„Ghana beyond aid“ Afrikas Abschied von der „Mentalität der Abhängigkeit“

Politik

12. Februar 2018

Warum ist Ghana 60 Jahre nach seiner Unabhängigkeit noch auf Entwicklungshilfe angewiesen? Über eine denkwürdige Presskonferenz des Präsidenten Akufo-Addo.

Ghanas Präsident Nana Akufo-Addo in Brüssel, Juni 2017.
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Ghanas Präsident Nana Akufo-Addo in Brüssel, Juni 2017. Foto: Mission of Norway to the EU (CC BY 2.0 cropped)

12. Februar 2018
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Ghanas Präsident Nana Addo Dankwa Akufo-Addo hielt Anfang Dezember eine bemerkenswerte Rede. Auf einer Pressekonferenz mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron im Anschluss an den AU-EU-Gipfel in Abidjan fragte Akufo-Addo, warum afrikanische Staaten wie Ghana selbst 60 Jahre nach ihrer Unabhängigkeit noch auf Entwicklungshilfe angewiesen seien.

Den Grund sieht er darin, dass man sich in Afrika zu sehr aus solche Zuflüsse verlassen haben und die Aufgabe verantwortungsvoller Poltiker darin bestünde, „einen Weg zu beschreiten, auf dem wir unsere Nation selbst entwickeln können“. Das gelte für den ganzen Kontinent. Klar jedenfalls sei, dass die Jugend so lange aus ihrer Heimat fliehen würde, bis man es schaffe, funktionierende Staaten und Ökonomien aufzubauen.

Verantwortung afrikanischer Staatschefs

Akufo-Addo, der seit Januar 2017 Präsident ist, sieht vor allem afrikanische Politiker in der Verantwortung, diese Herausforderungen zu bewältigen. Und damit ist er nicht allein. Auch grosse Teile der Bevölkerung Afrikas haben ihre greisen, sich oft selbst bereichernden Staatschefs zunehmend satt. Schon seit Jahren gehen in vielen Staaten immer wieder zehn- bis hunderttausende Menschen auf die Strasse. In der DR Kongo, Togo oder Kamerun gab es in den letzten Wochen Proteste gegen Langzeitherrscher und der mit ihrer Herrschaft einhergehenden Perspektivlosigkeit für breite Bevölkerungsschichten. Auch in Burkina Faso, Simbabwe, Gabun, Guinea, dem Tschad, Südafrika und Burundi kam es über die letzten Jahre zu zahlreichen ähnlichen Demonstrationen.

Die Menschen protestieren gegen Machthaber, die häufig dutzende Jahre an der Spitze des Staates stehen. Allein 15 dieser Staatschefs haben seit dem Jahr 2000 versucht, ihre Amtszeit durch Verfassungsänderungen um viele Jahre zu verlängern. In ihren Palästen leben sie weit entfernt von den Problemen der jungen afrikanischen Bevölkerung.

Dabei wäre es umso wichtiger, dass afrikanische Politiker die Weichen stellen, um die demographische Herausforderung zu bewältigen vor der der Kontinent steht. Schon heute haben viele junge Afrikaner kaum Chancen auf einem hart umkämpften Arbeitsmarkt, der wenig anständig bezahlte Jobs bietet. Bis 2050 wird ein Bevölkerungswachstum auf 2 Milliarden Afrikaner prognostiziert.

Doch statt Arbeitsplätze zu schaffen und eine funktionierende Wirtschaft aufzubauen, verlassen sich die Politiker allzu oft auf die Einnahmen aus der Rohstoffförderung sowie auf Kredite und Entwicklungshilfe von aussen. Genau das kritisiert Akufo-Addo. Das vorhandene Wachstum kommt nur Wenigen an der Spitze des Staates und der Wirtschaft zugute. Ein grosser Teil der Bevölkerung lebt noch immer von weniger als 1,90 US-Dollar am Tag.

„Freizügigkeit von Menschen war immer mit dem gleichen Thema verbunden: dem Scheitern des Ortes, an dem Sie sich befinden, Ihnen eine Chance zu geben.“

Akufo-Addo forderte vom Westen entwicklungspolitischen Handlungsspielraum ein: Junge Afrikaner müssten in Afrika bleiben. Das bedeute, dass „wir uns von diesem Abhängigkeitsgedanken, von dieser Einstellung zu dem, was Frankreich für uns tun kann, lösen müssen“.

„Frankreich wird alles, was es tut, um seiner selbst Willen tun“

Veranschaulichen lässt sich das anhand des von Akufo-Addo angesprochenen Migrationsproblems. Afrikanische Staaten bräuchten gut ausgebildete, „dynamische“ (Akufo-Addo) Bürger, um Entwicklungsprozesse in Gang zu setzen. Und auch Europa dürfte kein Interesse daran haben, das Mittelmeer im Zuge des demographischen Wandels zu einem noch grösseren Massengrab werden zu lassen, weil sich immer mehr Menschen auf die gefährliche Flucht vor der Perspektivlosigkeit begeben. So bestünde durchaus ein gemeinsames Interesse, Fluchtursachen zu identifizieren und gemeinsam zu überwinden.

„Wir wollen, dass junge Afrikaner in Afrika bleiben. Und das bedeutet, dass wir uns von diesem Abhängigkeitsgedanken, von dieser Einstellung zu dem, was Frankreich für uns tun kann, lösen müssen. Frankreich wird alles, was es tut, um seiner selbst willen tun.“

„Hauptverantwortung“ der Staats- und Regierungschefs im 21. Jahrhundert sei es daher, „alles dafür zu tun, um unsere eigenen Länder wachsen zu lassen“. Ohne funktionierende Institutionen aber sei es unmöglich, „eine gute und verantwortungsvolle Regierungsführung zu haben und sicherzustellen, dass die Gelder, die den Staats- und Regierungschefs zur Verfügung gestellt werden, im Interesse des Staates und nicht im Interesse der Staats- und Regierungschefs verwendet werden.“ In diesem Zuge spricht Akku-Addo von Systemen der „Rechenschaftspflicht“, „Vielfalt“ und „Gestaltung des öffentlichen Willens und des öffentlichen Interesses“.

„Ghana beyond aid“

Akufo-Addos Rede richtete sich indirekt nicht nur an Macron, sondern an alle europäischen Regierungschefs. Die Botschaft: Europa und der Westen allgemein müssten sich endlich von der Vorstellung verabschieden, Afrika von aussen entwickeln zu können. Kein Land der Welt habe sich durch das vermeintliche Wohlwollen und die Entwicklungshilfe anderer Staaten entwickelt. Akufo-Addo bezieht sich hier vor allem auf das Vorbild der ostasiatischen Tigerstaaten Südkorea, Malaysia und Singapur.

„Warum haben sie diesen Übergang vollzogen, während wir 60 Jahre nach der Unabhängigkeit dort sind, wo wir sind. Das sind die Fragen, die uns alle als Afrikaner, als Ghanaer, beschäftigen sollten.“

Akufo-Addo schwebt ein „Ghana beyond aid“ vor, dass die „Mentalität der Abhängigkeit“ hinter sich liesse und „unabhängig“ und „autark“ sei.

Noch sieht die Realität allerdings anders aus. Der Westen entwirft alle 10 bis 15 Jahre neue Entwicklungskonzepte, mit denen er die weltweite Armut abschaffen will. Doch hinter den Kulissen dieser hochtrabenden Pläne wird der politische Handlungsspielraum von Entwicklungsländern immer weiter eingeschränkt. Das von Präsident Akufo-Addo angeführte Südkorea hingegen durfte in seiner Industrie- und Handelspolitik noch fleissig experimentieren und sich eines breiten Bausatzes industriepolitischer Massnahmen bedienen. Internationale Handelsregeln waren in den 60er bis späten 80er Jahren eher eine grobe Richtschnur, an die sich die Länder nicht zwingend halten mussten.

Unter dem heutigen WTO-Regime werden die Freihandelsdoktrinen wesentlich strenger durchgesetzt und Länder wie Ghana in der Auswahl industrie- und handelspolitischer Instrumente stark eingeschränkt. Durch die globale Finanzarchitektur und den nur halbherzig geführten Kampf gegen Steueroasen verringert sich der Handlungsspielraum zusätzlich. Der IWF und die Regierungen des Westens haben jahrzehntelang auf die Öffnung der Kapitalmärkte gedrängt. Dadurch können hohe Summen spekulativen Kapitels in die Entwicklungs- und Schwellenländer fliessen, die Kreditblasen und starke Währungsschwankungen entstehen lassen. Freie Kapitalmärkte und makroökonomische Schwankungen machen sich auch in Form steigender Preise für Importprodukte wie Nahrungsmittel bemerkbar. Und durch die Steuerflucht zumeist internationaler Unternehmen gehen den afrikanischen Staaten jährlich Milliardensummen verloren, die bei der Finanzierung des Sozialwesens oder für Infrastrukturinvestitionen fehlen.

„Partner“ eben nicht auf Augenhöhe

Die globale Finanzarchitektur wird in den Fluren des IWF und in den grossen Hauptstädten Brüssel, Berlin, Washington, Paris oder London bestimmt. Und die Regeln zur Besteuerung internationaler Firmen werden auf OECD-Ebene verabschiedet. Bei beiden Themen hat Afrika kein Mitspracherecht. Viele afrikanische Staaten sind zwar seit 60 Jahren staatlich unabhängig. In der Finanzierung und Ausgestaltung ihrer Entwicklungspolitik sind sie jedoch noch immer von politischen Entscheidungen der EU und USA und den vom Westen gesetzten globalen Rahmenbedingungen abhängig.

Die europäische Seite betont in Politikpapieren und vor wichtigen Konferenzen immer wieder die sogenannte „Partnerschaft auf Augenhöhe“, die sie mit Afrika anstrebe. Auf einer Veranstaltung in Bonn fiel es jedoch selbst einem deutschen Diplomaten auf: Je länger wir von einer Partnerschaft auf Augenhöhe sprechen, desto offensichtlicher wird, dass sich die „Partner“ eben nicht auf Augenhöhe befinden.

Akufo-Addo, selber bis 2007 Aussenminister, Minister für regionale Integration sowie Minister für The New Partnership for Africa's Development (NEPAD), bleibt dennoch optimistisch:

„Wir können es schaffen, wenn wir die richtige Einstellung dazu haben.“

Nico Beckert
zebralogs.wordpress.com