Bankrotterklärung der Marktwirtschaft Den Kapitalismus vor sich selber retten?

Politik

Vielleicht ist es ja unvermeidlich, dass über die Rettung einer herrschenden Lebensweise am erbittertsten gestritten wird, wenn sie nicht mehr zu retten ist, wenn sie sich allenthalben aufzulösen beginnt.

Überdimensionierte Uhr in einer Schaufensterauslage der Hublot Boutique in Warschau, Polen.
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Überdimensionierte Uhr in einer Schaufensterauslage der Hublot Boutique in Warschau, Polen. Foto: Adam Kliczek (CC BY-SA 3.0 cropped)

26. März 2015
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Korrektur
Es wird „um Arbeitsplätze gekämpft“, als ob Hackeln der Sinn des Lebens wäre. Und für das Gedeihen von Kapital und Arbeit zittert man allenthalben um das „Wirtschaftswachstum“, als ob das nicht das Krebsgeschwür des Lebens auf der Erde wäre.

Man merkt das nicht unbedingt sofort, denn so wie die Menschenwelt heute aussieht, erscheint das Geld als der Boden, auf dem das Leben wächst. Der globale Standard für Glück, Moral, Erfolg ist der Lifestyle der Metropolen. Nicht so, wie er ist, sondern so, wie die Arbeits- und Konsumhysterie ihn in tausend Facetten des ewig Gleichen in die Köpfe einpaukt. Die hier verordneten Konsumpflichten und Konkurrenzen lassen die Monaden laufen und hetzen, in der Arbeit, auf der Suche nach einer und während des Freigangs. Und Verzweiflung greift nach denen, die den besagten Boden ganz zu verlieren fürchten, schon verloren haben oder von ihm nur träumen können.

Die Marktwirtschaft ist nach ihren eigenen Kriterien bankrott. Ihr Betrieb lässt sich nur noch mit wachsenden Schulden und mit Spekulation auf eine Zukunft, die es nicht mehr geben wird, aufrechterhalten. Selbst von den Gründerstaaten der EU erfüllt nur mehr der Banken- und Schwarzgeldstandort Luxembourg die Aufnahmekriterien. Der Kapitalismus ist eine Glaubensgemeinschaft. Ihr Credo ist der Glaube an den Credit, die eitle Hoffnung, dass die sich auftürmenden Geldversprechen und Schulden noch was wert sind.

Im Fall der hochverschuldeten USA zögern „die Märkte“ und Lieferanten noch nicht, Billionen Dollar und die „Sicherheit der Arbeitsplätze“ auf den Sand des Defizits zu gründen. Das kapitalistische Grundvertrauen in die blanke Gewalt meint unverdrossen, dass die US-Armee notfalls dem Dollar noch ganz direkt Wert verleihen kann.

Zwar sind auch in der EU die Schulden des Südens im Norden Arbeitsplätze. Aber der Glaube an die Zahlungsfähigkeit weicht dem Zweifel, der sich vergewissern will. Das Pfändungsregime der Troika hat jedoch in Griechenland Verarmung, Hunger, Wut und Verzweiflung ausgebreitet, die Wirtschaft in die Rezession getrieben – und den Schuldenstand immens erhöht, weil das neu geborgte Geld für alte Zinsen und die Bankenrettung draufgeht. Das Land könnte als erstes im Domino von EU-Pleitestaaten fallen, dem Euro, ja der EU droht der Zerfall mit allen Folgen für das globale System von Geld und Arbeit.

Doch eine Art Rettung steht bereit. Im Süden macht sie sich als radikale Linke an die „Rettung des Kapitalismus vor sich selbst“ (Y. Varoufakis, jetzt griechischer Finanzminister). Das Problem soll mindestens auf Ebene der EU angegangen werden. Weitgehende Entschuldung der maroden Länder (wie 1953 Deutschland), und den Rest der Verbindlichkeiten „aus neuem Wachstum“ zahlen. Dazu braucht es einen „europäischen New Deal mit öffentlichen Investitionen für Wachstum“, mit dem man „Arbeitsplätze schaffen“ kann. Dazu soll die Staatsverschuldung EU-weit nochmals einen grossen Sprung nach vorn machen und ein neues Wirtschaftswunder stiften wie weiland vor fünfzig, sechzig Jahren. Ob dazu das Geldvertrauen in der EU noch reicht? Für den liberalen Ökonomen und Nobelpreisträger Paul Krugman aus den USA immerhin klingt das griechische Ansinnen weniger links als vielmehr zahm: „Das Problem der Pläne Syrizas“, meint er, könnte sein, „dass sie vielleicht nicht radikal genug sind.“

Seit den 80er Jahren wird immer wieder nach einem neuen „New Deal“ und „Marshallplan“ gerufen. Selbst wenn er heute unternommen wird, kann er vielleicht verzögern, d.h. auch: die Wucht der multiplen Krise schliesslich steigern. Die globale Blase von Spekulation und Schulden ist ein unhaltbares Fundament. Und die vom Kapital zum Zwecke seiner Vermehrung voran getriebenen Technologien sind so hochproduktiv geworden, dass sie mehr Arbeit „freisetzen“ müssen als neu sich einverleiben. Der Ramsch, mit dem sie die Märkte jetzt schon überschwemmen, vergiftet und vermüllt bei Herstellung und Entsorgung die Luft, die Erde und die Meere. Das Erbe schon des alten Wirtschaftswunders ist eine ökologische Katastrophe, wer ein neues will, mag sich nicht wirklich. Wieviel Konsumismus und Zugriff des Staats und seiner Wirtschaft aufs Leben von der Wiege bis zur Bahre noch?

Der Staat ist, ob rechts, ob links regiert, vor allem Staat, eine Maschine, die sich vom Geld der Wirtschaft nährt und für eine Ordnung sorgt, die dazu passt. Er kann besser oder schlechter auszuhalten sein, aber Selbstbestimmung, freie Entfaltung der Menschen in Eintracht miteinander und der Mitwelt ist weit jenseits seiner Sorge. Diese heisst vielmehr würgende Kontrolle, selbst dort, wo er im Notfall, den er herbeiführt, einmal hilft.

Weithin auf der Welt hat der grassierende Zerfall von Staat und Wirtschaft Menschen aufgescheucht. Zu fanatisch-rassistischem Weitermachen um jeden Preis zum einen. Zugleich aber tun sich überall Menschen zusammen. Sie „versuchen, sich selbst zu organisieren, etwas zwischen uns in Bewegung zu setzen, aufbauend auf Vertrauen, Solidarität und Gleichheit, im Grund ein paar Dinge umzusetzen, eine Art zusammen zu leben und zu arbeiten“, ja es ist zu hören, „dass Profit Beziehungen schlecht macht, er macht sie nicht menschlich. – Also gefällt vielen Menschen die Idee, das Geld loszuwerden und menschlicher zu sein.“ (Bericht aus Griechenland) Diese Leute haben senkrecht.

Projekte kollektiver Selbsthilfe, aus denen solche Worte und Haltungen kommen, werden auch von Kritikern des Kapitalismus oft als blosser „Notbehelf“ unsichtbar gemacht. Was eins als Monade in der „Gesellschaft der Sachen“ lebender Mensch leicht übersieht, ist der Umstand, dass sich hier in nuce das bildet, was allein uns noch in eine bessere Welt führen könnte: die „power of community“. Vom Standpunkt und von den Bedürfnissen der Entwicklung solcher Selbsthilfe her sollte eins herangehen an alles, was der Menschheit da im Niedergang der alten Ordnung an Grausig-Brutalem zugemutet, aber auch als „Rettung des Kapitalismus vor sich selbst“ angetragen wird. Staat und Geld jedoch brüten auf menschenfeindlicher Gewalt.

Lorenz Glatz
streifzuege.org