Bernie Sanders und der Begriff des Klassenkampfes USA: Unten vs. oben statt Multikulti-Collage

Politik

Die US-Demokraten ringen um die Weichenstellung nach der Niederlage. Sozialist Bernie Sanders plädiert für eine Prise Klassenkampf.

Bernie Sanders am Day of Action People's Rally, Washington DC, Januar 2017.
Mehr Artikel
Mehr Artikel

Bernie Sanders am Day of Action People's Rally, Washington DC, Januar 2017. Foto: Lorie Shaull (CC BY-SA 2.0 cropped)

22. Februar 2017
0
0
4 min.
Drucken
Korrektur
In der kommenden Woche wird die auf die Clique Trump fixierte US-Berichterstattung sich erstmals seit den Wahlen wieder mit den Verlierern befassen: Die Demokratische Partei wählt einen neuen Parteivorsitzenden. Das gibt Gelegenheit, Namen zu nennen, Köpfe zu zeigen, vielleicht auch «Seilschaften» oder «Machtnetze» zu zeichnen.

Geschenkt. Mit der politisch bedeutsamen Fragestellung hat die Personalie nur beschränkt zu tun. Seit der Niederlage im vergangenen November sucht die auf ihre schwächste Position seit Jahrzehnten reduzierte Partei nach Sinn und Rezept für den Weiterbestand. Vereinfacht gesagt, stehen sich zwei Lager gegenüber. Auf der einen Seite der Ansatz von Obama, den Wahlerfolg durch die Addition von benachteiligten, je einzeln identifizierten Wählersegmenten anzustreben: «die» Frauen, «die» Schwarzen, «die» Spanischstämmigen, «die» sexuell Speziellen («LBGT») etcetera. Der Sammelbegriff heisst «identity politics». Auf der anderen Seite der «Populismus» à la Sanders, der das Hauptgewicht auf den Unterschied von oben und unten legt: die wenigen, immer Reicheren und Privilegierteren, gegen die wachsende Masse von weniger Bemittelten und Habenichtsen. Klassenkampf.

Obamiker gegen Sanderisten – die Fronten sind abgesteckt, aber in den Medien ist keine grosse Lust festzustellen, über die Auseinandersetzung zu berichten. Auch sie hat der Wahlausgang contrepied erwischt. Zudem ist die Vorstellung, Politik entlang des Unterschieds zwischen oben und unten zu betreiben, dem medialen «mainstream» eher fremd. Den offensiven Part spielen die Sanderisten, die seit der Niederlage sozusagen im Ballbesitz sind. Denn die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass der Sozialist Bernie Sanders die Wahl gewonnen hätte, wenn er anstelle der intern durchgewuchteten Kandidatin Clinton nominiert worden wäre: Wie Trump sprach er über die Nachteile von Freihandel und Globalisierung, aber anders als Trump ohne Fremdenhass und Verachtung der Schwachen.

Seit der Niederlage hämmert Sanders seiner Partei ein, die Machtfrage an der ökonomischen Front zu stellen und den grossen Wirtschaftsinteressen entgegenzutreten. «Es reicht nicht, dass jemand sagt «wähl mich ich bin eine Frau» – was wir brauchen, ist eine Frau, die den Mumm hat, gegen Wall Street, gegen die Versicherungsgesellschaften, gegen die Pharmakonzerne, gegen die Oel- und Kohleindustrie aufzustehen», sagte Sanders drei Wochen nach der Wahl an einer Versammlung in Kalifornien.

Wie Trump zeichnet Sanders weiterhin ein düsteres Bild der amerikanischen Wirklichkeit: «Zuviele Amerikaner wurden in den vergangenen dreissig Jahren von ihren Konzernbossen hintergangen», schrieb er in einem programmatischen Nachwahl-Artikel in der New York Times. «Sie arbeiten länger für kleinere Löhne, während sie zusehen, wie die anständig bezahlten Jobs nach China, Mexiko oder andere Niedriglohnländer wandern. Sie haben es satt, dass ihre Konzernchefs 300 mal mehr verdienen als sie selbst, während 52 Prozent aller neuen Einkommen an das oberste 1 Prozent fliessen. Viele der früher schönen ländlichen Städtchen sind entvölkert, die Läden geschlossen, und die Kinder wandern weg, weil es keine Jobs mehr gibt – derweil Firmen den Wohlstand aus ihren Gemeinwesen saugen und in Offshore-Konten verschieben. Arbeitende Amerikaner können sich keine anständige, gute Krankenversorgung für ihre Kinder leisten. Sie können ihre Kinder nicht auf die Universität schicken, und sie haben nichts in der Bank, wenn sie in Pension gehen. An vielen Orten im Land können sie keine erschwingliche Wohnung finden und die Krankenversicherungen sind zu teuer».

Soweit so schlecht. Wie weiter? «Zurück gehen wir nicht, bei Rassismus, Bigotterie, Xenophobie und Sexismus gibt es keine Kompromisse. Wir werden sie in allen Erscheinungsformen bekämpfen», schrieb Sanders. «Lasst uns unsere zerfallende Infrastruktur wieder aufbauen und so Millionen gutbezahlte Jobs schaffen. Erhöhen wir den Minimallohn auf das Existenzminimum, machen wir für Studenten die Universität erschwinglich, führen wir den bezahlten Eltern- und Krankheitsurlaub ein und weiten wir die Altersrente aus. Reformieren wir ein Wirtschaftssystem, das Milliardären wie Herrn Trump erlaubt, keinen Rappen Steuern zu zahlen. Und das wichtigste: Schieben wir der Möglichkeit einen Riegel, dass wohlhabende Wahlkampfspender Wahlen kaufen können».

Über Gesicht und Rolle der Partei schrieb Sanders: «Die Partei muss sich von ihren Verbindungen zum Establishment der Konzerne lösen und wieder eine grass-roots-Partei der arbeitenden Leute, der Älteren und der Armen werden. Wir müssen dem Idealismus und der Energie der Jungen die Tore der Partei öffnen und allen AmerikanerInnen, die für ökonomische, soziale, rassen- und umweltbezogene Gerechtigkeit kämpfen.»

Parallelen?

Die Demokratische Partei ist im amerikanischen politischen System die Linke, aber die US-Linke ist keine Sozialdemokratie und war es nie. Aber die europäische, sozialdemokratische Linke steht, eine jegliche linke Partei oder Gruppierung nach ihrer eigenen Art, vor ähnlichen Schwierigkeiten wie Sanders sie benennt. Sogar in der Schweiz liessen sich bei den Stichworten Einkommensungleichheit, ländliche Verarmung, Offshore-Steuerflucht oder Prekarisierung der Altersversorgung Parallelen ziehen – ganz zu schweigen von der Aufregung, welche die meisten Medien und sogar Teile der Sozialdemokratischen Partei befällt, wenn ein linker Politiker den Begriff des Klassenkampfes wieder einführt.

Affaire à suivre.

Red. / Infosperber