisten und neoliberalen Arschlöchern supportet, wäre es endgültig an der Zeit gewesen, mal was zu unternehmen. Hauptfeind im eigenen Land und so, kennt man ja.

Es kam aber nichts. Andere aber schliefen auch hier nicht. Eine sich aus dem Umfeld des Rechtsesoterikers Lars Mährholz, einer national aufgehübschten Anonymous-Seite, dem klugen Geschäftsmann und grottigen Schreiber Jürgen Elsässer, dem sendungsbewussten Messias Ken Jebsen und etlichen Verschwörungs-, Reichsbürger- und Chemtrailbloggern zusammensetzende Peer-Group erkannte das bei vielen vorhandene Bedürfnis “jetzt doch mal was zu tun” und setzte sich an die Spitze. Avantgarde hatte Elsässer ja schon im KB gelernt und sonst war ja auch niemand da, der das Thema für sich beanspruchte.

Und so entstand eben das, was wir uns nun als “Montagsdemos” gegenseitig um die Ohren werfen: Viele normale Menschen, die mit dem einen oder anderen Aspekt des Kapitalismus – zu Recht – unzufrieden sind. Und viele Scharlatane, die ihnen idiotische Erklärungen für ihre Unzufriedenheit liefern.

Alle Scheisse ausser ich

Das nun rief aber jene Teile der Antifa auf den Plan, die schon längst aufgegeben haben, jemanden von den eigenen Positionen zu überzeugen, sondern sich hauptsächlich darin gefallen, sich von jenen, die nie in den Genuss eines Adorno-Studiums gekommen sind und skandalöser Weise auch keinen Postone gelesen haben, so weit wie möglich abzugrenzen.

Das Hauptziel ist hier: Nachzuweisen, dass alle Teilnehmer im Grunde Faschisten sind, dann kann man sich nämlich auch die Diskussion sparen, denn mit Faschisten diskutiert man nicht. Dass etwa Elsässer mit seiner permanenten Rothschild-Polemik antisemitische Ressentiments bedient, ist das eine. Dass jeder, der “den Kapitalismus personifiziert”, deshalb automatisch und ohne Aussicht auf Besserung Feind ist, ist eine andere – und sehr blödsinnige – These.

Diejenigen, die so reagieren, haben mit dem Gedanken, grosse Teile der Bevölkerung gewinnen zu müssen, um etwas ändern zu können, abgeschlossen. Der Prolo ist dumpf, blöd und grundsätzlich gefährlich. Dass im Alltagsbewusstsein un- oder anpolitisierter Menschen allerhand Widersprüchliches und auch viel zu Überwindendes vorhanden ist, interessiert nicht, denn man wähnt sich selbst als moralisch rein und intellektuell so überlegen, dass Diskussionen mit dem Pöbel ohnehin nur beleidigend wären.

Also will man nicht aufklären oder gar andere organisatorische Möglichkeiten schaffen, um dem Unmut der Menschen eine Form zu geben, man will ihnen eigentlich nur sagen, wie scheisse sie sind. Mit USA- und Israel-Fahne gerüstet, zieht man ins Feld und einem hübschen Transpi auf dem der Evergreen “Hinter dem Ruf nach Frieden verschanzen sich die Mörder” steht. Wichtig ist dabei nicht, ob das irgendein anderer versteht, wichtig ist die Bestätigung des eigenen Selbstverständnisses als Wahrer emanzipatorischer Werte gegen die schaurigen Irren, die Masse, die nur noch als homogener regressiver Mob gedacht wird.

Bewegung?! Yeeehaah!

Nun schafft es die deutsche Linke aber nicht, eine völlig abstrakte Extremposition hervorzubringen, die doof ist, nein, sie gebiert auch gleich die entgegengesetzte. Nun tritt die sogenannte “Bewegungslinke” auf, eine Spezies, die ideologische und inhaltliche Flexibilität mit grösstmöglicher Mobilität kompensiert.

Den Anfang macht Pedram Shahyar in Leipzig. Er bekommt einen Redebeitrag und nutzt den mit einer Mischung aus Richtigem und peinlichen Anbiederungsversuchen. Zum einen – das muss man ihm zugestehen – versucht er die Mahnwachen sanft in einen linken internationalistischen Kontext zu rücken und kritisiert vorsichtig, aber doch die Trennung zwischen “raffendem” und “schaffendem” Kapital. Abgesehen von einer für jeden historisch Interessierten völlig lächerlichen Idealisierung der “antiken Demokratie” (also jener, bei der Sklaven und Frauen die Arschkarte gezogen haben) und einigen Schnitzern in der Kapitalismuskritik sagt er eigentlich viel Gutes. Schal ist aber die gnadenlose Anbiederung an die versammelte Bewegung. Er redet irgendwas von der “wunderbaren friedlichen Revolution” von 1989 – also jenem Event bei dem der Westdeutsche endlich wieder den ostdeutschen Staat schlucken konnte, auf dass die Nation zur alten Grösse zurückfinde -, wie “toll” alles ist und irgendwas mit “Freundschaften”, dem “Internet” und dass er auch gerne mal ein “Deutschlandtrikot” bei der WM trägt.

Was er nicht sagt, ist, dass diese Bewegung sich notwendig spalten muss, will sie eine tatsächlich emanzipatorische Friedensbewegung sein. Was er nicht sagt, ist der einfache Satz: “Ok, ihr seid für Frieden, ich auch, aber lasst uns doch ohne Reichsbürger, Compact-Redaktion, Neonazis und Berufsirre demonstrieren.” Was er nicht tut, ist einen Keil in jene These zu treiben, die von Anfang an das Paradigma der Organisatoren war: Es gibt kein links und rechts mehr.

Nahtlos fortgesetzt wird diese unkritische Anbiederung in einem Papier unter dem Titel “Für eine solidarische Auseinandersetzung mit den Montagsmahnwachen”. Unterzeichnet von mehrheitlich Leuten aus der Linkspartei und deren ausserparlamentarischen Arm, der “Interventionistischen Linken” hält der Aufruf die richtige Einschätzung fest: “Wir erkennen an, dass soziale Bewegungen, die organisch entstehen, in sich die Widersprüchlichkeit tragen, die aus der Widersprüchlichkeit ihrer Gesellschaft entsteht.”

Klar, das ist nicht falsch. Warum das aber offenkundig bedeutet in den Aufruf kein Wort zu den Organisatoren aufzunehmen und zudem auch keinerlei inhaltliche Kritik an falschem Bewusstsein zu formulieren, ist schwer einzusehen.

Das Einfache, das einfach zu machen ist

Jenseits der beiden Pole einer durch keinerlei Bedürfnis nach Vermittlung mehr gestörten Distanzierung zum Zweck der Bestätigung der eigenen Identität und dem bewegungsblinden Mitmachen auf egal welcher Grundlage gäbe es eigentlich relativ einfache Antworten. Der Witz an der Sache ist, dass beide Pole einen tatsächlich richtigen Punkt aufgreifen, ihn ins Groteske übersteigern bis er umschlägt und zu einem Fehler wird. Setzt die Selbstbestätigungsfraktion zurecht an dem Punkt an, dass ohne Kritik an vorhandenem Irrsinn das Mitmachen keinen Sinn macht, kann die Bewegungsfraktion für sich verbuchen, dass man die Verpflichtung hat, an einer Bewegung, bei der sich viele anhand eigentlich linker Thematiken anpolitisieren, mitzuwirken und sie zu unterstützen. Die einen wollen Mitmachen ohne Kritik (die in diesem Fall eben eine Spaltung impliziert, denn mit Elsässer und Co. geht es nunmal nicht). Die anderen wollen Kritik (im übrigen ganz oft auch Kritik, die ihrerseits falsch ist, aber das ist eine andere Geschichte) ohne sich zu beteiligen (oder zumindest eine andere Alternative zu bieten).

Zudem ist schon die Aufgeregtheit, mit der verdammt oder affirmiert wird, gar nicht nachvollziehbar. Es handelt sich um eine Bewegung einiger tausend Leute bundesweit, sie eine Massenbewegung zu nennen, wäre weit übertrieben. Es gibt also zunächst gar keinen Grund so zu tun, als ob die Linke auf Gedeih und Verderb davon abhänge, sich jetzt irgendwie zu positionieren.

Nun denn, wenn es aber schon so ist, dass da eine Bewegung existiert, die offenkundig mit äusserst vielen “Widersprüchen” behaftet ist, dann müsste doch der erste Schritt sein, zu sehen, welche dieser Widersprüche in welchen Bewegungsformen auszutragen sind. Dann kann man da, wo es not tut Trennstriche ziehen, und zwischen Linken und Elsässer, Mährholz und den zahlreichen “kleineren” Antisemiten und Reichsbürgern, geschweige denn den NPD-Kadern muss es jederzeit klare Trennstriche geben. Keine Trennstriche aber muss es da geben, wo anpolitisierte Menschen, die aus aufrichtigem Unmut auf die Strasse gehen, noch nicht dem entsprechen, was man selbst für richtig hält. Da redet man dann eben drüber, so schlimm wird das schon nicht sein.

Noch entscheidender wäre aber, nicht immer Entwicklungen hinterherzulaufen, sondern langfristig eigene Strukturen und Verankerungen aufzubauen und zwar nicht allein in der Frage des Antimilitarismus, sondern in allen gesellschaftlich relevanten Bereichen. Abgesehen davon, dass es unglaublich peinlich ist, dass völlig marginalisierte Gestalten die Friedensfrage “neu entdecken”, bevor das die Linke getan hat, zu deren Kernbestand sie eigentlich zählt, erspart man sich so den Zwang, sich immer zu etwas zu verhalten zu müssen, bei dem andere die Spielregeln vorgeben. Und wenn man dann nicht immer das Gefühl hat, man hänge auf Leben und Tod von der gerade jetzt sich regenden Bewegung ab, werden vielleicht auch die Debatten entspannter. Zumindest das wäre ja ne chillige Sache.

Lower Class Magazin