Bei Anruf – Mord Unperfekter perfekter Mord

Kultur

Gibt es den perfekten Mord? In der „Gelegenheitsarbeit“ „Bei Anruf – Mord“, die Hitchcock 1954 ablieferte, ging er dieser Frage einmal mehr auf den Grund.

Alfred Hitchcock auf Besuch in Helsinki, Finnland, 1968.
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Alfred Hitchcock auf Besuch in Helsinki, Finnland, 1968. Foto: Hans Paulin kokoelma (PD)

15. August 2019
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In der weiblichen Hauptrolle ist Grace Kelly zu sehen, die zum damaligen Zeitpunkt noch kein Weltstar war (obwohl sie 1952 neben Gary Cooper in „High Noon“, Regie: Fred Zinnemann, zu sehen war) und danach in „Rear Window“ (1954, „Das Fenster zum Hof“, 1954, mit James Stewart) und „To Catch A Thief“ („Über den Dächern von Nizza“, 1955, mit Cary Grant) zu Ruhm gelangte. Der Film spielt fast ausschliesslich in einem Raum (wie schon „Rope“, „Cocktail für eine Leiche“, 1948, das ebenfalls nach einem erfolgreichen Theaterstück gedreht worden war).

Inhalt

Tony Wendice (Ray Milland) war früher Tennis-Champion. Doch das ist lange her. Weil er nicht in Armut sein Leben beenden will, hat Wendice die reiche Margot (Grace Kelly) geheiratet. Da es sich – jedenfalls von seiner Seite aus gesehen – nicht um eine Liebesbeziehung handelt, ist Wendice stets auf der Hut. Was wenn Margot sich eines Tages von ihm scheiden lassen will? Und jetzt interessiert sie sich auch noch auffällig für den Schriftsteller Mark Halliday (Robert Cummings). Das beste wäre, Margot würde aus seinem Leben verschwinden. Daher heckt er einen Plan für den perfekten Mord aus. Er erpresst seinen ehemaligen Schulkameraden Lesgate (Anthony Dawson) mit dessen krimineller Vergangenheit. Lesgate soll Margot in der Wohnung erdrosseln. Wendice versteckt den Schlüssel vor der Wohnungstür, damit Lesgate ohne Einbruch hineingelangen kann. Wendice selbst will sich während der Tat ein perfektes Alibi verschaffen: Er geht in den Club und trifft sich dort mit Halliday.

Doch dann geschieht etwas, mit dem Wendice nicht gerechnet hat. Margot kann sich aus dem Würgegriff Lesgates befreien und ersticht ihn mit einer Schere. Wendice muss sich etwas einfallen lassen. Er überzeugt Chefinspektor Hubbard (John Williams) davon, dass Margot Lesgate vorsätzlich ermordet habe, um einen Mitwisser ihrer angeblichen Beziehung zu Halliday zu beseitigen. Margot wird wegen Mordes zum Tode verurteilt.

Mark Halliday jedoch und auch Inspektor Hubbard hegen Zweifel. Sie stellen Wendice eine Falle ...

Inszenierung

Hitchcock verzichtete darauf, die Vorlage, ein Theaterstück von Frederick Scott, zu „lüften“, das heisst, er hielt sich streng an die Vorlage. „Dial M for Murder“ spielt fast ausschliesslich in einem Raum, in dem für die Dreharbeiten ein Graben gebaut wurde, so dass mit der Kamera in Höhe des Fussbodens gefilmt werden konnte. Das hatte noch einen anderen Grund. Warner Bros. wollte unbedingt, dass der Film im 3D-Format aufgenommen wird – eine Technik, die sich nicht durchsetzte und für die sich Hitchcock überhaupt nicht interessierte. Jedenfalls war er – abgesehen davon – der Meinung, man müsse sich bei der Verfilmung eines Theaterstücks auf das konzentrieren, was das Stück selbst ausmache, nicht auf irgendwelche Beigaben, langatmige Sequenzen, die das Stück ausdehnen usw.

Genau dies geschieht in dem Film. Hitchcock konzentriert die Handlung räumlich (ein Raum), er konzentriert sich auf das Wesentliche (also etwa: welche Überlegungen sind notwendig, um einen perfekten Mord zu planen und durchzuführen, und was, wenn nicht alles nach Plan läuft) und: Wie gestalte ich die Szene, in der Lesgate Margot erwürgen will.

Der Raum, in dem sich die Handlung abspielt, wirkt wie eine Bühne (wie schon in „Rope“). Hitchcock unterstrich dies noch dadurch, dass er im Studio einen Fussboden anbringen liess, so dass die Schritte der Personen zu hören waren. Alles Wichtige konzentriert sich auf diese vier Wände. Die Personen sind sozusagen auf Gedeih und Verderb diesem Raum ausgeliefert: keine wilde Verfolgungsjagd, keine Flucht, kein Ausweichen. Die Bewegungsmöglichkeiten der Figuren sind durch den Raum begrenzt, ebenso der Mordplan, seine Einzelheiten, usw. – mit Ausnahme des Alibis, so scheint es, aber auch das ist durch den Raum bestimmt: Wendice darf sich nur zum Zeitpunkt des geplanten Mordes nicht dort aufhalten.

Hitchcock äusserte im Gespräch mit Truffaut, dass er auch einen Film in einer Telefonzelle drehen würde. „Stellen wir uns doch mal ein Liebespaar in einer Telefonzelle vor. Ihre Hände berühren sich, ihre Münder treffen aufeinander, und zufällig schieben ihre Körper den Hörer von der Gabel. Jetzt, ohne dass das Paar es ahnt, kann das Telefonfräulein ihre intime Unterhaltung verfolgen. Das Drama ist um einen Schritt weitergekommen. Für das Publikum, das diese Bilder sieht, ist es wie der erste Abschnitt eines Romans oder als ob es einer Exposition auf dem Theater lauschte. So lässt eine Szene in einer Telefonzelle dem Filmregisseur dieselbe Freiheit wie das weisse Blatt dem Romanautor“ (1).

Genau das ist das Konzept von „Bei Anruf – Mord“. Hitchcock muss jedoch, weil es sich um einen räumlich beschränkten Film handelt, dafür sorgen, dass das Publikum dem praktisch endlosen Dialog der wenigen Beteiligten zuhört – wie im Theater. Doch Theater ist Theater und Film ist Film. Die Mordszene wird daher zum ersten zentralen visuellen Punkt des Films. (Der zweite ist die Szene, in der Hubbard und Halliday Wendice stellen.) Hitchcock erzählt im Gespräch zwischen Wendice und Lesgate dem Publikum in allen Einzelheiten den Plan, so dass nicht nur Lesgate, sondern der Zuschauer den Plan gedanklich durchspielen kann. Ja, man ist geradezu gezwungen zu überlegen, ob das gut gehen kann und was Margot für Chancen hätte, dem Attentat zu entkommen.

Dann kommt der Höhepunkt. Der potentielle Mörder steht hinter dem Vorhang, Margot betritt den Raum. Das Telefon klingelt. Lesgate tritt hinter dem Vorhang vor, schleicht sich an Margot heran und legt ihr das Tuch um den Hals, drückt zu. Margot sucht verzweifelt nach einem Ausweg, findet die Schere und sticht zu. Entspannung. Schon jetzt gehen die Gedanken des Zuschauers weiter: Wie wird Wendice reagieren? Was könnte er jetzt tun? Die Spannung bleibt also erhalten. Wendice muss seinen ursprünglichen Plan fast vollständig ändern, das heisst Margot in einem völlig falschen Licht erscheinen lassen usw. Die Überlegungen gehen weiter ...

Ray Milland spielt überzeugend einen eiskalt kalkulierenden, intelligenten Egozentriker, der bis zum Schluss versucht, sich aus der Affäre zu ziehen. Grace Kelly ist das genaue Gegenteil: Emotional, warmherzig, mitfühlend. Auch aus diesem charakterlichen Kontrast gewinnt der Film einiges an Spannung.

Fazit

„Dial M for Murder“ ist sicherlich nicht Hitchcocks erfolgreichster Film. Die vorlagengetreue Verfilmung von Theaterstücken findet nicht den gleichen Anklang beim Publikum wie Streifen, die sich – so würde ich es formulieren – räumlich nicht beschränken. Trotzdem gelang Hitchcock durch die Art und Weise der Führung der Schauspieler, die exzellente Verbindung von vorlagengetreuen Dialogen und visuellen Mitteln ein bis zum Schluss spannender Film.

Ulrich Behrens

(1) François Truffaut (in Zusammenarbeit mit Helen G. Scott): Truffaut / Hitchcock, München / Zürich 1999 (Diana-Verlag) (Originalausgabe: 1983), S. 178.

Bei Anruf – Mord

USA

1954

-

101 min.

Regie: Alfred Hitchcock

Drehbuch: Frederick Knott

Darsteller: Ray Milland, Grace Kelly, Robert Cummings

Produktion: Alfred Hitchcock für Warner Bros.

Musik: Dimitri Tiomkin

Kamera: Robert Burks

Schnitt: Rudi Fehr