Die Ermächtigung der Herrschaft haut nicht mehr so richtig hin Wahlen in Spanien: Ausser Spesen nichts gewesen

Politik

Der erneute Wahlgang in Spanien hat wieder mehr oder weniger das gleiche Ergebnis gebracht: 4 Parteien ohne Konzept, die sich dennoch oder gerade deshalb auf keine Koalition einigen können.

Die konservative Volkspartei (PP) von Ministerpräsident Mariano Rajoy erhielt bei den Neuwahlen am meisten Stimmen. Podemos wird drittstärkste Kraft.
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Die konservative Volkspartei (PP) von Ministerpräsident Mariano Rajoy erhielt bei den Neuwahlen am meisten Stimmen. Podemos wird drittstärkste Kraft. Foto: PP Madrid (CC BY 2.0 cropped)

4. Juli 2016
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Was seinerzeit über die missglückten Wahlen 2012 in Griechenland geschrieben wurde, gilt auch für Spanien 2016. Während sich damals mit Neuwahlen die Sache vorübergehend lösen liess, wenngleich nur mit heftiger medialer Intervention (die kurz darauf eingegangene Financial Times Deutschland und Bild machten heftige Propaganda für die Nea Demokratia von Samaras und gegen Syriza, den Fast-Weltuntergang) schaut es in Spanien nicht so gut aus.

Der erneute Wahlgang ein halbes Jahr später hat wieder mehr oder weniger das gleiche Ergebnis gebracht: 4 Parteien ohne Konzept, die sich dennoch oder gerade deshalb auf keine Koalition einigen können. Während der Wahlkampagnen wurde zwar aller mögliche Schaum geschlagen, Werte hochgehalten und mit sehr substanzlosen Ideen gewedelt, aber herausgekommen ist nichts, was eine stabile Regierung braucht. Weder eine Mehrheit, noch eine Koalition, noch ein Konzept. Man kann sich auf weitere Monate des Dahinwurschtelns einrichten.

Man erinnere sich, dass Belgien einmal mehr als ein Jahr ohne Regierung dagestanden ist und eine Regierungsbildung nur unter weitgehenden Zugeständnissen an die Regionen möglich wurde, was eine sehr aufgeblähte Verwaltung und ein Kompetenzenchaos verursacht hat. Das wurde einem wieder einmal angesichts der Attentate von Brüssel vor Augen geführt. Die belgische Verwaltungsreform ist bis heute nicht abgeschlossen.

In Spanien kommen zu der Unfähigkeit der Mehrheitsbildung noch die Autonomie-Bestrebungen Kataloniens. Die gesamte spanische Staatsräson ist im Zuge der Finanzkrise flöten gegangen. Die „Marca España“ zieht nicht mehr, die Verschuldung der öffentlichen Hand wächst ständig, der Staatshaushalt funktioniert nur aufgrund des Anleihen-Aufkaufprogramms der EZB und es ist – wie schon in Griechenland – ein Zeichen von gröberen Problemen, wenn der Tourismus als Rettungsanker bejubelt und steigende Nächtigungszahlen gemeldet werden, denen jedoch keineswegs steigende Einkünfte entsprechen.

Während es als allgemeines Problem der EU besprochen wird, dass Regionalismen stärker werden und rechte, EU-skeptische Parteien erstarken, zeigt sich an Spanien ein anderes Problem: die Ökonomie hat keine Perspektive, daher wird ihre Verwaltung immer schwieriger. Die industrielle Produktion stagniert, bezüglich Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion ist Spanien zweigeteilt: es beliefert zwar die ganze EU mit Obst und Gemüse, Getreide und Milchprodukte hingegen werden praktisch nur mehr importiert.

In Spanien sind zwei der grössten Banken Europas domiziliert, aber der Sparkassensektor ist pleite und wird nur mit staatlichen Mitteln über Wasser gehalten. Der Kreislauf funktioniert also so: Santander und BBVA kaufen die spanischen Staatsanleihen en masse und verkaufen sie der EZB, damit der spanische Staat Bankia, diverse andere zahlungsunfähig gewordene Sparkassen und die Bad Bank Sareb finanzieren und deren gekrachte Hypothekar- und Baukredite vor dem völligen Verfall bewahren kann. Die spanische Ökonomie und der Geldumlauf in Spanien beruht also nur auf dem Hin- und Herschieben von Krediten und ohne Aussicht auf einen Durchbruch, der wieder solides Geschäft garantiert. Die wirklich erfolgreichen spanischen Firmen hingegen, wie z.B. Inditex, machen den grössten Teil ihres Umsatzes im Ausland und versteuern ihre Gewinne in Steuerparadiesen – im Falle von Inditex in Irland.

Die Staatsverschuldung Spaniens ist in absoluten Zahlen die 4.-höchste der Eurozone, wobei die Einbeziehung der Schulden der autonomen Provinzen nicht ganz klar ist, wo einige mit Kreditgarantien des Staates gerettet werden mussten, weil sie ihre Anleihen nicht mehr bedienen konnten. Spanien durfte seine diesbezüglichen Statistiken vor einigen Jahren etwas verschönern, um in den Genuss eines eurozonenfinanzierten Bankenrettungsprogramms zu kommen und nicht mit „Rettungsschirm“ und Troika beglückt zu werden, weil das das ganze Rettungsfonds-Programm zum Einsturz gebracht hätte. Spanien ist nämlich Mit-Garant und Einzahler der anderen Rettungspakete – würde es selbst zu einem Sanierungsfall, so würde wahrscheinlich das ganze Garantiesystem krachen, und der Euro auch.

So. Auf dieser äusserst prekären Ökonomie baut jetzt die Parteienkonkurrenz auf. Neue, als frische Kraft bejubelte Parteien wie die als links gehandelten „Podemos“ (Wir können) und die als liberal gehandelte Antikorruptionspartei „Ciudadanos“ (Staatsbürger) verraten ihre Konzeptlosigkeit schon im Parteinamen und langweilen die Wählerschaft seit geraumer Zeit mit dem Versprechen, sie seien ganz was anderes als die „etablierten“ Parteien. Mehr als diesen matten PR-Gag haben sie nicht im Programm, während Konservative und Sozialisten nicht mehr anbieten, als den Laden weiterzubetreiben wie bisher, und das als Erfolgsstory verkaufen wollen. Dabei hat Spanien nach offiziellen Zahlen nach Griechenland die höchste Arbeitslosenrate der EU, ein nach wie vor ungelöstes Problem von nicht gezahlten Hypotheken und vor der Delogierung stehenden Bewohnern in Millionenhöhe, praktisch keine Arbeitslosenversorgung, langsam leer werdende Pensionskassen und einen Haufen Kommunen, die ihre Müllabfuhr und Feuerwehr nicht mehr zahlen können.

Es ist zu erwarten, dass die Angelegenheit bezüglich Regierung so weiter geht wie bisher, die einen und die anderen Parteivorsitzenden sich als Retter des Vaterlandes aufspielen, mit der General-Keule „Korruption“ gewachelt wird und weiterhin keine Regierung zustandekommt.

Das ganze Theater wirkt besonders befeuernd auf Euro-Skeptiker und Separatisten im Schatten des Brexit und der Schwierigkeiten, die es in Grossbritannien bei einer Regierungsbildung geben wird, wenn mit dem dortigen Schlamassel des EU-Austritts umgegangen werden muss.

Das alles zeigt nämlich, dass Wahlen ein blosses Prozedere zur Ermächtigung der Herrschaft sind, deren Prinzipien jedoch nicht über Wahlen zustandekommen, sondern ihnen vorausgesetzt sein müssen. Wenn es da hapert, verkommt der Wahlzirkus zu einer blossen kostspieligen Farce. Die Kapitalakkumulation kommt nicht mehr wirklich voran und daher verunmöglicht sich ihre Förderung durch die gewählten Vertreter eines Staates. Es ist allerdings eine undankbare Aufgabe für eine Regierung, sich zum Konkursverwalter einer Nationalökonomie degradieren zu lassen – wie es die Regierungen von Griechenland und Portugal bereits praktizieren (müssen).

Damit kann man im Wahlkampf keinen Blumentopf gewinnen und keine Regierung hinkriegen.

Amelie Lanier