Was machen wir denn jetzt mit Syriza? Syriza - Eine Chance für die Bewegung

Politik

Wenn wir eines sicher sagen können, dann ist es, dass wir die griechische Wahl vom 25. Januar ohne Illusionen beobachtet haben. Findet ihr nicht auch, dass die Koalition mit den nationalistischen Pennern der „Unabhängigen Griechen“ (Anel) zu weit ging?

Alexis Tsipras, Parteipräsident von Syriza.
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Alexis Tsipras, Parteipräsident von Syriza. Foto: FrangiscoDer (CC BY-SA 3.0 cropped)

4. Februar 2015
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Können wir soetwas noch gut finden? Zur Koalition ist viel geschrieben worden, und vielleicht fangen wir hier an. Die von vielen als „natürlicher Koalitionspartner“ beschriebene kommunistische Partei KKE hatte vor sowie nach der Wahl unmissverständlich klar gemacht: Wir wollen nicht. Aus Perspektive der KKE war das konsequent, denn ihre politische Linie ist eine des „Alles oder nichts“. Ob diese Linie die Partei, die tatsächlich mit ihrer Arbeiterorganisation PAME über die wichtigste Klassenorganisation in Griechenland verfügt, weiterbringt, ist zu bezweifeln.

Regelmässig verliert die KKE an Zustimmung. Zwar konnte sie nun im Vergleich zur letzten Wahl Stimmen gut machen, sie liegt aber nach wie vor hinter ihren Wahlergebnissen von 2009 oder gar 2007. Die Partei scheint, so wirkt es zumindest von „aussen“ und so beschreiben das auch viele frühere Mitglieder aus PAME und KKE, eine äusserst problematische Strategie zu verfolgen: Erst muss die Mehrheit der Bevölkerung hinter der KKE stehen, und dann und nur dann kann irgendwas die gesellschaftlichen Verhältnisse Veränderndes angegangen werden. Jeder, der vorher losschlägt, ist entweder ein Provokateur (Anarchisten) oder verbleibt im bürgerlichen Koordinatensystem und ist daher ein Verräter (Syriza).

Die KKE hat aus dieser Erwegung heraus – leider – eine Rolle gespielt, die zum einen bei den militanten Massenaufständen 2010/2011 bremste, und die gleichzeitig auch jetzt nicht geneigt ist, innerhalb einer möglichen Koalition mit Syriza ein vorwärtstreibendes Element zu sein. Denn grundsätzlich hat die KKE in einem entscheidenden Punkt recht: Ohne den radikalen Bruch mit dem Bisherigen wird nichts vorangehen. Ein „halber“ Bruch mit der EU-Troika wird nicht reichen. Durch ihre eigene Strategie verpasst sie die Chance, dieser Einsicht zur Wirksamkeit in der Realität zu verhelfen.

Warum diese Koalition?

Zurück zur Koalition. Die KKE also nicht. Was bliebe? Einige meinten, man hätte lieber mit „To Potami“ oder gar den Überresten der griechischen Sozialdemokratie koalieren sollen. Das ist selbstverständlich völliger Blödsinn. Denn das Entscheidende für Syriza, der Grund, warum sie gewählt wurden, ist das Versprechen, den von Brüssel und Berlin aufgezwungenen Austeritätskurs zu beenden. Und das wäre mit diesen Parteien nicht möglich gewesen.

Syriza hatte genau zwei Möglichkeiten: Zu sagen, nein, unter diesen Bedingugen können wir keine Regierung bilden, wir geben ab an die bisherige Regierungspartei Nea Dimokratia. Oder eine Koalition mit der bedeutend kleineren, unerfahrenen und ideologisch kaum gefestigten Anel einzugehen. Das haben sie gemacht, und freuen wird das niemanden. Aber sehen wir uns an, was die ersten Ergebnisse dieser Liaison sind.

Der Mindestlohn wurde angehoben, von 400 auf 751 Euro. Die Privatisierungen des Hafens von Piräus und des Stromversorgers DEH wurde gestoppt, die 13. Monatsrente wieder eingeführt, tausende Entlassungen im öffentlichen Dienst wurden zurückgenommen. Das sind nur einige der bisher beschlossenen Massnahmen und die Regierung ist gerade ein paar Tage alt. Wichtig, vor allem um gleich klar zu machen, dass die Anel in Migrationsfragen nichts zu melden hat, ist der Beschluss, Kindern von Einwanderern die griechische Staatsbürgerschaft zu verleihen. Und ebenfalls wichtig, auf einer symbolischen Ebene, ist der entschlossene Widerstand gegen den EU-Kurs gegen Russland, der derzeit mehr als alles andere für Verstimmung bei deutschen Aussenpolitikern und Journalisten sorgt.

Wie schätzen wir das ein? Ist das „revolutionär“? Sicher nicht. Aber es ist ein Zeichen der Hoffnung für die griechische Bevölkerung, die durch den aufgezwungenen Sparkurs zu ersticken drohte. Wer je in den vergangenen Jahren in Griechenland war, kennt die Verzweiflung, die sich breit gemacht hat. Ein Land, das in eine langdauernde Rezension gezwungen wurde, in dem sich die Löhne halbierten, viele nichts, wirklich nichts mehr hatten. Arbeitslosigkeit, Rentenkürzungen, sozialer Verfall. Kürzlich habe ich mich mit einem syrischen Flüchtling unterhalten, der illegal über Griechenland nach Europa eingereist ist. Er sagte mit: „Man kann nicht glauben, dass Griechenland ein Land in der EU ist. Die Leute sind ärmer als in Syrien vor dem Krieg.“

Klassisch sozialdemokratisch

Was Syriza macht, ist nicht revolutionär, es ist klassisch sozialdemokratisch, nämlich wenn man an die Sozialdemokratie vor ihrer extrem-neoliberalen Wende mit Blair und Schröder zurückdenkt. Die ökonomischen Überlegungen der Syriza-Minister sind links-keynesianistisch, und sie wollen selbige mit parlamentarischen Mitteln durchsetzen. Das ist sozialdemokratisch in dem Sinne, in dem die deutsche Linkspartei sozialdemokratisch ist. Das ist nichts, was wir feiern müssen, aber wir leben in einer Zeit, in der selbst diese Art von Politik selten geworden ist, deshalb dürfen wir uns nicht voreilig abwenden.

Denn es gibt eine weitere Besonderheit, die man nicht ausser Acht lassen darf: Ohne die ausserparlamentarischen Kämpfe und Mobilisierungen gäbe es auch Syriza nicht, und viele in Syriza wissen um diesen Umstand. Syriza ist der parlamentarische Versuch, das zu erreichen, was man 2010/2011 aus verschiedenen Gründen durch die militante Intervention nicht erreicht hat. Syriza ist ein Minimalprogramm, ein Luftröhrenschnitt für einen Erstickenden.

Ähnlich wie ein Luftröhrenschnitt ist sie zwar notwendig, aber auch keine endgültige Lösung. Das wird sich schon in den nächsten Wochen abzeichnen. Denn der Kern des Syriza-Vorhabens besteht gleichwohl in einem Schuldenschnitt. Den aber haben sämtliche Funktionäre von Europäischer Zentralbank, EU-Kommission, IWF, deutscher Regierung bereits kategorisch ausgeschlossen, in der gesamten EU läuft zudem eine Medienkampagne, die den Leuten verklickern soll: Der Schuldenschnitt heisse nichts anderes, als dass die „faulen Griechen“ euch euer Geld klauen wollen. Noch drückender könnte der Krieg diverser Finanzinstitutionen werden, die sich bereits eingeschaltet haben: Moody's und Standard&Poors sind eifrig dabei die Ratings Griechenlands zu drücken, die Refinanzierung an den Kapitalmärkten wird immer schwieriger.

Radikalisierung oder Tod

Tsipras und seine Syriza stehen vor diesem Dilemma: Entweder der vollständige Bruch mit Euro-Zone, EU und jenen deutschen Kolonialherren, die meinen, entscheiden zu können, was in Griechenland gewählt werden darf. Oder der Tod von Syriza. Denn die Wählerinnen und Wähler werden dieses Mal sicher ganz genau hinsehen.

Bis zu diesem Punkt können wir das ganze von aussen beschreiben und so einschätzen, denn es geht uns nur indirekt an, wir sind ja weder Mitglieder von Syriza, noch verlieren wir unseren Ministerposten, wenn Syriza scheitert. Aber: Wenn Syriza scheitert, kommt erstmal sicher nichts besseres. Und das kann man aus Perspektive der Basisbewegung sagen.

Denn nun könnte die Basisbewegung die Gunst der Stunde nutzen. Weite Teile der griechischen Bevölkerung stehen der neuen Regierung und damit der „radikalen Linken“ (zumindest dem wording nach) positiv gegenüber. Die Basisbewegung könnte nun bei dem Motto der unter Arbeiterverwaltung stehenden Fabrik in Thessaloniki, Vio.Me, vorgehen: Resist – Occupy – Produce.

Werden wir einen Moment völlig utopisch: Sagen wir eine massive Bewegung auf der Strasse entsteht, die sich nimmt, was sie braucht, die Fabriken besetzt, Wohnviertel, vielleicht am Ende gar Reedereien. Wie würde Syriza reagieren? Würden sie die Bullen einsetzen, um das niederzuschlagen? Gut, dann wissen wir, wo der Feind steht. Oder würden sie aus Regierungsperspektive diese ausserparlamentarischen Prozesse unterstützen, wie das etwa Hugo Chavez in Venezuale oder Evo Morales in Bolivien gemacht hat? Ausprobieren sollte man das. Und tatsächlich dürften das auch die Überlegungen sein, die in einem Teil der ausserparlamentarischen Linken eine Rolle spielen.

Wenn man das ganze so denkt, ist der der Schwenk, den wir eingangs angekündigt haben, gar keiner. Genau betrachtet, bedeutet nämlich das Verteidigen der Syriza-Regierung zugleich deren Kritik und die Organisation eines Klimas und einer Bewegung, die Syriza weitertreibt oder ganz über Syriza hinausgeht – weiter zu einer Mobilisierung der Basis.

Internationaler Kontext

Verlassen wir Griechenland. Das Entstehen einer ein wenig aus der ewig gleichen Elendsverwaltung ausbrechenden Regierung hat Menschen in ganz Europa begeistert. Zugleich hat es eine Flut an Hetze aus den Reihen der bürgerlichen Journaille hervorgerufen. Was in Bild, Welt, Zeit und wie sie alle heissen in den vergangenen Tagen zu lesen ist, verschlägt einem die Sprache. Man will diese Schreiberlinge Hunde nennen, Schweine, Drecksäue und bemerkt im selben Atemzug, man täte diesen armen Tieren soviel Unrecht durch den Vergleich.

Hier können wir nicht einstimmen. Hier müssen wir intervenieren und sagen: Wenn wir Syriza kritisieren, ist das gut. Ihr aber, ihr Verteidiger jener Politik, die so vielen Griechinnen und Griechen das Leben zerstört habt, ihr habt eure Fresse zu halten. Wir müssen den Impuls aufgreifen. Wir müsssen ihn bewahren vor der Hetze des Feindes. Und wir müssen ihn verstärken, bis aus dem Funken Hoffnung, der entstanden ist, ein Feuer wird, in dem das Alte verbrennt und das Neue entsteht.

Peter Schaber / lcm