Zwanzig Jahre Linien 144 Einblicke in das Untergrundmuseum U144 in Berlin

Kultur

Gentrifizierung mal anders - in der unpoetisch verdichteten Stadtmitte Berlins findet sich eher ungewöhnliches und viel wertvolles. Eine politische Diskurskultur, die den anstehenden fundamentalen "Herausforderungen" gerecht wird, eine Kunstsammlung und ein Untergrundmuseum, dies alles vereint das U144 in Berlin Mitte und Feuerland.

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Foto: U144

1. Februar 2016
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Das U144 ist ein kleines, aber subversives Fragezeichen unter den monumentalen Grössenordnungen der Berliner Museumslandschaft. Das Untergrundmuseum U144 ist ein Projekt des Ost-Berliner Künstler Paares Rainer Görss und Ania Rudolph. Es ist ein historischer Ort an dem sich Gegenwarts-Kunst und Geschichte begegnen. Das U144 wurde ab 1990 aufgebaut und seit 1995 in der Linienstrasse 144 weiterentwickelt. Kunst und Netzwerk Aktivitäten erweitern das Themenspektrum.

Feuerlandlinie

Im 19. Jahrhundert zeichnete die Linienstrasse als Stadtrand die Linie der Zollmauer bis zum Oranienburger Tor nach. Ab1804 leuchteten vor dem Oranienburger Tor weit sichtbar die Feuer der metallverarbeitenden Industriebetriebe und der Eisengiessereien. Von 1861 bis 1995 flossen aus den Schmelzöfen der Giesserei in der Berliner Linienstrasse 144 diverse Markenzeichen, Symbole und Bezeichnungen in Form von Schildern für Industrie, Staat, Institutionen und Denkmale und be-schilderten die jeweiligen technischen und gesellschaftlichen Verhältnisse im Stil der Zeit. Die Schrift-, Schilder- und Relief- Giessereien die hier arbeiteten sind ein Zeugnis ältester Informations- und Marken-Produktion in Berlin Mitte.

Der Sammlungsursprung basiert im Kern auf den Exponaten der Giesserei und einem Kreis von Objekten aus Abwicklungsaktionen zur DDR Staatshaushaltsauflösung (1990-95) aus über 50 Betrieben/ Institutionen und Haushalten. In dem ehemaligen Souterrain des Hauses von 1795 befinden sich 9 verschiedene Themenräume in denen Industriekultur und Stadt- & Gesellschafts- Geschichte im Kunstkontext miteinander verschmelzen. Das Untergrundmuseum U144 erzählt in künstlerischer Betrachtungsweise auf ca. 200 qm, humorvoll themenübergreifend, Systemgeschichten aus Industrie, Kultur und Politik. Einst Lebens- und Wirtschaftsraum/Weinkeller ist es, heute als unterirdisches Raumlabyrinth, Sammlung und ein begehbarer Speicher.

Die spezielle Untersicht im Jahr 2015

2015 war ein Jahr vertiefender Begegnungen und neuer Ein- und Ansichten im Untergrundmuseum U144. Unter sich rasant verändernden Oberflächen und ihren fundamentalen Fragen konnten wir aus unserer speziellen Untersicht auf die Beziehung von Geschichte und Gegenwartsfragen, gemeinsam mit unseren Gästen, interessante Zusammenhänge entdecken. Ein Schwerpunkt im Rahmen der Flüchtlingskrise war der Themenraum "Grenzwerte". Hier entfalteten sich spannende Momente des Austausches z.B. zum Thema "offene und geschlossene Systeme".

Mit grosser Dankbarkeit haben wir in den Diskursen keine der grassierend polarisierenden Vereinfachungen erlebt, die 2015 zu oft in der Parteien-/Medienlandschaft den Ton angegeben hatten. Zwischen Hell- und Dunkeldeutschland liegt Dünkeldeutschland. Zur Geschichte von Unten gehört die einfache Perspektivfrage: Alle Wege führen über die Mitte. Es geht zuerst um oben und unten, daraus folgt links und rechts. Die Geschichte wiederholt sich, wenn wir uns nicht fundamental um sie kümmern.

Zwanzig Jahre Linien 144

2015 wurde das Projekt an dem Standort in der Linienstrasse in Berlin-Mitte, in aller Unaufgeregtheit, zwanzig Jahre jung. Als Sammlung 25 und als Untergrundmuseum 3 Jahre. Das Umfeld des Künstlermuseums hat mit Freude das wachsende Interesse an der Sammlungsform der "Kunst und Wunderkammern" wahrgenommen und dem, aufgrund stetiger thematischer updates der Sammlung, den Begriff der begehbaren Suchmaschine hinzugefügt.

Da das U144 in der Fläche in der sich eher unpoetisch verdichtenden Stadtmitte nicht weiter wachsen können, sind wir, wie es sich für den Untergrund gehört, weiter in die thematische Tiefe gewachsen. Vier inhaltliche Leitbegriffe konnten vertieft werden. Kritische Industriekultur - Ironie der Geschichte - Widerstand und Untergrund - Utopischer Realismus.

Neben den Führungen öffnen sich die Themenräume nun auch an Öffnungstagen dem zunehmend internationalen „freilaufendem“ Publikum. Es entstanden neue Pläne und Texte in unserem zweisprachigen deutsch - englischen Leitsystem, der Rohrpost. 2016 wird es dazu Raumvertonungen geben. Begehbare Schrifträume, VPP - Visuelle Polit Poesie, APR - Agit Prop Rollenspiele. Kurztexte zu Raumthemen und Objektgruppen Gastzitate z.B. von Trotzki, Lenin, Majakowski und klar - Lemmy Kilmister von Motörhead haben sich in die Erzählpfade eingemischt.

Utopischer Realismus

Passend zur Umwelt Konferenz konnte das U144 die Abwärme-Heizung des Servers, der sich im Hause befindenden Zeitschrift WIRED Germany nutzen. Womit dies wohl das einzige Museum (unter anderem ja auch zu Thema Marke & Macht) sein dürfte, dem real mit der Abwärme der heissen Gedanken der New Economy eingeheizt wird. Passend zum Thema fand die Installation "das Zinswunder", die zur Klimakonferenz 1992 in Rio de Janeiro vor Ort im Tropeninstitut in Manaus entstand, als unermüdlich kühlendes Klimaroulette viel Aufmerksamkeit bei den Führungen.

Für die in der Laborbar angebauten "Bio Performance" und "Eatart" Gewächsgeschichten hat sich die Menüpalette erweitert. Die mit Umweltthemen verbundenen bioglobalen Fragen wurden auch im UN Jahr des Bodens weiter verfolgt. In diesem Sinne arbeitet die Gesellschaft für Expansionsforschung in unserer Laborbar weiter an den Fragen der uns umgebenen Wachstumsideologie.

Finanzkrise - ach ja da war doch noch was - wir empfehlen seit 2015 die Initiative Monetative als Aussicht auf den Utopischen Realismus einer alternativen Geldwirtschaft. Neu zum Thema in der U144 Sammlung ist die klimpernde historische Münzsammlung im Zinswunderraum "Schockogeld" zum 25 Einheitsjubiläum und sonstige Milliarden in schönen Scheinscheinen.

Rainer Görss / Ania Rudolph

Für Besuche: Untergrundmuseum U144, Linienstrasse 144, D-10115 Berlin
Mehr Infos: www.untergrundmuseum.de