Die neue Generation des Friedensaktivismus und die Rettung des Abendlands Bewegungen im Wahn?

Politik

Deutschland im Winter: Seitdem sich neue Friedensbewegungen mit der Pegida-Front zu vermischen scheinen, wirkt der Demos verwirrt. Der Politiker Klaus Lederer sondiert die Lage.

Mahnwache für den Frieden. Montagsdemonstration in Hamburg am Jungfernstieg.
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Mahnwache für den Frieden. Montagsdemonstration in Hamburg am Jungfernstieg. Foto: Diagram Lajard (PD)

29. Januar 2016
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Es war die Phase der Zuspitzung im Ukraine-Konflikt im Frühjahr 2014, als Lars Mährholz die erste »Mahnwache für den Frieden« anmeldete. Eine »neue Friedensbewegung« sollte ins Leben gerufen werden. Eine Friedensbewegung, die sich dezidiert nicht als politisch links oder rechts verorten, sondern allen ein Podium und Sprachrohr sein wollte, die »für den Frieden« waren. Die Sorge vor einem drohenden Krieg auf dem europäischen Kontinent politisierte in sehr unterschiedlichen Formen.

Die zunehmenden Spannungen zwischen der Ukraine und Russland infolge der Proteste auf dem Maidan, des irregulären Regierungswechsels und der ökonomisch-politischen Auseinandersetzungen um die strategische West- oder Osteinbindung der Ukraine, der völkerrechtswidrigen Okkupation der Krim durch Russland und schliesslich der Bürgerkriegszustände in den ostukrainischen Regionen verursachte nicht nur hektische diplomatische Aktivitäten auf dem ganzen Globus. Sie wurden hierzulande auch medial aufgeladen.

Kehrseite der Konfliktbefeuerung

Nüchterne, faktenbasierte Nachrichtenarbeit war selten. Es dominierte die schlachtenbummlerische Frontberichterstattung mit simplifizierender und klar parteinehmender Tendenz bis hin zur Dämonisierung von Russlands Rolle im Konflikt. Keine Frage, Russland hatte erheblichen Anteil an der Eskalation. Die Debatten um Waffenlieferungen an die Ukraine und Aufrüstung in Europa, Sanktionen, Manöver an den Grenzen Russlands und verbales Säbelrasseln der NATO-Staaten waren die Kehrseite dieser Konfliktbefeuerung.

Der jahrzehntealten, traditionell antifaschistischen und sich eben auch dezidiert links verortenden Friedensbewegung, zu Zeiten des NATO-Doppelbeschlusses ein kraftvoller Akteur im öffentlichen Meinungskampf der alten Bundesrepublik, gelang es schon seit einiger Zeit immer weniger, gegen Militarisierungstendenzen in Deutschland eine nennenswerte Gegenmacht zu mobilisieren. So auch im Frühjahr 2014.

Das lag sicherlich nicht nur daran, dass die politischen Rahmenbedingungen anders, die Zeiten unübersichtlicher, die Auseinandersetzungslinien verworrener geworden sind. Die Ursachen und Wirkungen internationaler Spannungen und Konflikte sind heutzutage – anders als noch zu Zeiten des Kalten Krieges – kaum mehr umstandslos auf die Systemauseinandersetzung zwischen zwei Grossmächten zurückführen. Stimmen der Vernunft und Rationalität haben es schwer in einer solchen Melange schlichter Ursachenzuschreibungen. Aber das ist nur ein Teil des Problems.

Unter Russlandfahnen auf der Friedensdemo

Manche Positionierung aus dem traditionell friedensbewegten Milieu – »gegen NATO, EU und Imperialismus « – konnte nur als Parteinahme aufseiten Russlands verstanden werden. Da schwang eine Interpretation der Konfliktgenese mit, nach der Putins Ringen und Trachten auf nichts weniger gerichtet sei, als auf die Wahrung und Pflege des friedlichen Miteinanders in Europa und der Welt.

Ihm sei angeblich »vom Westen« keine andere Chance gelassen worden, als »jetzt auch mal gegenzuhalten« – das Böse sitze folglich im Westen und in den USA. Unter Russlandfahnen auf der Friedensdemo mitzumarschieren, das mutete dann doch eher bizarr an. Für zivile Konfliktbearbeitung statt militärischer Lösungen einzutreten, erfordert Stringenz in der Argumentation und Glaubwürdigkeit.

Angesichts der Vielzahl globaler Akteure, die bereit sind, ihre Interessen gegebenenfalls militärisch durchzusetzen, muss grösstmögliche Distanz zu diesen gewahrt werden, zu ihren geopolitischen Strategien und ihrer Bereitschaft, Kriege in Erwägung zu ziehen. Gut-Böse-Gegenüberstellungen und Schwarz-Weiss-Denken schaden progressiver, emanzipatorischer, antimilitaristischer Aufklärung und Politik.

Mahnwachen für den Frieden

Die traditionelle Friedensbewegung und auch die gesellschaftliche Linke an sich haben es aus einer ganzen Reihe von Gründen während des Ukrainekonflikts wiederholt nicht vermocht, sich mit einer konsistenten, überzeugenden, mobilisierenden antimilitaristischen Positionierung lautstark Gehör zu verschaffen. Gemessen an der Friedensbewegung schien es den neuen »Mahnwachen für den Frieden« vor allem mit Hilfe sozialer Medien deutlich besser zu gelingen, nennenswert Menschen unter der Fahne des Friedens auf die Beine zu bringen.

Auf die erste Kundgebung in Berlin folgten weitere. Im Juli 2015 sprachen die Organisierenden von 135 Mahnwachen in Deutschland, Österreich und der Schweiz, von einer Handvoll bis zu zweitausend teilnehmenden Menschen. Vor allem das Internet bot mannigfaltige Vernetzungsmöglichkeiten. So wurden etwa die Kommentarspalten von Nachrichtenportalen massiv genutzt, um für die Teilnahme an den ersten Mahnwachen zu werben. »Liebe, Freiheit und Gerechtigkeit«

Was manchen Beobachtern als Phänomen aus dem Nichts, als spontane Reaktion der Empörung über verbale Aufrüstung und Kriegsgefahr erschien, kam nicht aus heiterem Himmel. In den auf den Montagsmahnwachen vertretenen Positionen offenbart sich die Weltsicht abstruser »alternativer« Internetmedien und ihrer Propagandisten, in der sich gesellschaftliche Widersprüche und Konflikte zwischen einem vagen »Oben und Unten« abspielen und gesellschaftliche Akteure in »gute und böse« unterschieden werden.

Lars Mährholz und Ken Jebsen

»Liebe, Freiheit und Gerechtigkeit« verkünden die Propheten des Milieus in Videobeiträgen, Kommentaren und in Zwiesprache mit den Anwesenden bei den Mahnwachen einem heterogenen Publikum aus verschiedenen Teilen der Gesellschaft. Wortführer wie Lars Mährholz und Ken Jebsen, aber auch viele andere Mahnwachen-Redner propagieren den Besitz der Wahrheit über die Welt, ihre Beschaffenheit und die Ursachen ihrer Konflikte, die von den Medien – ferngesteuerten, Lügen produzierenden Herrschaftsinstrumenten – unterdrückt und verhüllt würden.

Diese »Wahrheit« umfasst einen ganzen Werkzeugkasten schlichter, nicht selten esoterischer Erklärungsmuster, die den Menschen angeboten werden, um sich im Wirrwarr gesellschaftlicher Komplexität leichter zurechtzufinden: fehlende völkerrechtliche Souveränität der »BRD GmbH«, ein fehlender Friedensvertrag der Bundesrepublik … »Gegen FED, City of London und Zinssystem« wird gewettert. Empfohlen werden »freie und unabhängige Medien«, die angeblich den Anschlag vom 11. September 2001 als Werk der US-Geheimdienste belegen.

In dieser Lesart ist der Ukraine-Konflikt eine riesige Propaganda-Verschwörung zum Zwecke der Kriegstreiberei. Gleiches gilt für die offizielle Geschichte des NSU und die Anschläge von Boston. Als echte Friedensfreunde können die zentralen Akteure des Mahnwachenmilieus deshalb auch die Friedensfeinde ausmachen: die Federal Reserve Bank der USA, die »internationale Finanzoligarchie«, die NATO, die USA, die EU, die Bundesrepublik Deutschland und Israel. Ihre Pläne, so die Mahnwachenmacher, entwerfen die Strippenzieher von Medien, Politik und Ökonomie auf geheimen Treffen wie der seit 1958 existierenden Bilderberger-Konferenz.

Dunkelmänner am Werk

Reichsbürger, »Truther«, Chemtrails-Warner und andere »wissenschaftliche« Bewegungen betreiben viel Aufwand, um zu beweisen, dass hinter allen Konflikten und Auseinandersetzungen auf unserem Globus ein Plan steht, der von den Spitzen der »New World Order« von langer Hand vorbereitet worden ist und Stück für Stück umgesetzt wird. Die Wurzeln dieser Ordnung reichen bis ins frühe zwanzigste Jahrhundert zurück, als mächtige Dunkelmänner diesen Plan entwarfen.

»Woran liegen alle Kriege in der Geschichte in den letzten hundert Jahren? Und was ist die Ursache von allem? Und wenn man das halt alles 'n bisschen auseinanderklabüsert und guckt genau hin, dann erkennt man im Endeffekt, dass die amerikanische Federal Reserve, die amerikanische Notenbank, das ist eine Privatbank, dass sie seit über hundert Jahren die Fäden auf diesem Planeten zieht«, meint Mährholz in einem Internetvideo.

Mährholz und Jebsen rufen ganz offen und bewusst kommunikative Codes auf, die unmittelbar an das antisemitische Narrativ von der »jüdischen Weltverschwörung« anknüpfen. Der Verweis auf die Macht »der Rothschilds« darf nicht fehlen. In ihrer Konstruktion erinnern solche Welterklärungsmuster an andere geschlossene reaktionäre Weltinterpretationen wie etwa die antisemitischen »Protokolle der Weisen von Zion«.

Mission der Verschwörungstheoretiker

Jebsen ist für seine Gleichsetzungen der Besatzungspolitik des Staates Israel mit dem Holocaust bekannt. Mährholz meint, »Nationalzionisten « hätten »Israel okkupiert, wie die Nazis 1933 Deutschland okkupiert haben, und sprechen im selbst ernannten Auftrag für alle Juden.« Beide scheuen die Nähe zu rechten und neurechten Milieus nicht.

Jebsen ist regelmässiger Autor der von Jürgen Elsässer verantworteten Zeitschrift Compact, einem Leitmedium des Querfront-Milieus, und tritt in dessen Umfeld auf. Mährholz empfiehlt die Publikationen des für verschwörungstheoretische Literatur bekannten Kopp Verlags, die kaum journalistisch seriös zu nennenden Deutschen Wirtschaftsnachrichten sowie andere »Nachrichtenseiten« mit teilweise krudesten antisemitischen Inhalten. Auch durch Gespräche mit rechtsradikalen Burschenschaftlern und esoterisch-pseudowissenschaftlichen Verschwörungstheoretikern verfolgt Mährholz seine Mission.

In den sozialen Medien lässt sich unschwer erkennen, dass die Wortführer der Montagsmahnwachen engstens vernetzt sind. Ihre Facebook-Foren sprudeln über vor Geschichtsrevisionismus, reaktionärer »Kapitalistenkritik« in der Tradition rechter »Zinskritik«, sekundärem Antisemitismus und völkischen Erhebungsfantasien. All das wird vermischt mit einfachen, altbekannten und populären Parolen und Codes traditionell linker Milieus.

Klaus Lederer
berlinergazette.de

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