Wild Things Weder wild, noch spannend

Kultur

John McNaughton („Alienkiller“, 1991; „Sein Name ist Mad Dog“, 1993; „Normal Life“, 1996) wollte wohl einen Film nach der Devise drehen „Nichts ist so, wie es scheint. Niemand ist, was er vorgibt zu sein.“

Kevin Bacon (hier in Columbia 2006) spielt im Film die Rolle des Sergeant Ray Duquette.
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Kevin Bacon (hier in Columbia 2006) spielt im Film die Rolle des Sergeant Ray Duquette. Foto: BigMacSC99 (CC BY-SA 3.0 unported - cropped)

14. Januar 2021
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Und tatsächlich reitet „Wild Things“ auf dieser Devise bis ganz zum Schluss herum – nur: Was hier als Thriller mit vielen Wendungen und Windungen verkauft wird – und tatsächlich alle 20 Minuten die Richtung wechselt – erweist sich als unglaubwürdige und matte Kopie dessen, was früher einmal mit Suspense, Charakterdarstellung, Logik, gelungener Erzählstruktur usw. verbunden war, etwa bei Hitchcock, um diesen Namen einmal zu erwähnen. Eine ganze Garde ansonsten eigentlich begabter Mimen wie Matt Dillon, Kevin Bacon, Robert Wagner (der sich auf eine Art Cameo-Auftritt beschränkt) sowie Youngsters à la Neve Campbell und Denise Richards können nicht auswetzen, was das Drehbuch selbst gründlich in den Sand gesetzt hat.

Eigentlich ist Bill Murray der lachende Dritte, wenn sich Drehbuch und Schauspieler um die besten Plätze streiten, die dieser Film leider nicht zu bieten hat. Murray nimmt es als Anwalt mit Halskrause gelassen-komisch, als ob er klammheimlich einen Kommentar zu diesem Möchtegern-Thriller ablassen wollte.

Worum geht es? Um einen Vertrauenslehrer namens Sam Lombardo (Matt Dillon) an einer High-School, einen mit reiner Weste, der eines Tages von einer seiner Schülerinnen, Kelly van Ryan (Denise Richards) der Vergewaltigung beschuldigt wird. Die ermittelnden Detectives Ray Duquette (Kevin Bacon) und Gloria Perez (Daphne Rubin-Vega) sind sich nicht sicher, ob Lombardo wirklich schuldig ist oder sich die junge Dame an ihrem Lehrer nur rächen will, weil der (privat) nichts von ihr wissen will.

Lombardo hatte zudem früher einmal ein Verhältnis mit Kelly reicher Mutter Sandra (Theresa Russell). Als die drogensüchtige Suzie (Neve Campbell) jedoch ebenfalls behauptet, vor etlichen Monaten von Lombardo vergewaltigt worden zu sein, wird der bislang bei Frauen allseits begehrte Vertrauenslehrer festgenommen.

Im Verfahren gegen ihn erreicht der clevere Anwalt Bowden (Bill Murray) einen glatten Freispruch, denn er kann Suzie des Meineids überführen. Nicht nur das: Weil bei einem solchen Vorwurf immer etwas hängen bleibt und das ganze nicht nur nach Rufmord schmeckt, verdonnert Bowden Kelly zur Zahlung von etlichen Millionen Dollar Wiedergutmachung – die ihre Mutter aus der zu erwartenden Erbschaft blechen muss.

Was sich bis hierher als Teenie-Geschichte mit tragischem Einschlag, unterstützt durch eine auch visuell eindeutige und unumwundene „Baywatch“-Variante im Spielfilm-Format erwiesen hat, gespickt mit einem Hauch (aber wirklich nur Hauch) von Gerichtsdrama, windet und wendet sich nun über den Rest der Zeit im Sinne der berühmten, manchmal aber eben auch berüchtigten plot twists bis zum bitteren Ende. Was jetzt folgt, ist ein Angriff auf den guten Geschmack, ja, ein terroristischer Anschlag auf all das, was spannendes Kino mit überzeugenden Charakteren und einer glaubwürdigen Erzählung ausmacht. In vielen Filmkritiken ist zu lesen, ab diesem Punkt verpasse McNaughton der Geschichte eine düstere Wendung, gehe sozusagen zum film noir at it's best über. Davon habe ich leider nichts gemerkt.

Die Guten erweisen sich als Böse, die Unverdächtigen als Verdächtige, die ursprünglich Unsympathischen als Betrogene and so on – so weit so gut. Nur, wenn man am Schluss zählt, wie viele Gauner auf der Bühne dieses Pseudo-Thrillers aufgetreten sind, kommt man auf die glatte Zahl von sieben – wenn ich mich nicht verzählt habe. Sieben der zwölf (Mehr-Oder-Weniger-)Hauptdarsteller sind nach und nach in ein Komplott (eigentlich mehrere) verstrickt worden, in dem es natürlich um viel Geld geht – was auch sonst?

Es gibt Regisseure, die mit den Erwartungshaltungen ihres Publikums derart gut spekulieren, dass es eine Freude ist, ihre Filme (auch mehrmals) anzuschauen. Was McNaughton macht, ist etwas anderes: Er übertreibt es. Da gibt es einzelne und einzelne Gruppen innerhalb des genannten Personenkreises, die jeweils ihr eigenes Spiel treiben, und zum Schluss werden für die, die es immer noch nicht verstanden haben, noch „erklärende“ Szenen zugeliefert.

Es gibt hintertriebene Leute und solche, die noch hintertriebener sind. Letzere haben laut Drehbuch die Entwicklung und das Verhalten der anderen derart optimal vorausgesehen, dass man ihnen schon göttliche Eigenschaften zugute halten muss. Das Motto lautet: Wenn wir A in die Pfanne hauen, indem wir B und C und D dies und jenes machen lassen, wenn dann C in der Gewissheit gelassen wird, dass er / sie nicht betrogen wird und F darauf so und so reagiert, dann können wir davon ausgehen, dass wird A ermorden und D zu diesem Verhalten bringen können, um zum Schluss den Reibach zu teilen.

Kurzum: Das Spielchen mit den Erwartungshaltungen fusst auf einer völlig unwahrscheinlichen und daher unglaubwürdigen Konstruktion, in der eine Gruppe von Menschen derart weitgehend mit dem erwarteten Verhalten anderer spekuliert, dass man sich einen solchen Fall in der Wirklichkeit überhaupt nicht vorstellen kann. So etwas nennt man Drehbuch-Logik um der Logik willen – eine formale, rein äusserliche Logik, die nicht der Wirklichkeit folgt, sondern dem Marionetten-Baukasten. Die Figuren, die keine wirklichen und wirkenden Charaktere darstellen, folgen einer mechanischen Konstruktion.

Aber das allein ist nicht das Schlimmste. Nicht nur bis zum Freispruch Lombardos, sondern auch den Rest des Films über visualisiert McNaughton eine Atmosphäre, die tatsächlich mit nichts anderem vergleichbar ist als mit sattsam bekannten Teenie-Serien à la „Baywatch“: Sonne, Palmen, Beach-Atmosphäre, ein bisschen Luxus, ein bisschen (vorgetäuschte) Armut, schöne Frauen, starke Männer, ein bisschen Sumpf, ein bisschen Glanz und Glitter, wie eines dieser Heftchen, in denen ein Klischee-Florida als Reiseziel angeboten wird – und zu allem Überfluss die Art Vorzeige-Soft-Sex, den ich hasse wie die Pest: hier ein lesbischer Kuss, dort ein Klischee-Flotter-Dreier, und da ein Blick der Kamera auf das kurze Höschen der Girls beim Autowaschen – natürlich nicht ohne den entsprechenden Schaum. Ja, es schäumt viel in diesem Streifen. Und ich schäume vor Wut.

Denise Richards spielt das hintertriebene junge Ding, das die meiste Zeit des Films im Bikini herumläuft, aber ansonsten schauspielerisch nichts zu bieten hat. Matt Dillon mimt den Prototyp des braun gebrannten Serien-Casanovas – ohne Charakter, aber mit viel Muskeln und Pseudo-Charme. Kevin Bacon ist als Sergeant Duquette einer jener Klischee-Cops, die man schon tausendfach in Serien und mittelmässigen Thrillern gesehen hat.

Daphne Rubin-Vega beschränkt sich als seine Kollegin auf das Nötigste, also das, was ihr das Drehbuch lässt. Neve Campbell ist als Suzie die Vorzeige-Drogenabhängige, die sich zum Schluss als Vorzeige-Böse erweist: Charakter gleich Null. Theresa Russell als böse Mama und Robert Wagner als arroganter Reicher haben, wie gesagt, mehr oder weniger Gast-Auftritte. Ihre Rollen haben quasi Marionetten-Funktion im Sinne des Drehbuchs. Bleiben Carrie Snodgress und Marc Macaulay als Ruby und Walter, die ebenfalls nur in wenigen Szenen zu sehen sind, ebenfalls blass in der Charakterdarstellung, denen aber in der Geschichte (was sich am Schluss zeigt) eine zentrale Rolle zukommt.

Es kann kaum ein Zweifel darüber aufkommen, an wen sich McNaughton mit diesem so genannten Thriller richtet: an die Altersgruppe zwischen 20 und 30. Man hört geradezu die „Ohs“ und „Ahs“ derjenigen, die sich von den „überraschenden Windungen“ blenden lassen, so als ob sie herausgefunden hätten, dass die edle Nachbarin eine Nymphomanin ist oder der feine Herr von Gegenüber seine Frau schlägt. Ob McNaughton damit eine ganze Generation täuschen kann, möchte ich allerdings bezweifeln.

Ulrich Behrens

Wild Things

USA

1998

-

103 min.

Regie: John McNaughton

Drehbuch: Stephen Peters

Darsteller: Matt Dillon, Kevin Bacon, Neve Campbell

Produktion: Steven A. Jones, Rodney M. Liber

Musik: George S. Clinton

Kamera: Jeffrey L. Kimball

Schnitt: Elena Maganini