Pakt mit afrikanischen Despoten Nach dem Türkei-Deal: Libyen als nächster Partner

Politik

Vertrauliche EU-Pläne: Die EU will Flüchtlinge im grossen Stil nach Libyen und in ostafrikanische Diktaturen zurückschicken.

Die Altstadt von Tripolis, Libyen.
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Die Altstadt von Tripolis, Libyen. Foto: Patrick André Perron (GNU 1.2)

11. Mai 2016
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Das Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei ist höchst umstritten. Doch bald könnte nach dem Vorbild des Türkei-Abkommens ein nächster – noch problematischer – Deal mit Libyen folgen. Ausgerechnet das komplett zerrüttete Bürgerkriegsland soll als weiterer Torwächter vor der Festung Europa eingesetzt werden. Das ARD-Magazin «Monitor» hat die Kooperationsvorhaben am 14. April publik gemacht.

Ziel sei es «auch die Flüchtlingsroute von Libyen nach Italien zu ordnen und zu steuern, wie wir das bei der Türkei gemacht haben, sagte Angela Merkel Anfang April vor Delegierten der Berliner Landes-CDU. «Wir haben jetzt die Aufgabe vor uns, mit Libyen eine solche Kooperation hinzukriegen.» Und Bundesinnenminister Thomas de Maizière fordert gar, dass der Türkei-Rückführungs-Deal die Vorlage für die gesamte Nordafrika-Politik werden soll. «Wir werden auch über Modelle zu diskutieren haben, ähnlich wie wir sie mit der Türkei praktiziert haben, mit nordafrikanischen Staaten zu reden. Das hiesse dann: Rückführung gegebenenfalls in solche Staaten und von dort verabredete humanitäre Kontingente in die Europäische Union.»

Pakt mit afrikanischen Despoten

Vertrauliche EU-Dokumente, die dem ARD-Magazin «Monitor» vorliegen, belegen zudem weitgehende Kooperationspläne mit ostafrikanischen Despoten in der Flüchtlingspolitik. Die Europäische Kommission und der Auswärtige Dienst der EU schlagen darin konkrete Zusammenarbeit mit den Machthabern in Eritrea, Sudan, Äthiopien und Somalia vor. Man könne im Gegenzug für die Zusammenarbeit in der Flüchtlingspolitik beispielsweise über Wirtschaftshilfen und Visa-Erleichterungen für Diplomaten nachdenken. (Siehe dazu auch «EU kooperiert mit Diktatoren» auf Infosperber).

Fakt ist: Die Zahl der Flüchtlinge aus Libyen steigt wieder an, seit die Balkanroute geschlossen ist. Allein im März kamen nach Zahlen der EU-Grenzschutzagentur Frontex 9600 Migranten über die zentrale Mittelmeerroute in die EU – viermal so viele wie im März 2015. Und in Libyen warten fast eine halbe Million Menschen auf ihre Überfahrt Richtung Europa.

Die meisten Menschen, die über Libyen nach Italien kommen, sind Afrikaner. Viele dieser Migranten flüchten vor Armut oder Gewalt, sie haben aber in den meisten Fällen kein Recht auf Asyl in der EU. Ein Deal mit Libyen würde bedeuten: Massenweise Flüchtlinge zurückzuschicken in ein Land, das einem Schlachtfeld gleicht. Seit dem Sturz von Muammar al-Gaddafi 2011 versinkt Libyen in Chaos und Bürgerkrieg. Das Land wird beherrscht von rivalisierenden Milizen, die auch vom Menschenschmuggel profitieren. Gleichzeitig haben die Dschihadisten des Daesh (IS) in Libyen starken Zulauf.

«Tödliche Falle für Flüchtlinge»

Die Menschen im Land leiden seit Jahren unter dem Konflikt. Etwa 2,4 Millionen Libyer sind auf humanitäre Hilfe angewiesen, schätzt die UNO. Und das bei einer Gesamtbevölkerung von 6 Millionen. Noch schlimmer ist die Situation der Migranten, die in Libyen gestrandet sind. Amnesty International bezeichnet das Land als «tödliche Falle für Flüchtlinge» und berichtet von Entführungen, Versklavung, Folter und Vergewaltigungen.

Seit Gaddafis Zeiten werden sogenannte «illegale Migranten» in «Flüchtlings-Camps» verfrachtet, wo Männer, Frauen und Kinder auf unbestimmte Zeit als Gefangene gehalten werden. Misshandlungen sind hier Teil des Systems, das sagen auch die Vereinten Nationen in ihrem jüngsten Bericht über die Menschenrechtslage: Es gebe «zahllose Fälle von Folter und anderer Form grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe, insbesondere für die Insassen von solchen Haftanstalten.»

Wer Flüchtlinge nach Libyen zurückschicken will, schickt sie höchstwahrscheinlich in solche Zentren zurück. In einen Staat, in dem es nicht einmal eine richtige Regierung gibt.

Militäreinsatz ausweiten

Doch die EU hält an der Politik der Abschottung fest: Sie will verhindern, dass Hunderttausende Migranten über das Mittelmeer von Libyen nach Italien gelangen. Um Schleuser effizienter zu bekämpfen möchten die Europäer die EU-Militärmission «Sophia» im Mittelmeer ausweiten und Kriegsschiffe in libysche Küstengewässer schicken, in einem nächsten Schritt sogar an Land operieren. Seine Hoffnungen setzt der Westen in die neue «Regierung der Nationalen Einheit». Die EU will die von den Vereinten Nationen vermittelte Regierung mit allen Mitteln unterstützen und beim Wiederaufbau der Küstenwache helfen. Ausserdem bietet man Libyen Unterstützung an in den Bereichen Polizeiarbeit, Terrorbekämpfung, Menschenschmuggel und Grenzschutz. Allerdings ist die Einheitsregierung stark umstritten und ringt noch um Anerkennung im eigenen Land. Ob sie von den Bürgerkriegsparteien jemals akzeptiert wird, ist höchst ungewiss.

Lotte Leicht, EU-Direktorin von Human Rights Watch, kommentiert das Kooperations-Vorhaben der EU mit scharfen Worten: «Jedes Abkommen zwischen der EU und Libyen über die Rückführung von Flüchtlingen, so wie wir es grade eben mit der Türkei vereinbart haben, wäre grauenhaft, inakzeptabel und würde heissen, dass die EU ihre eigenen Grundsätze aufs schwerste verletzt, vor allem, was den Schutz von höchst schutzbedürftigen Menschen betrifft.»

Red. / Infosperber