Administrative und baukünstlerische Mittel Grenzzaun mit menschlichem Antlitz

Politik

In Österreich ist es derzeit wieder mal schwer, dem galoppierenden Irrsinn zu folgen.

Ungarn hat an der serbischen Grenze bezüglich „bauliche Massnahmen zur Grenzsicherung“ schon vorgelegt.
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Ungarn hat an der serbischen Grenze bezüglich „bauliche Massnahmen zur Grenzsicherung“ schon vorgelegt. Foto: Bőr Benedek (CC BY 2.0 cropped)

29. Oktober 2015
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Da ist ein Kommentar des Steiermark-Chefs der Kronenzeitung über plündernde Flüchtlingshorden und „äusserst aggressive sexuellen Übergriffe“ durch Syrer noch nicht verarbeitet, da preschen auch schon die politischen Lichtgestalten der Republik vor und verwandeln die Boulevardhetze in materielle Gewalt in Gestalt von „baulichen Massnahmen“ zur Grenzsicherung.

Einen ganzen Tag druckste Innenministerin Johanna „Festung Europa“ Mikl-Leitner (ÖVP) herum und sprach von „technischen Möglichkeiten“ und „Sperren“ über „mehrere Kilometer links und rechts des Grenzübergangs“. Dann endlich sprach sie das Unaussprechliche aus: „Natürlich geht es auch um einen Zaun.“ In der Zwischenzeit hatte ihr schon Verteidigungsminister Gerald Klug (SPÖ) beigestanden und die „Baumassnahmen“ prinzipiell befürwortet. Allerdings dürfe die „Menschlichkeit“ nicht aus den Augen verloren werden. Also soll nun mit Menschlichkeit in den Augen ein Zaun an der österreichisch-slowenischen Grenze aufgezogen werden, damit die frierenden syrischen Familien nicht in der schönen Steiermark frieren.

Ein Schelm, wer bei solcher Wortedrechslerei an den Frühsommer 1961 denkt. Denn damals vergingen immerhin noch zwei Monate zwischen „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“ und dem Bau derselben. Heute braucht es keine zwei Tage bis Klartext gesprochen wird. Ein Schelm auch, wer an den seit 25 Jahren von den SiegerInnen des Kalten Krieges vorgetragenen „Europa ohne Grenzen“-Pathos denkt, der plötzlich irgendwie nicht mehr so wichtig ist. Denn immerhin: was Anfang der 1990er Jahre eingerissen wurde, waren böse Mauern und Zäune, errichtet, um das eigene Volk einzusperren. Heute hingegen werden ja nur andere ausgesperrt. In der unerfindlichen Logik der ZäunebauerInnen dieser Welt ist das stets irgendwie humaner und weniger verwerflich.

Allen Grenzmauernbauern dieser Welt, seien sie nun gute oder schlechte, sei es gesagt: solange eine Weltordnung herrscht, die regelmässig ganze Regionen in Elend und Krieg stürzt, werden Menschen diese Regionen verlassen. Und solange es Akkumulationszentren gibt, die den in aller Welt produzierten Reichtum aufsaugen, werden Menschen sich auf den Weg in diese Zentren machen, in der Hoffnung, ein paar Krümel dieses Reichtums abzubekommen. Da helfen keine wie auch immer gearteten „administrativen und baukünstlerischen Mittel“ (Georg Fülberth).

Christoph Biró, Chefredakteur der steirischen Krone, hat sich nach der allgemeinen Empörung über seinen Hetzkommentar (inkl. Einschaltung der Staatsanwaltschaft) nun „aus eigenen Stücken für einige Zeit aus der Redaktion zurückziehen“, wie es seitens der Zeitung hiess. Er selbst heuchelte Selbstkritik und kann gar nicht verstehen wie ihm sein Kommentar aus der Feder entwischen konnte: „Ich bin seit 39 Jahren Journalist. Ich habe gelernt, Fakten von Indizien zu unterscheiden und Beweise zu würdigen“, erklärte er. „In meiner Kolumne vom Sonntag habe ich aber das Augenmass verloren.“ Und dann schreibt er noch von „Fingerspitzengefühl“, das er vermissen haben lasse. Alles nur ein Versehen also.

Derartiges bewährt sich auch in der Politik seit jeher. Erst vor wenigen Tagen brachte Grossbritanniens Expremier Anthony Blair heraus, dass Irak-Invasoren wie er selbst vielleicht doch nicht ganz unschuldig sind an der heutigen Situation in der Region. Richtig war der Angriffskrieg aus seiner Sicht natürlich dennoch – hunderttausende Tote und Flüchtlinge und auf Jahrzehnte zerstörte Länder hin oder her. Wir freuen uns heute schon auf Mikl-Leitners Memoiren, in denen sie die Errichtung der europäischen Grenzzäune der Jahre 2015/16 mit zärtlicher Selbstkritik zum lehrreichen Nutzen künftiger Generationen von ZaunbaumeisterInnen nacherzählt.

Karl Schmal / lcm