Das unendliche griechische Desaster Griechenland unter der Fuchtel von EU, EZB und IWF

Politik

Die Medien berichten über die in Griechenland blockierten Flüchtlinge, aber nicht mehr über die Folgen des Austerität-Diktats. Wie erdulden und erleiden die Griechinnen und Griechen das fortdauernde Gürtel-Engerschnallen?

Strassenszene in Athen, Griechenland.
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Strassenszene in Athen, Griechenland. Foto: -DiMiTRi- (CC BY-NC-SA 2.0 cropped)

15. März 2016
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Costas Lapavitsas, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität von London, war im ersten Jahr der Syriza-Regierung Abgeordneter für Syriza in Athen. Er zieht im Folgenden eine Zwischenbilanz.

Das unendliche griechische Desaster

Es ist nun acht Jahre her, dass Griechenland in eine Rezession geriet und sechs Jahre, dass es einer vom IWF, der EU und der EZB (der Troika) vorgeschriebenen Bailout –Strategie folgte. Die Syriza- Regierung, die im Januar 2015 gewählt wurde und mit der man die Hoffnung verband, dass sie aus dem Austeritätsprogramm aussteigen würde, hat kapituliert und wendet nun die Bailout-Politik an. Die Wirtschaft zeigt keine Zeichen einer nachhaltigen Erholung und befindet sich 2015 wieder in einer Rezession.

Dennoch hat sich 2016 die Lage des Landes durch eine Welle von Flüchtlingen und Migranten ungeheuer verschlechtert. Griechenland ist zu einem Transitland für Menschen geworden, die versuchen, über die Türkei weiter nach Nordeuropa zu gelangen. 2015 kamen und gingen auf diesem Wege 800'000 Flüchtlinge und Migranten. Im Februar 2016 wurden die griechischen Grenzen auf Druck vonseiten Österreichs und anderer Länder der EU effektiv versiegelt. In der Folge sind Camps voller notleidender Menschen entstanden. Wenn keine humane und rationale europäische Lösung in den kommenden Wochen gefunden wird, könnten der soziale, wirtschaftliche und politische Druck auf das erschöpfte Griechenland so unerträglich werden, dass es zu einer ernsthaften Bedrohung der Beziehungen mit der EU kommen könnte.

Der schlechte Zustand der Wirtschaft in Zahlen

Der erbärmliche Zustand der griechischen Wirtschaft wird in den Daten von Elstat, der Griechischen Statistikbehörde, vom 29. Februar offenkundig. Abgesehen von einem erstaunlichen Sprung für das letzte Quartal von 2015, das einen aussergewöhnlichen Anstieg von 20 Prozent bei den Investitionen von Quartal zu Quartal zeigte, hat die Behörde festgestellt, dass Griechenlands GDP im Jahr 2015 um 0,3 Prozent geschrumpft ist. Der Verbrauch hat 2015 ein wenig zugenommen, aber die Investitionen sind weiter gesunken – und das trotz des erstaunlichen Anstiegs im letzten Quartal. Auch die Exporte sind 2015 erneut zurückgegangen.

Schaut man sich einen längeren Zeitraum an (siehe Grafik), ist klar zu sehen, dass der wirtschaftliche Absturz des Landes im Jahr 2008 begann und sich 2010 erheblich verschlimmerte, als man begann, die Bailout-Strategie anzuwenden. Seit 2013 hat sich die Entwicklung auf tiefem Niveau stabilisiert und die griechische Wirtschaft liegt am Boden.

Zusammenbruch der Einkommen und des Konsums

Die Gründe für den Zusammenbruch nach der Durchsetzung der Bailout-Programme sind vollkommen klar. Die Inlandsnachfrage ging stark zurück, weil die Staatsausgaben reduziert und in der Folge die Steuern erhöht wurden. Die von der Troika auferlegten tiefen Einschnitte bei den Reallöhnen trugen zum weiteren Rückgang der Nachfrage bei, weil der Konsum einbrach. Der Kollaps im Bereich der Investitionen ist dramatisch: Sie fielen (nominal) von einem Höchstwert von 63.2 Milliarden Euro im Jahr 2007 auf 17.2 Milliarden Euro 2015. Das Ergebnis war eine Zerstörung der griechischen Produktionsstruktur und ein ungeheurer Anstieg der Arbeitslosigkeit; sie liegt zur Zeit immer noch bei 25 Prozent. Im Gegensatz zu vielen optimistischen Erwartungen konnte der Export die fehlende Binnennachfrage nicht ausgleichen. Die Leistungsbilanz hat sich dennoch erholt, denn der Zusammenbruch der Einkommen hat die Importe zusammenbrechen lassen.

Weiter Austerität verlangt

Inmitten dieser katastrophalen Verhältnisse bestehen die Gläubiger (vertreten durch EU, EZB und IWF) darauf, dass Griechenland die Austeritätspolitik und die «Reformen» fortsetzt. Das erklärte Ziel ist es, bis 2018 einen Primärüberschuss in Höhe von 3,5 Prozent zu erzielen, damit das Land seine Staatsverschuldung bedienen kann, die gegenwärtig 321,3 Milliarden Euro oder 182 Prozent des BIP beträgt. Zu diesem Zweck hat die SYRIZA-Regierung bereits die Mehrwertsteuer beträchtlich erhöht und sie plant weitere Einschnitte bei den öffentlichen Ausgaben und neue Steuererhöhungen. Um die vorgesehenen Ausgabenkürzungen zu erreichen, hat die Regierung angekündigt, dass im Jahr 2016 bei den Pensionen 1,8 Milliarden eingespart werden sollen, das entspricht 1 Prozent des BIP. Gleichzeitig soll eine Pensionsreform auf den Weg gebracht werden, die dazu führt, dass die Beiträge der Landwirte und der Selbständigen deutlich erhöht werden.

Das Gespenst von Zwangsversteigerungen

Das Bild wird noch komplizierter durch die Rekapitalisierung der griechischen Banken vom November 2015, bei der die meisten Banken für einen geringen Betrag an verschiedene Hedgefonds und andere Spekulanten verkauft wurden. Gegenwärtig halten die Banken ungefähr 100 Milliarden Euro an Problemkrediten, um die man sich kümmern muss, damit überhaupt wieder Kredite vergeben werden können.

Ein grosser Teil der faulen Kredite wurden von einflussreichen Unternehmen aufgenommen, die sich die enge Verbindung zu Banken und Politikern zunutze machten, um Kredite aufzunehmen, bei denen nur wenig überprüft und überwacht wurde. Kredite wurden in beträchtlichem Umfang auch an private Haushalte von Personen vergeben, die schwer unter der Rezession der letzten acht Jahre gelitten haben. Der Umgang mit solchen Problemkrediten ist eine sensible Angelegenheit, denn erstens sind Kredite privater Haushalte oft Immobilienkredite, sodass es möglicherweise zu Zwangsversteigerungen und zum Verlust des Hauses kommt. Zweitens würde die Umstrukturierung von Unternehmensschulden unweigerlich bedeuten, dass die Machtbalance in verschiedenen Sektoren der Wirtschaft verändert wird.

Die Kombination von erneuter Austerität und schwachen Banken hat die Wachstumsaussichten in absehbarer Zukunft gedämpft. Der Grenzsteuersatz für kleine und mittlere Unternehmen könnte bei 50-60 Prozent liegen. Angesichts hoher Zinsen, schlechter Kreditverfügbarkeit und schwacher Nachfrage ist es unwahrscheinlich, dass es wieder zu nachhaltigem Wachstum kommt.

Es ist klar, dass Griechenland einen gezielten Anschub des privaten Verbrauchs benötigt, aber genau das wird durch die Bailout-Bedingungen verhindert.

Vielmehr bestehen die Gläubiger auf fiskalischen Überschüssen, «Reformen» und einer Reduzierung der Problemkredite. Dabei erweist sich der IWF als der härteste, aber auch der klarste unter Griechenlands Gläubigern. In einem Artikel auf der Website des IWF vom 11. Februar argumentierte Poul Thomsen, der das griechische Programm einige Jahre effektiv managte, dass die Pensionsreform absolut vorrangig sei, wenn das Land 2018 einen Primärüberschuss von 3,5 Prozent erzielen will. Tatsächlich scheint Thomsen der Ansicht zu sein, dass Griechenland weitaus strengere Austeritätsmassnahmen benötigt – in der Grössenordnung von 4-5 Prozent des BIP bis 2018 – um den angestrebten Überschuss zu erreichen. Das Land, sagt er, könne eine weitere Austerität nur dann vermeiden, wenn es zu einem Schuldenschnitt kommt. Allerdings ist schon allein die Erwähnung des Schuldenschnitts ein Anathema für die EU und besonders für deutsche Politiker.

Dringende Überprüfung des Programms

Die harte Haltung des IWF und der Widerstand der EU gegen einen Schuldenschnitt, lässt der Syriza-Regierung keine andere Wahl, als die Austerität 2016 und darüber hinaus fortzusetzen. Die Regierung befindet sich unter enormem Druck, die Austeritätsmassnahmen schnell umzusetzen, denn dies ist eine Bedingung für eine erfolgreiche Beurteilung des Bailout-Programms durch die «Troika». Wenn die Beurteilung nicht befriedigend ausfällt, werden die Bailout-Gelder nicht freigegeben, und damit wird es sehr schwer für die Regierung, ihre Schulden zu bezahlen und es könnte zu einer Wiederholung der Krisensituation von 2015 kommen. Die Schuldenzahlungen, zu denen die griechische Regierung in den kommenden Monaten verpflichtet ist, sind folgende:
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Bild: Dieses Jahr fällige Schuldenrückzahlungen Griechenlands in Milliarden Euro (Berechnungen der Financial Times). / is

Der Grossteil der Zahlungen betrifft Schatzbriefe, die von den griechischen Banken herausgegeben worden sind. Sie sind normalerweise einfach zu handhaben, weil der Staat sich leicht wieder in gleicher Weise bei den Banken refinanzieren kann. Jedoch beinhalten die Rückzahlungen im Juli einen beträchtlichen Betrag für die EZB, der ohne externe Unterstützung nicht aufgebracht werden kann. Deshalb muss die Überprüfung des Bailout-Programms vor dem Sommer abgeschlossen sein, wenn nicht erneut eine griechische Schuldenkrise drohen soll.

Die Möglichkeit einer erneuten Krise ist genau das, was die internationalen Märkte fürchten, und deshalb sind die Risikoaufschläge bei griechischen Anleihen mit einer Laufzeit von 10 Jahren seit Anfang Februar stark gestiegen. Der Zins liegt jetzt bei 10 Prozent im Vergleich zu 7 Prozent im November 2015. Darüber hinaus hat der prekäre Zustand der griechischen Banken zu deutlichen Kursschwankungen seit Anfang des Jahres an der Athener Börse beigetragen. Der Index stand am 31. Dezember 2015 bei 631, er fiel auf 440 am 11. Februar und hat sich am 1. März wieder auf 517 erholt. Unsicherheit und Angst dominieren nun wieder den griechischen Finanzsektor.

Griechische Krise tritt in eine neue Phase

Dies ist der Kontext, in dem die Flüchtlings- und Migrantenkrise eskaliert und das Land mit katastrophalen Folgen bedroht. Sicherlich hat Griechenland lange gebraucht, um auf die ansteigende Flüchtlings- und Migrantenwelle aus Syrien, Nordafrika, Afghanistan und anderen Gebieten zu reagieren. Aber das wahre Versagen liegt bei der EU, die nicht in der Lage war, eine kohärente Strategie zu entwickeln, um einen sicheren Transit und eine Verteilung der Flüchtlinge auf rationaler Basis in der Union zu gewährleisten.

Das Schliessen der Grenzen durch mehrere EU-Mitgliedsstaaten Anfang 2016 hat dazu geführt, dass Griechenland zu einem grossen Flüchtlingscamp wurde, wobei die Flüchtlinge und Migranten nicht in dem Land bleiben wollen. Es ist denkbar, dass innerhalb kurzer Zeit 100'000 und mehr Flüchtlinge und Migranten in diese Camps kommen. Griechenland hat nicht die Ressourcen, um solche Massen auf humane und effiziente Weise zu bewältigen. Für ein Land, das bereits durch eine Rezession und eine desaströse Wirtschaftspolitik gebeutelt ist, könnte das der letzte Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt.

Die Regierung Syriza befindet sich zur Zeit in einer unmöglichen Position: Sie ist gezwungen, weitere Austeritätsmassnahmen durchzuführen, aber gleichzeitig fürchtet sie die politischen und sozialen Implikationen ihrer eigenen Politik. Ihre Glaubwürdigkeit bei der Wählerschaft ist zerstört und besonders unter jungen Griechen herrscht weit verbreitete Desillusionierung. Das Flüchtlingsthema könnte der entscheidende Auslöser in dieser brisanten Mischung sein, denn dadurch wird der soziale und politische Druck im ganzen Land verstärkt. Aber es gibt offenbar keine politischen Lösungen: weder eine Regierung der nationalen Einheit noch Neuwahlen sind unmittelbar tragfähige Optionen für Griechenland.

Angesichts der tiefgreifenden politischen Instabilität und der andauernden Stagnation der griechischen Wirtschaft ist es durchaus nicht undenkbar, dass das Thema der Mitgliedschaft in der EWU wieder auf die Tagesordnung kommt. Aus makroökonomischer Sicht ist es offensichtlich, dass Griechenland schon vor Jahren aus der EWU hätte aussteigen sollen, damit es die Möglichkeit zur Erholung und zu einer wirtschaftlichen Restrukturierung gehabt hätte. Politische Feigheit hat dazu geführt, dass es in der monetären Union geblieben ist, mit gewaltigen Kosten für Wirtschaft und Gesellschaft. Nach sechs Jahren desaströser Wirtschaftspolitik ist der Zustand des Landes heute noch viel komplizierter und prekärer. Jetzt geht es um die Beziehungen Griechenlands zur EU, denn der Euroskeptizismus wächst rasend schnell.

Die unendliche Krise Griechenlands tritt offensichtlich in eine neue Phase, die noch grösseren Schaden für das Land und Europa als Ganzes mit sich bringen könnte.

Prof. Costas Lapavitsas / Infosperber

Dieser Beitrag erschien auf flassbeck-economics. Übersetzung: Stephanie Flassbeck)