Nosferatu: Phantom der Nacht Das Leiden an sich selbst

Kultur

26. Juli 2018

F. W. Murnaus „Nosferatu – eine Symphonie des Grauens” aus dem Jahre 1922 gehört zu den Meilensteinen des Horrorfilms.

Gerbic as Nosferatu 2013.
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Gerbic as Nosferatu 2013. Foto: Sgerbic (CC BY-SA 3.0 cropped)

26. Juli 2018
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Für viele, und übrigens auch für Werner Herzog, könnte dieser Film in einem Remake nicht übertroffen werden. Und Herzogs Adaption des Stoffes ist auch eher eine Mischung aus eigener Interpretation des Stoffs und Hommage an Murnaus Klassiker, in der er keinen Anspruch darauf erhebt, dem Original „nahe zu kommen”. Herzog hätte diesen Film, wie er sagte, ohne Klaus Kinski in der Hauptrolle nicht gedreht. Kinski war für ihn der einzig in Frage kommende Graf Dracula. Und der Film beweist, dass dies die einzig richtige Wahl war.

Für „Nosferatu” konnte sich der Regisseur neben den Schauspielern vor allem auf zwei Leute stützen, die den Film zu einem visuellen Genuss werden lassen: auf Jörg Schmidt-Reitwein hinter der Kamera, dem Herzog zu Recht insbesondere bezüglich des „Spiels” von Licht und Schatten besondere Qualitäten bescheinigt, und Produktionsdesigner Henning von Gierke, der seine besonderen Fähigkeiten, beeindruckende Schauplätze zu schaffen, hier voll ausschöpfte (Inneneinrichtungen der Räume in Wismar, des Gasthauses in Transsylvanien usw.). Hinzu kommt die gerade für diesen Film äusserst wichtige, oft an geistliche Musik erinnernde Musik von Popol Vuh, einer in den 70er Jahren sehr bekannten deutschen Gruppe, die die Atmosphäre der Geschichte, den schleichenden Schrecken, das Leiden Draculas und das Leiden der Menschen exzellent betont.

Gedreht wurde u.a. in Delft (die Handlung spielt in Wismar), der östlichen Slowakei (in Rumänien bekam Herzog keine Dreherlaubnis), der Partnach-Klamm in Bayern, auf Schloss Pernstein (Schloss des Grafen Dracula) und in Telc in der Tschechischen Republik.

Jonathan Harker (Bruno Ganz) bekommt von dem Immobilienmakler Renfield (Roland Topor) den Auftrag, nach Transsylvanien zu reisen, um dem dort lebenden Graf Dracula (Klaus Kinski) ein Haus in Wismar zu verkaufen. Jonathans Frau Lucy (Isabelle Adjani) hat ein ungutes Gefühl bezüglich dieser Reise. Sie hat Alpträume und möchte am liebsten, dass ihr Mann nicht reist.

Nach vier Wochen erreicht Jonathan zu Pferd sein Ziel. In einem Gasthaus wird er vom Wirt und den dort sitzenden Zigeunern eindringlich gewarnt. Nie sei jemand aus dem Gebiet hinter dem Borgo-Pass zurückgekehrt. Doch Jonathan, dem man kein frisches Pferd leihen will, geht zu Fuss los, übersteigt den Pass und sieht das von weitem verfallen aussehende Schloss des Grafen, der ihn kurz darauf des nachts empfängt.

Dracula unterschreibt den Kaufvertrag. Er kann sich kaum unter Kontrolle halten, als Jonathan sich in den Finger schneidet (übrigens die einzige Szene, in der Blut zu sehen ist), saugt – und wenig später beisst er ihn in den Hals. Als Jonathan morgens erwacht, findet er die Gruft des Grafen, der dort in einem Sarg liegt. Am Abend sieht er, wie der Graf sich in einen Holzsarg legt, und mit anderen Särgen auf einem Wagen davon fährt. Jonathan ahnt Schreckliches. Er glaubt Lucy in Gefahr, denn Dracula hatte das Bildnis Lucys gesehen und war entzückt. Der Graf begibt sich auf ein Schiff, um nach Wismar zu fahren. Vorher hat er sämtliche Türen seines Schlosses versperrt, und Jonathan muss sich an einem aus Bettlaken geknoteten Seil aus dem Fenster hangeln. Er macht sich, verzweifelt und von Fieber geplagt, auf den Rückweg nach Wismar zu Pferd.

Der Graf kommt vor Jonathan in Wismar an. Jonathan, völlig erschöpft, erkennt seine Frau nicht wieder. Blass sitzt er in seinem Zimmer. Und kurze Zeit später sterben immer mehr Einwohner von Wismar an der Pest. Ratten bevölkern die Stadt.

Nur Lucy erkennt, dass Dracula, der ihr nachts im Zimmer aufgelauert hat, die Ursache für Tod und Verderben ist. Sie entschliesst sich, den Grafen zu vernichten ...

„Ich liebe die Dunkelheit und die
Schatten, wo ich mit meinen
Gedanken allein sein kann.” (Graf Dracula)

Herzogs Inszenierung der Dracula-Geschichte auf Basis des Romans von Bram Stoker ist in jeder Hinsicht ein visueller und erzählerischer Genuss. Kinski überzeugt in seiner Darstellung als unter Unsterblichkeit leidender, vereinsamter Dracula, der sich nach Liebe sehnt. Als er das Bild von Lucy im Medaillon Jonathans sieht, ist es um ihn geschehen. Er will sich mit Lucy vereinen. Kinski spielt diesen Dracula als verzweifelten, ja deprimierten Unsterblichen, und zugleich als Schreckensgestalt, die kein Erbarmen kennt. Verstärkt wird diese schauspielerische Leistung vor allem durch die von der japanischen Maskenbildnerin Reiko Kruk hergestellte Maske. Kinski, glatzköpfig, mit weissem Gesicht, rot umrandeten Augen, grossen Ohren und überlangen, spitz zulaufenden Fingernägeln, ist zwar nicht einmal in einem Drittel des Films zu sehen. Doch seine Präsenz ist durch die Art der Inszenierung von Anfang an zu spüren – sei es durch die (übrigens einem Tierfilm entnommene) mehrfach im Flug gezeigte Fledermaus (einen „Fliegenden Hund”), sei es durch die düsteren Vorahnungen Lucys, sei es durch die Schrecksekunden, die Jonathan dem Wirt und den Zigeunern in dem Gasthaus bereitet, als er nach dem Weg zu Dracula fragt, vor allem aber durch die langen Sequenzen ab dem Zeitpunkt, als Jonathan sich zu Fuss aufmacht, um das Schloss des Grafen zu finden.

Jonathan geht durch eine Klamm, über riesige Felsbrocken, unter einem Himmel, der sich verfinstert bzw. vernebelt. Unterstützt durch die Musik Popul Vuhs und einen Ausschnitt aus Wagners „Rheingold” entsteht eine zunehmend bedrohliche Atmosphäre, bevor Dracula ins Bild rückt.

Die Landschaftsbilder, die Einrichtung des Gasthauses, aber auch der Spaziergang Jonathans mit Lucy am Strand zu Anfang des Films erinnern stark an die Romantik. Henning von Gierke legte beim Szenenbild sehr viel Wert auf Details und deren Anordnung, was dann insgesamt dem Film zu einer beeindruckenden Szenerie verhalf.

Innenwelten sind Herzogs Thema in allen seinen Spielfilmen. Im Audiokommentar der DVD distanziert sich Herzog zwar von einer theoretischen Erörterung des Films; er gehe an seine Filme nicht theoretisch heran, und zur Romantik habe er eigentlich gar keine Beziehung. Trotzdem spricht der Film in dieser Hinsicht „Bände”. In Wismar z.B. wollen die aufgeklärten Bürger, insbesondere der Arzt Dr. van Helsing (Walter Ladengast), Lucy nicht glauben, die von Nosferatu, Vampiren und Untoten erzählt; alles, was passiere, könne man, auch wenn es länger dauere, mit wissenschaftlichen Methoden erklären, meint van Helsing. Als die Pest sich weiter ausbreitet, dinieren die überlebenden Einwohner in ihrer Hilflosigkeit an grossen Tischen auf den Strassen, tanzen und machen Musik, bis auch sie der Tod ereilt. Dieser Konflikt zwischen aufgeklärtem Bürgertum, das sich in seiner Welt absolut sicher fühlt, und dem Hereinbrechen von etwas Unerklärlichem, das Verzweiflung und den Tod bringt, durchzieht den ganzen Film.

Herzogs Filme werden jedoch noch von anderen Gegensätzen durchzogen. Verdrängte Ängste manifestieren sich in einer aussergewöhnlichen Gestalt, die Aussergewöhnliches tun will oder tut, hier Dracula. Innenwelten visualisieren sich in Schreckensgestalten, in denen das Leiden über die leidenden Personen hinaus sichtbar wird. Dabei erhalten diese Schreckensgestalten eine eigene Personalität. Dracula ist bei Herzog im Grunde die am meisten leidende Gestalt, ein Untoter, ein Nicht-Sterblicher, einer, der sich nach Liebe sehnt, sie aber nicht erreichen kann, nur in der verzweifelten Hoffnung „lebt”, in einem anderen Menschen, hier Lucy, diese Zuneigung zu finden.

Schon in den Eingangssequenzen des Films wird dieses Leiden als Grundthema des Films sichtbar. Herzog zeigte mumifizierte Leichen, mit verzweifelten, angsterfüllten Gesichtsausdrücken. Manchmal wirken sie wie Figuren, die man hier und da an einem Dom oder Münster in Stein gemeisselt sehen kann.

Doch „Nosferatu” hat noch eine andere Dimension: die von Liebe und Tod. Lucy opfert sich gegen Schluss des Films, um Dracula zu zerstören. In ihrer Liebe zu Jonathan und zu den Menschen ihrer Umgebung ist der Tod für sie die einzige Möglichkeit, um die anderen zu retten. Und in diesem tragischen Schicksal erweist sich zugleich ihr tragischer Irrtum. Denn obwohl Dracula im Tageslicht sterben muss, steht der Nachfolger schon bereit.

Ein Moment, was in Herzogs Filmen auch immer wieder auftaucht, ist die sozusagen aus Naturverbundenheit resultierende Weisheit der sog. nicht zivilisierten Völker. In „Nosferatu” sind es die Zigeuner, die um die Gefahr wissen, Jonathan aber nicht zurückhalten können. Sie stehen sowohl der äusseren Natur, als auch der menschlichen Natur und ihrer Abgründe näher, sind sich dieser Dinge bewusster als die „Zivilisierten”, die Eroberer, die Kolonialisten, die Aufgeklärten.

Was bleibt, ist zu erwähnen, dass Herzog mit Bruno Ganz und Isabelle Adjani in den beiden anderen Hauptrollen des Films, aber auch mit Roland Topor, der in seiner Rolle als Renfield nach jedem Satz auf eine eigentümliche Weise kichert und auf diese Weise dem Gehilfen Draculas das passende „Outfit” verpasst, und mit Walter Ladengast als Dr. van Helsing eine hervorragende Besetzung gelang.

Ulrich Behrens

Nosferatu

Deutschland, Frankreich

1979

-

107 min.

Regie: Werner Herzog

Drehbuch: Werner Herzog

Darsteller: Klaus Kinski, Isabelle Adjani, Bruno Ganz

Produktion: Werner Herzog

Musik: Popol Vuh, Florian Fricke, Charles Gounod, Richard Wagner

Kamera: Jörg Schmidt-Reitwein

Schnitt: Beate Mainka-Jellinghaus