Das politische System driftet in die Nachhaltlosigkeit Österreich: Die grosse Erosion

Politik

Die erste Runde der Bundespräsidentschaftswahlen ist geschlagen und die Kandidaten der beiden Traditionsparteien, der Sozialdemokrat Rudolf Hundsdorfer und der Christlichsoziale Andreas Kohl sind es auch.

Der Freiheitliche Norbert Hofer ist seit Oktober 2013 Dritter Nationalratspräsident und Kandidat für die Wahl zum österreichischen Bundespräsidenten 2016.
Mehr Artikel
Mehr Artikel

Der Freiheitliche Norbert Hofer ist seit Oktober 2013 Dritter Nationalratspräsident und Kandidat für die Wahl zum österreichischen Bundespräsidenten 2016. Foto: Franz Johann Morgenbesser (CC BY-SA 2.0 cropped)

26. April 2016
0
0
7 min.
Drucken
Korrektur
Das Ausscheiden ist ein herber, wenn auch nicht unerwarteter Schlag sowohl für deren Parteien als auch für die Regierungskoalition. Diese eherne Konstellation ist abgelaufen. Dass es die einstigen Grossparteien – und mitgliedermässig sind sie es weiterhin! – nicht einmal in die Stichwahl schafften, demonstriert nicht nur deren aktuelle Schwäche, sondern verweist auf die Auflösung des alten Parteiensystems. Das Tempo des Zerfalls hat sich beschleunigt. Das politische System driftet in seine Nachhaltlosigkeit.

In der Stichwahl sind der Freiheitliche Norbert Hofer und der Grüne Alexander van der Bellen gelandet. Das war zu erwarten, wenngleich der Vorsprung des FPÖ-Kandidaten sehr hoch ausgefallen ist. Auf den ersten Blick sieht nun alles nach einem programmierten Erfolg für Hofer im zweiten Wahlgang am 22. Mai aus. Doch hier ist Vorsicht geboten, denn Hofer dürfte sein Potenzial um einiges deutlicher ausgeschöpft haben als das zersplitterte Anti-FPÖ-Spektrum, das nunmehr gezwungen sein wird, sich hinter van der Bellen zu stellen und das auch tun wird. Es ist also zu erwarten, dass der ehemalige Parteichef der Grünen auf jeden Fall einiges aufholen wird. Ob es ihm gelingt Hofer noch abzufangen, wird sich weisen. Ausgeschlossen ist es keineswegs.

Karussell und Stillstand

Indes was hier abläuft, ist mehr eine Erosion als ein Erdbeben, keine politische Wende, aber doch eine politische Verschärfung. Denn im Prinzip fordert die FPÖ keine andere Politik als sie SPÖ und ÖVP mittlerweile schon betreiben. Am Markantesten offenbart sich diese Synchronität in der sogenannten Flüchtlingskrise, aber auch in wirtschaftlichen und sozialen Belangen haben sich die Differenzen marginalisiert. Die Rechtspopulisten Hofer und sein Parteichef Strache sind bloss ein Stück mehr „far right“ als ihre Kontrahenten. Welten sind da keine. Rechts ist nicht nur die Rechte.

Bemerkenswert sind weiters drei Aspekte. Erstens war der gesamte Wahlgang fokussiert auf Asylpolitik und Festungsbau, hier ist die FPÖ zweifellos Platzhirsch. Zweitens stellten trotz der Palette von sechs Kandidaten auch diesmal wieder die Nichtwähler das grösste Segment dar. Die Wahlbeteiligung lag bundesweit bei mageren 68 Prozent, in der Bundeshauptstadt gar nur bei kanpp über 60. Drittens gibt es einen relevanten Unterschied zwischen den Ergebnissen im urbanen und im ländlichen Bereich. Rot-grüne Mehrheiten in vielen Städten sind obligat. Puncto zusätzlicher Wählermobilisierung in den nächsten Wochen sprechen Punkt zwei und drei aber für van der Bellen.

Insgesamt ist zu erwarten, dass Wahlresultate in Zukunft stark fluktuieren. Ein kleines Beispiel: Erreichte die SPÖ bei der Kommunalwahl am 17. April in der niederösterreichischen Landeshauptstadt St. Pölten satte 59 Prozent, so sind es eine Woche später für Hundstorfer gerade mal knapp 17 Prozent geworden. Diese Differenz ist nicht nur gross, dieses Auseinanderklaffen ist geradezu eklatant. Nicht nur in St. Pölten. Derlei kann kaum mit lokalen Begebenheiten resp. den unterschiedlichen öffentlichen Institutionen erklärt werden. Wähler werden zusehends medial duchflexibilisiert. Sie rotieren.

Eintags- und Zweitagsfliegen mehren sich sowohl in Bund, Land und Gemeinden, Abgänge und Zuwächse fallen zusehends extrem aus. Kandidaturen werden rasant avancieren, aber auch schnell wieder verschwinden. Wir starren wie auf ein Karussell und werden immer wieder erstaunt sein. Obwohl den Stillstand repräsentierend, steht es nicht still, sondern dreht sich in stets flotterem Tempo am gleichen Fleck weiter. So gesehen sind die Bundespräsidentschaftswahlen ein vorläufiger Kulminationspunkt. Das politische System verliert seine Kalkulierbarkeit. Selbst die Übersicht geht verloren. Die pensionierte Richterin Irmgard Griss, die Wutoma bürgerlicher Betulichkeit hätte Präsidentin werden können, doch jetzt, nach ihrem knappen Scheitern als Dritte, wird sie entweder bald in Vergessenheit geraten oder auf Nationalratsebene ein Abenteuer wagen. Auch diese „neue“ Politik ist nicht mehr als ein ÖVP-Plagiat.

Arena der Kampfaffen

Kaum Gegenstand der Debatten sind die Veränderungen in den Wahlkämpfen, kurzum die Transformation des Poltischen selbst. Dominierten früher die Fernduelle, so ist nun der Nahkampf zwingend geworden. Die Kandidaten wurden in diesem Wahlkampf vorgeführt wie die Kampfaffen. Jeder gegen Jeden in diversen Medien und auf allen Kanälen: Hauen, Stechen, Beissen, Schleimen. Der Raum dieser Politik des Performativen gleicht einer Arena, in die alle hineinmüssen: die Kandidaten, ihre Unterstützer, die Zuschauer, die Wähler. Die Wahlkampf ist aber weniger spannend als unerträglich gewesen. Nun geht er in die Verlängerung

Nicht nur die Obskuranten werden mehr (man denke bloss an den austrocanadischen Multimilliardär Frank Stronach zu den letzten Nationalratswahlen 2013), auch die Clowns halten Einzug. Der Wiener Baumeister Richard Lugner ist so einer. Politisch ein reaktionärer Knochen sondergleichen, nützte er den aktuellen Wahlkampf aber zur Promotion seiner ökonomischen Anliegen und medialen Vorhaben. Der 83jährige als auch seine 26jährige Gattin, stellen sich vor das Publikum und schwadronieren einfach los. Keine Zurückhaltung muss da fallen gelassen werden, da war nie eine. Politik wird zum Kasperletheater und man tut sich schwer das als Ausreisser abzutun. Die Stronachs und Lugners demonstrieren weniger ihre eigene Unverfrorenheit als die Misere des politischen Gesamtkomplexes, der solches zulässt ja fördert. Schokoladenkönige gibt es nicht nur in der Ukraine. Sie bevölkern zusehends die Politik auf verschiedensten Rängen in allen Räumen.

Die meisten Medien erscheinen dabei keineswegs als kritische Moderatoren, sondern als Anstalten, in denen eingewiesene Kandidaten gesteckt werden, um sie dort nach allen suggestiven Regeln der Kunst abspielen und vorführen zu können. Es überwiegt das Schinden von unmittelbaren Aufmerksamkeiten. Das neudeutsche Wort Catchen beschreibt ganz gut, was da in aller Ungustiosität abgeht. Der hat's ihm aber gegeben. Fanclubs erfreuen sich der emotionalen Militarisierung.

In diesem kulturindustriellen Knast führen die Inhaftierten ihre Rollen auf. Der Auftritt in der Manege ist Pflicht, niemand traut sich abzusagen resp. kann sich ein Nein leisten. Dafür wird oft hart trainiert. Eingelerntes, Eingeübtes, Eingecoachtes wird abgespult. Attacke und Aggression, Lächeln und Kuscheln, sie sitzen so wie der Anzug oder das Kostüm – oder auch nicht. Man hat in Form zu sein, Inhalte sind dabei sekundär. In Windeseile werden unmittelbare Impressionen in einem Ranking vermessen, sofort in eine Werteskala eingespeist, entsprechend gefiltert und gespiegelt ausgespuckt. Politik kommt gar nicht mehr zu Ruhe. Der Reflex hat die Reflexion aufgefressen.

Wahlkämpfe sind Hochzeiten der Dummheit. Sie sind weniger Auseinandersetzungen um relevante Entscheidungen als ein Hickhack der Schnellschüsse und Eindrücke. Affekte werden in Effekte übersetzt. Politische Reklame funktioniert dabei auf zwei Schienen: erstens in der gezuckerten Darstellung des eigenen Angebots und zweitens in der systematischen Abwertung der Kontrahenten durch Negative Campaigning. Beides kennt keine Peinlichkeiten und keinen Genierer mehr. Das Trauerspiel der Langeweile findet in der Skandalisierung dann zu seiner regelmässigen Pointe. Doch auch das wird zusehends irrelevant und fad…

Immer mehr Leute erwarten von der Politik immer weniger. Wäre vieles nicht so verrückt, müsste man Mitleid haben mit den Exponaten, die da seriell hergestellt auf der Bühne herumhopsen. Die Zuschauer wiederum gleichen ahnungslosen Resignateuren der eigenen Unbeholfenheit. Sie sind, sofern sie nicht fliehen, den Fängern einer stets penetranter werdenden Anmache recht wehrlos ausgeliefert. Unter den Fängern werden die Rattenfänger freilich mehr, denn mühelos können sie an das vorhandene Massenbewusstsein andocken.

Das Publikum ist also nicht Akteur oder gar Souverän, auch wenn ihm das allseits versichert wird, es ist lediglich die Projektionsmasse, die als Legitimationsinstanz herzuhalten hat. Und das funktioniert, zumindest bei den Mobilisierten noch immer, die Verdrossenen hingegen erscheinen als amorphe Menge. Ärgerlich sind sie, weil weder Politik noch die als Meinungsüberwachung getarnte Meinungsforschung mit ihnen etwas anzufangen weiss, ausser dass man sie flächendeckenden Kampagnen aussetzt, um sie unbedingt wieder an ihre Urne zu holen.

Franz Schandl
streifzuege.org