Wie umgehen mit dem Islamischen Staat? «Der Krieg ist der Nährboden des IS»

Politik

Wie kann man den IS besiegen? Luftangriffe sind die falsche Strategie, sagt UN-Korrespondent Andreas Zumach.

Luftangriffe sind die falsche Strategie - Zwei französische Jagdbomber des Typ Rafale auf der Startrampe des Flugzeugträgers Charles de Gaulle.
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Luftangriffe sind die falsche Strategie - Zwei französische Jagdbomber des Typ Rafale auf der Startrampe des Flugzeugträgers Charles de Gaulle. Foto: Pascal Subtil (CC BY-SA 2.0 cropped)

17. Dezember 2015
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Korrektur
Der Titel Ihres Vortrags lautet «Vernichten, verhandeln, anerkennen oder austrocknen – wie umgehen mit dem Islamischen Staat?» Über zwei Worte bin ich gestolpert: verhandeln und anerkennen.

Andreas Zumach: Ich habe den Titel so gewählt, weil das alles Optionen sind, über die zumindest geredet wird. Aus meiner Sicht scheiden Verhandlungen aus. Mein Problem wäre es zwar nicht, mit dem IS zu reden. Wenn man einen Gewaltkonflikt beenden will, muss man – innerhalb roter Linien – mit allen reden. Das Problem ist aber ein anderes: Der IS hat gar kein Interesse mit irgendjemandem zu verhandeln. Das ist ein Unterschied zu allen anderen, die in den letzten 70 Jahren als Terroristen galten. Die hatten immer konkrete politische Forderungen und darüber konnte gesprochen werden. Der IS hat keine einzige politische Forderung, er schafft einfach Tatsachen, nämlich sein Kalifat.

Wie sieht es mit «anerkennen» aus?

Man darf die Strahlkraft dieses sogenannten Kalifats nicht unterschätzen. Das wird von den westlichen Regierungen und auch in Moskau unterschätzt. Wenn man zulässt oder durch eine falsche Strategie dazu beiträgt, dass der IS eine Erfolgsgeschichte wird, könnte es sein, dass es einmal keine Alternative in der Region mehr gibt und eines Tages westliche Staatsoberhäupter dem IS die Hand schütteln und ihn de facto anerkennen.

Im Moment sieht es nicht danach aus. Der Westen und Russland schicken Kampfjets gegen den IS.

Da sind wir beim «Vernichten». Das wird nicht funktionieren. Seit 2001 wird versucht, den Terrorismus vor allem mit Luftschlägen zu besiegen. Das Ergebnis daraus ist, dass die Zahl terrorbereiter Kämpfer und Gruppen sowie von Anschlägen gestiegen ist. Und das Gebiet dieses Krieges hat sich von Afghanistan aus ausgeweitet auf Pakistan, Jemen, Somalia, Mali, Syrien, Irak und andere.

Die Strategie von Luftschlägen gegen den IS halten Sie also generell für falsch?

Ja. Und zwar nicht aus pazifistischen Gründen oder wegen der völkerrechtlichen Aspekte, sondern weil ich glaube, dass das ein völlig falsches Mittel ist. Wenn man den IS dauerhaft militärisch zurückdrängen wollte, müsste man Bodentruppen schicken. Und zwar eigene Soldaten und zusammen mit den Russen. Aber selbst eine solche Truppe könnte den IS etwa aus einer Millionenstadt wie Mossul nur in monatelangen Häuserkämpfen und mit hohen eigenen Verlusten vertreiben.

Also plädieren Sie für «Austrocknen». Was verstehen Sie darunter?

Der wichtigste Nährboden des IS ist der Krieg in Syrien. Wenn man die Ausbreitung und Stärkung des IS verhindern will, muss man diesen Krieg beenden. Das funktioniert nur, wenn alle äusseren beteiligten Akteure ihre Beteiligung einstellen: alle Luftangriffe, Waffenlieferungen und Finanzmittel für wen auch immer, Ausbildung von Kämpfern und logistische Unterstützung. Die Türkei ist besonders gefordert: Sie lässt Ölverkäufe des IS auf ihrem Territorium zu und alle europäischen IS-Kämpfer sind laut Geheimdienstinformationen über die Türkei nach Syrien und Irak eingereist. Ziel muss es sein, dass weder der IS, noch Regierungs- oder Oppositionstruppen in Syrien an weitere Waffen oder Kämpfer kommen.

Momentan beobachten wir eher das Gegenteil. Befürchten Sie eine Ausweitung des Konflikts?

Das deutet sich schon an, denken Sie nur an die Zwischenfälle auf türkischem Gebiet. Es kann auch passieren, dass etwa Ankara und Bagdad aneinandergeraten, wegen der türkischen Truppen, die illegal im Nordirak stationiert sind. Und es kann stärkere militärische Zusammenstösse zwischen türkischen und russischen oder anderen Kampfflugzeugen geben – vielleicht sogar unbeabsichtigt: Wenn so viele Flugzeuge in einem so kleinen Luftraum unterwegs sind, ist das Risiko hoch.

Wie kann der IS ideologisch nachhaltig bekämpft werden?

Man sollte vor allem nicht den Fehler machen und glauben, dass sich die gemässigten Muslime laufend distanzieren sollten. Das bewirkt nichts. Die allermeisten die vom IS rekrutiert werden im Krisenbogen zwischen Marokko und Pakistan sind Leute, die in prekären wirtschaftlichen und politischen Verhältnissen leben. Ohne Aussicht auf Verbesserung. Ich habe auch mit einigen deutschen IS-Rückkehrern gesprochen: Die Anwerbung des IS läuft nicht über den Islam, sondern über das Versprechen auf ein besseres Leben in einem Umfeld, wo man nicht Aussenseiter der Gesellschaft ist.

Islamistische Indoktrinierung passiert erst viel später, etwa in den Ausbildungslagern in der Türkei oder Syrien. Wenn Menschen in so prekären Verhältnissen wie in den genannten Ländern, aber auch in den Banlieues von Paris, aufwachsen, wird Religion für die eigene Identität sehr wichtig. Und dann ist die Gefahr, den Koran falsch zu interpretieren und als Rechtfertigung für Intoleranz gegenüber Andersgläubigen zu missbrauchen, viel höher.

Viele geben den USA eine Mitschuld an der Entstehung des IS. Zu Recht?

Das ist absolut richtig. Die Amerikaner haben mit den Engländern 2003 einen völkerrechtswidrigen Krieg im Irak begonnen. Nach dem Sturz Husseins haben sie alle Sunniten im Land von allen öffentlichen Posten enthoben. Vom General in Bagdad bis zur Postbeamtin im Hinterland. Das ist ein grandioser Fehler einer Besatzungsmacht, der den Briten in 400 Jahren Kolonialgeschichte nie passiert ist. Die wussten genau, dass sie einen Teil der lokalen Eliten brauchen, um ein Land unter Kontrolle zu halten. Also gab es sunnitische Aufstände gegen die amerikanische Besatzungsmacht, woraufhin die USA schiitische Milizen bewaffneten, um das niederzuschlagen. In dieser Phase ist bereits der Vorläufer des IS entstanden, quasi als Schutztruppe der Sunniten.

Sie sind Korrespondent bei der UN. Wie schätzen Sie die Lage der Flüchtlinge in den Nachbarländern Syriens ein?

Länder wie der Libanon oder Jordanien haben eine unglaubliche Leistung vollbracht, vor der wir den Hut ziehen müssen. Sie haben so viele Flüchtlinge untergebracht und anständig versorgt. Das Problem ist, dass die UN, die die Flüchtlingslager dort betreibt, von den Mitgliedsländern schmählichst im Stich gelassen wird. Da gibt es schon seit letztem Sommer viel zu wenig Geld. Der Hochkommissar für Flüchtlinge war schon 2014 in Berlin und hat dringend um Mittel gebeten, um die Menschen weiter ernähren zu können. Er ist mit leeren Taschen zurückgekehrt. Das habe ich in 30 Jahren als UN-Korrespondent noch nie erlebt. Nach und nach ist die Versorgung für die Flüchtlinge im Libanon und in Jordanien zurückgefahren worden und wurde schliesslich ganz eingestellt. Deswegen kommen jetzt auch so viele syrische Flüchtlinge zu uns. Über 90 Prozent kommen ja nicht direkt aus Syrien, sondern aus den Nachbarländern, in denen die Situation immer unerträglicher wird.

Benjamin Stahl / Infosperber

Andreas Zumach ist spezialisiert auf Völkerrecht, Menschenrechtspolitik, Sicherheitspolitik, Rüstungskontrolle und internationale Organisationen. Er arbeitet am europäischen Hauptsitz der Uno in Genf als Korrespondent für Printmedien, wie beispielsweise die tageszeitung (taz), Die Presse (Wien), die WoZ und das St. Galler Tagblatt, sowie für deutschsprachige Radiostationen und das Schweizer Fernsehen SRF. Bekannt wurde Zumach 2003 als Kritiker des dritten Golfkrieges. Im Jahr 2009 wurde ihm der Göttinger Friedenspreis verliehen.

Dieses Interview nimmt Bezug auf ein Referat, das Andreas Zumach in Würzburg hielt. Der Beitrag ist auf Mainpost.de erschienen.