Anmerkungen zu Ausführungen der Zeitschrift „Gegenstandpunkt“ Der deutsche Imperialismus und die Politik der neuen US-Regierung

Politik

Eigentlich hätten die Verfasser bei ihren Äusserungen über den deutschen Imperialismus (in: GSP 4-16) schon vor dem Auftreten eines Donald Trump stutzig werden müssen, wenn sie korrekterweise klarstellen, dass sich die weltweit wahrgenommene „politische Verantwortung“ Deutschlands nicht auf eine eigene kriegerische Schlagkraft stützen kann.

Bundeskanzlerin Angela Merkel und US-Präsident Donald Trump bei einer gemeinsamen Pressekonferenz im Weissen Haus in Washington, März 2017.
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Bundeskanzlerin Angela Merkel und US-Präsident Donald Trump bei einer gemeinsamen Pressekonferenz im Weissen Haus in Washington, März 2017. Foto: twh (PD)

30. März 2017
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Korrektur
1. „Sie nehmen dazu die NATO in Anspruch, das grösste Kriegsbündnis der Welt mit der Supermacht USA an der Spitze. Mal mehr, mal weniger explizit bezieht sich Deutschland auf die Abschreckungs- potenzen dieses Bündnisses, als hätten deutsche Verantwortungsträger sie in der Hand.“ (S.13)

Damit ist der entscheidende Widerspruch der weltumspannenden Aussenpolitik Deutschlands benannt: Diese ist abhängig von der Duldung, d.h. den politischen Kalkulationen der Macht, die das Kriegsbündnis namens NATO gestiftet und mit diesem die dauerhafte militärische Unterordnung ihrer „Alliierten“ unter die Interessen der eigenen Herrschaft begründet hat.

2. Sicher, man kann sich wie die Verfasser des Artikels darüber wundern, was sich Deutschland auf dieser widersprüchlichen Basis seiner Macht „in aller Welt vornimmt und zutraut“ (ebenda), doch die Redakteure vom „Gegenstandpunkt“ erklären diesen Widerspruch glatt für obsolet, wenn sie sich zu solchen Übertreibungen hinreissen lassen, dass es Deutschland bei der angeblich „gnadenlosen Ausnutzung der amerikanischen Gewaltpotenzen“ (S.16) inzwischen selbst zu einer solchen Machtfülle gebracht hat, welche der der Weltmacht USA ziemlich ebenbürtig ist:

„Genauso wie Amerika ist Deutschland vielleicht nicht für alles, aber für alles Wesentliche auf der Welt zuständig, nämlich für alle Fragen von Geschäft und Gewalt. Doch Deutschland pflegt diese imperialistische Weltordnung friedlicher und ‚besonnener' (Steinmeier) – also einfach besser als die USA.“ (ebenda)

3. Man sollte schon zwischen der Einbildung der politischen Akteure und der imperialistischen Wahrheit unterscheiden, wonach Staaten einzig am Kriterium ihres Erfolges und nicht an den Leistungen ihrer (moralischen) Selbstdarstellung gemessen werden. Entscheidend in der Welt des Imperialismus ist einzig die Macht, die ein Staat in die „internationalen Beziehungen“ einbringen kann, um den Willen anderer, konkurrierender Souveräne gefügig zu machen. Als „blosser“ Exportweltmeister hat Deutschland eine solche Macht nur sehr bedingt; diesem Land fehlt es an einer überlegenen militärischen Schlagkraft, um den eigenen Interessen zur Durchsetzung zu verhelfen.

4. So nimmt sich der „Gegenstandpunkt“ die Freiheit, das umtriebige Auftreten Deutschlands in „weltweiter Verantwortung“ für das Handeln einer wirklichen Weltmacht zu nehmen, die einen Sonderweg gefunden hat, den anderen Staaten aufzunötigen, was diese zu tun oder zu lassen haben. Wie lächerlich das ist, ist am „machtvollen Auftritt“ Deutschlands in der Flüchtlingsfrage zu sehen. Dazu heisst es in dem genannten Artikel zum „deutschen Imperialismus“:

„Wenn Deutschland sich des Problems ‚Flüchtlinge' annimmt, dann schreibt es seinen Partnern vor, was das Problem auch für sie bedeutet und von ihnen verlangt. Das gilt sogar für die Beteiligten eines Bürger- und Stellvertreterkrieges in Syrien … Und das heisst nichts anderes als die Zuteilung von Rechten und Pflichten an andere Staaten in der grundsätzlichen Frage, um die es souveränen Gewaltsubjekten geht.“ (S.17)

Die Wahrheit ist: Auch eine Politik aus dem Geist „humanitärer Verantwortung“ braucht – will sie wirksam sein – die Mittel einer überlegenen Gewalt. Eine „Weltflüchtlingsmacht“, die kriegführenden Parteien Vorschriften machen kann, gibt es nicht. Diese Macht gibt es nicht einmal im Verhältnis zu subalternen europäischen Verbündeten wie Polen oder Ungarn: Diese widersetzen sich einer von Deutschland angeforderten „europäischen Lösung des Flüchtlingsproblems“ und – beschädigen damit die deutsche Führungsmacht und ihre Weltmacht-Ambitionen.

5. Auch der aktuelle GSP (1-17) schreibt diese Überhöhung des deutschen Imperialismus fort, so dass man in einigen Passagen über die „Sicherheitspolitik Deutschlands“ den Eindruck hat, als sei bei der Bestimmung der Grösse und Reichweite deutscher Macht eigentlich gar nicht von Deutschland, sondern der Weltmacht USA die Rede:

„Die deutsche Politik geht aus von der Tatsache eines ‚internationalen Systems', das erstens universal gilt und zweitens keinerlei ‚Fragmentierung' duldet, also entschieden unipolar ist; sie lässt keinen Zweifel darüber, wie in diesem System die Positionen von massgeblicher Instanz und geordneten Objekten verteilt sind; und sie will mit der ‚Bindungswirkung' dieses Systems ‚Machtprojektionen' fremden Ursprungs ausgeschlossen wissen, beansprucht also ein Regime über den Gewaltgebrauch souveräner Mächte weltweit.“ (S.35)

Sicher, auch hier ist wieder von einem Deutschland als Teil eines welthistorisch einmaligen Bündnissystems konkurrierender Mächte die Rede, dessen „Bindungswirkung“ nach dem Entfallen des alten Bündniszwecks – Kampf gegen den Kommunismus – zunehmend im Schwinden begriffen ist. Doch die deutschen Berechnungen für das weitere Festhalten an der NATO werden in einer Weise dargestellt, als hätte es Deutschland darauf abgesehen und könnte es darauf absehen, perspektivisch die USA als Führungsmacht abzulösen:

„Wenn sie (die deutschen Politiker) Verantwortung und Führung versprechen, dann kündigen sie an, die Allianz, an der sie als Prämisse ihrer Weltpolitik festhalten, dadurch zu retten, dass sie ihr ihren Zweck vorgeben, also gegen die anderen durchsetzen, worin und wofür sie existiert.“ (S.42)

6. Um eine derart verwegene imperialistische Anspruchshaltung Deutschlands (im zitierten Weissbuch ist das so nicht zu finden)als haltlos dingfest zu machen, hätte es eigentlich nicht die Kampfansage eines Donald Trump gebraucht. Die USA haben sich auch schon unter den Vorgänger-Präsidenten von Deutschland nichts sagen lassen. Jedenfalls nichts Massgebliches. Das Getue einer verantwortlichen „Weltfriedensmacht“ war von der einzig wirklichen Weltmacht schon immer durchschaut, und der neue Präsident klagt auf hohem Niveau, wenn er in den eingegangenen „internationalen Verpflichtungen“ lauter Abhängigkeiten von fremden Staatsinteressen diagnostiziert, die zu Amerikas Schaden geraten sind. So schreibt der GSP richtig, dass mit der Politik eines „America first“ den bündnispolitischen Kalkulationen Deutschlands die „Grundlage entzogen“ wird, und weiter heisst es zum imperialistischen Zweck der Kampfansage der neuen US-Regierung:

„Was er zurückgewinnt: die volle Ermessensfreiheit im Umgang mit allen anderen, für sich genommen allesamt schwächeren Staaten auf der Welt. Das ist ihm offensichtlich mehr wert als ein Pakt, der zwar vor allem die grossen Konkurrenten an die USA fesselt, ihm aber vor allem als Fesselung Amerikas vorkommt.“ (S.43)

7. Richtig ist auch, was auf dem Münchener „Jour Fixe“ von der Gegenstandpunkt-Redaktion zu der Bemerkung Trumps, die NATO für „obsolet“ zu halten, ausgeführt wurde:

„Von seinem Standpunkt, Einsatz amerikanischer Gewalt für amerikanische Interessen, kommt Trump die NATO vor als: da ist glatt die amerikanische Gewaltmaschinerie nicht für Amerika, sondern für fremde Interessen zum Einsatz gekommen. Sie kümmert sich um Probleme, die andere Staaten haben und sorgt für deren Schutz. So etwas soll es in Zukunft nicht mehr geben, und wenn es so etwas gibt, dann sollen die anderen gefälligst dafür zahlen.“ (Jour fixe v. 6.3.)

Die Verbündeten sollen auf jeden Fall mehr für die NATO zahlen, und – wie zu sehen ist – hat die deutsche Kanzlerin bei ihrem Treffen mit Trump versprochen, dieser Forderung der USA nachzukommen. Was jedoch nicht zu sehen ist, dass die Europäer – wie auf dem „Jour fixe“ behauptet – auch nur irgendwie eine „kongeniale Antwort“ auf dieses Programm eines „America first“ gefunden hätten. Dass man als imperialistisches Projekt „auf eigene Machtmittel verwiesen“ ist, das wissen die Europäer schon seit 1952, als sie die „Europäische Verteidigungsinitiative“ (EVG) ins Leben gerufen haben, aus der bekanntlich nichts nennenswert Militärisches hervorgegangen ist. Sie haben sich bis heute zum „Schutz ihrer Interessen“ auf die NATO, also die überlegenen Machtmittel ihres grössten Konkurrenten, die USA, verlassen. Wie sich das mit dem Aufstocken des Beitrags für eben diese NATO ändern soll, ist wirklich nicht zu sehen.

Fazit

Das politische Programm der neuen US-Regierung, jedwede Schranken für den Erfolg Amerikas aus der Welt zu schaffen, hat die Union der europäischen Staaten in eine „imperialistische Bredouille“ (Jour fixe) gebracht. Doch diese Bredouille ist viel fundamentaler, als dass diese mit dem ein oder anderen nationalen Aufrüstungs- beschluss zu beheben wäre. Das Projekt „Europa“ wird durch die neue US-Regierung auf die Unfertigkeit ihres Imperialismus gestossen, der seine militärische Grundlagen nicht in eigener, autonomer Machtentfaltung, sondern davon getrennt im NATO-Bündnis hat. Einem Bündnis, in dem die Machtverhältnisse eindeutig geklärt sind. Das macht den Imperialismus Europas in besonderer Weise erpressbar und setzt ihn ganz grundsätzlich ausserstande, auf den Vorstoss der USA eine vergleichbar wuchtige Antwort zu finden. Gleich, was sie versuchen und mit Sicherheit versuchen werden.

herrkeiner.com

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