Streik der Lehrer_innen in Peru „Der Streik geht weiter“

Politik

Seit fast zwei Monaten befinden sich tausende Lehrer_innen in Peru im Arbeitskampf. Am 6. Juli 2017 streikten die Lehrer_innen in der Andenregion Cusco – eine Touristenhochburg.

Die Privatschule «Colegio San Agustin» in Lima, Peru.
Mehr Artikel
Mehr Artikel

Die Privatschule «Colegio San Agustin» in Lima, Peru. Foto: Miguel Angel Chong (CC BY-SA 3.0 unported - cropped)

28. August 2017
3
0
8 min.
Drucken
Korrektur
Die gleichnamige Regionalhauptstadt ist die nächstegelegene Stadt nach Machu Picchu, eine gut erhaltene Ruinenstadt des Inka Imperiums; Highlight der peruanischen Tourismusindustrie. Ab dem 12. Juli weitete sich der Streik landesweit aus. Die Regierung sowie die Führung der grössten Lehrer_ingewerkschaft SUTEP unterstellt den Streikkomittees, bestehend aus den direkt gewählten Vertreter_innen der streikenden Lehrer_innen, Nähe zum ‚Terrorismus'.

Lehrer_innen haben in Peru, wie in vielen anderen Ländern des globalen Südens, eine besondere soziale und politische Rolle, da sie oft die einzigen weitergebildeten Menschen sind. Vor allem in kleineren Gemeinschaften der Andenregion sind sie neben dem Priester oft die einzige intellektuelle Autorität. Geschichtlich waren es immer wieder Lehrer_innen und Dozent_innen an Universitäten die auf soziale, politische und ökologische Missstände aufmerksam machen und teilweise ganze Dörfer und barrios zum Widerstand motivierten.

„Es ist unmöglich wie würdelos die Regierung und die Medien auf unsere Vertreter_innen losgehen“ sagt Mary, Lehrerin der Sekundarstufe in der nördlichen Provinz La Libertad, „dabei vertreten wir einen gerechten Kampf“. Neben sofortigen und langfristigen Lohnerhöhungen von 1300 Soles (ca. 330€) auf 2000 Soles (ca. 515€) im Monat fordern die Lehrer_innen die Verbeamtung der angestellten Kolleg_innen und damit Lohngleichheit. Sie fordern die Anhebung aller Renten pensionierter Lehrer_innen auf das nationale Mindeslohnniveau von 850 Soles (ca. 220€).

Die staatliche Prüfung, welcher sich Lehrer_innen jährlich unterziehen müssen, und von welcher ihre Vertragsverlängerung abhängt, soll mindestens mit Vorbereitungsmaterial begleitet werden und zur tatsächlichen Verbesserung der Lehre beitragen. Aktuell ist dies ein willkürliches Kontrollinstrument, welcher zur Bestrafung – meist Versetzung oder Kündigung – einzelner Lehrer_innen missbraucht wird, statt damit die wirklichen Lücken im Wissen des Lehrpersonals ausfindig zu machen um dann gezielte Weiterbildungen anzubieten. Auch politische Forderungen lesen sich aus dem Katalog der Streikenden: sie kämpfen für das Recht sich frei gewerkschaftlich organisieren zu dürfen ohne Repressionen von Direktor_innen oder dem Bildungsministerium zu befürchten. Eine Furcht, die in den Jahrzenhte währenden staatlichen Repressionserfahrungen fussen.

Ausserdem fordern die Lehrer_innen eine Reduzierung der Anzahl der Schüler_innen pro Lehrperson sowie an den Schulen staatlich bereitgestelltes Essen für schulpflichtige Kinder – eine Forderung die die soziale Realität Perus spiegelt. „Wie soll ich ein Kind unterrichten, wenn es mir aufgrund eines knurrenden Magens kaum folgen kann?“ beschwert sich Mary. Die alleinerziehende Mutter kann ihre beiden Töchter nur durch finanzielle und personelle Unterstützung der Grossfamilie durchbekommen. Diese eng verbundenen familiären Netzwerke, die gerade Frauen oft die Berufstätigkeit erst ermöglichen sind jedoch Segen und Fluch zugleich; zwar hat Frau eine Mutter oder eine Schwester die auf die eigenen Kinder aufpasst während Frau arbeitet, jedoch kontrollieren diese auch Einkommen und Leben der Betreffenden. Eine sehr schwere Situation wie Melisa berichtet.

Melisa ist in einem Frauenkollektiv in der Hauptstadt Lima aktiv. Sie hat sich über künstlerische Zusammenhänge politisiert. Feministin ist sie nicht sagt sie. Sie ist Sozialistin: „Feminist_innen sind in Peru weiss und hängen in NGOs ab. Wir, die täglich unsere Mütter innerhalb und ausserhalb des Hauses schuften sehen, wissen, dass die Probleme zuerst ökonomisch produziert sind. Frauen brauchen ein eigenes Einkommen, welches für sie und ihre Kinder reicht. Das Gehalt von Lehrer_innen reicht noch nicht mal um die Mieten und die Lebensmittel zu decken“. Vor allem in Inicial und Primaria, Kindergärten und Grundschulen, arbeiten mehr Frauen als Männer. „Dieser Streik ist auch und sehr zentral ein Frauenstreik“ erklärt Melisa. Paty, die einem linken Bildungskollektiv am Stadtrand von Lima angehört ist Studentin an einer staatlichen Universität und kennt Melisa aus linken Kunstzusammenhängen.

Die emanzipatorische Linke in Lima ist überschaubar. Wie die Lehrerin Mary macht auch sie auf die einseitige Berichterstattung der Medien aufmerksam „Sie stellen die kämpfenden Kolleg_innen als Terrorist_innen dar. Das ist kompletter Quatsch. Aber die Eltern und Schüler_innen wissen wer ihre Lehrer_innen sind und vertrauen mittlerweile nur noch alternativen Medien die wir selber stellen“. Rocio ist in einem Unterstützungskommittee für die politsichen Gefangenen des internen Krieges der von 1980 bis 2000 das Land in Atem hielt aktiv.

Sie lebt in der Andenstadt Ayacucho und arbeitet dort eng mit der Lehrer_ingewerkschaft SUTEP zusammen: „Durch den technoligischen Fortschritt hat das Volk nun eine Waffe gegen die Lügen der Presse in der Hand“. „Man muss nur die gängigen sozialen Medien mit den richtigen Schlagworten füttern und es wird deutlich, dass die Basis weder gekauft ist noch irgendwie einheitlich einer linken Organisation angehört“ so Arturo. Auch er lebt in Ayacucho und studiert dort an einer staalichen Universität. Er erklärt weiter: „Das Problem in Peru ist, dass alles und jeder der links ist sofort mit Sendero Luminoso in Verbindung gebracht wird. Du kannst in diesem Land kaum linke Forderungen hervorbringen, schon wirst du zu einem ‚Terrorismus-Sympathisanten'“.

Die maoistische Kommunistische Partei Peru-Sendero Luminoso (PCP-SL) befand sich knapp 20 Jahre im internen Krieg mit der peruanischen Regierung, welche breite Unterstützung imperialistischer Länder genoss – allen voran der USA. Seit 2000 gilt die PCP-SL als endgültig besiegt. Jedoch haben sich bereits in den 1990er Jahren eine Gruppe Guerrillerxs in die VRAEM Region, eine regenwaldartige Landschaft die sich zwischen den Flüssen Apurímac, Ene und Mantaro erstreckt, zurückgezogen und sind dort zu einer Art Volksmiliz geworden.

Vier Verwaltungsregionen, Ayacucho, Huancavelica, Cusco und Junín kämpfen seitdem gegen die letzten Zellen des PCP-SL, welche bereits seit 1992 die Führung des Parteigründers Abimael Guzmán nicht anerkennen und den Weg des bewaffneten Kampfes weiter Aufrecht erhalten. „Sendero ist das ewige Gespenst“ so Arturo. In den letzten Jahren werden mit Abständen Gesetze gegen die‚ Verharmlosung des Terrorismus' erlassen. Zuletzt geschah dies im Mai[1]. „Sobald mensch Handlungen von Sendero auch nur zu erklären versucht, kann man nun 6 bis 8 Jahre lang in Haft sitzten“ erzählt Arturo. Als Lehrer_in, Dozent_in oder als Träger_in eines anderen öffentlichen Amtes, sind es 8 bis 10 Jahre. Sendero bleibt also der grosse Cuco, wie in Peru gesagt wird – das grosse Schreckensbild. Und immer wenn es der Regierung oder den Medien passt wird dieser Cuco aus dem Hut gezaubert. „Natürlich unterstützen auch einige der Lehrer_innen Fraktionen von dem was ehemals Sendero Luminoso war“ so Cristy, eine junge Mutter aus der Hafenstadt Callao, direkt angrenzent an den Norden von Lima: „aber das ist doch die Demokratie von der sie immer reden.

Meinungsfreiheit. Dann sind halt einige Maoisten. Andere sind Sozialdemokraten. Andere konservativ bis rechts. Auch Trozkisten gibt es. Aber deswegen die einen oder die anderen als ‚Terroristen' zu bezeichnen ist reine Manipulation. Und die Medien und Regierungsvertreter_innen gehen weiter; sie sagen dass der ganze Streik von Senderistas getragen wird. Das ist einfach eine glatte Lüge und wir Eltern wissen das“. Cristys Sohn ist 7 Jahre alt und geht auf eine private Schule, obwohl Cristy, Angestellte in der Verwaltung eines Logiskunternehmens, und der Vater ihres Kindes, ein Tagelöhner der aus Paraguay nach Peru migrierte, selber wenig Geld zur Verfügung haben.

Die Schule ihres Sohnes wird also nicht bestreikt. „In Peru kosten Privatschulen 400 bis 3000 Soles im Monat (100€ bis 760€). Nur die Reichen können sich die teuren Schulen mit der besten Bildung für ihre Kinder leisten“. Warum ihr Sohn auf einer privaten Schule ist frage ich: „Wegen der Gewalt. Die Gewalt unter den Schüler_innen ist allgegenwärtig in den staatlichen Schulen. Hinzu kommt die unglaublich schlechte Infrastruktur. Solange wir können werden wir ihn auf eine private Schule schicken. Denn für ihn wollen wir eine bessere Zukunft“. Und das obwohl Cristys Mutter Jahrzehntelang als Inicial-Lehrerin gearbeitet hat. Auch Cristy fährt mit der ganzen Familie, immer wenn sie kann, nach Lima zu den zentralen Protesten der Lehrer_innen. Ivana, 14 Jahre alt, geht auf eine staatliche Schule in Callao und ist mit ihren Freund_innen auf einer Kundgebung der streikenden Lehrer_innen in Lima. Sie bestätigt was Cristy berichtet: „Bei uns in der Schule sind fast alle Toiletten seit schon immer kaputt.

Wir haben nicht genügend Schulbücher pro Schüler_in und wir lernen einfach kaum“. Ivana liest gerne. Die Schulbibliothek ist jedoch sehr spartanisch ausgestattet. „Ich wohne in einem barrio popular. Viele der Eltern sind ohne Arbeit oder machen mal ein paar Wochen einen Job und ein paar Wochen einen anderen Job. Bei und gibt es viel Kriminalität. Aber gerade deswegen müssen wir Kinder doch gefördert werden?“. Sie will gut Englisch lernen und auch weitere Sprachen wie Deutsch oder Französisch. An der staalichen Schule kann sie jedoch nur Englisch wählen: „und das ist grauenhaft“ erzählt sie.

Aus all diesen Gründen unterstützen sie und ihre Schulfreund_innen den Streik der Lehrer_innen: „denn sie kämpfen auch für die Verbesserung der Bedingungen in der Schule insgesamt“. Auch die Solidarität mehrt sich: Am 17. August haben die Angestellten des Bildungsministeriums in der Region San Martín, mit einer 100% Streikquote, einem 24-stündigen politischen Solidaritätsstreik durchgeführt. Sie marschierten in den Städten Moyobamba und Tarapoto gemeinsam mit den streikenden Lehrerinnen und Lehrern, sowie mit Eltern und Schüler.

„Wir produzieren nun viele eigene Zeitungen und Pamphlete. Wir bilden uns als Linke theoretisch und auch im Kampf auf der Strasse gemeinsam mit den Lehrerinnen und Lehrern weiter“ so Paty, „nun kommt es auch auf die internationale Komponente an. Daher rufen wir alle Gewerkschaften und politischen Gruppen dazu auf die kämpfenden Lehrerinnen und Lehrer mit aller Kraft, durch Solidaritätsbotschaften, Geld- und Sachspenden, sowie durch den politischen Austausch als Kämpfende an der Basis zu unterstützen und den Internationalismus auch mit Blick auf Peru wieder aufleben zu lassen, denn: der Streik geht weiter“.

Eleonora Roldán Mendívil / lcm

Fussnoten:

[1] http://www.americatv.com.pe/noticias/actualidad/apologia-al-terrorismo-comision-justicia-aprobo-modificar-ley-n276688