Der Deal mit Saudi-Arabien als Spitze des Eisbergs „Made in Canada“: Rüstungsexporte auf dem Vormarsch

Politik

Die konservative Regierung in Kanada schmückt sich gerne damit, strenge Kontrollen für die eigenen Militärexporte zu haben. Ein Milliardengeschäft mit Saudi-Arabien spricht eine andere Sprache.

Der kanadische Schützenpanzer LV III, von denen Saudi-Arabien 19 Stück eingekauft hat, wird nicht von der regulären Armme, sondern von der saudischen Nationalgarde zur Aufstandsbekämpfung eingesetzt.
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Der kanadische Schützenpanzer LV III, von denen Saudi-Arabien 19 Stück eingekauft hat, wird nicht von der regulären Armme, sondern von der saudischen Nationalgarde zur Aufstandsbekämpfung eingesetzt. Foto: Ox Glennwhite (PD)

29. September 2015
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Kanadas konservative Regierung schmückt sich oft und gerne damit, eines der strengsten nationalen Kontrollregime für Militärexporte der Welt zu haben. Kanadische Menschenrechts-NGOs hingegen sehen in dem Exportregime eher einen Papiertiger. Die Richtlinien aus dem Jahr 1986 können demnach von der Regierung mit relativer Leichtigkeit umgangen werden. Zumindest auf dem Papier muss die kanadische Regierung vor der Exportausfuhr feststellen, dass „kein begründetes Risiko besteht, dass die gehandelten Waffen gegen die zivile Bevölkerung eingesetzt werden“.

Der Waffendeal in Höhe von 14.8 Milliarden Dollar, den Ottawa im Februar 2014 mit Riyadh geschlossen hat, lässt an der Interpretation der kanadischen Regierung allerhand Zweifel aufkommen. Der Verkauf von leicht gepanzerten Fahrzeugen nach Saudi-Arabien markiert den grössten Waffenexport in der kanadischen Geschichte. Der Deal wurde von dem kanadischen Konzern Canadian Commerical Corps (CCC) ausgehandelt, der als sogenannte “Crown Corporation” einer engen staatlichen Kontrolle unterliegt. Die CCC fungiert als Mittlerorganisation zwischen kanadischen Rüstungsfirmen und ausländischen Regierungen und agiert im Auftrag der kanadischen Regierung.

Saudi-Arabien besteht die Prüfung

Saudi-Arabien steht wie kaum ein anderes Land für die systematische brutale und repressive Behandlung von Frauen, Oppositionellen und Gastarbeitern. Erst kürzlich prangerte Amnesty International in einem Bericht an, dass "Saudi-Arabiens fehlerhaftes Rechtssystem (…) gerichtliche Exekutionen auf einer Massenskala" zur Folge hat. Im März 2011 schickte Riyadh Panzerfahrzeuge und andere militärische Ausrüstung ins benachbarte Bahrain, um die dortige Regierung darin zu unterstützen, Massenproteste der aufbegehrenden Bevölkerung zu zerschlagen. Berichten der kanadischen Zeitung Ottawa Citizen zufolge wurden zu dieser Zeit auch Panzerfahrzeuge kanadischer Herkunft über die Grenze transportiert. Das Aussenministerium bleibt Menschenrechtsorganisationen wie Ploughshares, Amnesty International und Oxfam bis heute eine Antwort darauf schuldig, was der Regierung über den Einsatz kanadischer Exportgüter in Bahrain bekannt ist.

Ein weiteres Beispiel für die Diskrepanz zwischen Theorie und praktischer Umsetzung der kanadischen Exportrichtlinien liegt in der mangelnden Transparenz, die die Regierung bei der Prüfung der Menschenrechtslage in einem potentiellen Empfängerland an den Tag legt. So ist nicht bekannt, welches Regierungsorgan für die Prüfung der Menschenrechtslage zuständig ist und wie dieses Organ zu seinen Schlussfolgerungen gelangt. Auch ist unklar, nach welchen Kriterien die Menschenrechtslage letztlich gegen wirtschaftliche und bündnispolitische Interessen abgewogen wird. Wenn ein Land wie Saudi-Arabien als geeigneter Empfänger für Waffenexporte eingestuft wird, ist man jedenfalls gewillt zu fragen, welche Menschenrechtspraktiken eine Regierung begehen muss, um als ungeeignet eingestuft zu werden.

Erschliessung neuer Märkte oder: im Osten geht die Sonne auf

Der Ausbau kanadischer Waffenexporte, den die Harper-Regierung in den vergangenen Jahren aktiv vorangetrieben hat, ist Teil eines breit angelegten Wachstumsplans. Der Deal mit Saudi-Arabien allein schafft laut Regierungsaussagen in seiner 14-jährigen Laufzeit 3.000 kanadische Arbeitsplätze. Zur strategischen Bedeutung des Deals dürfte der schrumpfende Verteidigungshaushalt des südlichen Nachbars USA erheblich beigetragen haben. Über das Handlungsvolumen kanadischer Militärexporte in die USA führt die kanadische Regierung wegen einer entsprechenden Ausnahmebestimmung zwar keine Buchhaltung. Allerdings wird davon ausgegangen, dass die Ausfuhren in die USA mehr Profit einbringen als alle anderen kanadischen Militärexporte zusammengenommen.

Zwecks Diversifizierung der Kundschaft hat sich die Regierung in den letzten Jahren deshalb verstärkt darum bemüht, kanadische Panzerfahrzeuge, Helikopter und andere Militärausrüstung nach Lateinamerika, Asien und vor allem in den Nahen Osten zu exportieren. Für die Erschliessung neuer Märkte hat die CCC in 2009 eigens eine neue Abteilung für „Global Defence and Security Sales“ eingerichtet. Auf die in diesem Zusammenhang angekündigte gesteigerte Wachsamkeit für „verantwortliche und ethische Businesspraktiken“ warten kanadische Abrüstungsexpert/innen noch immer.

Der Deal mit Saudi-Arabien als Spitze des Eisbergs

Der in der kanadischen Geschichte beispiellose Waffendeal mit Saudi-Arabien ist lediglich das drastischste Beispiel eines weitläufigeren Trends unter der Harper-Regierung. Dazu gehören weitreichende Änderungen in Kanadas nationalen Waffengesetzen hin zu weniger Restriktion und Kontrollen. So hat sich die Harper-Regierung in den vergangenen Jahren durch Gesetzesänderungen von mehreren internationalen Verpflichtungen bezüglich des Exports von Schusswaffen verabschiedet, die Kanada unter dem UN Firearms Protocol und dem regionalen CIFTA-Abkommen der Organization of American States (OAS) eingegangen war.

Zu diesem Trend passt ausserdem die ständige Erweiterung der Länder, denen Kanada automatische Schusswaffen zu verkaufen autorisiert ist. Per Gesetz darf Kanada solche Waffen nur an solche Länder verkaufen, die auf der Automatic Firearms Country Control List (AFCCL) stehen. Die Nummer der darauf gelisteten Länder hat sich allerdings seit der Erstellung im Jahr 1991 von 13 auf 39 Länder verdreifacht und schliesst inzwischen Kuwait und Saudi-Arabien mit ein. Der massive Ausbau der nuklearen Handels- und Forschungsabkommen, die Kanada in den vergangenen Jahren mit Indien und China geschlossen hat, sind ein weiteres Puzzleteil desselben Trends.

Kanada als Bremser auf internationalem Parkett: Der Arms Trade Treaty

Generell ist die Harper-Regierung nicht für ihren Enthusiasmus für multilaterale Abkommen und internationale Organisationen bekannt. Es ist also nicht verwunderlich, dass Kanada sich bis heute weigert, dem internationalen Arms Trade Treaty (ATT) beizutreten. Das Abkommen wurde im Dezember 2014 unter dem Dach des Büros für Abrüstungsfragen der Vereinten Nationen (UN Office for Disarmament Affairs, UNODA) verhandelt. Mit der Ratifizierung des ATT verpflichtet sich das Beitrittsland zu einer rigorosen Prüfung, ob ein Militärexport für eine „gravierende Verletzung des internationalen Menschenrechts oder des internationalen Kriegsrechts“ genutzt werden könnten. Inzwischen haben 130 Staaten den Vertrag unterschrieben, darunter Deutschland und die USA. Kanada ist der einzige NATO-Staat, der den Vertrag bisher nicht unterzeichnet hat.

Schon während der Verhandlungsphase des ATT hat die kanadische Regierung eine zögerliche Haltung eingenommen. So sollen kanadische Diplomaten instruiert worden sein, dabei lediglich eine „zurückhaltende, minimale Rolle“ zu spielen. Ottawas Begründung bezieht sich vornehmlich auf die ausreichenden Restriktionen unter nationalem kanadischem Recht. Der ehemalige kanadische Aussenminister John Baird, der von 2011 bis Februar 2015 in Harpers Kabinett diente, lies verlauten, dass der ATT negative Auswirkung auf die nationale Gesetzesgrundlage für den Besitz von Schusswaffen haben könnte. Nach Einschätzung von Kenneth Epps, Policy Advisor beim Project Ploughshares, waren eben diese innenpolitischen Kalkulationen letztlich ausschlaggebend für die Ablehnung des ATT. Ähnlich wie in den USA macht nämlich auch die Waffenlobby in Kanada einen wichtigen Teil der politischen Basis der Konservativen aus. Die kanadisch National Firearms Association (NFA) und die Waffenenthusiasten investierten demnach massiv in Lobbyaktivitäten gegen den ATT.

Ob der Beitritt zum ATT den Waffendeal mit Saudi-Arabien wirklich hätte verhindern können, ist umstritten. In jedem Fall hätte die Vertragsbindung eine nationale und internationale Debatte über Kanadas Entscheidung für den Rüstungsverkauf ausgelöst. Im besten Fall hätte die Berichterstattungspflicht abschreckend auf die kanadische Regierung gewirkt, auch wenn der ATT nicht über ein übergeordnetes Entscheidungsgremium oder Durchsetzungsmechanismus verfügt.

Vereinte kanadische Opposition

Mit Ausnahme des separatistischen Bloc Québécois haben alle Oppositionsparteien - also die New Democratic Party, die Liberalen und die Grünen - sich für einen Beitritt zum ATT ausgesprochen. Im laufenden Wahlkampf für die Parlamentswahlen im Oktober 2015 spielen Rüstungsexporte und internationale Kontrollmechanismen allerdings nur eine untergeordnete Rolle. Ob der politische Wind sich dreht, und Kanada sich unter der nächsten Regierung für stärkere Rüstungsexportkontrollen einsetzt, hängt wie so oft vor allen von ökonomischen Faktoren ab. Die kanadische Rüstungsindustrie und die Waffenlobby hätten jedenfalls sicher nichts gegen die Fortsetzung des Status Quo einzuwenden. Premierminister Harper und seine Regierung haben ihnen in den letzten neun Jahren gute Dienste erwiesen.

Charlotte Beck
boell.de

Dieser Artikel steht unter einer Creative Commons (CC BY-SA 3.0) Lizenz.