Brasiliens Präsidentschaftsanwärter Jair Bolsonaro Frauen mobilisieren gegen «Trump von Brasilien»

Politik

Der erbitterte Wahlkampf um das Präsidentenamt in Brasilien geht in die letzte Runde. Die Frauen könnten den Unterschied machen.

Die Opposition gegen den brasilianischen Präsidentschaftskandidaten Jair Bolsonaro wächst.
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Die Opposition gegen den brasilianischen Präsidentschaftskandidaten Jair Bolsonaro wächst. Foto: Fabio Rodrigues Pozzebom - Agência Brasil (CC BY 2.0 cropped)

1. Oktober 2018
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Die Messerattacke auf Brasiliens Präsidentschaftsanwärter Jair Bolsonaro (Sozial-Liberale Partei) ist nur ein Sinnbild eines Wahlkampfes, der längst zur vergifteten Schlammschlacht verkommen ist und in dem auch extreme Praktiken angewandt werden, um die Stimmung in der Bevölkerung zu beeinflussen.

Bolsonaro tritt offen rechtsradikal auf und geisselt in Reden Schwarze, Frauen, Schwule, Minderheiten, die Medien und das Etablishment. Zusätzlich stimmt der ehemalige Militär regelmässig Lobgesänge auf die Militärdiktatur an, die Brasilien zwischen 1964 und 1985 im Würgegriff hielt. Obwohl Bolsonaro jegliche demokratischen Werte mit Füssen tritt, gilt er bei der brasilianischen Präsidentschaftswahl vom 7. Oktober als Favorit.

Trotzdem ist Bolsonaros Wahlkampf kein gemütlicher Spaziergang: Die Opposition gegen ihn wächst. Ende August haben die Frauen von Brasilien in den Wahlkampf eingegriffen. In den sozialen Netzwerken wuchs ihre Gruppe «Mulheres Unidas Contra Bolsonaro (Frauen gemeinsam gegen Bolsonaro)» auf über zwei Millionen Mitglieder an. Die weibliche Protestbewegung kämpft gegen einen Mann, der von den Medien oft als «Trump von Brasilien» dargestellt wird. Ein Name, der ihm nur zum Teil gerecht wird.

Im Vergleich verhält sich Trump gesittet

Zwar setzt Bolsonaro wie der US-Präsident auf Populismus. Doch der 63-jährige Brasilianer geht viel weiter. Er provoziert, wo er kann. Sein Markenzeichen sind die zum Revolver geformten Finger – als Drohung gegen Kriminelle. Unvergessen sind seine Aussagen zu Schwulen, die ein Produkt des Drogenkonsums seien. Brasiliens Militärdiktatur unterstellte er den Fehler, gefoltert statt getötet zu haben. Und auch in Bezug auf die Polizei hat er eigene Ansichten: «Polizisten, die nicht töten, sind keine Polizisten», sagte er gemäss verschiedenen Medienberichten.

Bolsonaro kann noch abartiger. Etwa wenn er sich dafür ausspricht, Brasiliens grösste Favela aus Militärhelikoptern zu beschiessen. Ginge es nach ihm, würden Frauen weniger als Männer verdienen, «weil sie schwanger werden». Seine politischen Überzeugungen will er auch auf der Strasse vertreten: «Wenn ich zwei Männer sehe, die sich auf der Strasse küssen, schlage ich zu.»

Nach solchen Aussagen, ist Jair Bolsonaros Wahlkampfprogramm eine logische Schlussfolgerung: Verbot von Homosexuellen-Ehe und Abtreibung, freier Waffenbesitz, Legalisierung von staatlicher Folter und Hinrichtung von Drogenkriminellen. Wie Bolsonaro mit seinen politischen Gegnerinnen und Gegnern umgeht, ist ausreichend dokumentiert. So musste er etwa die brasilianische Abgeordnete Maria do Rosàrio finanziell entschädigen, nachdem er ihr 2003 gesagt hatte, sie habe es nicht verdient, vergewaltigt zu werden, weil sie sehr hässlich sei. Und das in einem Land, in dem es im Jahr 2017 insgesamt 60'018 Vergewaltigungen, 5'672 Frauenmorde und 221'238 Beschwerden wegen häuslicher Gewalt gab.

Brasilianerinnen haben genug

In erster Linie sind es Bolsonaros Macho-Reden, die die Brasilianerinnen dazu gebracht haben, in die Opposition zu gehen. Ihre Bewegung startete mit einer einfachen Facebook-Gruppe, mit klarem Namen und einem ebenso klaren Ziel: «Frauen vereint gegen Bolsonaro». 24 Stunden nach der Gründung der Gruppe explodierte die Zahl der Beitritts-Anfragen auf 600'000. Heute zählt die Gruppe mehr als 2.5 Millionen Frauen. Jeden Tag überlasten Tausende neue Anfragen die Freiwilligen, die versuchen, mit dem Tempo Schritt zu halten, während sie die Profile der Menschen überprüfen, die sich der Bewegung anschliessen wollen.

Jede brasilianische Frau, die sich gegen Bolsonaro stellt, erhält nach einer Anfrage und einer Überprüfung Zutritt zu der Gruppe. Die Parteizugehörigkeit spielt keine Rolle. Die Brasilianerinnen haben die geschlossene Gruppe geschaffen, da Frauen, die sich in offenen sozialen Netzwerken gegen Jair Bolsonaro stellen, oft schikaniert und beleidigt werden.

Bolsonaro-Unterstützer blasen zum Gegenangriff

In der Zwischenzeit ist die Gruppe so gross geworden, dass sie die Präsidentschaftswahl in Brasilien massgeblich beeinflussen könnte. Deshalb gingen die Anhänger von Bolsonaro zum Gegenangriff über. Am 14. September verschärften sich die virtuellen Angriffe auf die Gruppe, die Administratorinnen erhielten Drohungen: Sollte die Seite nach 24 Stunden noch in Betrieb sein, würden ihre Daten im Netz veröffentlicht, hiess es. Als Kostprobe der Drohung erhielt eine der Administratorinnen ihre persönlichen Daten, inklusive ihrer Ausweisnummer und dem Namen ihrer Mutter.

Zwei Tage später musste Facebook die Seite für einige Zeit vom Netz nehmen. Ein Unterstützer von Bolsonaro hatte es geschafft, die Kontrolle über die Gruppe zu übernehmen. Er benannte Bolsonaros Gegnerinnen kurzerhand in «Vereinte Frauen mit Bolsonaro» um.

Das Kampagnen-Team des Präsidentschaftskandidaten feierte sofort den «Erfolg» dieser neuen Gruppe. Selbst einer der Söhne von Bolsonaro war sich nicht zu schade, die gekaperte Seite als neue Unterstützungsbewegung für seinen Vater zu bezeichnen.

Einige Stunden später informierte Facebook, die Seite sei ihren rechtmässigen Besitzerinnen zurückgegeben worden. In einem Internetvideo erklärte eine der Aktivistinnen, dass «dieser Angriff zeigt, wie sehr die wachsende Mobilisierung der Frauenbewegung gegenüber dem Präsidentschaftskandidaten seine Anhänger beunruhigt».

Mit den Waffen des Feindes kämpfen

Piraterie und falsche Gerüchte sind Beweise für einen Wahlkampf im Internet, der zu einem zentralen Thema der anstehenden Wahlen geworden ist. Im Gegenzug hat die Bedeutung von Fernsehwerbung abgenommen. Geraldo Alckim, der Kandidat der klassischen Rechten, hat im Gegensatz zu Bolsonaro auf Fernsehwerbung gesetzt – und verloren. Er vermag damit kaum Menschen zu mobilisieren.

Das Kampagnen-Team von Bolsonaro war sich – ähnlich wie bei Trump – der Bedeutung der sozialen Medien von Anfang an bewusst. So versucht es nun, auf die massive Mobilisierung der Gegnerinnen zu reagieren. Dazu wurden unzählige virtuelle Frauengruppen gegründet, in denen sich Frauen als Unterstützerinnen von Bolsonaro outen. Die grösste dieser Gruppen zählt aber nur einige Hunderttausend Mitglieder – viele davon werden als Fake-Profile angesehen.

Bolsonaro heuchelt

Inzwischen scheint selbst Jair Bolsonaro bemerkt zu haben, dass er ohne die Unterstützung der Frauen kaum zum Präsidenten gewählt werden wird. Also versuchte er in einer Blitzaktion sein Image bei den Brasilianerinnen zu verbessern. Bereits vor der Messerattacke veröffentlichte Bolsonaro ein Video, in dem er Emotionen zeigt und beinahe anfängt zu weinen, während er über seine siebenjährige Tochter spricht.

Eine PR-Aktion, die an Heuchelei kaum zu überbieten ist. Immerhin sagte Bolsonaro erst vor einem Jahr: «Ich habe fünf Kinder. Vier Männer, dann hatte ich eine Schwäche und machte ein Mädchen.»

Protestbewegung im Aufwind

Der Angriff auf die Facebook-Gruppe «Frauen vereint gegen Bolsonaro» hat den Gegnerinnen des rechtsradikalen Präsidentschaftskandidaten kaum geschadet. Im Gegenteil. Seitdem verbreitet sich auf Twitter der Hashtag «Ele Não (Er Nicht)», unter dem auch prominente brasilianische Schauspielerinnen, Fernsehmoderatorinnen und Journalistinnen Position gegen Bolsonaro beziehen.

Trotzdem gilt Bolsonaro noch immer als aussichtsreicher Anwärter auf das Amt des Präsidenten: Umfragen zufolge liegen seine Zustimmungswerte bei rund 24 Prozent. Auf einen besseren Wert käme wohl Brasiliens Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva (Partei der Arbeiter, PT). Er gilt bei der Bevölkerung als beliebt, darf an der Wahl aber nicht teilnehmen, da er eine zwölfjährige Haftstrafe wegen Korruption absitzt.

Als Ersatz nominierte die PT in letzter Minute Fernando Haddad. Der ehemalige Bürgermeister von São Paulo versucht, die brasilianischen Wähler vor allem mithilfe der Gunst, die Lula noch immer in grossen Teilen der Bevölkerung geniesst, für sich zu überzeugen.

Tobias Tscherrig / Infosperber