Antisoziale Sozialdemokratie in Österreich Kapitulation auf allen Ebenen

Politik

Über Sozialdemokratische Parteien zu schimpfen ist wie auf tote Hunde einschlagen. Und dennoch: die politischen Weichenstellungen, die dieser Tage in Österreich vorgenommen werden, sind es wert, genauer betrachtet zu werden.

SPÖ-Haus an der Donaufelder Strasse in Donaustadt, einem Gemeindebezirk, von Wien.
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SPÖ-Haus an der Donaufelder Strasse in Donaustadt, einem Gemeindebezirk, von Wien. Foto: Linie29 (CC BY-SA 3.0 unported - cropped)

11. Juni 2015
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Um im Hundebereich zu blieben: hier kann im Detail beobachtet werden, wie ein schwanzgewordener Hund versucht, mit einem anderen Hund zu wedeln – in der festen Überzeugung, selbst immer noch Hund zu sein. Genau deshalb öffnet sich die Sozialdemokratie nun zunächst auf regionaler Koalitionsebene zur rechtsextremen FPÖ. Der einzige Hund jedoch, der nun seit mehr als zwei Jahrzehnten mit den beiden österreichischen Grossparteien SPÖ und ÖVP umzugehen versteht als wären sie ein Teil von ihm, ist ebendiese FPÖ.

Diese bestimmt seit ihrem Aufstieg unter Jörg Haider zentrale Teile der österreichischen Innenpolitik durch die schiere Angst von SPÖ oder ÖVP vor weiteren WählerInnenverlusten an die Freiheitlichen. Ein kurzer Blick auf den aktuellen Umgang von SPÖ- und ÖVP-Verantwortlichen mit Asylsuchenden oder Notreisenden macht dies deutlich: von der ÖVP-Innenministerin bis hinunter zu sozialdemokratischen und konservativen GemeindevertreterInnen überbieten sich die beiden Parteien mit menschenverachtenden Massnahmen – einige wenige rühmliche Ausnahmen auf kommunaler Ebene mal ausgenommen.

Antisoziale Sozialdemokratie

Die FPÖ treibt SPÖ und ÖVP, die nach wie vor die bestimmenden Parteien von der Bundesebene bis hinab in die Landes- und Kommunalpolitik sind, vor sich her. Bei der Asylpolitik und beim Schüren rassistischer Ressentiments wird der Hegemoniegewinn der Rechten besonders deutlich. Betroffen sind aber auch alle anderen Bereiche. Und gerade die Durchsetzung neoliberaler Grundsätze und damit einhergehend das Ende sozialdemokratischer Klientelpolitik für die „kleinen Leute“ ebnete der Sündenbockpolitik der Freiheitlichen ja erst den Weg.

Die Sozialdemokratie hat den Aufstieg ihrer rechtsextremen Konkurrenz durch ihre eigene antisoziale Politik ermöglicht. Und anstatt nach den jüngsten Wahlergebnissen in den Bundesländern Steiermark und Burgenland – wo SPÖ und ÖVP erneut massiv verloren und die FPÖ Stimmen hinzugewonnen hat – endlich einen Kurswechsel einzuleiten, macht die Sozialdemokratie das Gegenteil und öffnet sich zu den Rechtsextremen. Entgegen mehrerer Parteitagsbeschlüsse bahnt die burgenländische SPÖ eine Koalition mit der FPÖ an. Statt die dafür verantwortlichen Lokalpolitiker zurückzupfeifen und endlich eine Strategie gegen den Vormarsch der Freiheitlichen zu entwerfen, beschliessen die Parteigremien, dass auf Landes- und Kommunalebene künftig die Zusammenarbeit mit der FPÖ kein Tabu mehr ist.

Wie sich der „Tabubruch“ – also die Öffnung der SPÖ nach rechts – auf die künftige sozialdemokratische Politik auswirken wird, bleibt abzuwarten. Besser wird's wohl nicht werden. Dabei wäre eine bessere Politik, also eine Politik für die arbeitenden oder nicht mehr arbeitenden, für die arbeitssuchenden, studierenden und lernenden Menschen hierzulande dringend notwendig – nicht zuletzt um der FPÖ das Wasser abzugraben. Denn wer ohne Zukunftsängste lebt, braucht auch keine rechtsextremen Phrasen, um sich Mut einzureden. Wer aber von einer Sozialdemokratie regiert wird, deren Politik für jedeN deutlich erkennbar ausschliesslich den Eliten nützt, der hat offene Ohren für reaktionäre Antworten auf die soziale Frage, die von den anderen Parteien überhaupt nicht mehr thematisiert wird. Dass die österreichischen SozialdemokratInnen jahrzehntelang gnadenlos StellvertreterInnenpolitik betrieben haben und die meisten Menschen gar nicht auf die Idee kommen, ihr Schicksal politisch selbst in die Hände nehmen zu können, tut ein Übriges dazu.

Zeit für Alternativen

Und links der Sozialdemokratie? Diverse kommunistische, sozialistische und sonstige Parteien und Gruppen, die wahlweise versuchen, gerade aktuellen Bewegungsbefindlichkeiten hinterherzuhumpeln oder sich in ihren jeweiligen Jargon-Elfenbeintürmen verstecken, werden es in nächster Zeit auch nicht schaffen, Alternativen zu entwickeln. Dabei ist der Zeitpunkt dafür gerade an diesem neuerlichen Tiefpunkt österreichischer innenpolitischer Entwicklung so gut wie schon lange nicht mehr. Für viele Menschen zerbröselt dieser Tage der allerletzte Grund, die SPÖ zu unterstützen. Wer sonst schon nichts mehr von der Partei erwartete, der glaubte zumindest ein letztes Hindernis gegen freiheitliche Regierungsbeteiligungen zu wählen.

Diese Illusion hat sich nun erledigt. So mancheR könnte sich vielleicht endlich dazu durchringen, sich über neue Wege den Kopf zu zerbrechen. Fest steht, dass dem Vormarsch der Rechten und dem Zurückweichen der Restlinken in Österreich nichts entgegengehalten werden kann, solange man nur „gegen rechts“ in die Offensive geht ohne die soziale Frage glaubwürdig zu thematisieren. Mit Moral, Aufklärung und Antifa-Sprüchen allein wird nichts zu gewinnen sein. Und dennoch werden diese sowie antifaschistische Mobilisierung auch weiterhin wichtig bleiben. Das haben gerade erst die Nazi-Übergriffe am Rande des „Identitären“-Aufmarsches in Wien am vergangenen Wochenende gezeigt. Zwischen freiheitlichen Jugendorganisationen und „Identitären“ gibt es bekanntlich viele Überschneidungen. Die SPÖ hilft mit ihrer neuen Koalitionspolitik nun den Strassenfaschisten dabei, weiter salonfähig werden.

Karl Schmal / lcm