Bundeswehreinsatz in Syrien Endlich wieder Krieg

Politik

Die Bundesregierung schickt Streitkräfte in den Syrien-Krieg. Warum – jenseits aller Propagandalügen – tut sie das?

130 Meter deutsche „Gestaltungsmacht“: Die Fregatte „Augsburg“ soll einen französischen Marineverband unterstützen.
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130 Meter deutsche „Gestaltungsmacht“: Die Fregatte „Augsburg“ soll einen französischen Marineverband unterstützen. Foto: Michael Krahe (CC BY-SA 4.0 cropped)

14. Dezember 2015
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„Insgesamt bis zu 1.200 Soldaten sollen sich an diesem Einsatz der Bundeswehr beteiligen. Er umfasst vor allem die Komponenten Luftbetankung (circa 150 Soldaten), Aufklärung (400 bis 500), seegehenden Schutz (circa 300) sowie Stabspersonal zur Unterstützung (circa 50). Zudem ist ein personeller Puffer vorgesehen“, informiert die Bundeswehr auf ihrer Homepage. Die Fregatte „Augsburg“ rückt aus und schliesst sich einem französischen Marineverband an, mehrere Flugzeuge des Typs Airbus A 310 sollen Betankungsflüge durchführen und das Aufklärungssystem SAR Lupe hilft bei der Zielerfassung für Bombardements.

Gelungen ist den Regierenden in Berlin dabei schon bevor noch ein Kampfbomber deutsch betankt wurde, schon etwas lange Gewünschtes. Erstmals seit langem gibt es Umfragewerte, die das Kriegshandeln als populär zeigen. „Sollte Deutschland Frankreich helfen, militärisch gegen die Terrorgruppe „Islamischer Staat“ in Syrien vorzugehen?“ fragte kürzlich der ARD-DeutschlandTrend. 58 Prozent der Befragten antworteten mit „Ja“, wobei 59 Prozent der Ja-Sager sich für das bestehende Mandat aussprachen, 34 Prozent sich sogar eine aktive Beteiligung an Luftangriffen wünschen und immerhin noch 22 Prozent sich die Entsendung von Bodentruppen vorstellen können.

Endlich wieder Krieg. Im Verteidigungs-ministerium und bei den Hardlinern aus SPD und CDU müssen die Sektkorken geknallt haben. Seit vielen Jahren versuchte man die (wie auch immer begründete) Kriegsmüdigkeit der Deutschen medial und mit Imagekampagnen auf Teufel komm raus wiederzubeleben – mit mässigem Erfolg. Durch die ebenfalls massenwirksam inszenierte Grausamkeit des Islamischen Staats dürfte das nun endlich leichter werden.

Kinderschutz a la Norbert Röttgen

Dabei ist die Begründungen für den Einsatz dumm und durchschaubar wie eh und je. In einer übermässig ekligen und zynischen Form trug diese CDU-Donald-Trump Norbert Röttgen in der parlamentarischen Debatte zum Kriegseinsatz vor: „Wenn man sich in die Opfer des Terrors versetzt. Wenn man sich als Mutter, Vater oder Grosseltern nur in ein Mädchen versetzt, das verkauft wird, damit Terror finanziert wird. Wenn man sich nur das Gesicht eines Mädchens vorstellt. Dann kann ich denen, die erwägen, mit Nein zu stimmen, nur sagen: Es braucht schon verdammt gute Argumente, wenn man angesichts dieser Menschenverachtung mit Nein stimmt. Und diese Argumente gibt es nicht, es ist Zeit, diese Opfer zu schützen.“

Dass die Bombardements all jener, die angeblich in Syrien und im Irak röttgenmässig Mädchen schützen, massive „Kollateralschäden“ hervorbringen, ist kein Geheimnis. In einer Auswertung von nur 52 US-Luftschlägen, so der britische Guardian, habe das Monitoringprojekt Airwars den Tod von 459 Zivilisten, darunter 100 Kindern, protokolliert.

Röttgens Vorschlag zum Schutz der von ihm beschworenen Kinder vor dem IS kalkuliert offenbar den Tod von hunderten, wenn nicht tausenden Zivilisten ein, darunter genau jene Kinder, von denen er den Gegnern des Kriegseinsatzes vorwirft, sie nicht schützen zu wollen. Ähnlich wie bei den US-amerikanischen Luftschlägen verhält es sich bei den russischen, türkischen und französischen. Es wird sich nicht anders verhalten, bei den künftigen Bombardements, an denen nun Deutschland irgendwie mitwirkt und man wird hoffentlich Röttgen und all die anderen Befürworter dieser Praxis daran erinnern, wie ihr „Kinderschutz“, so sie diese billige Propaganda selbst überhaupt glauben, sich ausgewirkt hat.

Kampf gegen den Islamischen Staat?

Nun könnten Röttgen und seine Brothers und Sisters in Crime ja waschechte Utilitaristen sein, wie es sich für ihre Klassenzugehörigkeit ziemt, und argumentieren: Klar, da gehen ein paar Zivilisten hops, aber dem höheren Gut, den Islamischen Staat zurückzudrängen, muss man eben Opfer bringen (also nicht Röttgen oder von der Leyen oder Merkel selbst, da hört der klassenspezifische Utilitarismus dann auf, aber ein paar Syrer sollen halt Opfer bringen).

Aber selbst diese Begründung ist doch offenkundig schwachsinnig. Lange könnte ich hier auf Studien, den Verlauf des Libyen- und davor des Irak-Krieges verweisen, und zeigen, dass westliche Luftschläge noch nie und nimmer irgendwo irgendein Problem gelöst haben. Lieber aber will ich meinen syrischen Freund K. zitieren. Als er die Nachricht der deutschen Kriegsbeteiligung hörte, sagte er erstaunt: „Aber wie können sie glauben, dass sie so Daesh besiegen? Sie werden Zivilisten töten. Die Familien und Freunde der Toten werden den Westen hassen und gegen ihn kämpfen wollen. Sie werden sagen: Daesh kämpft gegen den Westen, also gehen wir zu Daesh.“

Diese Argumentation ist so bestechend einfach und logisch, dass irgendwelchen Freunden militärischer Interventionen schon hart verdrehte Kritiken daran einfallen müssen, um sie zu entkräften. Ähnlich wie K. formuliert es eine NGO aus Raqqa, der Hochburg des Islamischen Staates: „Wir sind gegen die britischen Angriffe auf Raqqa“, kommentierte die Initiative „Raqqa Is Being Slaughtered Silently“ auf Twitter. „ISIS wird die Luftangriffe Grossbritanniens nutzen, um neue Leute im Westen zu rekrutieren und neue Kämpfer und vielleicht werden sie weitere Terroranschläge durchführen.“ Ähnlich war vor kurzem sogar noch die Bundesregierung selbst „zutiefst davon überzeugt, dass es für Syrien eine militärische Lösung ganz sicher niemals wird geben können.“ Aber was interessiert das Gerede von gestern, wenn sich eine neue Chance bietet, den eigenen Interessen mit Bomben und Kanonen Nachdruck zu verleihen.

Deutsche Gestaltungsmacht

Die zwei Begründungen, die herangezogen werden, sind offenkundige Propagandalügen. Weder dient der Einsatz dem „Schutz“ von Zivilisten, noch schlägt man auf diese Weise den Islamischen Staat. Warum dann die Einmischung in ein Kriegsgeschehen, dessen Interessenkonflikte längst nahezu unüberschaubar geworden sind?

Ganz allgemein lassen sich zunächst zwei Gründe festhalten: Zum einen verfolgen die deutschen Eliten aus Staat und Kapital seit langem das Projekt einer Rückkehr auf die Weltbühne. Die nach dem Zweiten Weltkrieg erzwungene Zeit der „Zurückhaltung“ soll vorbei sein, der Satz „von deutschem Boden soll nie wieder Krieg ausgehen“ soll aus der deutschen Geschichte getilgt werden. Zum anderen haben natürlich Rüstungskonzerne und Militärführung ein Interesse daran, dass auch mal geballert wird, sonst könnte man noch auf die Idee kommen, sie wären unnütz.

Diese ganz allgemeinen Erwägungen sagen aber nichts über den konkreten Konflikt und die Gründe für den Eintritt in selbigen zu genau diesem Zeitpunkt. Wunderschön bringt es der Kriegstreiber und „Sicherheitsberater“ Markus Kaim im Interview mit der Zeit auf den Punkt: „Das Einschneidende ist, dass sich Deutschland über das militärische Engagement über die nächsten Jahre als Gestaltungsmacht im Nahen und Mittleren Osten profiliert. Das ist neu für die deutsche Politik, das kannten wir so bisher nicht.“

Um es im Expertensprech zu sagen: Deutschland will seine „ordnungspolitischen“ und „geostrategischen“ Vorstellungen für eine mögliche Nachkriegsordnung in Syrien dadurch untermauern, dass es schon zuvor einen militärischen Beitrag im Rahmen einer der externen Koalitionen leistet, die sich gerade in Syrien bekämpfen.

Simpler gesagt: Wer jetzt nicht mitspielt in dem Great Game um den Nahen und Mittleren Osten hat auch nach dem grossen Kladderadatsch keine günstigen Ausgangspositionen, um der dortigen Bevölkerung ein Stück der eigenen Ziele aufdrücken zu können. Man nennt das Ding übrigens „Imperialismus“ und es ist weitaus plausibler als Erklärung für das, was vor sich geht, als Röttgens Kindermärchen oder die tolle Story, man schicke zwei Aufklärer des Luftwaffengeschwaders 51 „Max Immelmann“ aus „Freundschaft zu Frankreich“.

Peter Schaber / lcm