Innenpolitische Lage des Irans und die Instabilität des Regimes Der Iran und das Atomabkommen (Teil 2/2)

Politik

25. Juni 2018

Das iranische Regime hat sich direkt nach der, durch massive Repression sabotierten1, Revolution auf Krieg und aussenpolitische Krisen gestützt.

District 22, Teheran.
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District 22, Teheran. Foto: Mohsen Ataei (CC BY 4.0 - cropped)

25. Juni 2018
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Als Khoramshahr, eine wichtige, ölreiche Stadt im Süd-Iran vom Irak besetzt wurde, hat das iranische Regime viele junge Menschen für den Krieg gewonnen. Nach der „Befreiung“ Khoramshars durch iranische Truppen hat das iranische Regime den Krieg und die „Islamische Revolution“ feierlich propagiert. Repression und systematische Unterdrückung, die Ideologisierung als ein schiitischer Gottesstaat in der Region und die permanente Gefahr von aussen sind einige Elemente, auf die das iranische Regime baut. Im Kontext der innenpolitischen Lage bedeutete es, dass das iranische Regime immer mit einer im Inland wachsenden Opposition konfrontiert war, die sich nicht dem intensivierenden staatlichen Dogma unterwerfen wollte.

Das iranische Regime hat schon seit Jahrzehnten alle paar Jahre mit Aufständen zu kämpfen, die das ideologische geformte Selbstbild des Irans strapazieren. Immer noch ist die einzig effiziente Antwort des Regimes auf Reformbestrebungen innerhalb der Bevölkerung massive Repression. In der Zeit von Ahmadinejad hat sich innerhalb der iranischen Bevölkerung die Angst verbreitet, dass der Iran wieder kurz vor einem Krieg stünde. Die Sanktionen wurden schon zu seiner Zeit verschärft. Während seiner Präsidentschaft hat sich die Konfrontation mit den USA und Israel und damit mit Europa weiter verschärft und die Unterdrückungsmassnahmen wurden intensiviert. Ahmadinejad konnte noch nicht einmal sein einziges Versprechen, die Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der Bevölkerung, einhalten.

Mit der stetig steigenden Kriegsgefahr, der Verschärfung der Repression und der durch Sanktionen und Korruption ausgelösten wirtschaftlichen Krise erlebte der Iran die erste Welle der Massenproteste im Zuge der Wahlfälschungen von 2009. Nur wenige Tage nachdem der „Wahlsieg“ Ahmadinejads verkündet wurde, gingen allein in Teheran drei Millionen Menschen auf die Strasse. Noch Monate später gab es massive Proteste und Auseinandersetzungen im gesamten Land. Die Protestwellen hatten zuerst eher einen reformistischen Charakter, wurden aber im Laufe der Zeit immer radikaler.

Obwohl es seit einigen Jahren eine neue Arbeiter*innenbewegung gibt2, haben die Arbeiter*innen kaum in organisierter Form an den Protesten teilgenommen. Das liegt daran, dass die Bewegung eher radikal demokratische Forderungen stellte ohne soziale Forderungen miteinzubeziehen. Die in der Student*innenbewegung involvierten Neumarxist*innen haben sporadisch an den Protesten teilgenommen. Sie wurden auch im Zuge der Niederschlagung der Grünen Bewegung gezielt in ihren Häusern, Universitäten und Cafés festgenommen. Obwohl sie keinen grossen Einfluss auf die Bewegung hatten, hat das iranische Regime ihr progressives Potenzial ernst genommen.

Die Bewegung wurde letztendlich niedergeschlagen. Die drei Köpfe der Grünen Bewegung (Mir Hossein Moussavi, Mehdi Karoubi und Zahra Rahnavard) stehen bis heute unter Hausarrest und dürfen keinen Zugang zur Öffentlichkeit haben. Die reformistischen Kräfte haben sich danach enorm zurückgezogen.

Die Wahlen nach dem Ende der Präsidentschaft Ahmadienejads erweckten vielleicht den Eindruck, als ginge es bei ihnen um eine Auseinandersetzung zwischen Hardlinern und Reformisten. Letztendlich einigten sich allerdings Reformisten und Hardliner auf einen neuen Kandidaten: Rohani, dem heutigen Präsidenten des iranischen Regimes. Die neuen Reformisten, die die radikaleren Teile, also die drei Köpfe der Grünen Bewegung, aufgegeben hatten, nannten sich von nun an die „Moderaten“. Sie haben zwar in der Zeit nach der Geburt der Grünen Bewegung mehr politische Freiheit und sogar die Freilassung der Köpfe der Grünen Bewegung versprochen, diese Versprechen aber nie eingehalten. Vielmehr haben sie sich auf die Aufhebung der Sanktionen und Verhandlungen mit Europa und auf das Atomabkommen konzentriert. Dies ist ein Grund warum sie im Laufe der Verhandlungen von den westlichen Staaten und damit auch den westlichen Medien als „liberale“ Kräfte wahrgenommen und dargestellt wurden.

Die wirtschaftliche Lage des Irans verschlechterte sich indes immer weiter. Die politische Unzufriedenheit war und ist sehr gross aber auch die Frustration über die Niederlage der Grünen Bewegung. Diese Situation hat das Regime genutzt, um eine Scheinalternative vorzuschlagen: „Das Atomabkommen“. Die Bilder der feiernden Menschen auf den Strassen Teherans nach der Unterzeichnung des Abkommens wurden auch in westlichen Medien ausgestrahlt und zelebriert. Was vom iranischen Regime und auch den europäischen Staaten eigentlich zelebriert wurde, waren die Wirtschaftsverträge hinter dem Atomabkommen.

Im Rahmen der Verwirklichung der wirtschaftlichen Verhandlungen zwischen Europa und dem Iran wurden viele Privatisierungs- und Neoliberalisierungsmassnahmen durchgesetzt, die die Lage der Arbeiter*innen weiter verschlechterten. Das erklärt auch, warum die organisierten Kämpfe der Arbeiter*innen kurz nach Abschluss der Verträge stark zugenommen haben. Das ganze Jahr 2017 war durchzogen mit Streiks, die von illegalen, unabhängigen Arbeiter*innenverbänden organisiert wurden.

Die Massenproteste Anfang 2018 waren also kein Ausdruck einer einmaligen Explosion, sie waren das unvermeidliche Resultat einer politisch-wirtschaftlichen Situation und Bewegungen, die zum grössten Teil von den Arbeiter*innen angestossen wurde. Allerdings haben auch die Hardliner eine kleine aber entscheidende Rolle gespielt. Sie waren mit den Ergebnissen des Atomabkommens nicht zufrieden, weil sie dadurch innenpolitisch ein Stück weit ihr ideologisches Gesicht verloren haben. Daher rührt ihre Teilnahme an den Protesten gegen die Regierung Rohanis. Deshalb haben sie mobilisiert und dafür auch soziale Fragen instrumentalisiert. Als die kleinen Aufstände sich zu Massenprotesten entwickelten, schwenkten die Hardliner wieder um und einigten sich mit der Regierung. Für sie war klar, dass sie an einem Strang ziehen müssen, als die Parole „Hardliner, Reformisten, Eure Zeit ist vorbei“ zum Slogan der Massenprotesten wurde.

Bei den Massenprotesten wurden die sozialen Fragen immer in direkter Verbindung mit politischen Fragen thematisiert und die Proteste waren vom Charakter her viel massiver und breiter als die Grüne Bewegung. Aber auch sie wurden mit harter Repression zurückgedrängt. Viele Ermordete, viele Verletzte und viele Festnahmen konnten die spontanen, explosiven Massenproteste zerschlagen. Was sie aber nicht ändern konnten war die Unzufriedenheit der ärmsten Teile der Bevölkerung. Denn nach der Zerschlagung der landesweiten Proteste haben die organisierten Arbeitskämpfe zugenommen.

Der Iran steht vor einer Explosion. Die Arbeiter*innenbewegung wird immer grösser, es gibt viele progressive Elemente innerhalb der besser organisierten Arbeiter*innenverbände. Die Frauenbewegung wird immer politischer und konkreter. Die Lehrer*innen – und Studierendenproteste haben viele progressive Elemente. Es gab einen öffentlichen Aufruf der bedeutendsten Arbeiter*innengewerkschaften­, eine gemeinsame, einheitliche Arbeiter*innenorganisation zu schaffen. Es ist kein Zufall, dass die USA und Israel genau jetzt hart angreifen. Sie wollen den historischen Moment der Explosion nicht verpassen. Und es ist auch kein Zufall, dass das iranische Regime diese Eskalation weiter verschärft. Das Regime erhofft sich durch die aussenpolitische Eskalation wieder einmal die Bevölkerung auf seine Seite zu bekommen.

Das iranische Regime hat sich im Laufe der Zeit durch Korruption und Unterdrückung in den Augen grosser Teile der iranischen Bevölkerung delegitimiert. Die politische Instabilität im inneren des Iran ist ein wichtiger Grund für das Regime, die aussenpolitische Lage als Projektionsfläche und Ablenkung zu benutzen.

Iran als Regionalmacht

Das Regime hat in seiner ersten Stabilisierungsphase schon versucht, die sabotierte Revolution sowohl ideologisch als auch militärisch für seine Regionalpolitik zu benutzen: Aussenpolitisch die Ideologisierung der „Islamischen Revolution“ als eine Revolution, die exportiert werden musste; die Gründung der Hisbollah als iranische Armee im Libanon; die Unterstützung der Hamas und die Verbindung zu Russland und Syrien; der in die Länge gezogene Krieg gegen den Irak. Innenpolitisch die Vertiefung der ethnischen und religiösen Spaltungen im Iran und in der Region; die Gründung des Sepahs als ökonomisch höchst aktives iranische Paramilitär. Und zu guter Letzt die Fortsetzung des Atomprogramms als ein innen- wie aussenpolitisch wichtiges Element.

Der Sepah (das iranische Paramilitär zum Schutz des Regimes, gegründet im Mai 1979) ist mittlerweile eine Säule der Macht im Iran3. Die Sepah nimmt gezielt Aktivist*innen, Journalist*innen, organisierte Oppositionelle, Kurd*innen und Frauen fest. Sie interveniert, zusammen mit Ghasem Soleimani als General des Militärs höchstpersönlich, in Syrien. Sie privatisiert Banken im Iran, verfügt über viele Geschäfte, Firmen und Fabriken. Die Sepah hat einen eigenen Geheimdienst- und Gefängnisapparat und ist die Einheit die, direkt nach Aufkündigung des Atomabkommens, von Syrien aus Israel angriff. Kurz nach den Auseinandersetzungen zwischen dem Iran und Israel begannen die landesweiten Lehrer*innenproteste. Auch hier schritt der Sepah ein und nahm eine der wichtigsten Figuren der Lehrer*innengewerkschaften –Mohammad Habibi- fest.

Syrien dient dem Iran schon seit Jahren als Projektionsfläche für regionale und lokale Politik. Auch innenpolitisch ist das Thema von wahlentscheidender Relevanz. Das iranische Regime hat seine Intervention in Syrien immer mit der Verteidigung der „Iranischen Grenzen“ in Syrien begründet. Die Reformisten haben bei den Wahlen nach der Niederlage der Grünen Bewegung immer wieder auf die Lage in Syrien hingewiesen. Die Bevölkerung stehe vor einer „Wahl“: entweder die Intervention in Syrien oder eine syrische Situation im Iran.

Natürlich strebt der Iran nach der Entwicklung eines Atomprogramms und es ist leicht sich vorzustellen, dass der Iran damit nicht nur eine „friedliche Entwicklung“ meint. Der Iran versucht sich auch nach der Aufkündigung des Abkommens durch Trump immer wieder an Europa zu wenden und fordert, dass das Abkommen von Europa gerettet wird. Der Iran ist, was sein ideologisches Bild im inneren des Landes sowie die wirtschaftliche Lage betrifft, in einer tiefen Krise.

Auch die Lage in Palästina verschärft sich weiter. Sie ist eine von vielen Fronten, die weiter ausgebaut werden und über die der Iran seine eigene Rolle in der Region definiert. Russland liefert die Waffen, China stellt seine Märkte zur Verfügung und auch mit der Türkei gibt es Annäherungen. Selbst zur Barzani – Regierung in der Autonomen Region Kurdistan hat der Iran mittlerweile recht gute Kontakte.

Der Stellvertreterkrieg zwischen dem Iran und Saudi-Arabien im Jemen ist ein weiterer Ausdruck für die regionalen Machtkämpfe. Der Iran wurde im Laufe seiner Etablierung als Regionalmacht für viele andere Mächte in der Region unverzichtbar und baut, seit der Gründung der islamischen Republik, alles darauf auf.

Die Projektionsfläche

Die USA hat das Atomabkommen aufkündigt, weil sie mit den diplomatischen Entwicklungen des Irans unzufrieden sind, besonders, weil sie den US-Profiten schaden.

Wenn Europa das Atomabkommen aufrecht erhält und es lieber verteidigt, heisst das nichts weiter als dass Europa mehr Profite durch Privatisierungen und Neoliberalisierungen im Iran erwirtschaften kann als durch eine militärische Auseinandersetzung. Wenn der Iran sich auf das Atomabkommen einlässt, heisst es für den Iran weitere Profite für den korrupten Staat und mehr Unterdrückung der Bevölkerung. Wenn das Atomabkommen aufgekündigt wird, heisst es für den Iran mehr regionale Auseinandersetzungen und mehr Unterdrückungen der Bevölkerung.

Das Atomabkommen hatte grosse politische wie wirtschaftliche Folgen und genauso wird die Aufkündigung des Abkommens ruinierende politische und wirtschaftliche Folgen für den Iran haben. Was aber mit dieser Projektionsfläche durch alle Beteiligten systematisch versucht wird, ist, dass sie nicht ausserhalb der Dualität denken können. Es wird in das kollektive Gedächtnis der Bevölkerung eingedrungen und versucht sie davon abzuhalten an eine Alternative jenseits von Regime-Change oder Regime-Fortführung zu denken.

Ein Grund für Frustration aber auch für Motivation. Es geht darum sich neue Wege auszudenken. Eine Delegation der Arbeiter*innengewerkschaften ist genau aus diesem Grund nach Europa gereist um für mehr internationale Solidarität zu werben.

Mina Khani / lcm

Fussnoten:

1 https://www.klassegegenklasse.org/iran-die-toechter-der-revolutionsstrasse/

2 https://www.klassegegenklasse.org/auch-im-knast-ungebrochen-der-widerstand-iranischer-gewerkschafter/

3 https://de.wikipedia.org/wiki/Iranische_Revolutionsgarde