Interview mit der Punk-Band Oi Polloi „Punk war für uns nie, sich beliebt zu machen“

Kultur

Ein Interview mit Deek von Oi Polloi über Konzertabsagen, die (anti-)deutsche Linke dem Spass an der Provokation.

Oi Polloi live in 2006.
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Oi Polloi live in 2006. Foto: GothEric (CC BY-SA 2.0 cropped)

28. Juli 2015
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Derzeit kursiert ein Internet-Meme mit dem Spruch „Jurassic Park und Terminator in den Kinos, Clinton und Bush wollen die Präsidentschaft… In welchem Jahr leben wir?!“ Das kann man sich auch fragen, wenn man in den letzten Monaten auf der Facebook-Seite der schottischen Anarchopunker von Oi Polloi war, die seit fast 15 Jahren zwischen die Fronten innerlinker Konflikte, vereinfacht ausgedrückt, Antideutsche und Antiimperialisten geraten. Konflikte, von denen man dachte, dass sie seit Jahren längst ausgetragen sind oder zumindest ruhen – oder sich vollständig in die Kommentarspalten auf sozialen Netzwerke verlagert haben. Aber es gibt sie scheinbar noch. Nicht in jedem soziokulturellen Zentrum funktioniert der Konsens „Wir machen unsere Crustkonzerte und ihr eure Elektropartys“. Manchmal knallt es doch noch und der Nahostkonflikt wird wieder mal im AZ Dingsbums nachgespielt und ausgetragen. Dann wird heftig gestritten, ob das noch linker Punk oder eigentlich schon Rechtsrock ist. Die Argumente sind bekannt und gleich. Wäre dieses Interview vor 10 Jahren geführt worden, wäre es wahrscheinlich über weite Strecken wortgleich gewesen.

Oi Polloi ist eine der dienstältesten Politpunkbands und besteht seit 1981. Sie haben politische Einstellungen und Weltbilder, wie man sie weltweit bei Linken findet: Die Band versteht sich als antirassistisch, antisexistisch, antimilitaristisch, ökologisch und auch als antiimperialistisch. Letzteres macht Oi Polloi schon mal verdächtig und in Teilen der hiesigen Linken (und nur hier) zu einem roten Tuch. Immer wieder gibt es Ärger und Boykott-Aufrufe, wenn sie auftreten. Die Vorwürfe gegen Band sind ein Bullshit-Bingo: Die Rede ist stets von Antisemitismus, Nationalismus, völkischem Denken und sogar von der Extremismustheorie, welche die Band vertrete. Zuletzt lud das Ex-Gefängnis Klapperfeld, in Frankfurt am Main, die Band auf ihrer Frühjahrstour erst ein und dann wieder aus. Das war der Anlass für dieses Interview.

In diesem soll es nur sekundär um eine Auseinandersetzung mit den Vorwürfen und die Erwiderung derer gehen. Die Band hat dazu unzählige Male Stellung genommen. Am ausführlichsten wohl hier (1). Interessanter war, wie die Band darauf reagiert, was sie daraus gelernt hat und wie sie in Zukunft damit umgehen wird. Und vor allem, warum sie weitermachen und sich nicht einschüchtern lassen. Und natürlich haben sie als Schotten einen interessanten Aussenblick, der vielen von uns bereits abgeht.

Das Interview mit Sänger Deek fand vor dem Auftritt von Oi Polloi im Tommyhaus in Berlin am 6. April 2015 statt. Leider hatte Deek mit der Tour und auch privat sehr viel um die Ohren, so dass die Freigabe für das Interview knapp drei Monate dauerte. Aber wie gesagt: Die Vorwürfe sind so alt, da kommt es auf ein paar Wochen auch nicht mehr an.

Ihr seid häufiger in der Kritik verschiedener antideutscher Gruppen, was häufig in Konzertabsagen endet. Kannst du kurz berichten, wann und wie das anfing?

Unsere erste Erfahrung mit Antideutschen war in Freiburg, im KTS im Jahr 2002. Vor dem Konzert hat uns dort jemand alles gezeigt und durch den Laden geführt. Wir kamen auch in ein Zimmer, in dem überall Plakate mit Parolen wie „Solidarität mit Israel“ hingen. Das fanden wir schon seltsam. Aber es wurde noch schlimmer. Dort stand auch „Tod den Palästinensern“, „Fickt die Palästinenser“ und etwas von „Islamofaschisten“. Das ist für uns Rassismus. Wir haben die meisten Plakate sofort zerstört. Eins davon haben wir behalten, um dazu etwas auf der Bühne zu sagen und es dort zu zerstören. Daraus wurde dann der Vorwurf, wir würden regelmässig Israel-Fahnen verbrennen.

Aber ist das so absurd? Immerhin verbrennt ihr ständig alle möglichen Fahnen.

Aber es stimmt nicht. Die Vorwürfe gehen ja noch weiter: Wir würden immer die Israel-Fahne, aber nie eine andere Fahne auf der Bühne verbrennen. Dabei ist es genau anders herum. Normalerweise verbrennen wir die Fahne von dem Land, in dem wir spielen, als Statement gegen Nationalismus. Auch den „Union Jack“ und die „Stars and Stripes“. In Wahrheit haben wir nie eine Israelfahne verbrannt. Einmal haben uns israelische Punks eine gegeben und uns aufgefordert, diese zu verbrennen als Protest gegen die Regierung und die Siedlungspolitik. Wir haben ihnen gesagt, das wäre ihre Sache und das sie es selbst tun sollten, wenn sie das wollen.

Gab es vor 2002 schon einmal Probleme?

Es ist schwierig, sich nach so vielen Jahren erinnern. Aber ich weiss noch, dass wir einmal mit der finnischen Band Kansalaistottelemattomuus auf Tour waren. Die haben eine Single herausgebracht und auf dem Cover war ein palästinensisches Kind, das von IDF-Soldaten festgenommen wird. In Hamburg hat jemand unsere Platten durchgeschaut und gefragt, ob das Bild nicht etwas antisemitisch sei. Das haben wir nicht verstanden und nachgefragt, warum. Das war vor Freiburg, aber es war uns nicht so bewusst. Woran ich mich auch noch erinnere: Noch vor dem Konflikt in Freiburg haben wir in Köln ein Lied über Nicaragua gespielt. In dem Lied ging es gegen die Contras und gegen den amerikanischen Imperialismus. Dann hat ein Teil des Publikums skandiert „USA! USA!“ Wir dachten erst, dass es sich um einen Witz handelt. Nach dem Konzert haben wir mit einigen Leuten gesprochen und die meinten zu uns, dass die das schon ernst meinten. Das waren sehr wahrscheinlich auch Antideutsche aber da gab es keine Israel-Diskussion. Wir haben zu dem Zeitpunkt auch gar nicht so viel über die Antideutsche gewusst. Das kam erst durch Freiburg. Vor Freiburg hatten wir auch keine Lieder über Israel. Das KTS war die Inspiration. Eigentlich sind wir sogar ganz dankbar dafür.

Also eigentlich habt ihr euch erst aufgrund der Antideutschen-Debatte verstärkt dem Thema gewidmet?

Ja, denn wenn Leute Ärger machen, ärgern wir zurück.

Von Deutschland ging der Holocaust aus, nicht von Schottland oder einem anderen Staat. Das kollektive Gedächtnis ist hier sehr stark. Könnt ihr die Beweggründe der Antideutschen nicht auch zumindest verstehen?

Wir verstehen die besondere Situation in Deutschland natürlich. Wir haben mit den Leuten darüber gesprochen, die gesagt haben, dass sie weinen müssen, wenn sie daran denken, was ihre Grosseltern gemacht haben. Wir können das verstehen. Ich zum Beispiel bin stolz auf meinen Grossvater. Er hat in Italien zusammen mit den antifaschistischen Partisanen gekämpft. Wenn du weisst, dass dein Grossvater zum Beispiel in einem KZ gearbeitet hat, hat man damit natürlich Probleme. Aber es ist eine andere Sache, deshalb die heutige israelische Regierung zu unterstützen. So etwas wie die Shoah darf nie wieder passieren. Das bedeutet für uns aber nicht eine Regierung zu unterstützen, die ethnische Säuberungen durchführt.

Fixiert ihr euch vielleicht zu sehr auf Israel?

Oft werden wir gefragt, warum wir zum Beispiel Lieder über Israel und nicht über den Sudan oder andere Regionen haben. Ganz einfach: Auf unsere Konzerte kommen keine Leute die sagen, dass sie die sudanesische Regierung supergeil finden und sie bedingungslos unterstützen.

Ein weiterer Vorwurf ist, dass ihr Nationalisten seid. Dafür wurdet ihr bereits aus dem JZ Horte in Strausberg ausgeladen. Die Hintergründe sind kompliziert. Kannst du sie kurz zusammenfassen?

Uns wird unterstellt, wir wollten eine gälische Nation, weil wir die gälische Sprache verteidigen. Aber einen gälische Staat kann es gar nicht geben. Es geht um den Respekt vor sprachlichen Minderheiten. Dann gibt es noch den Vorwurf, dass wir schottische Nationalisten wären. Aber wären wir das, würden wir nicht auf Gälisch singen, denn das ist eine Sprache aus Irland. Wären wir schottische Nationalisten, würden wir englisch mit schottischem Akzent singen, was alle in Schottland sprechen. Wir sind sehr von der englischen Kultur beeinflusst. Damit meine ich jetzt die englischen Anarchopunkbands und nicht-rechten Oi-Gruppen. Wir erwarten natürlich nicht, dass alle in Deutschland Experten bezüglich der Situation mit den verschiedenen Sprachen in Schottland sind. Es gibt wahrscheinlich eine Menge Leute, die gar nicht wissen, dass es Schottisch als Sprache überhaupt gibt.

Gibt man euch in der Regel die Möglichkeit, euch zu rechtfertigen?

Normalerweise sagen Antideutsche, oder zumindest viele von denen, dass sie nicht diskutieren wollen oder sagen sogar, dass es mit Antisemiten keinen Sinn ergibt, zu diskutieren, weil die sowieso verrückt sind. Wir haben also in der Regel keine Möglichkeit, auf die Vorwürfe zu reagieren. Aber ein paar Mal haben wir Leute gefunden, die bereit waren, zu diskutieren, obwohl sie ganz harte Antideutsche waren.

Ist vor der jüngsten Konzertabsage in Frankfurt jemand an euch herangetreten?

Nein, wir haben es direkt vom Veranstalter erfahren, ohne das uns die Möglichkeit gegeben wurde, darüber zu sprechen. Das finden wir eigentlich am Schlimmsten: Sachen im Internet zu glauben anstatt uns direkt anzusprechen und die Möglichkeit zu geben, uns zu äussern. Sogar die Leute in Freiburg gaben uns eine Möglichkeit, indem sie uns einen Fragebogen geschickt haben. Wahrscheinlich wurden die Veranstalter im Klapperfeld vom Plenum überstimmt. Uns wurde nichts gesagt, ausser dass das Konzert nicht stattfinden kann. Das finden wir ungerecht. In den letzten Tagen haben sie aber zugegeben, dass es nicht so gut lief. Wir haben angeboten, um drei Uhr Nachmittags zum Klapperfeld zu fahren und darüber zu diskutieren, bevor wir unser Ersatzkonzert spielen. Sie haben uns gesagt, dass sie um drei nicht könnten, sondern erst um sechs. Aber sie wussten, dass wir da schon beim Soundcheck vom Ersatzkonzert sind.

Als wir letztes Jahr in Strausberg wegen dieser gälischen Geschichte Probleme hatten, wurde uns auch eine Diskussion angeboten. Dann haben sehr viele Leute auf ihre Webseite geschrieben – keine Beleidigungen, sondern echte Argumente. Aber anstatt darüber zu reflektieren, haben sie alles gelöscht. Wir haben den Eindruck, dass viele so tun, als wären sie gesprächsbereit, aber in Wirklichkeit wollen sie nicht diskutieren. Höchstens ein Teil von denen.

Welche Folgen gibt es darüber hinaus?

Es ist besonders schade, wenn wir Solikonzerte für politische Gefangene spielen und die Antideutschen dann versuchen, diese Konzerte zu verhindern. Aber wir haben immer Ersatzkonzerte gefunden und die ganze Debatte hat uns nur Publicity gebracht, so dass am Ende mehr Leute zu unseren Konzerten kamen. Sie haben uns nicht gestoppt, aber die Solikonzerte haben nicht stattgefunden und die Gruppen haben kein Geld bekommen! Sehr geil! [Achtung, Sarkasmus]

Habt ihr das Gefühl, dass ihr für einen innerlinken Streit lediglich als Vorwand benutzt und instrumentalisiert werdet?

Ja! So war es in Freiburg. Dort haben uns Leute auch gesagt, dass es eigentlich nicht um uns geht, sondern dass es ein Streit zwischen den verschiedenen Gruppen ist.

Wie geht ihr denn innerhalb der Band damit um? Diskutiert ihr auch?

Das wird viele Antideutsche überraschen: Wir diskutieren ständig darüber. Wir haben wirklich darüber nachgedacht, ob wir einen grossen Fehler gemacht haben und viel darüber gesprochen. Aber je mehr wir nachgedacht oder darüber gelesen haben, desto mehr wurde uns klar, dass es Schwachsinn ist.

Welche Vorwürfe sind für euch die schlimmsten?

Uns wurde schon vorgeworfen, dass wir der Prototyp der Judenvergaser wären. Als Menschen, die lange in der antifaschistischen Bewegung aktiv und viel gegen Antisemitismus gemacht haben, sowas zu hören, ist erschreckend. Aber die Antideutschen weisen uns ja nicht darauf hin, dass wir Fehler gemacht hätten oder wollen uns davon überzeugen, die israelische Regierung zu unterstützen. Das wäre etwas anderes. Doch für sie sind wir einfach nur verrückte Antisemiten.

Erreichen euch auch Reaktionen, über die ihr nur lachen könnt?

Letztens habe ich noch gelesen, dass manche sogar meinen, dass ein Streik strukturell antisemitisch wäre, weil es personalisierte Kapitalismuskritik wäre. So etwas bestätigt ja sogar diese bescheuerte Theorie von der „jüdischen Weltverschwörung“, wenn man behauptet, dass jemand, der gegen reiche Menschen ist, automatisch gegen Juden wäre. Diese Leute haben so eine deutschzentrische Einstellung. Einer hat uns per E-Mail geschrieben, dass wir, statt die Fahne von Israel unsere winzigen Pimmel verbrennen sollen. Es ist wenig beeindruckend und nicht überzeugend, wenn es nur um die Schwanzgrösse geht.

Sowas ist natürlich völlig albern. Fehlt es allgemein in Teilen der deutschen Linken an Bildung und Hintergrundwissen?

Ich glaube ja. Manche Tatsachen werden auch einfach ausgeblendet. In der Zeitschrift Interim haben wir mal einen Bericht über die Geschichte in Nahost gelesen. Das war interessant aber es fehlte der Angriff von Israel, Frankreich und Grossbritannien auf Ägypten 1956 und das Massaker von Qibya von 1953, an dem Ariel Sharon beteiligt war. Auch der israelische Angriff auf den Libanon 1982 fehlte. Dann ist es vielleicht auch kein Wunder, dass sie alles glauben, wenn die Sachen, die nicht in ihr Weltbild passen, einfach nicht da sind. Wenn man anfängt, die Geschichte neu zu schreiben, haben wir wirklich ein Problem.

Dann gab es noch einen Artikel von Bonjour Tristesse aus Halle über uns. Nachdem wir den gelesen haben, haben wir einen riesigen Fehler gemacht: Wir dachten, die ganze Sache wäre so bescheuert, dass sie niemand wirklich ernst nehmen würde. Aber in anderen Läden und Orten haben Leute diesen Artikel als „Beweis“ verwendet, um uns Probleme zu machen. Viele Sachen in dem Artikel stimmen einfach nicht. Er ist wie ein wissenschaftlicher Artikel geschrieben, mit Fussnoten. Es stehen Sachen drin, die mit uns absolut nichts zu tun haben. Am Anfang unterstellt man uns, wir wären böse auf die Engländer, weil sie die Schlacht von Culloden 1746 gewonnen haben und Schottland dann ein Teil von England wurde. Aber diese Schlacht hat überhaupt nichts mit der schottischen Unabhängigkeit zu tun. Schottland war bereits ein Teil von England. Das ist schon einmal falsch. Wäre ich Lehrer, würde ich ihnen eine ganz schlechte Note geben.

Ein letztes Beispiel für Halbbildung: Wir haben ja dieses Lied SS Politician und da wurde vorgeworfen, dass wir Politikern unterstellen, sie würden Politik wie die SS machen. Aber in Schottland weiss jeder: Die SS Politician ist ein Schiff gewesen. Wir haben in Deutschland auch immer gesagt, dass es nichts mit der hiesigen SS zu tun hat.

Apropos: Es gibt auch den Vorwurf, ihr würdet Israel mit Nazideutschland gleichsetzen. In der Recherche habe ich dazu nichts Konkretes gefunden. Woher kommt das Gerücht und was ist dran?

Das stimmt nicht! Ich habe einmal gesagt, dass in Israel etwas falsch läuft, nachdem ein israelischer Offizier gesagt hat, dass die israelischen Soldaten davon lernen könnten, wie die Nazis im Warschauer Ghetto gehandelt haben. Da sind bei uns die Alarmglocken angegangen. Das hat nichts mit einem Vergleich mit Nazideutschland zu tun und dagegen muss man etwas sagen.

Vorgeworfen wird euch ebenfalls der relativ alte Text von „Commies and Nazis“, und ihr habt halt klar gemacht, es nicht generell gegen Kommunisten geht. Gegen wen dann?

Ja, das Lied ist sehr alt und wir haben es geschrieben, weil wir früher viele schlechte Erfahrungen mit linken autoritären Gruppen gemacht haben, zum Beispiel mit der Revolutionarist Communist Party, die aus unserer Sicht total scheisse war. Zum Beispiel waren sie für Atomkraft, so lange sie unter der Kontrolle der Arbeiterklasse wäre. Sie haben auch behauptet, dass Homosexualität nur ein Symptom des Kapitalismus sei, das nach der Revolution verschwinden wird. Das war natürlich nicht unsere Revolution. Ausserdem waren sie, anders als wir Anarchisten, immer nur bei den Demos und Aktionen, um ihre Zeitschriften zu verkaufen und neue Mitglieder zu rekrutieren aber nicht wegen der Unterstützung. Sie waren eher wie religiöse Sekten. Es gab auch unangenehme Geschichten von sexuellem Missbrauch durch Führungsmitglieder.

Damit wollten wir nichts zu tun haben. Andererseits wurde uns als Antifaschisten immer unterstellt, wir wären alle „Commies“ und das war auch ein Grund, ein Lied gegen „Commies“ zu machen. Und es hat ein paarmal funktioniert, dass Leute, die eher rechts und Skrewdriver-Fans waren, sich wegen dem Lied die Platte gekauft haben. Wohl auch, weil wir hinten drauf extra als Skinheads in Union Jacks abgebildet waren. Einige eher rechte Käufer wurden dann zu Antifaschisten. Das haben uns Leute in Briefen geschrieben, die die Platte gekauft haben. Die hätten später vielleicht Angriffe gegen Immigranten oder Schwule durchgeführt. Und das ist durch Oi Polloi nicht passiert.

Als uns Mike von Mad Butcher, dem kommunistischen Label, gefragt hat, ob er einige der Platten nachpressen könnte, haben wir zugestimmt. Es zeigt auch, dass wir eigentlich immer auch bereit sind, mit Kommunisten zu arbeiten. Wir spielen ja auch mit Mensi von Angelic Upstarts und Attila the Stockbroker. Eigentlich wollten wir die Platte auch etwas ändern, aber es ist ein Stück unserer Geschichte.

Viele Anarchopunkbands sind ja eher Antiimps und singen auch über den Nahostkonflikt und positionieren sich eindeutig, zum Beispiel Protestera. Warum seid ihr besonders im Fokus?

Ja, Protestera haben damals etwas mit „Burn, Israel, Burn“ gesungen. Das war nicht besonders klug. Wir finden, dass schon genug verbrannt wird. Ich habe den Text nicht gelesen, aber allein der Titel ist scheisse. Ich glaube aber, sie haben darüber reflektiert und spielen das Lied nicht mehr. Warum wir im Fokus sind? Vielleicht, weil wir gerade wegen des Drucks immer weiter machen. Es inspiriert uns. Andere Gruppen wollen diese Probleme nicht mehr haben und sie sprechen deshalb nicht mehr darüber. Ich weiss von den meisten politischen Punkgruppen, dass sie die gleichen politischen Ansichten wie wir haben. Auch viele Gruppen, die sehr beliebt sind. Aber sie sprechen nicht darüber weil sie wissen, was dann passiert. Sie würden Ärger kriegen und das wollen sie nicht. Einerseits finde ich das etwas feige, andererseits kann ich es auch versehen.

Im Umkehrschluss könnte man euch aber auch unterstellen, dass ihr diese Reaktionen provoziert.

Diese Probleme bestehen in Deutschland ja bereits. Wir hören deshalb ja nicht auf, über Sachen zu sprechen, die uns wichtig sind. Punk war für uns nie, sich beliebt zu machen. Wenn wir an etwas glauben, machen wir weiter, auch wenn wir Probleme bekommen. Nach Freiburg war eh schon alles passiert.

Wie geht die Szene in Deutschland deiner Meinung nach damit um?

Es gibt Leute, die die Nase voll von dem Scheiss haben und sagen, die Antideutschen sind eine Sekte, mit der sie nichts zu tun haben wollen. Es gibt aber auch nicht viele Menschen, die etwas dagegen machen wollen. Viele meinen auch, dass es „echte“ Antideutsche nicht mehr gibt. Aber ihre Ideen haben so viel Einfluss gehabt, dass die überall präsent sind. Auch die, die sich nicht als Antideutsche verstehen, sagen Sachen, die von antideutschen Ideen beeinflusst sind. Wir haben ein Lied gegen die Beschneidung der Vorhaut und selbst das wurde uns als antisemitisch ausgelegt. Wir sind für religiöse Freiheit, aber die hört bei uns auf bei Kindern, die keine Wahl haben. Klar muss man auch alles im Kontext sehen. Wir kennen alle diese rechten Arschlöcher, die sich gegen koschere und Halal-Schlachtung engagieren aber keine Tierrechtler sind, sondern es nur benutzen.

Glaubst du, die Diskussion um die Antideutschen wird sich in absehbarer Zeit noch einmal legen oder ist es dafür zu spät?

Es gibt Leute, für die wir immer Feinde sein werden, weil wir einfach ihre Meinung nicht teilen. Diese Leute sind für uns aber nicht wichtig. Wir wollen die jungen Antifas erreichen, die glauben, dass sie etwas Gutes mache und uns für verrückte Antisemiten halten. Die wollen wir davon überzeugen, dass sie im Irrtum sind.

Aber viele von denen sind keine Punks mehr. Die hören mehr Hip-Hop oder Electro. Die werdet ihr nicht erreichen.

Ja, die Szene verändert sich. Wir haben ja auch eine Platte auf Plastic Bomb und beim diesjährigen Plastic Bomb-Festival spielen Egotronic. Das ist eine Enttäuschung für uns. Oder die derzeit sehr beliebte Antilopen Gang, die gesagt haben, dass Blockupy-Aktivisten antisemtisch sind und sie bereit wären, mit den Bullen gegen Blockupy zu kämpfen. Das ist unglaublich. Und wenn es soweit ist, dass in der Szene Leute glauben, dass die Bullen auf der richtigen Seite sind, finden wir das gefährlich.

Denen könnte man ja auch unterstellen, dass sie nur provozieren wollen.

Ich finde es interessant, dass immer, wenn so etwas angesprochen wird, es sofort heisst, dass sie nur provozieren wollen. Was wäre wenn wir wirklich eine Israelfahne auf der Bühne verbrennen und dann sagen würden, es wäre nur eine Provokation? Das etwas nur eine Provokation ist, ist keine Ausrede. Man macht es trotzdem. Es ist trotzdem scheisse. Diese Ausrede kommt auch eigentlich nur, wenn Leute sich erwischt fühlen.

Welche langfristigen Folgen haben diese innerlinken Streitigkeiten deiner Sicht gehabt?

Sie sind sehr schlimm für die Antifa-Bewegung gewesen. Als wir in den frühen 90er Jahren in Deutschland auf Tour waren, haben wir immer die starke Antifa-Szene in Deutschland bewundert. Viele aus Schottland kamen extra hierhin, um von den Antifas Taktiken und Organisation zu lernen. Jetzt ist alles total gespalten und es gibt verschiedene Gruppen, die gegeneinander kämpfen. Das hat nur den Bullen und den Faschos geholfen.

Wie sind die Reaktionen bei nicht-deutschen Linken, wenn ihr davon erzählt?

Fast alle Leute ausserhalb Deutschlands finden es verdammt schwierig. Als wir einmal von einer Tour in Deutschland wiederkamen, haben uns die Leute daheim nicht geglaubt, als wir ihnen von diesen Spuckis, auf denen Marx und George W. Bush gemeinsam waren, erzählt haben. Sogar „Solidarität mit Israel“ klingt in Grossbritannien für viele lächerlich. Im Sommer haben wir verschiedene Festivals in verschiedenen Ländern gespielt. Und fast überall gab es palästinensische Fahnen. Das wäre bereits für viele Menschen in Deutschland antisemitisch. Aber woanders ist es komplett normal. Im Gegenteil: Es ist sehr aussergewöhnlich wenn jemand sagt, er oder sie unterstützt Israel bedingungslos.

OK, wie ihr in Deutschland teilweise aufgenommen werdet, kann man sich vorstellen. Aber wie werden antideutsche Bands in anderen Ländern aufgenommen? Kennt ihr da ein Beispiel?

Einmal berichtete jemand uns von seinen Erfahrungen in anderen Ländern. Er war mit seiner Band ausserhalb Deutschlands auf Tour. Ich weiss nicht mehr, wie die Band hiess, aber die Mitglieder waren Antideutsche. Sie haben in England gespielt, in Bradfort im 1in12-Club, einem berühmten anarchistischen Zentrum. Kurz vor einem Lied haben sie gesagt, dass die israelischen Luftangriffe auf den Libanon eine antifaschistische und unterstützenswerte Aktion wären. Daraufhin wurden sie vom Publikum mit Flaschen beworfen. Aber die Band war wirklich überrascht. Man kann sagen, dass sie eine sehr deutschzentrische Einstellung haben.

Kennst du eine linke oder ehemals linke Bewegung, die weltweit mit den deutschen Antideutschen vergleichbar wäre?

Höchstens mit einigen aus der Hardline-Bewegung in den USA, also den Veganern, die einen Vegan Jihad führen wollten und dann auch zum Islam konvertierten. Das ist ähnlich verrückt.

Das Interview führte Franz Degowski / lcm

Fussnoten:

(1) https://linksunten.indymedia.org/de/node/15042

(2) http://www.oipolloi.org/

(3) https://www.facebook.com/pages/Oi-Polloi-Official/204143832251


Viele Infos über Oi Polloi finden sich auf der offiziellen Homepage der Band (2) oder, noch aktueller auf deren Facebook-Seite (3). Das Interview erscheint auch der Seite vom Plastic Bomb-Fanzine, die langjährige Freunde der Band sind und auf ihrem Label ein Album und eine Compilation von Oi Polloi rausgebracht haben.