Blinde Flecken der deutsch-italienischen Justizgeschichte Deutsche Kriegsverbrechen in Italien

Politik

Derzeit finden in Italien eine Reihe von Ermittlungen gegen mutmassliche deutsche Kriegsverbrecher statt.

Das ehemalige Durchgangslager Fossoli in Italien.
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Das ehemalige Durchgangslager Fossoli in Italien. Foto: Fondazione (CC BY-SA 3.0 unported - cropped)

10. Juli 2013
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Dies hat mit dem Umstand zu tuen, dass 1994 der römische Staatsanwalt Antonio Intelisano im Keller des römischen Justizpalastes Akten von über 1.000 Ermittlungsverfahren gegen mutmassliche deutsche Kriegsverbrecher entdeckt hat, die im Jahre 1960 klammheimlich „vorläufig archiviert“ wurden.

In 695 Fällen waren der oder die Täter identifiziert und eigentlich hätten die Verfahren in den 60ziger Jahren durchgeführt werden können. Zu einer Zeit, da viele der Täter und vor allem die Zeugen ihrer Taten noch am Leben waren. Doch diese Prozesse wären bei dem NATO Partner BRD alles andere als auf Gegenliebe gestossen. Die Anklagen wären nicht nur gegen diverse bundesdeutsche Staatsdiener, Geheimdienstler und Polizisten, sondern auch gegen einen bedeutende Anzahl von Offizieren ergangen, die damals die Bundeswehr aufbauten.

Derzeit überprüft eine Kommission über 100 dieser Fälle, ob noch Anklage erhoben werden kann. Des weiteren sind einige internationale Haftbefehle gegen identifizierte Täter ergangen. Ein Komplex also, der die italienische Justiz weiterhin beschäftigen wird und für italienische-deutsche Verstimmungen sorgen könnte.

Im Folge des 94iger „Aktenfundes“ gab es in den letzten Jahren mindestens drei Prozesse vor italienischen Militärgerichtshöfen. Der Bekannteste davon war der gegen Erich Priebke. Als „Sühnemassnahme“ auf ein Attentat, das am 23.März 1944 eine Partisanengruppe der GAP (gruppi di azione patriottica) begangen hatte und das 30 deutsche Militärs das Leben kostete, wurden am folgenden Tag 335 Geiseln heimlich erschossen. Den Befehl zum Massenmord gab der SS-Obersturmbannführer und SD-Chef Roms, Herbert Kappler. Ausgeführt wurde er durch Priebke und seinen Männern in den Fosse Ardeatine an der Via Appia Antica. Mitte der 90iger in Argentinien aufgespürt, wurde Priebke ausgewiesen und ihm 1997/98 der Prozess in Rom gemacht. Angeklagt wurde Priebke aber nur wegen fünffachen Mordes. Die Militärjustiz sieht nämlich noch heute das damalige Kriegsrecht als bindend an. Und dieses pflegten die Deutschen auch im Land ihrer Verbündeten wie folgt auszulegen: Für einen toten deutschen Militär mussten 10 Geiseln sterben.

Das Priebke allein für den Mord an 5 Geiseln verurteilt wurde, heisst, dass die italienische Militärjustiz davon ausgeht, das die Deutsche Besatzungsmacht durchaus 330 unbeteiligte Personen zu Recht füsilierte. Somit stellt dieser Mord an 330 Unbeteiligten und alle anderen Geiselerschiessungen für die Militärjustiz kein Verbrechen dar. Eine mehr als fragwürdige Interpretation von Gerechtigkeit.

Die beiden anderen Prozesse fanden an dem Turiner Militärgerichtshof statt und endeten mit jeweils einem Richterspruch auf lebenslangen Freiheitsentzug.

Das eine Verfahren betraf Theodor Saevecke, den ehemaligen GeStaPo-Chef Mailands und späteren langjährigen Mitarbeiter des CIA und des BKA (siehe Antifa NRW Zeitung Nr. 17). Er hatte ohne belegbaren Grund 15 Geiseln auf dem Mailänder Verkehrsknotenpunkt Piazzale Loreto am 10.8.1944 erschiessen und dort einen halben Tag liegen lassen. Auch er wurde nicht für seine Razzien und Menschenjagden, seine Folterungen und über 2000 Deportationen in deutsche Konzentrationslager angeklagt. Nur die nachweisbare Übertretung des Kriegsrechts auf der Piazzale Loreto führte zu seiner Verurteilung im Juni letzten Jahres.

Ende letzten Jahres wurde auch der ehemalige SS-Hauptsturmführer und GeStaPo-Chef von Genua, Siegfried Engel, zu lebenslänglicher Freiheitsstrafe verurteilt. Auch er wurde nicht angeklagt und verurteilt wegen seiner Tätigkeit als GeStaPo-Chef Genuas. Er wurde juristisch belangt, weil nachgewiesen werden konnte, dass er für die besonders grausame Tötung von über 200 politischen Gefangenen verantwortlich ist.

Es ist davon auszugehen, dass die gezielte Verschleppung all dieser Prozesse in den letzten Jahrzehnten nicht massgeblich auf den italienischen Staat zurückgehen. Diverser Schriftverkehr zwischen deutschen und italienischen Ministern und momentan stattfindende historische Untersuchungen zeigen auf, dass es vor allem die Bundesrepublik war, die auf die Nichtverfolgung der NS-Täter insistierte. Das belegen auch die beeindruckenden „Ermittlungen“ der deutschen Justiz bezüglich der NS-Verbrechen.

Als Beleg hierfür sei allein die Dortmunder „Zentralstelle im Lande NRW für die Bearbeitung von nationalsozialistischer Massenverbrechen“ angeführt. Priebke, Engel und Saevecke z.B. entgingen 1971 zusammen mit einigen Hunderten anderen Verdächtigen der Strafverfolgung, als die Zentralstelle ein Verfahren wegen der Deportation und Tötung der jüdischen ItalienerInnen einstellte. Dies kann kaum jemanden verwundern anbetracht der personellen Besetzung der Zentralstelle. Die ersten drei Leiter dieser Justizstelle, von 1961 bis 1972, sollten gegen „alte Kameraden“ ermitteln. Alle Drei waren im 3. Reich NSDAP - Mitglieder und NS - Juristen gewesen. Ebenso wie acht der damals ermittelnden Staatsanwälte. Bis 1964 waltete obendrein ein „alter Kamerad“ in der Generalstaatsanwaltschaft Hamm über diese untergeordnete Dienststelle. Und für eventuelle Anwürfe gegen die Dortmunder Stelle war Ministerialdirigent Ernst Kanter zuständig. Seines Zeichens ehemaliger Kriegsrichter in Dänemark, der über 100 Todesurteile gegen dänische Widerstandskämpfer abgesegnet hatte.

Die Skandalchronik dieser Justizstelle hält bis heute an. Der derzeitige Leiter Klaus Schacht sieht sich z.B. Vorwürfe gegenüber, NS-Mörder wie Anton Malloth und Theodor Saevecke begünstigt zu haben.

Aber auch anonyme Zahlen belegen den Charakter dieser Stelle. In den Jahren von 1961 bis 1995 brachte es die Zentralstelle bei ihren Ermittlungen gegen 24 275 Beschuldigte gerade einmal auf 158 Anklageerhebungen. Also gerade einmal 0,6 Prozent. Und über den Verlauf dieser Anklageerhebungen schweigt sich bis heute das sozialdemokratische Justizministerium aus. D.h. : Kam es überhaupt zu einem Prozess? Und wenn, wurden Prozesse eingestellt? Wer wurde wie hoch verurteilt? Die Fakten hierzu müssen so beschämend sein, dass auch hier nur verheimlicht werden kann.

Das Erich Priebke seinen Lebensabend nun in Hausarrest in einem Kloster verbringen muss, ist nicht so sehr der Verdienst der italienischen Justiz, sondern der vieler ItalienerInnen, die nicht einsehen wollten, dass ein Massenmörder ungestraft davonkommen kann. Die Justiz sah sich auf Grund der massiven Proteste gezwungen ihre Verschleppungstaktik etwas zu revidieren.

Es wird die Aufgabe deutscher AntifaschistInnen sein, den Themenkomplex um die in Italien begangenen Kriegsverbrechen publik zu machen, Aktionen durchzuführen, die die Täter aus ihrer Anonymität reissen, und daraufhin zu wirken, dass sie ausgeliefert und/oder in der BRD abgeurteilt werden.

Dies als Ausdruck internationaler Solidarität und eingedenk aller der von den Nazis in Italien Ermordeten.

Die Besetzung Italiens und die deutschen Kriegsverbrechen

Seit dem Oktober 1922 an der Regierung und seit Mitte der 20iger Jahre real an der Macht, ist der erste kriegerische Akt in den imperialen Bestrebungen des Regimes der Überfall auf Äthiopien. 1935 fällt die königlich-italienische Armee unter Marschall Badoglio über Äthiopien her und besiegt die weit unterlegene Armee Haile Selassies nach 7 Monaten. Dabei scheute Badoglio vor dem Einsatz von Giftgas nicht zurück. Nach dem Sieg wurde der weiter andauernde Widerstand der Bevölkerung durch grausame Pogrome erstickt.

Ein Jahr später unterstützte Italien den faschistischen Putsch gegen die demokratische Regierung Spaniens. Rom schickt nahezu 40 000 Soldaten und unzählige Waffen zur Unterstützung Francos. Während dieser Zeit schlossen das 3.Reich und Italien das Achsenbündnis Berlin-Rom. Dabei wurde Italien in den folgenden Jahren ökonomisch stark abhängig vom 3. Reich.

Als die deutsche Wehrmacht 1939 zuerst über Polen, 1940 dann über Dänemark, Norwegen, Belgien, Luxemburg, den Niederlanden und Frankreich siegreich hergefallen war, glaubten viele den Krieg schon am Ende. Die italienische Führung wollte sich auf die Siegerseite stellen. Um an den Friedensverhandlungen beteiligt zu werden, müsse man, wie sich Mussolini privat äusserte, „einige Handvoll Tote auf den Friedenstisch werfen können“. So trat Italien am 10.Juni 1940 in den Krieg ein. Dies bedeutete, dass Italien Frankreich und Griechenland angriff. Dabei bewiesen sich die starken Mängel des italienischen Militärs.

In Frankreich richtete das italienische Militär nicht viel aus und Griechenland warf die Italiener sogar zurück. Erst der Einsatz des deutschen Militärs zwang Griechenland zur Kapitulation. Italien wurde in Frankreich, Griechenland und auf dem Balkan zur Besatzungsmacht. In ihrem Vorgehen gegen die Partisanenbewegungen und die Zivilbevölkerung in diesen Gebieten zeigte sich die italienischen Armee in den folgenden Jahren erbarmungslos. Folter, Vergeltungsmassnahmen, Deportationen, Dorfverbrennungen, Vergewaltigungen und Massenerschiessungen waren die italienischen Antworten auf Widerstandsaktionen.

Da Mussolini immer noch hoffte durch einen „parallelen Krieg“ unabhängig von Deutschland sich siegreich an den Verhandlungstisch zu begeben, befahl er 1940 den Angriff auf die britischen Truppen in Ägypten. Dies afrikanische Abenteuer endete in der kläglichen Kapitulation der italienischen Truppen und dem Verlust Eritreas, Somalias und Äthiopiens. Italien, das in totaler wirtschaftlicher Abhängigkeit von Deutschland geraten war, sank im militärischen Wert und Ansehen des 3.Reichs.

Als im Juni 1941 Deutschland die Sowjetunion angriff, wollte die faschistische Führung wiederrum am vermeintlichen Siegertisch sitzen und drängte auf eine Teilnahme am Russlandfeldzug. Deutschland zögerte, willigte dann aber doch ein, weil die eigenen Verluste zu hoch waren. Teile der italienischen Militärführung sahen diese rein politische Entscheidung Mussolinis als strategisch falsch an. Der Loslösungsprozess eines Teils des Militärs zu Mussolini fand hier seinen Anfang.

1942 wurde nicht nur der Vormarsch der faschistischen Armeen in der Sowjetunion gestoppt, auch in Afrika entschieden sich die militärischen Ereignisse gegen die „Achsenmächte“.

In Italien wuchs unter der Bevölkerung immer mehr eine resignative Haltung zum Krieg und eine Unzufriedenheit mit dem System. Die wirtschaftliche Situation, vor allem für die Arbeiter war alles andere als gut. Dazu kam, dass Deutschland die Vereinbarung zur wirtschaftlicher Unterstützung nicht einhielt. Das 3. Reich sorgte auf Kosten Italiens zuerst für sich. Die Versorgungslage mit Lebensmitteln war sehr schlecht, die Inflation stieg an. Die Löhne sanken stetig. Im März 1943 kam es in den Industriestädten des Nordens zu tagelangen Streiks. Eine Aktion, die sich nicht nur für Lohnerhöhung etc. aussprach, sondern auch gegen den Krieg. Die faschistische Regierung traute sich nicht einzugreifen. Den Forderungen wurde nachgegeben. Nicht nur materiell hatten sich dadurch die ArbeiterInnen durchgesetzt, sondern sich auch das Streikrecht zurückgeholt.

Auch unter den anderen Bevölkerungsgruppen und -schichten wuchs der Unmut mit dem System. Die militärische Niederlage war abzusehen und niemand wollte mit dem Regime, von dem er so lange profitiert und das er unterstützt hatte, untergehen. Weder der König Vittorio Emanuele III, Teile der Wirtschaft, des Militärs und der Politik. Auch nicht gewisse Anteile der faschistischen Partei, der PNF.

Am 11. Mai 1943 gaben die militärischen Abteilungen der Achse in Afrika auf und am 9./10. Juli 1943 begannen die Alliierten erfolgreich ihre Landung auf Sizilien.

Das Heranrücken der Alliierten beschleunigte die innenpolitischen Vorgänge. Am 24. Juli entzog der Grosse Faschistische Rat Mussolini das Vertrauen und übergab das militärische Oberkommando der Krone. Am Tag darauf wurde Musssolini vom König ab- und durch den Marschall Badoglio ersetzt. Er selbst wurde verhaftet. Während die faschistische Partei ihrer Basis die Ruhe befahl, wurde die Entmachtung Mussolinis auf den Strassen Italiens breit gefeiert und, in Hoffnung auf den baldigen Frieden, die Embleme und Symbole des Regimes öffentlich zerstört. Nach aussen hin beteuerte der neue Regierungschef Badoglio Bündnistreue zum 3.Reich. Gleichzeitig wurden heimlich Verhandlungen für einen Waffenstillstand mit den Alliierten aufgenommen. Die Deutschen trauten den Beteuerungen Roms nicht und bereiteten die Besetzung Italiens vor.

Die Besetzung Italiens und die Republik di Salo

Am 8. September 1943 wurde die Unterzeichnung des Waffenstillstands mit den Alliierten bekanntgegeben. Die deutsche Okkupation begann umgehend. Der König und der Regierungschef Badoglio flohen aus Rom in die Obhut der Alliierten. Das italienische Militär wurde angewiesen auf „Angriffe von jeglicher anderer Seite“ zu reagieren. Auf sich selbst gestellt und ohne klare Befehle versehen, lösten sich Teile der italienischen Armee von selbst auf. Andere italienische Einheiten wurden in Italien und in den besetzten Gebieten von der Wehrmacht vor die Wahl gestellt, mit ihnen gegen die Alliierten zu kämpfen oder gegen sie zu kämpfen. Diejenigen die weder das eine, noch das andere wollten, gerieten in deutsche Gefangenschaft und wurden als Militärinternierte zur Zwangsarbeit nach Deutschland gebracht.

Letzteres traf auf ca. 730.000 italienische Soldaten zu. Von diesen kamen ca. 20.000 in deutschen Lagern um. Einige Einheiten in Griechenland entschieden sich gegen die Deutschen. Sie wurden gnadenlos umgebracht. Die Wehrmacht behandelte die italienischen Soldaten nicht nach dem Kriegsrecht. D.h. als Angehörige einer fremden Streitmacht, die den Befehlen ihrer Regierung gehorchen müssen. Sie behandelten sie als Freischärler und erschossen sie, auch wenn sie sich ergeben hatten. Soldaten, die in Zivil angetroffen wurden, wurden ebenso füsiliert. Ca. 6.000 Soldaten massakrierten die über den“Verrat“ erzürnten Deutschen. Weitere 13.300 kommen bei den bewusst gefährlich durchgeführten Gefangenentransporten ums Leben.

Innerhalb von 3 bis 4 Tagen hatten die deutschen Truppen die Kontrolle über Italien erlangt. Am 12. September wurde Mussolini befreit und umgehend installierte das 3.Reich eine Marionettenregierung in Italien: Die Republica Sociale Italiana (RSI), mit Sitz in Salo am Garda See und dem Duce als Regierungschef.

Offiziell galt die RSI als verbündeter Staat. Fakt war aber, dass das schon bis dahin abfällige und rassistische Verhalten der Deutschen zu den Italienern sich verschärft hatte. Die Italiener galten den Deutschen als Verräter. Das Land, samt Zivilbevölkerung, war besetzt und wurde dem Kriegsrecht unterstellt. Wirtschaftlich wurde es ausgeplündert.

Schon am 18. September erliess der Chef des OKWs, Feldmarschall Keitel, eine Durchführungsanordnung als „geheime Kommandosache“. Den sogenannten „Nero Befehl“, in dem es hiess: „Bei Durchführung der befohlenen Rückzugsbewegungen ist neben den befohlenen Räumungs- und Bergungsmassnahmen im grössten Masse von Zerstörungen aller Art Gebrauch zu machen. “Räumungs- und Bergungsmassnahmen das hiess, es wurde alles demontiert und abtransportiert, d.h. gestohlen, was dem Grossdeutschen Reich zugute kam. Industrieanlagen, Maschinen, Grundstoffe, Transportmittel, etc.. Aber auch Nahrungsmittel, Vorräte, Vieh, usw.. Und natürlich Arbeitskräfte. D.h. arbeitsfähige Männer wurden inhaftiert und zur Zwangsarbeit deportiert. Transportwege, Industrie- und Energieanlagen, die die Alliierten noch für sich hätten nutzen können, wurden vernichtet. Wie es im Nero-Befehl hiess, war „die Räumung und Zerstörung mit grösster Energie durch(zu)führen, eingedenk des beispiellosen Verrats und der Opfer an deutschen Soldaten, die uns dieser Verrat kostet. Die Schädigung des Feindes muss über aller menschlichen Rücksicht stehen.“

Gleichzeitig bediente sich das Deutsche Reich an den Gold- und Notenreserven der italienischen Nationalbank. Italien durfte die deutsche Truppenstationierung bezahlen, den Abtransport der demontierten Industrieanlagen, die Arbeiten an den militärischen Befestigungsanlagen, die von italienischen Zwangsarbeiter gebaut wurden, die gemeinsamen Kriegskosten, etc. p.p..

Das was der deutsche Staat im Grossen praktizierte, verübten die deutschen Landser im Kleinen. Mit Plünderungen und Diebstählen besserten sie ihren Sold auf. Dies Verhalten wurde stillschweigend durch höhere Ränge gebilligt.

Angesichts der bevorstehenden Niederlage des 3. Reiches und dem Vorgehen der Besatzungsmacht wuchs der Widerstand innerhalb der Bevölkerung. Die von den Deutschen eingeleiteten Repressalien sorgten dabei für immer massiveren Zulauf zu den verschiedensten Partisanenverbänden. Die Partisanenverbände, waren sie königstreu, sozialistisch oder kommunistisch, waren recht erfolgreich. Gebietsbezogen waren sie teilweise so stark, dass sie über geraume Zeit eigene Partisanenrepubliken ausriefen. Bei der Befreiung der norditalienischen Städte spielten sie eine massgebliche Rolle. Nach den jugoslawischen Partisanenverbänden stellte der italienische Widerstands die zweitstärkste bewaffnete antifaschistische Bewegung in Europa dar.

Neben dem bewaffneten Kampf in den Bergen und den Städten gab es die vielfältigsten Propaganda-, Sabotage- und Widerstandsaktionen.

Diese Widerstandsaktionen beantwortete die Wehrmacht und die SS mit unglaublich brutalen Repressalien. Allgegenwärtig waren die sogenannten Geiselerschiessungen. D.h. für einen getöteten Wehrmachtsangehörigen wurden 10 unbeteiligte ItalienerInnen erschossen. So hielten sich die Deutsche Wehrmacht Geiseln sozusagen „auf Lager“. Feldmarschall Albert Kesselring, Oberbefehlshaber Südwest für Italien, am 17.6.1944 : “...Wo Banden in grösserer Zahl auftreten, ist der in diesem Bezirk wohnende, jeweils zu bestimmende Prozentsatz der männlichen Bevölkerung festzunehmen und bei vorkommenden Gewalttätigkeiten zu erschiessen. Dies ist den Einwohnern bekanntzugeben.“ Und weiter: “Werden Soldaten usw. aus Ortschaften beschossen, so ist die Ortschaft niederzubrennen...“.

SS-Oberführer und Oberst der Polizei in Mittelitalien von Bürger: „...Bei den geringsten Anzeichen einer aufrührerischen deutschfeindlichen Betätigung oder Gesinnung, und sei es nur in Form von Gesten (bolschewistischer Gruss oder ähnliches) oder Schmährufen, erwarte ich schärfstes und schonungsloses Eingreifen aller deutschen und italienischen SS- und Polizeieinheiten. Ich werde gegebenfalls jeden Führer decken, der in Befolgung dieses Befehls in der Wahl und der Schärfe des Mittels über das bei uns übliche zurückhaltende Mass hinausgeht.“ Aus dem „Bandenbefehl“ Adolf Hitlers vom 16.4.1942: “Rücksichten, gleich welcher Art, sind ein Verbrechen gegen das deutsche Volk und den Soldaten an der Front. Die Truppe ist dazu berechtigt und verpflichtet in diesem Kampf ohne Einschränkung auch gegen Frauen und Kinder jedes Mittel anzuwenden.“

U.a. waren es diese Befehle, die die Grundlage für unzählige Massaker an der Zivilbevölkerung bildeten. Ganze Dorfgemeinschaften wurden bei dem Verdacht der Unterstützung von PartisanInnen liquidiert. Mit ihren Häusern in die Luft gejagt, bei lebendigen Leibe verbrannt, von Maschinengewehren niedergemäht. Es traf sowohl Kleinkinder und Säuglinge, die als Schiessscheiben in die Luft geschmissen wurden, als auch Alte und Behinderte. Vergewaltigungen und Quälereien durch deutsche Landser gab es sehr häufig. Zu Letzterem kam es auch, ohne das zuvor Partisanenangriffe auf die Wehrmacht stattgefunden hatten.

Das verheerendste Massaker fand in den Ortschaften der Gemeinde Marzabotto statt. Vom 29.Sept. bis zum 5 Okt. 1944 ermordeten deutsche und italienische Einheiten in einem wahllosen Massaker 770 Menschen. Zweidrittel davon Frauen und Kinder.

Insgesamt vielen den deutschen Einheiten über 10.000 Zivilisten zum Opfer.

All die Grausamkeiten konnten den Untergang des 3.Reiches nicht stoppen. Von alliierten Streitkräften und Partisanenverbänden besiegt, kapitulierten die deutschen Truppen in Italien am 2.Mai 1945. Der fliehende Duce wurde schon am 28. April von PartisanInnen gefangengenommen, verurteilt und standrechtlich erschossen. Am nächsten Tag wurde sein Leichnam kopfüber auf der Piazzale Loreto in Mailand aufgehängt und der Bevölkerung vorgeführt. Keine 20 Meter von dem Platz entfernt, wo ein halbes Jahr zuvor politische Gefangene massakriert worden waren.

Das Lager Fossoli und der Lagerleiter Karl Heinz Titho

Bruno Mantelli beschreibt in seinem Buch „Die kurze Geschichte des italienischen Faschismus“ den Unterschied zwischen den deutschen und dem italienischen Faschismus als einen quantitativen. Wobei er dem deutschen eine grössere Radikalität und erschreckendere Vernichtungsmaschinerie zuspricht. Dennoch ist es zutreffend, den Charakter des italienischen Faschismus als ebenso brutal und terroristisch wie den deutschen zu beschreiben. Mit Terror war der Faschismus in Italien an die Macht gekommen und mit Gewalt und Unterdrückung behauptete er sich dort. Oppositionelle Parteien waren ebenso verboten, wie nicht genehme Gewerkschaften. Das Streikrecht abgeschafft, usw usf. Oppositionelle mussten um ihre Freiheit und ihr Leben fürchten. Gelang ihnen nicht das erfolgreiche Verbergen ihrer Gesinnung, wurden sie inhaftiert, zum Teil auch gefoltert und ermordet.

In den 30iger Jahren wurden viele von ihnen auf kleine verarmte Inseln verbannt. Gingen sie ins Exil, waren sie auch dort nicht sicher. So wurden z.B. die beiden bekannten antifaschistischen Brüder Carlo und Nello Rosselli im Auftrag Mussolinis im Juni 1937 von französischen Rechtsextremisten ermordet. Diese gehörten der, von dem Firmenchef der Kosmetikfirma L'Oreal finanzierten, Terrororganisation La Cagoule (Die Kapuze) an. Für diesen Auftragsmord erhielten sie von Italien grössere Lieferungen an Waffen, die sie gegen die linke Volksfrontregierung verwendeten.

Vor Beginn des Zweiten Weltkriegs gab es in Italien keine Konzentrationslager als Einrichtung zur systematischen Isolierung und Beseitigung politischer Gegner. Erst mit Italiens Kriegseintritt am 10.6.1940 wurden Lager zur Internierung feindlicher Ausländer und Italiener eingerichtet.*1 Die Verhältnisse dort waren erschreckend, aber nicht vergleichbar mit den KZs, die die Deutschen betrieben. Vorwiegend waren dort JüdInnen ausländischer Nationalität, politische Gefangene und später auch alliierte Kriegsgefangene interniert. Die deutsche Okkupation veränderte die Situation für die Internierten dramatisch. Immer mehr Menschen, seien es Zwangsarbeiter, politische Gefangene und JüdInnen, wurden ins „Grossdeutsche Reich“ zwecks Fronarbeit oder Vernichtung deportiert.

Die Lager waren verschieden gross und unterstanden teils rein italienischen, teils rein deutschen, teils gemischten Verwaltungen und Bewachungen. Das wohl grausamste war „La Risiera di San Sabbia“ bei Triest. Geleitet von berüchtigten SS-lern fanden hier einige Tausend der über die gesamte Zeit 20 000 Inhaftierten ihren Tod. Zumeist wurde ihnen mit schweren Keulen der Schädel zerschlagen und sie im Ofen dieser ehemaligen Reisfabrik verbrannt.

Obwohl rassistisch hatte der italienische Faschismus nie so auf den Antisemitismus gesetzt. Das lag u.a. daran, dass JüdInnen sehr stark in die italienische Gesellschaft integriert waren. Sowie eine verschwindende Minderheit nämlich 0,1 Prozent ( ca. 40 000 ) der Bevölkerung ausmachten. So hatten die ItalienerInnen jüdischen Glaubens unter den antisemitischen Gesetzen von 1938 zwar stark zu leiden gehabt, aber das Regime hatte sich bis 1943 geweigert jüdische ItalienerInnen in die Vernichtungslager jenseits der Alpen zu deportieren. Dies auch, um sich im Ausland einen Anschein von Unabhängigkeit gegenüber dem 3. Reich zu geben.

Mit der Installierung des Satellitenstaats, der „Republica di Salò“, änderte sich dieses. Am 30. November 1943 erging der Befehl des Innenministers Buffarini Guidi alle JüdInnen in Lager zwecks der Deportation zu bringen. Die Zeit der Menschenjagd auf JüdInnen hatte begonnen. Mehr als 20 Prozent der italienischen JüdInnen wurden in den folgenden 1 1/2 Jahren über Sammelstellen, KZs oder Durchgangslager in deutsche Vernichtungslager deportiert. Nur die wenigsten davon überlebten diese.

Fossoli di Carpi und Bozen

Das wichtigste Kriegsgefangenenlager war Fossoli bei Carpi. Seine guten Eisenbahnanbindungen machten es so wichtig. Es wurde 1940 errichtet und lag 20 Kilometer von Modena entfernt. Zunächst war es nur für ca. 800 Kriegsgefangene gedacht. Ende 1943 wurde aus dem Lager eines der grössten Durchgangslager Italiens. Die Kapazität wurde erhöht und auch Badogliotreue Militärs, politische Häftlinge und JüdInnen interniert. Während die Militärs zur Zwangsarbeit im Deutschen Reich deportiert wurden, endeten die Züge für die politischen Gefangenen und für die Jüdinnen in den Konzentrationslagern jenseits der Alpen. Von November 1943 bis Ende 1944 wurden mindestens 3198 JüdInnen über Fossoli deportiert. D.h. mehr als ein Drittel der aus Italien deportierten Jüdinnen. Darunter auch Primo Levi, der Ausschwitz überlebte und später durch seine Bücher bekannt wurde.

Als die Front näher rückte wurden die meisten Gefangenen und die Verwaltung im August 1944 nach Bozen/Gries verlegt. Dies Lager war erst im vorhergehenden Winter errichtet worden und das Grösste in Italien. Es konnte 3.000 Gefangene aufnehmen. Bozen ähnelte mehr als alle anderen Lager Italiens einem deutschen Arbeitslager. Das Eigentum der Gefangenen wurde konfisziert, sie wurden kahlgeschoren, trugen Häftlingskleidung und mussten innerhalb und ausserhalb schwerste Arbeiten vollrichten.

Auf verschiedenste Weisen wurden hier Häftlinge zu Tode gequält. Unter dem SS-Bewachungspersonal befand sich auch Hildegard Lächert. Sie wurde durch den Majdanek Prozess in den 70iger Jahren berüchtigt. Fluchtversuche waren fast immer erfolglos, da die deutschstämmige Südtiroler Minderheit den Italienern und Juden feindselig gegenüberstand. Die so gefassten Flüchtlinge wurden nach grausamer Folter hingerichtet. Die Deportationen in die KZs wurden erst Ende April 1945 eingestellt, da alliierte Bomber die Verkehrsverbindungen zerstört hatten.

Karl Friedrich Titho

Auch gegen den Lagerleiter von Fossoli und Bozen, Karl Titho, erging 1971 die Einstellungsverfügung der Dortmunder Zentralstelle. Zu ihm heisst es im O-Ton der Kammer: „Dem Beschuldigten kann jedoch nicht mit hinreichender Sicherheit die Kenntnis davon nachgewiesen werden, dass die deportierten jüdischen Gefangenen später in den Konzentrationslagern getötet werden sollten“. So einfach bekam/bekommt man bei der deutschen Justiz einen Persilschein. Man behauptete als ehemaliger SS-Untersturmführer und Leiter eines Deportationslagers nichts von der „Endlösung“ gewusst zu haben und schon ging man straffrei aus.

Auch die Anklage wegen einer Erschiessung von 68 Gefangenen am 12.7.'44 als Sühnemassnahme für einen Partisanenanschlag in Genua vom 25.6.'44 überstand Titho. Das Gericht konnte „keine Tatbestandsmerkmale des Mordes feststellen, insbesondere nicht niedrige Beweggründe und keine grausame Tatausführung, so dass diese Exekution allenfalls als Totschlag anzusehen ist. Insoweit ist die Strafverfolgung jedoch verjährt.“

Nicht so leicht hatte es ihm die niederländische Justiz gemacht. Titho, seit 1932 SS-Mitglied, war Fahrer des SD-Chefs von den Niederlanden, Wilhelm Harster, gewesen. Des weiteren war er in den KZs Amersfoort und Vught tätig. Die Utrechter Richter wiesen Titho die Beteiligung an der Erschiessung von 70 sowjetischen Kriegsgefangenen 1942 im KZ Amersfoort und Folterungen 1943 im KZ Vught nach. Im ersten Fall wurde er zu sechs, im zweiten Fall zu einem Jahr Haft verurteilt. Am 29.3.1953 wurde Titho nach Deutschland abgeschoben.

Ob dem ehemaligen Leiter von Fossoli jetzt doch juristisch beigekommen wird, ist abzuwarten. Das Militärtribunal in der Hafenstadt La Spezia überlegt momentan ihn wegen der Erschiessung der 68 Gefangenen anzuklagen. Dabei könnte es sich als belastend für ihn erweisen, dass das Militärgericht Verona unlängst die Auslieferung von Michael Seifert und Otto Seit in Kanada beantragt hat. Beide waren ehemalige Untergebene von ihm in Fossoli. Sie werden wegen Folter und Mord gesucht und waren wie Titho und Lächert 1971 von der Dortmunder Justiz benannt, aber nicht belangt worden. Aus dem Kurort Horn im Lipperland liess Titho auf jeden Fall vernehmen, dass er sich keiner Schuld bewusst sei und das er auch nicht daran denke, bei einem Prozess zu erscheinen. Dies liess er durch seinen Detmolder Anwalt und ehemaligen Kameraden aus der „Leibstandarte Adolf Hitler“, Arndt Kuhlmann, verkünden.

Polit-Cafe Azzoncao / Lotta

1 Enzyklopädie des Holocaust II, (Hg) Israel Gutman, Berlin 1993