Frankreich erhebt sich On vaut mieux que Ça!

Politik

Am frühen Morgen des 14. Juni ist noch alles ruhig in Paris. Die kleinen Cafés rund um den Gare du Nord sind gut gefüllt, der Berufsverkehr ist noch nicht so stark, es wird gefrühstückt, sich auf den Tag eingestellt.

Seit Monaten toben in Frankreich die Kämpfe gegen das neue Arbeitsgesetz, das die Regierung Hollande per Dekret durchdrückte.
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Seit Monaten toben in Frankreich die Kämpfe gegen das neue Arbeitsgesetz, das die Regierung Hollande per Dekret durchdrückte. Foto: Karl Plumba

21. Juni 2016
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Ein grosser Tag steht bevor und ich versuche mir ein erstes Bild von der Situation zu machen. Seit Monaten toben in Frankreich die Kämpfe gegen das neue Arbeitsgesetz, das die Regierung Hollande per Dekret durchdrückte. Soziale Unsicherheit für alle ist die Folge. Doch bei den Protesten geht es bei bei weitem nicht nur um den Widerstand gegen das Arbeitsgesetzt, es ist viel mehr als das: Wut gegen die Prekarisierung, gegen das Elend der Arbeit, gegen Belästigungen am Arbeitsplatz, dagegen, dass man einem Chef sein Leben widmen muss — kurzum alles, was das kapitalistische System mit sich bringt.

On vaut mieux que ca skandieren sie. Wir sind mehr wert als das! Schüler und Studenten organisierten sich, bildeten riesige Blöcke auf den Demos, blockierten die Universitäten und Schulen, boykottierten die Zwischenprüfungen und überzeugten ihre Lehrer und Professoren davon es ihnen gleich zu tun. Über 2 Monate blieben sie allerdings in der Isolation gefangen. Einer Isolation begründet durch die Bürokratie der Gewerkschaften, die dazu führte, dass breite Teile der ArbeiterInnenbewegung zunächst nur spärlich auf der Strasse zu finden war, die Angriffe auf die Betriebe schwach ausfielen.

Das änderte sich mit der Durchsetzung des Arbeitsgesetzes durch den Verfassungsparagraphen 49.3, der es der Regierung erlaubt ein Gesetz ohne die Zustimmung des Parlaments durchzudrücken. Das Fass war übergelaufen, die Gewerkschaften folgten der Jugend auf die Strassen Frankreichs und waren bereit zu kämpfen. An diesem 14. Juni sollte also der grosse Tag kommen. Landesweit wurde zu einem Aktionstag gegen das neue Gesetz aufgerufen. Und das mitten im EM-Trubel und der Terrorpanik des französischen Staates. An der Metro-Haltestelle Porte Maillot sammelten sich die ersten Taxi-Fahrer. Sie sind mit Megaphonen ausgerüstet, blockierten wenige Zeit später verschiedene Strassen um den DemonstrantInnen ihre Solidarität zu zeigen. Am Startpunkt der Demo, dem Place d'Italie laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren.

Für 13:00 Uhr war mobilisiert worden doch schon zwei Stunden vorher sind die Strassenzüge rund um den Platz gut gefüllt, die Stimmung abgesehen von kleineren Scharmützeln mit den noch zurückhaltenden Gendarms ruhig. Die Demo zog sich über mehrere Kilometer die Strassen hinunter. Angeführt von einem viele tausende Menschen umfassenden antagonistischen Block reihten sich der Reihe nach die Gewerkschaftler der CGT, CNT, Solidaire und unzähliger weiterer Organisationen auf. Sie waren alle gekommen: Die streikenden EisenbahnerInnen, PostarbeiterInnen, LehrerInnen, die Studierenden, Schülerinnen und Schüler, SozialarbeiterInnen, Arbeitslosenkollektive. 700.000 Menschen zählte man auf den Strassen Paris. Landesweit zwei Millionen.

Schon kurz nach Beginn der Demo machten die Bullen klar, welche Taktik sie heute fahren würden. Bereits nach wenigen Metern gab es die ersten Angriffe, Gas lag in der Luft. Ziel war es, die verschiedenen Blöcke voneinander zu trennen um die Jugend im Frontblock besser kontrollieren zu können. Dies gelang auch zunächst, die Demo wich ein paar Schritte zurück, fing sich dann aber schnell wieder und setzte ihren Weg kämpferisch fort. Vor allem die ersten Reihen lieferten sich auf der 5 Kilometer langen Route immer wieder harte Kämpfe mit den völlig überforderten Cops. Nahezu jede Metro-Haltestelle, Banken-Filiale und staatliche Institution wählte an diesem Tag die Nummer des nächstgelegenen Glasers. Die Cops antworteten mit Gas, Gummischrot und Knüppeln, konnten die Demo aber nie entscheidend stoppen. Die Gewerkschaften blieben solidarisch, organisierten ihre Blöcke straff und mit guten Schutzstrukturen und strotzen den Angriffen.

Intensiv wurde es bei der Metro-Station Duroc. Der Frontblock hatte den Eiffelturm vor Augen und startete einen Angriff auf die Bullen um eine andere Route einzuschlagen. Über Minuten flog eine Menge Pariser Asphalt und Feuerwerksbedarf in die eine, Gasgranaten in die andere Richtung. Ein Wasserwerfer fuhr in die Demo und trieb sie auseinander. Wasserwerfer waren in Paris seit Beginn der Bewegung noch nicht eingesetzt worden. In Nantes und Rennes gehören sie aber zusammen mit Blendgranaten und Tränengas zum normalen Repertoire der Polizei gegen die Protestierenden.

Letztlich setzte die Demo ihre geplante Route zum Abschlusskundgebungsort fort, wo die Lage dann final eskalierte. Cops stürmten in ruhig auf den Steinen sitzende DemonstrantInnen. Die Reaktion waren wütende Angriffe auf die Bullen die mit jede Menge Gas, Gummigeschossen und Blendgranaten antworteten. Die Kämpfe zogen sich über eine knappe Stunde hin, bis über der Stadt ein grauer Nebelschleier lag. Langsam entfernte man sich, die Gewerkschaften packten zusammen und lieferten sich zum Teil noch kleinere Auseinandersetzungen mit den Cops an den Bussen.

Mehrere hundert schlossen sich zu einer militanten Sponti zusammen die sich heftige Auseinandersetzungen mit den Bullen lieferte und auch am späten Abend sollten am Place de la republique noch Autos brennen. Am Abend schrieben die grossen Zeitungen von „Unruhen und Konfrontationen“ – das Attentat von Magnanville und die Fussball EM im eigenen Land, inklusive andauernder Randale, liessen nicht viel Raum für die Berichterstattung über soziale Proteste. Grossaufläufe von französischen Presseagenturen suchten man auf der Demo vergeblich. CGT-Führer Martinez sagte am Nachmittag: „Jenen, die sich ein Erlahmen der Bewegung erhofften, haben wir heute die Antwort gegeben.“ In einer gemeinsamen Erklärung der Gewerkschaften hiess es: „Wir erleben eine Mobilisierung, wie wir sie seit Februar nicht gekannt haben.“

Am 23. Juni soll das Arbeitsgesetzin der zweiten Parlamentskammer, dem Senat, diskutiert und zu Abstimmung gestellt werden. Da die Regierung Hollande-Valls die „Reform“ des Code du travail mit Hilfe des Verfassungsparagraphen 49.3 bereits ohne Votum der ersten Kammer, der Nationalversammlung, für rechtskräftig verabschiedet erklärt hat, ist die Abstimmung im Senat nicht mehr als parlamentarische Kosmetik. Das Gesetz kann laut Verfassung nur durch ein Misstrauensvotum gegen die Regierung gekippt werden. Die dafür notwendige Zweidrittelmehrheit steht der Opposition nicht zur Verfügung.

Der Widerstand wird trotz all dem weiter leben. Die Kämpfe werden nicht abreissen, die Menschen auch weiterhin ihren Protest auf die Strasse tragen. 70-80% der Franzosen lehnen das Gesetz ab. Genug Potential um die Strassen Frankreichs zum beben zu bringen. Genug Stärke dem Staat die Luft zum atmen zu nehmen. Genug Entschlossenheit um den Kampf anzunehmen.

Stahla Kolumna / lcm