Diskussionspapier Kritik des politischen Veganismus

Politik

Dieses Diskussionspapier wurde am 23.12.2014 im GEGEN_KULTUR Verlag veröffentlicht. Kritik und Anregungen werden unter “Debatte Kritik des politischen Veganismus” auf keinort.de veröffentlicht. Am Ende soll mit einem abschliessenden Papier die Kritik gewürdigt werden.

Vegan-Restaurant «VBites» in Brighton.
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Vegan-Restaurant «VBites» in Brighton. Foto: Bydarragh (CC BY-SA 3.0 unported - cropped)

23. Dezember 2014
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Korrektur
Die ‚Kritik des politischen Veganismus' klärt

– warum der politische Veganismus selbst nicht nur die Gemeinsamkeit sondern auch den fundamentalen Unterschied zwischen dem Mensch und anderen Tieren kennt
– warum die Leidensfähigkeit der Tiere kein Argument ist, diese auch zu berücksichtigen
– warum der Slogan ‚Tiere sind keine Ware' vorbeigeht an dem, was eine Ware ist
– warum der Welthunger nichts zu tun hat mit unseren Essgewohnheiten

Tiere zu essen oder nicht zu essen, das kann jeder halten, wie er will. Es gibt jedoch eine Reihe von Leuten, die sich dazu entschieden haben, keine tierischen Produkte zu konsumieren, und die es nicht aushalten, dass andere ihre Abneigung gegen Tierisches, ihre ausschliessliche Vorliebe für Pflanzliches nicht teilen. Sie machen aus der Ernährungsfrage eine politische Frage, ein politisches Programm und verurteilen die Mehrheit derer, die sich pflanzlich und tierisch ernähren. Sie berufen sich für ihre individuelle Entscheidung zu einer bestimmten Ernährungsart auf Gründe, für die sie Allgemeinverbindlichkeit beanspruchen. Konsequenterweise werfen sie ihren Allesfresser-Mitmenschen vor, mit der Verspeisung von Tieren ernste Fehler zu begehen.

Im Tierreich verzehren die Tiere einander, um ihr Leben zu erhalten. Es passt hier nicht, die Tiere zum Mitleid aufzurufen. Naturwesen stellen sich ‚ignorant' zu ihrem Essen; sie fressen, bis sie satt sind. Das macht der Mensch als biologisches Lebewesen ebenso. Damit könnte das Thema beendet werden, wäre da nicht der politische Veganismus. Dieser stellt den Imperativ auf, der Mensch dürfe tierische Lebewesen nicht essen. Es geht ihm dabei aber nicht einfach nur um eine private Entscheidung, man selbst esse keine Tiere mehr, sondern: Das darf man – also weder man selbst noch andere – nicht.

1.) Mensch und Tier

Tiere haben für den politischen Veganismus grundsätzliche Gemeinsamkeiten mit dem Menschen: „Der Mensch ist ein Tier; und was die meisten Menschen gegenüber anderen Tieren unterscheidet, ebenso wie das, was Menschen voneinander unterscheidet, ist weniger ihre Biologie, es sind nicht in erster Linie ihre grundsätzlichen Fähigkeiten oder angeborene Eigenschaften, sondern es ist vor allem ihre aktuelle, materielle Lebenssituation.“1

Eine dieser „grundsätzlichen Fähigkeiten oder angeborenen Eigenschaften“ sieht der politische Veganismus in der Fähigkeit zu leiden. Diese soll ausschlaggebend sein für Menschen, Tiere nicht zu essen bzw. zu nutzen.

Tiere leben ihren natürlich bestimmten Gewohnheiten entsprechend. Sie fallen mitleidlos über ihre pflanzliche oder eben auch fleischliche Nahrung her und handeln sich damit keine Kritik der politischen Veganer ein. Diese wissen, dass ihr Aufruf, sich auf pflanzliche Nahrung zu verpflichten, nur beim Menschen fruchten kann. Damit kennt der politische Veganer einen Unterschied zwischen Tier und Mensch, den er gleichzeitig für irrelevant erklärt: Mensch und Tier seien fundamental gleich, weil ‚leidensfähig' und sie sind zugleich fundamental ungleich, da nur die Menschen dazu fähig sind, von ihren natürlichen Bedürfnissen Abstand zu nehmen.

Der politische Veganismus unterstellt damit selbst, dass Tiere keine Zwecke kennen – sich also nicht selbst mit Wille und Empathie zur Welt stellen –, wenn sie von Tieren eben nicht verlangen, was sie vom Menschen erwarten: sich vegan zu ernähren. Mit diesem Wissen darum, dass man dem Tier kein Gewissen daraus machen kann, wie es sich ernährt, unterstellt man, dass die Tiere eben doch etwas grundsätzlich anderes sind als der Mensch.

2.) Leidensfähigkeit

a.) Die Mensch wie Tier gemeinsame ‚Leidensfähigkeit' soll nun ausschlaggebend dafür sein, Tiere nicht zu essen. Der politische Veganismus weitet die goldene Regel auf das Vieh aus und weiss zu sagen: „Was du nicht willst, dass man dir tu', das füg' auch keinem andern zu!“. Der Widerspruch der goldenen Regel ist, dass es ganz offensichtlich Zwecke gibt, welche mit Gewalt gegen andere durchgesetzt werden, und das gerade diejenigen Zwecke sind, von welchen die Menschen überzeugt sind, dass es die besten sind. So schreckt der politische Veganismus im Namen des Tierleides nicht davor zurück, Tiere zu befreien und verstösst damit klar gegen das Interesse der Farmbesitzer, die ihrerseits die goldene Regel in Anschlag bringen können: ihr Interesse an einer Einkommensquelle.

Wo der politische Veganismus für die Tiere beansprucht, dass niemand es wollen könne zu leiden, weiss der Fleischesser seine Freiheit zu reklamieren, sich zu ernähren wie er wünscht und gesteht dies auch grosszügig dem Veganer zu.

b.) Die ‚Leidensfähigkeit' der Tiere ist damit nicht das einzige Gut welches sich über die goldene Regel zu legitimieren weiss. Jede Seite – Tierfreunde wie Tiergeniesser – unterstellen ihr Interesse am richtigen Umgang mit den Tieren als naturgemässes und richtiges. Der politische Veganismus unterstellt einfach, dass das Leid der Tiere für den Menschen schwerer zu wiegen habe als das Interesse am Fleisch. Das Mitleid der Veganer für das Leiden in der Welt kennt allerdings selbst eine Grenze, an welcher sie ihr eigenes Interesse an Nahrung über das Leiden stellen: Die lebhafte Debatte innerhalb des politischen Veganismus, ob es noch ‚vertretbar' ist, Honig zu konsumieren oder Milch von Lebenshöfen, ob manche Pflanze nicht auch Respekt verdiene, so manches Insekt dagegen vielleicht nicht, zeugt davon, dass die Grenzen, die Veganer dem Töten von Lebewesen setzen, willkürlich sind.

Die ‚Leidensfähigkeit' ist für Fleischesser eben kein Argument, weil sie zu nichts verpflichtet. Die moralische Höherwertigkeit des eigenen Standpunkts, welche der politische Veganer sich mit dem Verzicht auf Fleischkonsum bestätigt, ist für Fleischesser kein verbindlicher Grund für den Verzicht auf Fleisch. Der Konsum tierischer Produkte hat sich schlicht selbst als Zweck und dieser verschwindet nicht durch das Lob welches sich Veganer selbst zusprechen.

c.) Aus der 'Leidensfähigkeit' der Tiere wird nun beim politischen Veganismus von einem persönlichen Standpunkt der Übergang vollzogen zu einem Verbot, dem in der Welt Geltung verschafft werden soll. Dazu haben sich nun verschiedene Schulen des politischen Veganismus zu verschiedenen Konsequenzen zusammengefunden:

I.) Namensgebend für die politische Konsequenz ist die vereinigende Praxis des politischen Veganismus, sich selbst rein halten zu wollen von den Gräueln der modernen Tierhaltung. Oft flankiert von der falschen Vorstellung, der Konsument sei der Auftraggeber der Fleischindustrie2, konzentriert man selbst seinen Konsum auf die Pflanzen- und Mineralwelt. Beim praktischen Umgang damit wird klar, dass der Veganer seine Ausweitung des Merkspruchs „Was du nicht willst…“ irgendwo beenden muss, damit er überhaupt überleben kann. Also beginnt die Debatte, was zu essen noch statthaft, was bereits unstatthaft ist. Endet für die einen bereits beim Wurm die „Solidarität mit dem quälbaren Körper“, melden die anderen beim Verzehren von Pflanzen Bedenken an, wenn deren Leben durch das Pflücken beendet wird. Der Tierschützer tritt ein für eine bessere Behandlung der Tiere.

II.) Manche politischen Veganer gehen allerdings weiter, als nur den eigenen Ernährungsplan umzustellen. Sie sehen sich in der selbst auferlegten Verantwortung, das Schlachten praktisch zu beenden: In der Tradition der direkten Aktion und der Propaganda der Tat werden Schlachtautos abgefackelt und Hühner aus dem Schlachthof oder Versuchstiere aus Laboren befreit. Und nicht selten wird bei diesem Stellvertreterkampf für die „Rechte“ der Tiere im Namen deren Leidensfähigkeit rücksichtslos gegen die Leidensfähigkeit der Menschen vorgegangen, die ihr Geld in Laboren und Tierzuchtbetrieben verdienen: der Tierbefreier.

III.) Wer sich nicht selbst aufgerufen fühlt, gegen ‚das System' als einsamer Rächer aktiv zu werden, entdeckt nicht selten im Staat genau das Gewaltmonopol, das er selbst schmerzlich vermisst bei der Durchsetzung seiner erdachten Ge- und Verbote rund um das Tier. Diese Schule des politischen Veganismus erblickt im bürgerlichen Staat und seinen verschiedenen Gewaltabteilungen – Polizei, Armee, Justiz, Knäste – die Potenz zur Durchsetzung eines allgemeinen Tierkonsum-Verbots und engagiert sich dementsprechend: als Tierrechtler

Mit der Leidensfähigkeit ist die Kritik des politischen Veganismus abgeschlossen. Die nun folgenden Unterpunkte ‚Tiere sind keine Ware' sowie ‚Welthunger' sind Zusätze des politischen Veganismus, um auch Fleischessern ‚gute Gründe' zu geben, warum diese für den politischen Veganismus sein sollten.

3.) „Tiere sind keine Ware“

a) Der Slogan „Tiere sind keine Ware“ ist angelehnt an die bekannten linken Parolen, „Wasser“ oder „Bildung“ sei keine solche, hat aber eine grundsätzlich andere Bedeutung. Die Forderung der linken Parolen ist, dass Güter wie Wasser oder Bildung grundsätzlich jedem zugänglich sein und deswegen nicht den Charakter von Waren haben sollten. Waren zeichnen sich nämlich dadurch aus, dass die Menschen, welche sie benötigen, zunächst einmal von ihrer Benutzung ausgeschlossen sind und erst für Geld in deren Genuss kommen.

Diese Parole prangert an, dass durch den Warencharakter die Tiere zu Sachen würden, „verdinglicht“. „Tiere sind keine Ware“ ist also nicht mit den linken Parolen zu verwechseln. Diese finden es verwerflich, dass der Reichtum in der Welt den Menschen nicht zugänglich ist, der politische Veganismus will die Tiere gerade dem Zugriff der Menschen entziehen.3

b) Anhänger der Parole wollen Tiere nicht als Ressource wissen, unabhängig davon ob es um die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse geht oder um solche des Kapitals. All jene Übel, die Veganer gerne und oft zitieren, bebildern und als Videos ins Internet stellen – Earthlings ist der bekannteste dieser Filme –, folgen tatsächlich aus dem Warencharakter des Fleisches, der Milch etc. Die Gräuel, welche die Tiere in der industriellen Tierproduktion erleiden müssen, sind sogar schädlich für deren Gebrauchswert für den Menschen. Fleisch aus Massentierhaltung ist voll von Medikamenten, Geschwüren, ungesunden Zusatzstoffen etc.

Wo der politische Veganismus sich mit seiner Parole „Tiere sind keine Ware“ also ganz ignorant gegen den wirklichen Charakter der Ware stellt und damit nichts weiter gesagt haben will, als dass Tiere keine „Sache“ seien, kann eine Analyse, welche berücksichtigt dass Tiere heute eben nicht dafür, dass sie gegessen werden, sondern als Ware gehalten werden, erklären, warum sie so leiden müssen. Die Zustände der Massentierhaltung sind Ergebnis der Kapitalkalkulation, aus möglichst wenig Investition möglichst viel Profit zu schlagen. In dieser Kalkulation hat weder das Leiden der Tiere noch das Bedürfnis der Menschen nach gutem Fleisch seinen Platz.4

4.) Welthunger

Wolfgang Schindler, Präsident der Albert Schweitzer Stiftung weiss: „Wir können dazu beitragen, den Welthunger zu überwinden, indem wir weniger oder am besten gar kein Fleisch essen.“5

Die Menschen verhungern nach dieser Rechnung, weil es zu wenig Nahrungsmittel gibt, woran die Fleischindustrie, (Mit)Schuld hat. Der politische Veganer glaubt, dass die Ignorierung des Gebotes, man dürfe keine Tiere essen, noch ganz andere Folgen zeitigt: Ein grosser Teil der Menschen leidet an Hunger wegen der Vermessenheit eines anderen Teils der Menschheit, welche die Tiere nicht respektiert.

Schon heute werden trotz Fleischproduktion mehr Lebensmittel produziert als für die Versorgung aller Menschen notwendig. Der Grund für die chronische Unterernährung von 850 Millionen Menschen im Jahre 2014 kann also nicht in der mangelnden Anbaufläche oder Problemen bei technischen Konservierungs- oder Transportmitteln zu suchen sein – geschweige denn bei der energieaufwendigen Produktion von Fleisch.

Das wird allerdings dauernd behauptet: Wenn so z. B. Clements in ihrem Buch über Veganismus schreibt, dass Rinder „[…] 24% der Landfläche unseres Planeten [beweiden] und […] Getreide [konsumieren] in einer Menge, die ausreichen würde, um hunderte Millionen Menschen zu ernähren“6, dann suggeriert sie, dass der Staat aufgrund des „Fleisch-und-Milch-Mythos“, wie sie es nennt, diese Zusammenhänge nicht sieht oder nicht sehen will. Sie bleibt die Antwort auf die Frage schuldig, wer denn Nahrungsmittel anbauen soll für Menschen, welche keine Nahrungsmittel bezahlen können.

Und sie legt nahe, wie einfach es angeblich in einer Welt kapitalistischer Warenproduktion ist, den Hunger derer zu bekämpfen, die kein Geld für ihre Ernährung haben: Jeder Biss in einen Gemüsebratling – ein Beitrag zum Kampf gegen den Welthunger.

*

Die hier vorliegende Kritik des politischen Veganismus will dazu anregen, sich mit den Gründen für Welthunger, Massentierhaltung und –elend zu beschäftigen. Der politische Veganismus ist keine Ein- sondern eine Entführung aus den Fragen, für welche Interessen Tier und die meisten Menschen be- und vernutzt werden.

Berthold Beimler

Fussnoten:

1) http://asatue.blogsport.de/2014/08/12/von-kritikern-und-geistersehern/

2) Auf die Rolle des Konsumenten wird hier nicht weiter eingegangen. Die Erklärung zur Rolle des Konsumenten im Kapitalismus findet sich in GEGENSTANDPUNKT 2/10 bzw. hier: http://www.gegenstandpunkt.com/gs/10/2/gs20102067h1.html

3) Auch die linke Parole ist schwach: Welches Gut sollte denn vernünftigerweise eine Ware sein? Lebensmittel vielleicht, oder die auch nicht? Was ist eigentlich unnütz und unwichtig genug, dass es ruhig Ware sein darf?

4) Das Bedürfnis der Leute nach Fleisch macht die Leute ganz im Gegenteil erpressbar. Die Industrie benutzt dieses als Hebel zur eigenen Bereicherung. Das Interesse an Steak und Bockwurst ist also nicht der Zweck, sondern nur Bedingung der Fleischproduktion.

5) hhttp://https://albert-schweitzer-stiftung.de/aktuell/hauptursache-fur-die-lebensmittelkrise-fleischproduktion

6) Clements 2006: 12