Auch abstrakte Kunst ist letztlich ein Gegenstand Feuerkunst

Kultur

Ein Feuer ist das perfekte abstrakte Kunstwerk. Und damit meine ich nur das Feuer, nicht sein Substrat, denn das ist ja meist nicht nur gegenständlich sondern gar Gegenstand.

Faszination Feuer.
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Faszination Feuer. Foto: 4028mdk09 (CC BY-SA 3.0 unported - cropped)

19. November 2015
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Also zum Beispiel ein Holzscheit. Aber wenn man sich den wegdenkt und auch das Drum-Herum (vulgo z.B. “Kamin”), wenn nur die Flamme bleibt, blickt man in die perfekte abstrakte Kunst.

Auch abstrakte Kunst ist letztlich ein Gegenstand – ein Gemälde, eine Skulptur, eine Video-Installation, eine Flamme. Wie wird ein Feuer „gemalt“? Aufgrund der grossen Hitze vergasen flüchtige organische Verbindungen. Diese Kohlenwasserstoffe verbinden sich mit dem Sauerstoff der Luft zu Kohlendioxid und Wasser. Dabei wird viel Energie frei, die die beteiligten Moleküle so aufgeregt, dass sie anfangen zu leuchten. Sie leuchten von mildem Rot zu heissem Blau.

Die Formen- und Farb-Vielfalt des Feuers übersteigt die der Wolken ums Unendliche. Es verbrennt in einer endlosen Folge von Andeutungen und Schemen. Doch anders als die der Wolken lassen sich die Allusionen des Feuers nie festhalten. Hat der Beobachter geglaubt, etwas zu erkennen, ist es auch schon wieder dahin. Man kann im Feuer alles sehen. Und nichts.

Sogar eine vulgäre Kerzen-Flamme kann manchen Betrachter lange gefangen nehmen. Und schon die banale Choreografie eines einzelnen Scheits, der in meinem Kamin abbrennt, hat eine hypnotische Kraft, die man in den meisten Museen vergebens sucht.

Mein Kamin ist schmal und hoch – ein Durchmesser von vielleicht fünfundzwanzig Zentimetern bei einer Höhe von sechzig. Ein einzelner Scheit steht aufrecht auf den Resten der abgebrannten vorigen Füllung und verbrennt in der Hitze der blauen Flammen auf feuriger Glut.

Die Kunst! Die Flammen! Hoch recken sie sich über die ganzen sechzig Zentimeter in den wohl-bekannten Zungen. An einer Ecke entspringen kleine Feuerschlangen aus einer unregelmässigen Folge unterschiedlich grosser Brennpunkte. Anderswo brennen grössere Flächen relativ regelmässig. Oben in der Brennkammer jagt frischer Sauerstoff von der Hitze durch die dortigen Luftlöcher gesogen der Flamme frisches Blau in dieselbe und drischt eine schnelle Folge vielfältiger Formen in die oben schon sterbende Flamme.

Das Feuer bewegt sich stets in dieser schmalen, Symbol-trächtigen Zone zwischen Struktur und Chaos. Es ist der manifeste wie flüchtige Ausdruck der grössten Macht des Universums – der alles zermahlenden Kraft der Entropie. Die Vielfalt der Farben und Formen des Feuers ist unendlich. Denn sie entspringt der unendlichen Vielfalt des gewesenen Lebens, aus der es sich speist.

Schrotie