Rosemaries Baby Die Geburt des Bösen

Kultur

Was M. Night Shyamalan in „The Sixth Sense“ (1999) oder Alejandro Amenábar in „The Others“ (2001) versuchten, hat seine unausgesprochenen Vorbilder. Zu ihnen zählen sicherlich „Ekel“ (1965) und „Rosemary's Baby“ (1968) von Roman Polanski.

The Dakota (auch Dakota Building genannt) ist ein exklusives, traditionsreiches Apartmenthaus in New York City. In dem 1968 gedrehten Film «Rosemaries Baby» von Roman Polański wohnen Rosemarie und ihr Mann Guy sowie das Ehepaar Castavet, das dem Teufel Zugang zu dieser Welt verschaffen will, im Dakota-Building.
Mehr Artikel
Mehr Artikel

The Dakota (auch Dakota Building genannt) ist ein exklusives, traditionsreiches Apartmenthaus in New York City. In dem 1968 gedrehten Film «Rosemaries Baby» von Roman Polański wohnen Rosemarie und ihr Mann Guy sowie das Ehepaar Castavet, das dem Teufel Zugang zu dieser Welt verschaffen will, im Dakota-Building. Foto: Andrevruas (CC BY-SA 3.0 unported - cropped)

14. August 2018
0
0
10 min.
Drucken
Korrektur
All diese Filme beschäftigen sich mit dem, was man gemeinhin das „Mysteriöse“ nennt, einer geheimnisvollen, angsterfüllten und angsterfüllenden Welt in der von Rationalität scheinbar beherrschten Welt. Tatsächlich enthalten Polanskis Filme (nicht einmal oder erst recht nicht sein letzter „Der Pianist“ (2001)) keinerlei Botschaften im üblichen Sinn des Wortes. Eher zeugen sie von einer Welt, in der sich das Phantastische und das Realistische zu einem nicht auftrennbaren Konglomerat vermischt haben, die handelnden Personen, die an der Rationalität festhalten wollen, in das Irrationale hinabgestürzt werden und / oder sich mit ihm abfinden müssen. Viele seiner Filme entziehen sich dem Begriffpaar optimistisch / pessimistisch ebenso wie eindeutigen Lösungen oder Auflösungen.

„Rosemary's Baby“ beginnt mit einer fast schon unheimlich anmutenden Wiedergabe eines monoton vorgetragenen wiegenliedartigen „La la la“, gesungen im Anblick der Skyline von New York. Bereits diese im Vorspann gezeigten Bilder kontrastieren in sich die Einheit von freudiger Erwartung des Lebendigen, der Geburt eines Kindes, und der unterschwellig schon vorhandenen, aber (noch) nicht ausmachbaren, lokalisierbaren Angst, einer schleichenden Angst, die stets präsent zu sein scheint, aber nicht greifbar. In der Schlussszene wird dieses „La la la“ wieder gesungen, nur dass jetzt das Teuflische aufgedeckt, gegenwärtig, bekannt ist, dessen Konsequenzen für das weitere Leben der Rosemary Woodhouse allerdings nicht. Ein im höchsten Masse „unbefriedigendes“, unaufklärerisches Ende, das der Herrschaft der Rationalität, des Verstandes, der Vernunft, des Fortschritts zugleich seine allerdings undefinierbaren Grenzen setzt.

Das, was als optimistisch, lebensbejahend beginnt, der Einzug des Paares Rosemary und Guy Woodhouse (Mia Farrow, John Cassavetes) in ein geräumiges, gemütliches Appartement in einem älteren mehrstöckigen Haus in New York, endet in einer Lebenssituation mit neuer Dimension. Die beiden packen aus, Kisten stehen herum, Rosemary richtet ein, Guy – ein Schauspieler – versucht, Rollen zu ergattern, die jedoch immer andere bekommen, und muss sich, um Geld zu verdienen, mit der Mitwirkung in Werbespots begnügen. Sehr bald machen sie die Bekanntschaft mit einem älteren Ehepaar, Minnie und Roman Castevet (Ruth Gordon und Sidney Blackmer), die sich als sehr freundlich und zuvorkommend, aber auch mässig bis übermässig aufdringlich erweisen, besonders Minnie.

Der Freund der Woodhouses, Hutch (Maurice Evans), hatte ihnen erzählt, dass sich um die Jahrhundertwende und auch später in dem Haus merkwürdige und schreckliche Dinge ereignet hätten, u.a. Kannibalismus; später habe ein gewisser Adrian Marcato, der sich der Hexerei verschrieben habe, einen Mord begangen. Rosemary und Guy beeindruckt das nicht sonderlich. Doch nachdem sich eine junge Frau, die Rosemary in der Waschküche kennen gelernt hatte und die von den Castevets aufgenommen worden war, aus dem Fenster gestürzt hat, kommt es zu weiteren mysteriösen Ereignissen.

Rosemary und Guy wünschen sich ein Kind. An dem Abend, an dem beide miteinander schlafen wollen, essen sie ein von Minnie gemachtes Schokoladenmousse. Das bekommt Rosemary überhaupt nicht und sie fällt in einen fiebrigen Schlaf. Sie hat einen furchtbaren Alptraum, in deren Verlauf sie der Teufel schwängert, während die Castevets und andere, auch Guy, dabei zusehen. Am nächsten Morgen erzählt ihr Guy, er habe „sie im Schlaf ein bisschen geschändet“, er habe die Chance, ein Baby zu zeugen, nicht verpassen wollen.

Tatsächlich ist Rosemary schwanger. Minnie schenkt ihr ein Amulett, eine Kugel, in der sich Teile einer übelriechenden (Tanis-)Wurzel (Hexenpfeffer) befinden. Das soll ihr Glück für die Schwangerschaft bringen. Sie ist es auch, die Rosemary und Guy dazu überredet, sich Dr. Sapirstein (Ralph Bellamy) anzuvertrauen, statt bei dem von einer Freundin Rosemarys empfohlenen Dr. Hill (Charles Grodin) als Geburtshelfer zu bleiben. Sapirstein verordnet ihr ein Kräutergetränk, das Minnie herstellt, statt irgendwelche Pillen oder Tabletten einzunehmen; er verbietet ihr, Bücher über die Schwangerschaft zu lesen.

Inzwischen hat Guy überraschenderweise die Rolle in einem Stück bekommen. Der ursprünglich dafür vorgesehene Schauspieler war aus unerklärbaren Gründen plötzlich erblindet.

Rosemarys Schwangerschaft ist von ständigen Schmerzen begleitet. Sie nimmt ab. Hutch macht sich Sorgen um sie. Er will sich nach der Bedeutung der Tanis-Wurzel erkundigen, weil er nichts Gutes vermutet, und tatsächlich findet er ein Buch über Hexerei, das er Rosemary zukommen lässt. Eigentlich wollte er sich mit ihr treffen. Doch Rosemary muss erfahren, dass er im Krankenhaus liegt, im Koma, und wenige Zeit später stirbt Hutch. In dem Buch erfährt Rosemary von einer Sekte, die dem Satan huldigt und seine Wiedergeburt erwartet und vorbereitet. Rosemary ist sich nun sicher, dass die Castevets zu einer solchen Sekte gehören. Sie gerät in Panik. Guy glaubt ihr kein Wort, hält das alles für Hirngespinste. Und auch ihr ehemaliger Arzt Dr. Hill, dem sie sich anvertraut, liefert sie Guy und Dr. Sapirstein aus.

Nach der Geburt des Kindes erwacht Rosemary. Man erzählt ihr, das Kind sei leider gestorben. Aber Rosemary glaubt kein Wort davon ...

„So weit ich zurückdenken kann,
ist in meinem Leben die Grenze
zwischen Phantasie und Wirklichkeit
hoffnungslos verwischt gewesen.
Ich habe lange gebraucht, um zu erkennen,
dass gerade dies der Schlüssel zu
meinem Dasein ist. Er hat mir mehr
als genug Enttäuschungen , Konflikte,
Leiden und Katastrophen gebracht.
Er hat mir aber auch Türen geöffnet,
die sonst für immer verschlossen
geblieben wären.“ (Roman Polanski)

„Rosemary's Baby“ ist kein Film, der auf special effects, Tricks, Monster-Figuren oder ähnliches setzt. Lediglich in der Traumsequenz und ganz am Schluss des Films erscheint kurz eine satanische Gestalt. Das Grauen ergibt sich aus einer fast alltäglich, banal wirkenden Situation eines ebenso normalen, durchschnittlichen Paares in einer gleichermassen normal wirkenden Umgebung. Auch die Dinge, die anfangs geschehen, liegen nicht ausserhalb des Bereichs des Möglichen. Ein Selbstmord, die Erblindung eines Schauspielers, der plötzliche Tod eines älteren Freundes, Komplikationen in der Schwangerschaft, ein Arzt, der offenbar auf Naturheilmethoden setzt – all das liegt im Bereich unser aller Realität. Selbst die anfänglichen Kombinationen Rosemarys aus diesen Ereignissen, hier geschehe etwas Mysteriöses, erscheinen zunächst eher als psychische Auswirkungen einer schwierigen Schwangerschaft.

Doch Polanski lässt in gewissem Sinn nicht locker, dieses Mysteriöse in eventuelle Schlussfolgerungen miteinzubeziehen. Die Verschwörung einer satanischen Sekte von Menschen bleibt von Beginn an als eine Möglichkeit bestehen, die den weiteren Verlauf der Dinge bestimmt. Polanski erzählt die Geschichte ausschliesslich aus der Perspektive von Rosemary. Es gibt kaum eine Szene, in der Mia Farrow nicht zu sehen ist. Der Zuschauer wird in ihre Situation, in ihre Sicht der Dinge verwickelt. Guy, die Castevets, Dr. Sapirstein, praktisch alle anderen Personen, ausser vielleicht Hutch, stehen in dieser Perspektive als fast Fremde, andere Rosemary und dem Zuschauer gegenüber. Sie verhalten sich nicht extrem aussergewöhnlich. Die Castevets mögen etwas schrullig sein, Sapirstein ist und benimmt sich wie der Arzt, dem man nachsagt, einer der besten Geburthelfer zu sein. Und trotzdem scheinen sie alle etwas zu verbergen, Rosemary nicht die ganze Wahrheit zu erzählen.

In diese Situation wird auch der Zuschauer versetzt; es besteht fast eine Einheit zwischen Publikum und Rosemary. Besonders deutlich wird dies in bezug auf Guy, der, wie sich sehr schnell erweist, einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hat. Über diesen Pakt wird kein Sterbenswörtchen geredet; keine Szene, kein Blick deuten auf diesen Pakt hin. Aber die Gesamtumstände lassen diese Vermutung zu. So arbeitet Polanski mit allem in diesem Film.

So entsteht eine Welt aus der Sicht eines Individuums, das mit einer Umwelt konfrontiert ist, die offenbar nach einem Plan handelt, der uns verborgen ist, jedenfalls lange Zeit. Das Individuum ist dieser Welt auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Rosemary wehrt sich gegen die Vorstellung, ihr Baby solle Satanisten zum Opfer fallen. Sie glaubt, ihr Baby vor ihnen schützen zu müssen. Als Dr. Hill, der ihr in keiner Weise glaubt, sie auch noch an Guy und Sapirstein ausliefert, weiss sie sich keinen anderen Rat mehr, als gegen diese „Verschwörung“ mit Gewalt vorzugehen. Sie greift zum langen Küchenmesser, schaut hinter einen Schrank durch ein Schlüsselloch in die Wohnung der Castevets.

Dieses Schlüsselloch symbolisiert aber nicht Erkenntnis, Aufklärung, Lösung im Sinne einer rationalen Erklärung für das Mysteriöse. Was sie sieht, scheint völlig normal, eine illustre Gesellschaft ihr bekannter unbekannter Personen, die aussehen, als feierten sie eine Party, ihr Mann, die Castevets, später auch Sapirstein, ein Japaner mit einem Fotoapparat. Aber eben auch eine Wiege, eine pechschwarze Wiege, in der ihr Kind liegt, das diese „Monster“ an sich gerissen haben, das schreit. Was wird ihr in diesem Moment durch den Kopf gehen? Sie muss ihr Kind aus den Klauen der Satanisten befreien. Sie geht mit dem Messer in den Raum. Alle bleiben ruhig, gelassen, weil sie eben mehr wissen als Rosemary, weil sie keine Gefahr ist für das, was sie planten und erfolgreich durchführten. Und noch immer weiss Rosemary nicht, dass sie sich im Irrtum befindet – bis sie in die Wiege schaut.

Rosemary und wir befinden uns in einer Situation des Unkontrollierbaren, der Unsicherheit, einer Situation, die nicht vollständig erklärbar ist. Von einem aufgeklärten Standpunkt aus gibt es keinen Teufel und auch keine Teufelsgeburt. Mit einem solchen Argument könnte man den Film mit dem Bann der Illusion, des Magischen und Unrealistischen belegen. Aber darum geht es überhaupt nicht. Der Teufel und die Teufelsgeburt stehen für eine Situation des Pessimistischen wie Optimistischen zugleich. Rosemary hat den Teufel geboren. Sie findet sich mit dieser Situation in letzter Sekunde ab. Das Böse hat eine Gestalt bekommen, die Satanisten schreiben das Jahr 1. Sie findet sich ab mit der Existenz des Bösen. Was sie daraus macht, wissen wir nicht, sie weiss es sicherlich in diesem Moment selbst nicht. Sie schaut diese schreckliche Gestalt in der Wiege an, das Wiegenlied erklingt. Es ist ihr Kind. Sie hat es geboren. Das Gute und das Böse sind Mutter und Vater dieses Kindes.

Die Konfrontation zwischen Individuum und Umwelt fordert heraus – zu immer neuen Versuchen, sich dem zu stellen und das zu erklären, was geschieht. Für die Protagonisten der Aufklärung, des Rationalismus und der Vernunft sind Mängel im Verhalten von Menschen, Verbrechen, überhaupt als negativ Empfundenes nur Reste, Relikte einer vor-aufklärerischen Zeit, einer Zeit der Dunkelheit, des Aberglaubens, der Unmenschlichkeit, Relikte, die man in der Lage ist, nach und nach zu beseitigen. Nicht nur die christlichen Religionen, auch die Aufklärung enthält eine teleologische Komponente, eine Art Endzweck-Paradies(-Stimmung), in der sich das Böse zunehmend minimiert, das man vorher als etwas Nicht-Zugehöriges zur Gemeinschaft der aufgeklärten Menschheit erkannt zu haben glaubte.

Diesem Trugschluss entgegnet Polanski mit einem Film, dessen Ende gerade in einer Zeit beunruhigend und unbefriedigend erscheinen musste, in der ein sozialer Umbruch die Gesellschaften des Westens durchzog, der sehr viel von einer zweiten Revolution der Aufklärung hatte.

„Rosemary's Baby“ mag heute angesichts der Horror-Trips in Filmen der drei Jahrzehnte nach 1968 manchem kaum mehr als beängstigend erscheinen. Welchen Einfluss dieser Film auf die eher psychologisch arbeitenden Horrorfilme à la „The Others“ , „The Sixth Sense“, „Open Your Eyes“ (1997) oder dessen Remake „Vanilla Sky“ (2001) hatte, ist jedoch offensichtlich. Mia Farrow und Ruth Gordon sind die schauspielerischen Glanzpunkte dieses Klassikers von Roman Polanski. -

Schnitt: Sam O'Steen, Bob Wyman

Ulrich Behrens

Rosemaries Baby

USA

1968

-

131 min.

Regie: Roman Polański

Drehbuch: Roman Polański

Darsteller: Mia Farrow, John Cassavetes, Ruth Gordon

Produktion: William Castle

Musik: Christopher Komeda

Kamera: William Fraker

Schnitt: Sam O'Steen, Bob Wyman