Invincible Eine Geschichte vor und nach Auschwitz

Kultur

Es gibt wohl keine filmische Auseinandersetzung mit dem Holocaust, von der man behaupten könnte: Ja, das ist es – sei es „Das siebte Kreuz” nach Anna Seghers, um ein frühes Werk zu nennen, sei es „Schindlers Liste”, „Der Pianist” oder sonst irgendein Streifen. Warum mag das so sein?

Der britische Schauspieler und Regisseur Tim Roth.
Mehr Artikel
Mehr Artikel

Der britische Schauspieler und Regisseur Tim Roth. Foto: Zerbst (CC BY-SA 3.0 unported - cropped)

8. Januar 2019
1
0
9 min.
Drucken
Korrektur
Wer glaubt, mit einem Film oder auf jegliche andere Weise die Frage nach dem Warum dieses singulären Verbrechens beantworten zu können, verkennt, dass es auf diese Frage keine endgültigen Antworten geben kann. Was ist Auschwitz heute? Die Frage nach dem Warum? Das ewige und zugleich hilflose „Nie wieder Faschismus!”? Was bedeutet uns Auschwitz heute? Etwas Unvorstellbares und daher letztlich auch nicht restlos Erklärbares – auch wenn viele nach Auschwitz behauptet hatten und es heute noch tun, sie hätten die Antwort parat.

Auschwitz heute kann für uns nicht mehr, aber auch nicht weniger als ein Gefühl sein, ein Gefühl der Ohnmacht, der Hilflosigkeit, der Trauer, des Schreckens oder zumindest der Ahnung von diesem Schrecken. Müssen wir uns dies nicht eingestehen? Viele fragen sich, warum Menschen so etwas anderen antun konnten. Die Antwort ist: Nur Menschen können so etwas anderen antun. Das Unmenschliche ist doch auch menschlich; kein Tier könnte so handeln.

Sicherlich gibt es Bedingungen, Voraussetzungen, Umstände, Vorläufer, Indizien, die zu Auschwitz geführt haben, das heisst zur Zerstörung all dessen, was bis dahin war. Aber sie alle erklären die Vernichtung von Millionen und Abermillionen Menschen nicht restlos. Auschwitz heute ist das erbärmliche Gefühl der Angst vor den Möglichkeiten menschlichen Denkens und Handelns, das Gefühl der Bedrohung durch die einzige Bestie auf Erden. Auschwitz ist die Erkenntnis, dass es möglich war und ähnliches künftig möglich wäre.

Ein Film wird vernichtet

Werner Herzog erzählt in seinem Film die Geschichte eines Juden aus dem Osten Polens, als diese Region noch jüdisch war, denn sie ist es spätestens seit 1945 nicht mehr.

Herzogs Film „Unbesiegbar” wurde von der Kritik scharf in die Mangel genommen. Zu lesen war von einem „hausbackenen Zeitbild” das vor „sentimentalen Platitüden” strotze, der Film sei lehrhaft; man bescheinigte Herzog „Aneinanderreihung von Klischees und Schwächen in der Darstellung”, schob nach mit: „übertrieben moralisch” und „zäh wie ein Kaugummi”; der Film sei „als Abitursaufsatz eben dann doch nicht allzu prickelnd”, „braves Bildungsbürgerkino der biederen Art”.

Die Geschichte ...

... beginnt in einem kleinen Ort im Osten Polens 1932. Dort lebt die jüdische Familie Breitbart, unter ihnen Zishe (Jouko Ahola), der mit seinem Vater eine Eisenschmiede betreibt. Zishe ist stark, sehr stark, und in einem Wettkampf besiegt er den in einem Zirkus arbeitenden angeblich stärksten Mann der Welt. Der Berliner Künstleragent Landwehr (Gustav Peter Wöhler) hat diesen Kampf beobachtet und möchte Zishe in die Hauptstadt holen. Nach anfänglichem Zögern macht sich der Schmied zu Fuss auf den Weg in eine ihm völlig fremde Welt und kommt im Mai 1932 in Berlin an. Landwehr vermittelt ihn an den Magier Hanussen (Tim Roth), in dessen Palast des Okkulten er als Ergänzung zu Hanussens charismatischem Auftreten und seinen Visionen von der Rettung Deutschlands durch einen grossen Führer mit blonder Perücke und Germanenhelm sämtliche Ketten sprengen soll.

Bald wird Zishe als Siegfried zur Attraktion und ist natürlich besonders bei den reichlich anwesenden SA-Männern beliebtes Aushängeschild ihrer eigenen Ideologie.

Zishe, zunächst begeistert von seinem Erfolg, gleichzeitig aber die Gefahr ahnend, die mit den Nationalsozialisten kommt, lernt die junge Pianistin Marta Farra (Anna Gourari) kennen, die Hanussen aus Prag mitgenommen hat und deren unsicheren Aufenthaltsstatus als Staatenlose er ausnutzt, um sie in seiner Abhängigkeit zu halten. Zishe verliebt sich in Marta und ihr virtuoses Klavierspiel.

Hanussen hingegen, der immer weiter von seinen Grossmachtvisionen abhängig zu werden scheint, erzählt Zishe, im neuen Staat Adolf Hitlers Minister des Okkulten werden zu wollen; ein entsprechendes Haus für sein Ministerium sei schon vorhanden.

Doch dann geschieht etwas, das Zishe sein Siegfried-Dasein gründlich überdenken lässt. Seine Mutter (Renate Krössner) und sein heiss-geliebter kleiner Bruder Benjamin (Jacob Wein) besuchen ihn; Benjamin erkennt seinen Bruder kaum wieder. Und Zishe entschliesst sich, seine Herkunft nicht länger zu verstecken. Auf der Bühne reisst er sich die Perücke herunter und erklärt, er sei kein germanischer Siegfried, sondern Zishe, der jüdische Schmied aus Polen, und wenn überhaupt, dann sei er ab jetzt Samson. Es kommt zum Tumult.

Das Publikum in Hanussens Palast des Okkulten wechselt. Jüdische Bürger beklatschen den neuen Samson, und als es daraufhin zu einer Saalschlacht mit den immer noch anwesenden SA-Horden kommt, kann Hanussen die aufgebrachte Menge nur noch durch seine Vision beruhigen, die Machtübernahme Hitlers stehe kurz bevor.

Zishe gerät immer mehr in Widerspruch zu Hanussen, dessen okkultes Gehabe dem Schmied zuwider ist, und er bezichtigt ihn öffentlich des Betruges. Vor Gericht soll geklärt werden, wer lügt und wer die Wahrheit sagt. Die Wahrheit aber wird das Leben aller Beteiligten gründlich verändern ...

Die Inszenierung ...

... dieser Geschichte, die auf einer wahren Begebenheit beruht, ist im wahrsten Sinn des Wortes ungewöhnlich. Herzogs Film vereinigt einerseits Legende, Mythos und Symbolik, doch andererseits erzählt er „nur” eine Geschichte. Diese – sicherlich brisante – Mischung baut nicht zuletzt auf die Erkenntnis, dass jede Legende einen wahren Kern, jeder Mythos einen realen Ursprung hat. Vor allem aber reproduziert Herzog in der Gestalt des Zishe den Mythos des Sisyphos, und zwar nicht als „reinen Mythos”, sondern eingebettet in die reale Geschichte eines polnischen Juden und das Jahr vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten.

Zishe ist körperlich stärker als alle anderen, denen er begegnet; er wehrt sich gegen das Verstecken seiner jüdischen Herkunft und Identität. Er stellt sich bloss, als das, was er ist, kämpft gegen die ihm nicht erklärlichen Vorurteile, die Diskriminierung, die Verteufelung der Juden, obwohl er nichts weiss von der Entstehung all dessen. Zishe ist ein einfacher, manche würden sagen: „beschränkter” Schmied, der die Welt scheinbar nicht kennt. Und doch kennt er sie, immer besser, immer deutlicher, und er kämpft, wie Sisyphos, der den Fels schier endlos, immer wieder auf den Berg schleppt, dagegen an.

Zishe ist noch mehr. Und dieses Mehr unterscheidet ihn von Hanussen, dem Verschleierer, der in der absurden Hoffnung lebt, seine jüdische Herkunft hinter der zynischen Anpassung an die Zeit verstecken zu können – und Hanussen, der vermeintliche dänische Adlige, scheitert. Zishe stirbt. Scheitert auch er, der an einer unvorsichtigerweise nicht rechtzeitig behandelten Blutvergiftung wenige Tage vor dem 30. Januar 1933 in Polen stirbt?

Zishe erinnerte mich oft an moderne Helden, sogar ab und zu an einige Rollen Schwarzeneggers, etwa in „Running Man”. Doch während solche modernen Helden im action- und trickgeladenen (vor allem amerikanischen) Kino zum Schluss gegen die ideologischen Allmachtsphantasien meist den Sieg davontragen, ist Zishes Tod Scheitern und Sieg zugleich. Er siegt als Mensch. Zugleich jedoch glaubt er zumindest an die Möglichkeit seiner Unbesiegbarkeit, wenn nur seine Verwandten und Freunde erkennen würden, welche Gefahr auf sie zukommt. Hier, als prophetischer Samson, scheitert er. Denn so gut wie niemand glaubt 1933 an die Möglichkeit von Auschwitz.

Hanussen glaubt daran; er glaubt zu überleben, indem er sich verbirgt, duckt, übertreibt, heuchelt und betrügt.

Herzog erzählt; das mag einigen nicht passen, vor allem weil er sowohl von einer jüdischen Legende, als auch der wirklichen Person des Zishe erzählt. Das, was er erzählt, hat mit Geschichtsstunde nichts zu tun. Es ist die Geschichte vom Scheitern Zishes wie Hanussens, und damit zweier Wege von vielen, angesichts dessen, was da kommt. Und Herzog erzählt dies in einer selten vereinten Dichotomie. Wenn Anna Gourari etwa Beethoven spielt, man die Bilder aus Zishes Dorf, das muntere Treiben und die Vitalität des jüdischen Daseins im Stetl betrachtet, so kalkuliert Herzog mit dem Mehr an Wissen des Betrachters: dass dies alles dem Erdboden gleichgemacht werden wird: verbrannte Erde und verbrannte Menschen, als wären sie nie da gewesen.

Aber nicht eine Lehrstunde ist die Absicht solcher Szenen oder auch der Liebesgeschichte zwischen Marta und Zishe. Wer sich von der Erzählung Herzogs einfangen lässt, wird erfühlen, dass es um die Frage geht, was Auschwitz für uns heute bedeutet und dass kein Sisyphos, kein Samson, kein Held so etwas wie Auschwitz verhindern kann, dass nach Auschwitz alles anders war und ist als davor.

Die Darsteller ...

Die Besetzung der Rolle des Zishe mit dem finnischen Body-Builder Jouko Ahola, einem Laiendarsteller, ist vor diesem Hintergrund nicht nur nachvollziehbar. Ahola ist es gelungen, dem Zishe Breitbart genau diese Dimension des „einfachen”, des in seinem Menschsein aufgehenden polnischen Schmieds zu geben, der entlang seiner „natürlichen” Menschlichkeit dazu lernt, sich von der Musik der geliebten Marta begeistern lässt usw., der jedoch auch im Angesicht des sich abzeichnenden Terrors zum Irrglauben der mythisch hergeleiteten Unbesiegbarkeit Zuflucht nimmt – und scheitert.

Auch die russische Konzertpianistin Anna Gourari bringt in den Film eine Form von Natürlichkeit ein, die dem realen Geschehen genauso zuträglich ist, wie andererseits Tim Roth als „Schau-Spieler” der drohenden Allmacht des Nationalsozialismus nur zeitweise entgehen kann. Roth spult seine „Show” als Hanussen ab, als ob er sich selbst wie eine aufgezogene, verkleidete Puppe tanzen lässt. Doch irgendwann ist die Puppe „abgelaufen”, die Show vorbei.

Fazit

„Invincible” war für mich ein erschreckendes und bewundernswertes, (be)rührendes und grausames (Film-)Erlebnis zugleich, eine Geschichte, frei von Larmoyanz und Lehrhaftigkeit. Und doch wird der Film umstritten bleiben wie er schon umstritten ist. Er schildert, wie selbst ein Sisyphos, ein Samson, und erst recht ein Hanussen durch die „porösen Verhältnisse” (Herzog) seiner Zeit gnadenlos hindurch fallen, scheitern müssen, ins Nichts gestossen werden. Auschwitz wird eine unbeantwortete Frage bleiben. Herzog enthüllt dies auf seine unnachahmliche Art.

Ulrich Behrens

Invincible

Deutschland,

2001

-

133 min.

Regie: Werner Herzog

Drehbuch: Werner Herzog

Darsteller: Tim Roth, Jouko Ahola, Anna Gourari

Produktion: Gary Bart, Werner Herzog

Musik: Klaus Badelt, Hans Zimmer

Kamera: Peter Zeitlinger

Schnitt: Joe Bini